Die deutsche Auswanderung und die Verschleppung deutscher Auswanderer.

Mit speziellen Dokumenten über die Auswanderung nach Brasilien zur Widerlegung falscher Angaben.
Autor: Sturz, Johann Jakob (1800-1877) Kolonialpolitiker und Menschenfreund, Erscheinungsjahr: 1868

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderer, Auswanderung, Kolonisten, Kolonien, Besiedlung, Ansiedlung, Siedler, Bauern, Reiselust, Reisebeschreibung, Menschenrechte, Sklaven, Menschenhandel, Brasilien
Ich befinde mich am Rande meines 70. Lebensjahres und im sechsundvierzigsten nach meinem ersten Besuche in Brasilien, welches mir eine mühevolle, wahrlich freudenlose Existenz bereitete, wie sie einem Deutschen von Gemüt in Brasilien nur beschieden sein kann, wenn er in nahen Beziehungen mit den dortigen sogenannten Staatsmännern steht.

Eine solche habe ich mehr als irgend ein anderer Deutscher wegen der Reformen, die ich diesem Lande als Ziel gesteckt hatte, länger als ein Jahrzehnt empfunden. Zehn Jahre nach meinem Austritte aus dem brasilianischen Staatsdienste finde ich mich jetzt durch die Angriffe einer Klasse von Personen, welche der Eigennutz oder das Verlangen nach brasilianischen Orden oder nach sonstiger Notorität treibt, nochmals genötigt, einzutreten in die brasilianische Kolonisations-Arena, welche vom Schmutze des Kronlanddiebstahls, von der Sklaverei, von der Verknechtung freier Arbeiter, von einer scheußlichen Rechtspflege und sinnloser Intoleranz befleckt ist. Noch heute, nach fünfundzwanzigjährigen, wiederholten Protesten von mir, nennen die Brasilianer, teils aus Dummstolz und Selbstbetrug, mehr noch als Vorwand, um den Staat zu betrügen, Kolonisation, was nur Immigration ist. Aber schon das Wort „Einwanderung“ widerte sie stets an; sie wollten keine „subjektive“, ideelle, nur eine Behandlung derselben zu ihrem eigenen, unmittelbaren Nutzen: durch Verkauf des wenige Jahre vorher vom Staate erschlichenen oder geraubten Landes an Kolonien, durch Verteilung der Kolonisten unter sich oder durch Einschließung derselben auf unfruchtbaren Strecken, um durch die Not zu schlecht bezahlter Arbeit auf ihren benachbarten fruchtbareren Ländereien zu zwingen etc. Von wirklichem Interesse für das Gedeihen der Kolonien war, mit Ausnahme einiger energielosen Ehrenmänner, zu denen der Kaiser selbst gehört, gar nicht die Rede. Überhaupt war die fast zehnjährige Kammer-Diskussion der Grundbesitzfrage, ob das angeeignete Land registriert und mit einer Taxe belegt werden solle, wie ich zuerst vorgeschlagen hatte, eine traurige Farce, eine unaufhörliche Maskerade von Landdieben, von Sklavenhändlern und Parceria-Kolonistenfängern, im Bunde mit der intoleranten Geistlichkeit und herrschsüchtigen Jesuiten, diebischen Stellenjägern und Ministern, welche sich untereinander verbunden hatten, um die Deutschen nie wieder in solcher Zahl und in so günstiger Lage sich vereinigen zu lassen, als es früher in Rio Grande do Sul bei der Auflösung der Süd-Armee im Jahre 1824 stattgefunden hatte. Deshalb sollten sie von nun an unter die Pflanzer oder doch weit von einander und auf von der Küste entfernte, schwierig zugängliche Stellen auf unfruchtbarem Boden verteilt werden, um die Kolonisten sozial und geistig zu vernichten.

So ist es denn auch gelungen, etliche zwanzig sogenannte Staatskolonien zu gründen, von denen mit Ausnahme derer von Rio Grande do Sul, (die bereits aufgehört haben, solche zu sein), auch nicht eine einzige selbstständig fortbestehen, jedenfalls nicht wachsen, die meisten aber wieder schnell zerfallen müssen, würde ihnen die Staats-Subvention entzogen, bestehend teils in Prämiengeldern für importierte Kolonisten, teils in Transport-Vorschüssen und in spärlichen Zuschüssen für öffentliche Bauten zur Bestreitung von Taglohn für unbeschäftigte Kolonisten.

Welche Existenz, welche Gewähr der Zukunft solcher Kolonien in einem tief verschuldeten Lande, das außerdem in einen blutigen Krieg verwickelt ist, der eine Menschen- und Geldkräfte weit übersteigt? Ein Krieg, geführt in einem tausend Meilen entfernten Lande, gegen ein armes, von unauslöschlichem Rachegefühl beseeltes Volk, umgeben dabei von Nachbaren, die dem Namen nach zwar Alliierte, in der aber vom tiefsten Nationalhasse durchglühte Feinde der Brasilianer sind, und als solche in Kurzem dem abgeschnittenen, brasilianischen Heere gegenüberstehen werden. Dazu die bevorstehende Befreiung der Sklaven, die, in welcher Form sie auch immer begonnen werden mag, in Kürze die ihr vorgesetzten Schranken durchbrechen und das ganze Land in einen chaotischen Zustand versetzen wird. Wird das Staatsärar auf nur noch weitere zwei Jahre im Stande sein, die Kolonien zu subventionieren, während jetzt schon die Times, welche seit vierzig Jahren kein Wort gegen Brasilien zu sagen hatte, den Staat bankrott erklärt? Wer würde kühn genug sein, das zu erwarten, wenn jetzt schon der Kaiser selbst von der ihm durch das Budget ausgeworfenen bescheidenen Zivilliste von 800.000 kaum 200.000 Thlr. bezieht, ohne irgend welches Privatvermögen zu besitzen?

Das von Brasilien schon seit einer Reihe von Jahren angewandte System des Überfahrtskostenvorschusses oder der angeblich freien Passage ist ein durchaus verwerfliches; seine schlimmste Seite hat es in den Pareria-Kontrakten erwiesen. Aber auch, wenn diese völlig aufgegeben wären, was nach den beiden in der „Germania“ angeführten Fällen von Simon Pereira in Minas und von San Luiz in St. Paulo noch in diesem Jahre nicht geschehen, sind sie von den nachteiligsten Folgen für Brasilien selbst wie für Deutschland. Nach ihnen greift man, um die natürliche Anziehungskraft zu ersetzen, welche das Land ausüben könnte, wäre es frei von dem Alles überwuchernden Landmonopole und den vielen anderen im Anhange dieser Schrift erwiesenen Missständen, die alle nur auf legislatorischem Wege beseitigt werden können. Früher wurde den Parceria-Kolonisten bis 85 Thlr. für die Überfahrt in Anrechnung gebracht; dazu wurde in vielen Fällen noch ein gleicher Betrag für Transportkosten nach dem Innern geworfen, und ein so Angezogener war oft bei seiner Ankunft bereits in eine Schuld von 150 Thlrn. und mehr verstrickt. Jetzt will man den Leuten, die sich für eine der bevorzugten Kolonien erklären, die Überfahrt für 30 Thlr., und auch diese auf geben, indem die Regierung dem Reeder weitere 30 Thlr. oder mehr pro Kopf nachschießt, um auf diese Weise die Kosten der Reise nach Brasilien eben so niedrig zu stellen, als die nach Nordamerika betragen. Es wird sich in Bälde zeigen, wie lange das brasilianische Ärar dies zu tun vermag; wir glauben nicht zwei Jahre mehr.

Verwerflich, weil in hohem Grade gemeinschädlich, ist aber der Passage-Vorschuss sowohl als das bloße Angebot der freien Beförderung; denn schon dieses wirkt demoralisierend auf unsere unterste Arbeiterklasse. Viele von diesen, die ohnehin nicht zu den besten Arbeitern gehören, werden sich nur zu leicht auf dieses letzte Auskunftsmittel verlassen, in Folge davon weniger sparsam, vorsichtig und fleißig sein, das Vertrauen auf sich selbst verlieren und sich der bei aller Arbeit notwendigen Disziplin schwerer unterziehen. Ein solcher Mensch verliert an Wert, möge er auswandern oder nicht. Im ersten Falle ist er aber auch nur von geringem Werte, sehr oft sogar nur eine Bürde für das Land, wohin er zieht, und Brasilien erhält dadurch eine ganz geringe Arbeiterklasse. Diese schwächende Wirkung wird sich auf viele Tausende solcher Leute äußern, wenn auch nur Hunderte zu dem gebotenen Mittel schreiten könnten. Die maßlosen, jedenfalls aber immer noch übertriebenen Klagen gegen die Eigenschaften der Deutschen von Seiten der brasilianischen Regierungsagenten zeugen dafür und bestätigen unsere ziemlich nachdrücklichen Voraussagungen.*)

Wie durchaus gesund und läuternd für unsere Bevölkerung wirkt dagegen der wohlüberlegte, freie Entschluss, auf eigene Kosten nach einem Lande auszuwandern, wo es, glaubwürdigen Erfahrungen gemäß, den Ankömmlingen bei Fleiß und Sparsamkeit fast unfehlbar gelingen muss, ein gutes Fortkommen zu finden, wahrscheinlich vermögend zu werden und sich in eine höhere Gesellschaftssphäre aufzuschwingen, jedenfalls aber einen Kindern eine bessere Lebenslage zu sichern, als es daheim im gewöhnlichen Gange der Dinge je möglich wäre. Der mittellose Mann, der den Entschluss, auszuwandern, auf wohlbegründete Überzeugung hin gefasst hat, wird sparsam, enthaltsam und arbeitsam sein, bis er sich die ihm notwendig erscheinende Summe gesammelt hat, und hierzu find ihm mehrere Jahre erforderlich. Seine gute und gewissenhafte Arbeit nützt direkt seiner Heimat; sie nützt aber auch durch sein Beispiel den Anderen durch deren regelmäßigeres und anhaltenderes Arbeiten. Dagegen erleidet das Land unleugbar einen empfindlichen Verlust durch die verminderte Arbeitsamkeit aller Derer, die sich durch die Aussicht des freien Transports den Hoffnungen auf ein leichteres und besseres Leben, kurz, träumerischen Erwartungen hingeben, und diese Erwartungen, wie es unvermeidlich ist, auch auf Andere übertragen und auch die Energie dieser lähmen.

Nach diesen vorläufigen Bemerkungen über Brasilien gestatte ich mir vorerst, gestützt auf langjährige Beobachtungen, einige allgemeine Betrachtungen über die Auswanderung im Allgemeinen, die ich Völkerwanderung nennen möchte, zu machen und später auf die Auswanderung im Speziellen einzugehen, wobei ich Gelegenheit nehmen werde, in Betreff der Auswanderung nach Brasilien meinen neuen Gegnern mit Dokumenten entgegenzutreten.

Brasilien 000 Gesamtansicht des Hafens von Rio de Janeiro

Brasilien 000 Gesamtansicht des Hafens von Rio de Janeiro

Brasilien 001 Eine Tropa, Auf dem Zuge ins Innere

Brasilien 001 Eine Tropa, Auf dem Zuge ins Innere

Brasilien 002 Flussübergang

Brasilien 002 Flussübergang

Brasilien 002 Goldwäscher

Brasilien 002 Goldwäscher

Brasilien 004 Schwarz und weiß (Bahia)

Brasilien 004 Schwarz und weiß (Bahia)

Brasilien 005 Wasserträgerin aus Pernambuco

Brasilien 005 Wasserträgerin aus Pernambuco

Brasilien 006 Bei Bahia, Auf dem Wege nach Victoria

Brasilien 006 Bei Bahia, Auf dem Wege nach Victoria

Brasilien 007 Farmer (Fazendeiro) aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 007 Farmer (Fazendeiro) aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 008 Eingeborener aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 008 Eingeborener aus dem Inneren des Staates Bahia

Brasilien 009 Sao Felix

Brasilien 009 Sao Felix

Brasilien 010 Straße in Rio de Janeiro

Brasilien 010 Straße in Rio de Janeiro

Brasilien 011 Canal do Mangue in Rio de Janeiro

Brasilien 011 Canal do Mangue in Rio de Janeiro

Brasilien 012 Schönheiten aus Bahia und Rio de Janeiro

Brasilien 012 Schönheiten aus Bahia und Rio de Janeiro

Brasilien 013 Korbflechter

Brasilien 013 Korbflechter

Brasilien 014 Hausierer

Brasilien 014 Hausierer

Brasilien 015 Serra dos Orgaos, Das Orgelgebirge

Brasilien 015 Serra dos Orgaos, Das Orgelgebirge

Brasilien 016 Cascatinho (Rio de Janeiro)

Brasilien 016 Cascatinho (Rio de Janeiro)