Hafen

Die lange schmale flussartige Mündung dieses Sees hat man mit Bollwerken, hölzernen Quaien usw. eingefasst, und sie dient den kleinen Schiffen als ein ganz vortrefflicher, von allen Seiten geschützter Hafen, der indes für ganz große Schiffe nicht tief genug und selbst für die Schiffe mittlerer Größe nur durch beständiges fleißiges Baggern in brauchbarem Stande erhalten werden kann, da die Weststürme immer viel Sand aus der See hineinführen. Den See selbst, der etwa 1 ½ Meile lang und eine halbe breit ist, nennen die Libauer, die hier eben so unpassend wie die Tarentiner *) ein kleines, 1 1/2 Meile langes und eine halbe Meile breites Wasserbecken mit dem großen Meere in Vergleich stellen, „das kleine Meer.“ Im Frühling ist freilich dies kleine Meer mit sehr niedrigen Ufern, die es bei nur einigermaßen hohem Wasserstande weit und breit überschwemmt, oft groß genug, um die ganze Stadt und Gegend mit Wasser zu umgeben und den Zugang von der Landseite bedeutend zu erschweren.

*) Die Tarentiner nennen auch einen kleinen See bei ihrer Stadt Mare piccolo.


Mehr noch als jene Unvollkommenheit des Hafens, der, wenn auch nur mit einem Aufwande vieler Mühe, doch noch abgeholfen werden kann, sind der Libau'schen Schifffahrt jene schon oben erwähnten Sandbänke schädlich, welche sich an der ganzen kurischen Küste hinziehen und auf keine Weise beseitigt werden können. Da jeder Sturm in ihrer Lage und Gestaltung Veränderungen hervorbringt, den Sand bald hier, bald dort bedeutender anhäuft, die alten Ausgänge verstopft, ja oft die Sandbank als eine drei- und vierfache Barrikadenreihe erscheinen lässt, so wird es den Lotsen schwer genug, die Schiffe immer heil und sicher durchzubringen, und manches der gewöhnlich unversicherten Libau'schen Schiffe verliert hier noch im Angesichte des Reiseziels den ganzen Lohn seiner weiten Fahrten.

Übrigens gewährt der Hafen von Libau den nicht unbedeutenden Vorteil, dass er am baltischen Meere der südlichste Rußlands ist und daher auch derjenige, welcher im Frühlinge am ersten benutzt werden kann. Die Mündung des Libau'schen Sees wirst frühzeitig ihre unbedeutende Winterdecke ab, während die Häfen am Riga'schen und finnischen Meerbusen oft noch mehre Wochen hindurch von Eist starren, oder doch der Eisgang in den großen Flüssen und Meerbusenspitzen Rigas und Petersburgs den Zugang nicht gestattet. Libau ist gewöhnlich 3 Wochen früher geöffnet als Riga, und oft 6 Wochen früher als Petersburg. Natürlich zieht die Stadt daraus manchen Vorteil. Von teueren Kornpreisen im Auslande kann Libau zunächst profitieren, und viele Artikel, bei denen ein besonders dringendes Bedürfnis vorhanden ist, lässt man von Riga und Petersburg aus über Libau kommen. So z. B. landet hier gewöhnlich das erste „Messinaschiff“ mit den delikaten Früchten der sizilischen Hesperidengärten, die dann von hier aus auf glatten Schneebahnen rasch in die nordische Residenz spediert werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsch-russischen Ostseeprovinzen Bd1