Die deutsche Auswanderung, insbesondere nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika seit der Gründung des Deutschen Reiches (1871) Ursachen

Ursachen der deutschen Auswanderung. 5. Allgemeines und Übersicht.
Autor: Josephy, Fritz Dr. (?-?), Erscheinungsjahr: 1912
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderung, Auswanderer, Deutschland, Amerika, USA, Vereinigte Staaten, Auswanderungsschiffe, Auswanderungshäfen, Auswanderungsländer, Auswanderungsgründe, Auswanderungsagenten
Die Darstellung der Ursachen, welche seit der Gründung des Deutschen Reiches (1871) bis zur Gegenwart, wie hervorgehoben, 2 3/4 Millionen Deutsche veranlasst haben, sich in alle Weltteile zu zerstreuen, hat anzuknüpfen an die frühere deutsche Auswanderung. In § 2 wurden in Grundzügen bereits die Hauptbeweggründe gekennzeichnet, welche die Deutschen Jahrhunderte hindurch nach Übersee getrieben haben. Dabei ergab sich, dass es, je mehr wir die Auswanderung im 19. Jahrhundert anschwellen sahen, um so unmöglicher wurde, eine einheitliche Formel zu finden, welche die gesamte Bewegung zu erklären imstande gewesen wäre. Es gibt keine einheitliche große Kraft, welche die Deutschen hinaustreibt; der vielgerühmte deutsche Wandertrieb ist vielmehr auf die verschiedensten Umstände zurückzuführen.

Im folgenden ist der Versuch unternommen, die Ursachen der großen Massenbewegung der letzten vier Jahrzehnte aufzudecken und sie im Zusammenhang mit der Entwicklung des Reiches in übersichtlicher Weise darzustellen. Dabei ist das in zureichendem Maße vorhandene, statistische Material der einzelnen Auswanderungsjahre zur Aufdeckung der Beziehungen zwischen Auswanderung und moderner Entwicklung zu berücksichtigen.

Die moderne Entwicklung ist sehr vielgestaltig und greift tief in die früheren religiösen, politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände ein. Auf Grund derselben ist es unzweifelhaft, dass religiöse und politische Momente, welche früher bei der Auswanderung die ausschlaggebende Rolle spielten, heute kaum mehr in Betracht kommen. Es sind in der Hauptsache wirtschaftliche Ursachen gewesen, welche zu der gewaltigen Expansion des deutschen Volkes in allen Ländern geführt haben. Darüber herrscht auch in der deutschen Auswanderungsliteratur kein Zweifel mehr. Es wäre doch eine große Verkennung des Wesens der modernen deutschen Auswanderung, wollte man sie auf das Konto der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands allein setzen. Schon aus der bisherigen Darstellung ergibt sich, dass die Ursachen der Auswanderung im Laufe der Geschichte einem Wechsel unterworfen waren. Dieser rührt daher, dass das deutsche Volk in seiner Mehrzahl im 19. Jahrhundert unter wesentlich anderen Bedingungen lebt, als dies in früherer Zeit der Fall gewesen ist. Die Verhältnisse des deutschen Volkes sind nach allen Richtungen hin freier geworden. Die Losung des 19. Jahrhunderts war die uneingeschränkte Betätigungsmöglichkeit des einzelnen auf allen Gebieten. Dieser moderne Individualismus drückt der gesamten Entwicklung der Neuzeit ihr eigenartiges Gepräge auf. Da er alles mehr oder minder der Veränderung unterworfen hat, und gerade die Veränderung der äußeren Verhältnisse, unter denen das Individuum lebt, zweifellos auch ihre rückwirkende Kraft auf die Eigenart des Individuums selbst äußerte, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch die rein subjektiven Momente, auf welche in § 2 zuweilen hingewiesen wurde, allerdings in langsamerem Tempo und geringerem Maße, dem großen Gesetz des . . . unterworfen sind.

Da nun aber alles Fließen, Werden, Sichverändern ein allmähliches ist, so muss die folgende Darstellung auch auf die subjektiven Momente gesondert eingehen.

Schon rein statistisch weist die neueste Auswanderung Beziehungen mit jener früheren auf. Eine zahlenmäßige Betrachtung ergibt, dass der quantitative Charakter der deutschen Massenflucht nach Übersee, die etwas übertrieben mit der Flucht eines wohlausgerüsteten großen Heeres verglichen wurde (H. Say), mindestens seit 1846 im Zusammenhang mit der damaligen Bevölkerungszahl Deutschlands nicht wesentlich von derjenigen seit 1871 abweicht. Dies legt die Vermutung nahe, dass die damaligen Motive auch in der Neuzeit ihre Geltung noch nicht ganz eingebüßt haben. Auch zeigt die frühere Auswanderung im Vergleich zu der neuesten ebenfalls bereits recht erhebliche Schwankungen. Doch weicht diejenige der letzten 40 Jahre von der früheren insofern bedeutend ab, als sie einen erfreulichen Rückgang aufweist, der bereits seit zwei Jahrzehnten mit nur geringen Schwankungen andauert (§ 4). Für diejenigen, welche geneigt wären, die Auswanderung als eine ganz natürliche Folge der Vermehrung des deutschen Volkes anzusehen, oder sie gar auf Übervölkerung zurückzuführen, muss diese Tatsache um so auffallender sein, als die deutsche Bevölkerung seit 1871 ein andauerndes Wachstum von durchschnittlich jährlich 1,17 % oder gegenwärtig 800.000 Personen pro Jahr zeigte *). Auswanderung und Bevölkerungsvermehrung können mindestens in Deutschland nicht in Relation stehen.

*) Die Bevölkerungszunahme des deutschen Reiches betrug durchschnittlich jährlich: 1871—80 l,08% , 1880—90 0,89%, 1890—1900 1,31%, 1900—1910 1,41%. (Stat. Jahrb. d. Deutsch. Reiches 1911, S. 3.)

So umfangreich die Literatur über die deutsche Auswanderung auch ist, eine eingehende Darstellung aller ihrer Ursachen lässt sie vermissen. Freilich finden sich überall gelegentliche Hinweise, und besonders in Zeitschriften und Sammelwerken sind oft recht wertvolle Beiträge zu dieser Frage geliefert. Im allgemeinen hat man sich aber damit begnügt, die Ursachen der Auswanderung schlechthin darzustellen und diese gleichen Ursachen auch für die deutsche Auswanderung geltend zu machen. Damit konnte man aber derselben im speziellen nicht voll gerecht werden.

Man pflegte in der neuen Literatur die Ursachen der Auswanderung systematisch gewöhnlich in religiöse, politische, wirtschaftliche 2) zu gliedern. Neuestens vertritt Rauber 3) die Ansicht, dass die in dem Staate tatsächlich vorhandene geschlechtliche Inkongruenz schon heute nicht ohne Bedeutung sei und in der Zukunft zweifellos zu einer größeren weiblichen Auswanderung 4) führen werde. Völlig hat man es vernachlässigt, auf die sozialen Ursachen der Auswanderung hinzuweisen. Auch Rauber, welcher u. E. n. als erster mit seiner geschlechtlichen Inkongruenztheorie den sozialen Gesichtspunkt angeschnitten hat, hat ihn darüber hinaus nicht weiter verfolgt.

Die folgende Darstellung weicht von der überkommenen Einteilung der Ursachen der Auswanderung ab und sucht das Problem auf eine breitere Grundlage zu stellen. Sie geht auch insofern über die bisherige Darstellung hinaus, als sie die wirtschaftlichen Ursachen eingehend klarzulegen sucht und dabei an die Veränderungen, denen die einzelnen Wirtschaftszweige in Deutschland infolge der industriellen Entwicklung unterlegen sind, anknüpft. Sie erhebt jedoch nicht den Anspruch, diese überaus schwierige und allein eine umfangreiche Abhandlung in Anspruch nehmende Materie bis in ihre letzten Konsequenzen zu durchdringen. Denn eine gründliche Behandlung derselben würde eine detailgeographische 5) Erforschung der Auswanderung in Deutschland voraussetzen, die bisher fast völlig fehlt.

Die Wanderbewegung der Menschen hat ihre Wurzel teils in der Natur eines Volkes, d. h. der ihm zugehörigen einzelnen Individuen, teils in den verschiedenen äußeren Umständen und Verhältnissen, welche als Folge der verschiedenen Mannigfaltigkeiten der menschlichen Natur durch das Zusammenwohnen einer Vielheit von Personen auf einem politisch begrenzten Räume geschaffen werden. Man tut demnach gut, subjektive und objektive Ursachen bei der Auswanderung zu unterscheiden, d. h. solche, welche in dem inneren Triebleben der Menschen ihre Wurzeln haben und solche, welche durch äußere Umstände, durch konkrete Zustände der näheren und ferneren Umgebung des Menschen erregt und unterhalten werden. Aus den Beziehungen dieser beiden Kategorien, nämlich der subjektiven und objektiven Momente, ergeben sich dann Variationen und Kombinationen unzähliger Art. In der Mehrzahl der Fälle der Auswanderung wirken beide Momente zusammen, so dass es in der Praxis oft schwer sein wird, auseinanderzuhalten, welchem der beiden die überwiegende Bedeutung als Auswanderungsmotiv zuzuschreiben ist. In der Regel werden konkrete spontane Ereignisse, um mit Bismarck 6) zu sprechen, der Strohhalm sein, der dem Kamel den Nacken bricht, d. h. zur Auswanderung zwingt.

**) Letztere behandelt zuerst und am gründlichsten v. Eheberg (Auswanderung), namentlich auch im Zusammenhange mit der modernen, wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Doch konnte der Autor im Rahmen eines Vortrages natürlich nicht eingehend die gesamte wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands behandeln, ohne welche die Ursachen der deutschen Auswanderungen nicht völlig geklärt und verstanden werden können. Vgl. u. a. auch Geffcken-Bergmann, Auswanderung und Auswanderungspolitik in Schönbergs Volkswirtschaftslehre, IV. Auflage II, 2, S. 501 ff. (Tübingen 1898.) — G. Schmoller, Grundriss der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, I. Teil, Leipzig 1908, S. 182 ff.
3 ) A. a. O.
4) Unter den heutigen Verhältnissen des Rückgangs der deutschen Auswanderung dürfte jedoch eine erhöhte weibliche Auswanderung in Deutschland nicht wahrscheinlich sein, da das Verhältnis der beiden Geschlechter immer mehr die Tendenz zeigt, sich auszugleichen. Es trafen nämlich in Deutschland auf 1.000 männliche Personen: 1871 1.037 weibliche, 1880 1.039, 1885 1.043, 1890 1.040, 1900 1.032, 1910 1.026.
5) Diesen Zweck hat sich bereits Bd. 52 der Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Auswanderung und Auswanderungspolitik in Deutschland, herausgegeben von E. v. Philippowich, Leipzig 1892, für einzelne deutsche Staaten gesetzt.
6) Vgl. Poschinger, Fürst Bismarck als Volkswirt, S. 3 und 4.


In der richtigen Erkenntnis der vielseitigen Umstände und Beziehungen (innerer und äußerer Natur), welche auswanderungsfördernd wirken, hat schon Sadler in seinem oft zitierten Wort aus den Untersuchungen über das Bevölkerungsgesetz die Ursachen folgendermaßen charakterisiert: „Es ist kaum möglich, irgendeine Ursache zu denken, welche die Handlungen menschlicher Wesen beeinflusst, die nicht zugleich auch auf die Auswanderung der Menschen Einfluss genommen hätte."

Philippowich 7) fügt Sadlers Wort erläuternd hinzu: „Ehrgeiz, Gewinnsucht, enttäuschte Hoffnungen, Verlust gesellschaftlicher Anerkennung, Abenteuersinn, Wanderlust, Wissbegierde haben ebenso ihren Anteil an der Auswanderung (also subjektive Momente!), wie religiöse und politische Bedrückung und Schwierigkeiten wirtschaftlicher Natur" (objektive Momente!).

Einige der von Philippowich aufgeführten Ursachen stellen eine Kombination beider dar. Wir sehen also, dass die in dem Folgenden durchgeführte Systematik bereits von verschiedenen Autoren zwar angedeutet, aber nicht durchgeführt wurde.

Diese Unterscheidung ist die natürliche und systematisch leicht durchführbare und deckt das Problem der Auswanderung in seinen letzten Konsequenzen auf. Sie erklärt völlig, warum die Auswanderung: in keinem Staatswesen, wo auch rein subjektive Momente sie beeinflussen, zur Ruhe kommen wird. Dieses wird zufolge der Ungleichheit der Menschen immer der Fall sein. Die Egalisierung der Menschennatur aber ist ein unerreichbares, aber auch nicht einmal erstrebenswertes Ideal. Auch in einem sozialen Zukunftsstaate, dessen Idee im Übermaße fast das gesamte Denken der Gegenwart beherrscht, würde es immer Auswanderer geben, denn die Auswanderung ist nicht lediglich eine Folgeerscheinung der heutigen Wirtschaftsreform. Diese bedingt durch ihre wirtschaftlichen Schwankungen lediglich! die großen Wellenbewegungen. Je mehr die innerhalb der Volkswirtschaft wirkenden Organisationskräfte die wirtschaftlichen und sozialen Zustände konsolidieren, um so mehr besteht die Aussicht, dass die Auswanderung sinkt. Sie ist aber eine dauernd gegebene Erscheinung, mit der der einzelne Staat zu rechnen hat. Alle politischen Bestrebungen, welche an diese Bewegungserscheinungen des Volkslebens anknüpfen, haben sich als das einzige Ziel zu setzen: auf welche Weise kann die Auswanderung dem Staate, aus dem sie erfolgt, in wirksamster Weise nutzbar gemacht werden?

Von diesem Gesichtspunkte aus hat auch die Betrachtungsweise der deutschen Auswanderung auszugehen.

Hier muss noch ein Gesichtspunkt vorweg erklärt werden, der, obwohl stets wieder und wieder in der Auswanderungsliteratur hervorgehoben, bisher u. E. n. eine psychologische Analyse nicht erfahren hat. Es ist dies der vielbesprochene „urdeutsche Wandertrieb". Dieser ist durchaus nicht spezifisch germanisch. Wir sehen vielmehr alle aktiven Völker zu allen Zeiten auf der Wanderung, d. h. auf der Suche nach' neuen Futterplätzen.

7) Artikel „Auswanderung" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften 2. Aufl., I. Bd., S. 73.
Dieser Wandertrieb der Völker und Menschen ist nichts anderes als eine freie und ungenutzte Energie, die in Ermangelung ihrer Verwertung innerhalb der gegebenen Verhältnisse nach Expansion strebt. Sie wird also nur dann transformiert, d. h. der Wandertrieb als solcher wird aufhören oder abnehmen, wenn die treibenden Kräfte ohne diese Expansion nach außen innerhalb der gegebenen räumlichen Verhältnisse sich voll und befriedigend betätigen können. Das Aufhören derselben hätte zur Voraussetzung, dass alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte derart organisiert würden, dass jede menschliche Energie in einem Staatswesen oder volkswirtschaftlichen Organismus sich vollkommen frei und unabhängig ausleben könnte. Eine derartige Organisation hat die Weltgeschichte nie gekannt. Wohl vermag physischer und psychischer Zwang die Energieentfaltung zeitweilig einzuengen. Allein die menschlichen Energien sind so divergent und auseinanderstrebend, dass die Potenz physischen und psychischen Zwanges auf rechtlicher Grundlage in ihrer Wirkung zeitlich sehr begrenzt ist. Staaten und Völker, mochten sie auch noch so fest gefügt sein, haben sich gelöst, und zu jeder Zeit linden sich (durchaus nicht sporadische) Anzeichen der politischen Gärung, Konsolidierung und Lösung. Die Organisativkräfte erreichen in ihrer Funktion niemals Vollkommenes. Während der Prozess der Organisierung kulturell tieferstehender Volkselemente und ihre Eingliederung in den jeweiligen Normalzustand noch andauert, streben kulturell fortgeschrittene Elemente bereits wieder einer neuen Organisationsform zu. Und sie streben auseinander, wenn sie eine solche nicht vorfinden oder selbst schaffen können.


Der Wandertrieb ist letzten Endes zurückzuführen auf einen Urtrieb der Menschheit, den Spiel trieb. Das ist die Form besonders intensiver Energie, die bestrebt ist, sich stets in andere Formen umzusetzen. In letzter Linie wäre er vielleicht zu definieren als die der jeweiligen Individualität entsprechende Ausdrucksform freier, undisziplinierter Energien. Je mehr diese Energien oder vitalen Kräfte diszipliniert werden, um so mehr entfernen sie sich vom Spiele und nähern sich dem, was wir Kultur (v. Colere) nennen, also einem Konzentrationszustand menschlicher Energien zu vernünftiger, das Wohl der Gesamtheit fördernder, einheitlicher Lebensbetätigung.

Während früher alle diese Energiemengen, die sich im Auswanderungstrieb manifestierten, nach Dissipation strebten, ist heute durch den starken wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung eine immer stärkere Konzentration erfolgt, die sich immer mehr der ökonomischen Forderung nähert, mit einem Minimum von Aufwand ein Maximum von Leistung zu erzielen. In diesem Sinne können wir also — wenn wir von anderen Momenten vorerst absehen — die Auswanderung mit dem jeweiligen wirtschaftlichen und kulturellen Zustand des Auswanderungsstaates in Beziehung setzen. Diese erfahrungsmäßige Relation, auf eine Formel gebracht, würde etwa so lauten: die Höhe der Auswanderung (in fremdstaatliches Gebiet) ist indirekt proportional der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung des Auswanderungsstaates.

Dieser Spieltrieb ist natürlich im jugendlichen Alter sowohl dem des Volkes wie dem des Individuums am stärksten entwickelt, und er wird, wie die Jugend selbst, nie aussterben. Daher sehen wir auch jugendliche Völker und Menschen besonders häufig auf der Wanderschaft 8). Das Charakteristische unserer modernen Zeit ist, dass die freien Energien immer mehr diszipliniert, d. h. dem großen ganzen, der menschlichen Kultur, in irgendeiner Form dienstbar gemacht werden. Das zeigt sich nun nicht allein in der Quantität (also der Abnahme) der Auswanderung, sondern auch in der Qualität. Wir haben heute nicht mehr in dem Maße wie früher unter den deutschen Auswanderern kühne Jäger, Krieger, Abenteurer aller Art, sondern Offiziere, die in fremden Armeen dienen, Großkaufleute, Techniker, Unternehmer, Forscher, Erfinder aller Art, die in die Fremde gehen, Elemente, die sich in der gegenwärtigen Organisation des Staates und Wirtschaftslebens beengt fühlen oder überzählig sind, und deshalb nach Teilen der Welt sich wenden, die eine ungehinderte Entfaltung ihrer Energien und Anlagen gestatten.

Mit zunehmender Disziplinierung der menschlichen Energien und ihrer organischen Zusammenfassung hat sich auch die Intensität der Wirkung der subjektiven und objektiven Momente der Auswanderung geändert. Während früher die subjektiven Momente stärker ihre Wirkung entfalteten, sind es heute die objektiven, welche die Auswanderung in hohem Maße beeinflussen, und unter letzteren wieder vor allem wirtschaftliche Gründe, welche sie in dauerndem Fluss halten. Dies hat seinen Grund in dem starken Wachstum der Bevölkerung aller Staatswesen und besonders auch in Deutschland. Die ganze Bedürfnisbefriedigung hatte früher für viel weniger Menschen zu erfolgen, als heute. Auch hatte früher die große Mehrzahl der Menschen in absoluter Abhängigkeit von einer geringen Oberschicht zur Bedürfnisdeckung arbeiten müssen. Der Zug der heutigen Zeit, der Aristokratisierung ungünstig, geht in der Richtung der Demokratisierung, und zwar auf den friedlichen Wegen der wirtschaftlichen Entfaltung 9).

Der ökonomische Liberalismus hat seit dem 19. Jahrhundert die wirtschaftlichen Fähigkeiten des Individuums zur höchsten Entfaltung gebracht, aber auch der Kultur der neuesten Zeit ein überwiegend materialistisches Gepräge verliehen. Oberstes Streben der Menschen ist der Erwerb von materiellen Gütern oder von Geld geworden. Er beherrscht den Arbeiter im gleichen Maße wie den Unternehmer. Dieser ökonomische Egoismus hat mit der Zunahme der Bevölkerung zugleich auch eine z. T. ungesunde wirtschaftliche Konkurrenz auf allen Gebieten menschlicher Betätigung hervorgerufen. Wenn diese Konkurrenz auch zu einer Auslese der findigen, kombinationslustigen und strebsamen Köpfe führte, so hat sie u. a. doch auch den Nachteil, dass sie eine Bedrückung der wirtschaftlich schwachen Volkselemente herbeigeführt hat. Dadurch hat sie, wie wir noch sehen werden, die Auswanderung erhöht.

8) In dieser Auffassung des Spieltriebes sind wir in der Hauptsache einig mit Eisler (Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. III, S. 1406) der ihn dahin charakterisiert: „der Spieltrieb besteht in latenten Energien, die, wenn unbenutzt durch ernste Arbeit als funktionelle Bedürfnisse nach Betätigung verlangen."
9) Vgl. auch Ludwig Stein, die soziale Frage im Lichte der Philosophie, Stuttgart 1897, S. 328 ff.


Alles in allem: die moderne Entwicklung hat das wirtschaftliche Interesse aller Volks- und Erwerbsklassen in den Vordergrund ihres Strebens gerückt und für einzelne derselben zeitweise ökonomische Verhältnisse geschaffen, die nur durch Auswanderung eine harmonische Lösung finden. Dies sind in erster Linie, und mehr als subjektive Beweggründe, die Ursachen, die in den letzten 40 Jahren einen Riesenstrom von Deutschen in die überseeischen Gebiete führten.

Nach diesen allgemeinen Darlegungen sind nunmehr zuerst die subjektiven Ursachen der deutschen Auswanderung zu charakterisieren, dann ist auf die Kombination von subjektiven und objektiven Momenten hinzuweisen, und besonders eingehend schließlich die objektiven Ursachen darzustellen, welche heute in dem Vordergrund des Interesses stehen.

Dampfschiff, im Zwischendeck

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Dampfschiff, im großen Salon

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Dampfschiff, Raucherzimmer

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Decksarbeiten, Reinigung

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Lotse

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Mannschaftsspeiseraum

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