Die kleinere Auswanderung, nach Brasilien insbesondere.

Von dieser großen Strömung nach Nordamerika, die sich selbst alljährlich ein breiteres Fluten-Bett erschafft, zweigt sich seit 30 Jahren in verschwindend kleiner Zahl hier und da eine Nebenströmung ab, welche ohne den gehörigen Nachdruck unserer Nationalkraft verloren geht. Solche Zweigauswanderung wird hervorgerufen durch besondere Ereignisse, durch Goldminen-Entdeckungen in Australien, durch religiös-enthusiastische Anschauung, welche die Alt-Lutheraner eben dahin zog und die Mennoniten nach Russland trieb, durch Vorzüge einzelner Länder, z. B. Uruguays für Schafzucht, Chilis durch Bergwerke und reiche Kornfelder bei leichtem Bodenerwerb und ohne konfessionelle Behinderung. Solchen Erscheinungen gegenüber hört nun Brasilien nicht auf, für sich den größten Teil dieser kleineren Auswanderung auf ganz unberechtigte Gründe für sich zu beanspruchen. In letzterer Zeit macht es wiederum die größten Anstrengungen zu diesem Zwecke, und so wurde denn auch ich, wie vormals bei den Parceria-Werbungen als ein Hindernis des Erfolges betrachtet. Durch vereinte systematische Angriffe, auf die Schwäche meines Alters bauend, schritt man mehr mit Siegesbewusstsein als Wahrheitsliebe gegen mich vor.

Der mir von vielen Seiten erwiesenen Teilnahme meiner Landsleute bin ich es schuldig, den planmäßig erneuerten offenen und versteckten Angriffen gegen mich und gegen die Motive, welche meine Handlungsweise als Staatsdiener in Brasilien geleitet, entgegenzutreten. Die falsche und interessierte Natur dieser Verleumdungen kann ich, ohne bereits bekannte Vorfälle zwischen der brasilianischen Regierung und mir weiter zu berühren, durch eine kurze Darstellung aller jener offenen Handlungen und öffentlichen Kundmachungen erweisen, welche mit anderen Ereignissen im Jahre 1857/58 zu dem Verluste meiner Stelle zusammenwirkten. Zugleich werde ich durch Dokumente die Berechtigung auf deutsche Auswanderung, die Brasilien etwa hat, oder sich verschaffen könnte, genau kennzeichnen.


Seit mehr als 20 Jahren haben sehr gute und verständige Männer, die Brasilien sehr genau kennen, mich bewegen wollen, die Reformen, welche ich für das Wohl der Einwanderer so nachdrücklich durchzuführen suchte, „nicht zur Bedingung der Einwanderung zu machen,“ vielmehr rückhaltlos für die Auswanderung aus Deutschland nach Brasilien aufzutreten. „Was schade es, wenn die ersten Pioniere deutschen Fleißes auch gegen die Vorurteile und die träge Eifersucht des brasilianischen Volkes nicht aufkommen könnten, vielleicht gar zu Grunde gingen; sei nur der Einwanderungsstrom erst eingeleitet und unaufhaltsam geworden, so würden die Reformen von selbst folgen, durch deutschen Einfluss dem politisch unfähigen Volke Brasiliens abgenötigt werden“ – „Die für die Deutschen so ungemein geeigneten Striche jenes Landes müssen eben auf die erste, beste Weise „genommen“ werden“. – So ergab sich denn auch mancher „eifrige Kolonisator“, der sich schon eine schöne Strecke Landes drüben gesichert hatte, darein, durch das Unglück Einzelner – vielleicht auch Vieler – seinen Zweck zu erreichen, d. h. ein schönes Geld von den Einwanderern einzustreichen: „ginge es auch diesem und jenem nicht zum Besten; ihren Kindern würde es schon besser gehen“ usw., wie aus einigen beigefügten, wortgetreuen Auszügen von Briefen zu ersehen ist, deren Originale ich mit vielen anderen Dokumenten Jedem, der sich darum ernstlich interessiert, vorzulegen bereit bin.

Ich fand in meinem Gewissen keine Rechtfertigung dafür, einen materiellen Gewinn, läge er auf deutscher oder brasilianischer Seite, durch das Unglück auch nur eines vertrauenden Menschen zu erkaufen. Meine Pflicht als brasilianischer Staatsdiener veranlasste mich, die Notwendigkeit der Reformen, um durch Einwanderung die Wiederbelebung und Rettung Brasiliens herbeiführen zu können, der Regierung, den gesetzgeben den Versammlungen und den Gebildeteren des Volkes klar zu machen. Das habe ich mit Mäßigung und Ernst 30 Jahre lang als brasilianischer Bürger, und 17 Jahre lang zugleich als Staatsdiener getreulich zu tun versucht. Auch hierfür kann ich viele Hunderte von gedruckten Beweisstücken vorlegen. Diese bestehen zum großen Teile in verschiedenen Zirkularen, die ich im Laufe von 18 Jahren zu 200 bis 500 einzeln per Post an alle Parteien und Korporationen in Brasilien, welche ich zu überzeugen hoffte, abgesandt habe. Oftmals schien es mir auch, als würde mir meine Aufgabe doch noch gelingen. Da tauchten jedoch Umstände auf, die die Früchte aller meiner Arbeit wieder vernichteten. Der erste unter diesen war das Aufkommen des Parceria-Schwindels, der alle Begriffe der mächtigen Grundbesitzer und der ihr unterworfenen Regierung verrückte und mir unter Zusammenwirkung weiterhin zu erklärender Vorfälle, wegen meines entschiedenen Widerstandes gegen jenen Schwindel, meine Stelle, wie ich gewärtig sein musste, kostete. In den darauf folgenden 9 Jahren sah ich mich dann als deutscher Mann genötigt, in schärferer Weise das Recht der Wahrheit geltend zu machen, und es scheint, dass die Brasilianer, durch Not gewitzigt, endlich gelindere Wege einzuschlagen gedenken; sie geben wenigstens so vor, haben dasselbe aber schon manchmal ohne Ernst getan. Ich aber habe Amt und Vermögen meinen Bestrebungen opfern müssen.

Meine Bemühungen richteten sich von jeher auf eine gesetzliche Registrierung des liegenden Eigentums Behufs einer Taxerhebung, um so den Kleinbesitz und die freie Arbeit zu ermöglichen, als Grundlage für eine spätere Sklavenemanzipation, und später darauf den schändlichen Parceria-Werbungen, den Werbeschwindeleien, entgegenzutreten. Ich deckte diese Betrügereien öffentlich auf, was mir den Hass der Großgrundbesitzer, des brasilianischen Gesandten Araujo und der mit ihm verwandten und geschäftlich verbundenen Hamburger Senatoren und Diplomaten eintrug. Dr. Blumenau gehörte zur Zeit meiner Entlassung schon 8 Jahre lang zu den Landpotentaten und ebenso lange war er mäuschenstille über alle mit den betrogenen Deutschen getriebenen Missbräuche. Nie wurde eine Stimme zu Gunsten der unterdrückten Parceria-Kolonisten vernommen, nie ein Laut von ihm selbst über die Gräuel von Mucury gehört. Er wollte eben nicht gegen den Esprit de Corps der Landpotentaten auftreten, sonst wären die Subsidiengelder für seine Kolonie, die er stets erhielt, gestrichen, die Hypothekengelder, welche er darauf empfangen, gekündigt, endlich die Kolonie selbst ihm nicht abgekauft und die Staatsdirektorstelle darüber ihm nicht verliehen worden.

Ich wies stets auf die Vereinigten Staaten hin, die mit dem ebenmäßig verteilten Grundbesitz alle Freiheiten verknüpfen, welche dem Ansiedler unbegrenzten Spielraum geben, ihn in seiner gesamten Tätigkeit ausbeuten und Werte schaffen, welche schon dem Europäer, geschweige dem Brasilianer unbegreiflich sind“). Durch die „Homestead Bill“ Nordamerikas wird jährlich eine halbe Million neuer Bürger herbeigezogen, und das ganze Land zu einem großen Laboratorium der Menschheit, zu einem Schmelztiegel der Nationalitäten gemacht.**)

Wenn schon die Untätigkeit der Brasilianer, ihre Eifersucht und Beschränktheit dem Einwanderer in Verkehr und Austausch einer Güter tausend Hindernisse in den Weg legt, wenn Ungeziefer und schlechte Wege die halbe Frucht einer Tätigkeit vernichtet, wie viel mehr ist es da die Pflicht der Regierung, ihm die Hand zu bieten! Dazu kommt, dass die Sklaverei, die Engherzigkeit des jesuitischen Klerus, der Mangel an den meisten Unterrichtsanstalten, an Schulen, protestantischen Kirchen, an Straßen, Dampfschiffen, Eisenbahnen und Posten den Ansiedler noch besonders hilflos und eingeschränkt macht. Ich konnte daher unter solchen Verhältnissen nur abraten, und immer wieder und immer lauter vor jeder deutschen Einwanderung warnen, ehe nicht vom brasilianischen Staate selbst gerechtfertigte Einladung und rationelle Begünstigung der Fremden ausgegangen, ehe nicht der Grundbesitz erleichtert und gesichert worden, und auch den materiellen Ansprüchen die geistigen, moralischen, sozialen und religiösen als berücksichtigungswürdig an die Seite getreten waren.

Ich füge hier noch hinzu, dass selbst die „Germania“ sich auf das entschiedenste dafür ausspricht, dass das Verbot der Auswanderungs-Vermittlung nach Brasilien, so sehr diese auch von den dortigen Deutschen gewünscht wird, von der Bundesregierung nicht aufgehoben werde, bis den Deutschen drüben alle unerlässlichen Garantien für ihr Gedeihen gesetzlich und vertragsmäßig geboten sind. Diese seien vor Allem: Unverkümmerte Religionsfreiheit, eine wohlgesicherte Rechtspflege und Konsular-Jurisdiktion in Erbschaftsangelegenheiten, wie sie den Franzosen und sogar den Schweizern eingeräumt ist. Die Regierung, sagt sie, tue Alles, um die Deutschen nach vielen Punkten zu um so viel als möglich die Bildung neuer deutscher Gemeinden zu verhindern ***). Hierauf dürfe in Zukunft nicht mehr eingegangen werden; denn die Deutschen müssten ihre eigenen Ortsrichter unter sich wählen können und ihre eigenen geschlossenen Kirchengemeinden haben. Ohne dieses würden sie stets von den Brasilianern hintangesetzt und gemissbraucht werden und nur schlecht gedeihen.“

*) Das Selbstbewusstsein des Einwanderers in Brasilien gegenüber der urwäldlichen Natur gibt ihm allerdings eine gewisse Befriedigung, die ihm als eine Verbesserung erscheinen muss. Sie ist aber kein Faktor, auf den wir gegenüber den Freiheiten Nordamerikas Rücksicht nehmen können. Das sehen die brasilianischen Deutschen nicht ein, da es ihnen doch oft besser geht als zu Hause, und sie keinen Begriff haben, wie hoch sich der Mensch unter voll günstigen Umständen verwerten kann.

**) In Brasilien lassen sich kaum 300 im Jahre naturalisieren, in Nord-Amerika 150.000.

***) Schon Abrantes, obgleich er während seines Aufenthaltes in Berlin und noch bis 1852 durchaus liberal über Einwanderung gedacht, ließ sich von da ab – wie seine Briefe an mich von 1852 und 1854 (man vergleiche auch die bei gedruckten deutschen Briefe) zeigen – durch den Popanz der „kleinen Deutschländer (pequenas Allemanhas) für die deutsche Einwanderung durch planierende, eigennützige Deutsche selbst (man sehe nur dessen 6 Jahre früher ausgesprochene Ansichten in dessen beigedruckter Note an den Minister von Canitz) gleichgültig machen.



Brasilien 035 Hafenstraße in Joinville

Brasilien 035 Hafenstraße in Joinville

Brasilien 036 Blumenau

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Brasilien 037 Fähre auf dem Rio Itapocu (Santa Catharina)

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Brasilien 038 Sao Bento

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Brasilien 039 Oxford

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Brasilien 040 Serrastraße

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Brasilien 041 Neue Kolonisten in der Hansa

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Brasilien 042 Porto Alegre, Intendenzgebäude

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Brasilien 043 Straßenszene in Port Alegre (Rio Grande do Sul)

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Brasilien 044 Sao Leopoldo (Rio Grande do Sul)

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Brasilien 045 Bei Alto Jacuhy, Sägemühle im Hochland von Rio Grande do Sul

Brasilien 045 Bei Alto Jacuhy, Sägemühle im Hochland von Rio Grande do Sul

Brasilien 046 Junge Brasilienerinnen aus Uruguayana

Brasilien 046 Junge Brasilienerinnen aus Uruguayana

Brasilien 047 Kolonie Ijuhy

Brasilien 047 Kolonie Ijuhy

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