Gründung, Gründe, Gründer

Das weite niederdeutsche Flachland nun, welches dazu bestimmt war, den Sitz der Hansemacht zu bilden, ist durch Waffengewalt und durch friedliche Kolonisierung in jahrhundertlangem Ringen den heidnischen Slawenstämmen abgewonnen worden. Seit Karl der Große das kerndeutsche Friesen- und Sachsenland unterworfen hat, drängt eine zweite, rückwärts gewendete Völkerwanderung die deutsche Kulturbewegung in zwei Hauptrichtungen: die eine, nach Südosten, die Donau hinab, ins Ungarn- und Böhmerland — die andere, mächtigere, nach Nordosten, gegen die Weser und Elbe, bald über diese hinaus zur Oder und Weichsel, ja in die Sitze der finnischen Völkerschaften, um die verloren gegangene Stellung an der See, die uralte Heimat deutscher Stämme, wieder zu gewinnen.

Noch herrschen hier auf den Meeren die Skandinavier, welche in abenteuerlichen Seeräuberzügen die abendländische Welt bedrohen und verheeren — an den südlichen Küsten streitbare Slawenstämme. Das erstarkende polnische Reich schiebt seine Grenzen nach Westen vor. Es blühen vielbesuchte und von den Zeitgenossen bewunderte Hafenplätze, das dänische Schleswig, Sigtuna und Birka in Schweden, das reiche Julin oder Vineta und Stettin an der Odermündung, Gedanie am Ausfluss der Weichsel. Die Felseninsel Gotland, welche majestätisch aus der Meeresbrandung emporsteigt, mit ihrer Hauptstadt Wisby, dem Schutzort, vermittelte weit über Menschenerinnerung hinaus in der völkerverbindenden Ostsee, dem Mittelmeere des Nordens, den Verkehr der Küstenanwohner mit Russland, und durch dieses mit den entlegensten Gegenden des Orients. Zahllose Funde arabischer und byzantinischer Münzen aus dem fünften bis zehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung sind lebendige Zeugen jenes wunderbaren Handels.


Dieses weite Gebiet wird seit dem neunten Jahrhundert durch die denkwürdigsten Anstrengungen der deutsch-christlichen Kultur unterworfen. Wie aus dem Boden hervorgezaubert erwachsen hier zahlreiche deutsche Städte, werden altslawische Orte germanisiert. Sie bilden den starken Festungswall, unter dessen Schutz der Kaufmann, Handwerker und Bauer aus Friesland und Seeland, vom Niederrhein, aus Westfalen und Sachsen, aus Schwaben und Franken sich die neue Heimat gründet, und die vom Schwert verschonte slavische Bevölkerung sich zu einem besseren Lose heranbildet. So zieht sich ein kaum übersehbarer Städtekranz von den alten reichen Römerorten Mainz, Köln, Aachen, von den früh erblühten gewerbereichen Plätzen Flanderns und Brabants, von den seetüchtigen Orten Hollands und Frieslands bis zum finnischen Meerbusen. Im alten Sachsenland erheben sich schon im neunten Jahrhundert Soest, welches in seiner Blütezeit mehr als 30.000 Seelen umfasst, Dortmund, Münster, Osnabrück, Minden, Paderborn u. a. — mit dem rheinbeherrschenden Köln und den friesischen Städten früh am gewinnbringenden englischen Handel, ja an dem Verkehr auf Gotland beteiligt. An der Weser und Elbe erblühen die großen Empörten des Elb- und Weser Handels, das nordische Erzstift Bremen, und Hamburg, dann Stade, Magdeburg, Halle, Erfurt, Goslar. An der schiffbaren Trave, nicht weit von der Ostsee, errichtet 1158 Heinrich der Löwe seine geliebte Pflanzstadt Lübeck, welche nach kaum sechzigjährigem Bestände zur freien Reichsstadt erklärt, und mit herrlichen bürgerlichen Freiheiten ausgerüstet, zu einem Gemeinwesen von 80.000 Einwohnern heranblüht. Der Stecknitzkanal verband hier früh die Ufer der Trave und der Elbe, und damit die Gebiete der Nord- und Ostsee, Hamburg und Lübeck. Bei der Unsicherheit der damaligen Seefahrt, bei der Gefährlichkeit namentlich der dänischen Gewässer, schlug darum der große Warenzug von Osten nach Westen und in umgekehrter Richtung vorzugsweise diese Straße ein, und hat Lübeck zum natürlichen Mittelpunkt und Stapelplatz des ganzen nördlichen Handels erhoben. Weiter hinein im Binnenlande entstehen im zwölften und dreizehnten Jahrhundert Braunschweig, Lüneburg, Hannover, die märkischen Städte. Die alten Wendenorte Rostock, Schwerin, Wismar, Stettin empfangen deutsche Bevölkerung; Stralsund und Greifswald werden neu gegründet. Bremische Schiffer fahren 1158 Livland auf, und alsbald erhebt sich dort die Hauptstadt des tapferen und klugen Albrecht von Buxtehude und seiner Schwertritter, Riga an der Düna; es werden die dänischen Pflanzorte Dorpat und Reval zu deutschen Gemeinwesen umgebildet. In den wunderbaren Kämpfen des von Bürgern und Kaufleuten norddeutscher Städte in Palästina gegründeten deutschen Ritterordens gegen Preußen, Lithauen und Polen erheben sich Kulm, Thorn, Elbing, Braunsberg, Memel, Königsberg. Die altpommerellische Hauptstadt Danzig bildet sich seit 1308 zu einem rein deutschen Gemeinwesen um, das schon im ersten Jahrhundert seines Bestandes durch Zufluss aus allen Teilen Deutschlands auf 40.000 Einwohner heranwächst. Der Orden selbst tritt als kräftiger Beschützer und Bundesgenosse den Städten zur Seite.

So ist, nach allen scheinbaren Rückgängen und Stillständen, trotz der vielfachen Zerstörungen, welche den Aufschwung sogar Hamburgs und Bremens zeitweise gehemmt haben, mit dem Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts an der ganzen Oft- und Nordseeküste das Deutschtum zur sicheren Herrschaft gelangt. In der glorreichen Schlacht bei Bornhoevde bricht 1227 die vereinte Kraft der Holsteiner und der Städte, namentlich Lübecks, die Dänenherrschaft zu Lande; nicht lange darauf entreißt ihnen Lübeck in erstem glänzendem Seesiege die Obmacht auf dem Meere.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsche Hansa