10. Indessen hatte sich Miller bei dem Stationshalter gemeldet, um von ihm die angekündigte Entlassung zu erhalten ...

Indessen hatte sich Miller bei dem Stationshalter gemeldet, um von ihm die angekündigte Entlassung zu erhalten.

„Ach – Ihr seid der Hüttenwächter vom trockenen Sumpf, nicht wahr?“ sagte dieser, viel zu gutmütig, den nachlässigen Menschen auch noch hart anzulassen. Bereute er doch schon fast, daß er seine Einwilligung gegeben hatte, ihn fortzuschicken.


„Ich war es“, erwiderte Miller ruhig, „und es tut mir leid, Mr. Powell, Ihnen vielleicht durch meine Schuld einen Verlust bereitet zu haben.“

„Vielleicht?“

„Hätt’ ich auch gewacht“, sagte Miller achselzuckend, „dem ganzen Schwarm von Schwarzen würd’ ich doch nicht haben wehren können, und sie hätten mir außerdem vielleicht einen Speer durch den Leib gejagt.“

„Geht zu meinem Sohn“, sagte Mr. Powell, der das Gespräch abzubrechen wünschte, „und laßt Euch Euern Lohn auszahlen. Ihr seid wohl jetzt zehn oder zwölf Monate bei mir?“

„Wenn Sie mir die verlorenen Schafe abziehen, wird wohl nicht viel übrig bleiben.“

„Das ist nicht meine Absicht gewesen“, lautete die freundliche Antwort. „Laßt Euch in Gottes Namen Euer Geld auszahlen, Euch dies aber auch für spätere Fälle zur Warnung dienen, und werdet in Eurem nächsten Dienst aufmerksamer, als Ihr bei mir gewesen seid. – Wohin gedenkt Ihr Euch von hier aus zu wenden?“

„Nach dem Adelaide-Distrikt.“

„Habt Ihr Freunde dort?“

„Freunde? – nein“, sagte der Mann mit leiser Stimme – „aber Familie.“

„Familie?“ rief Mr. Powell erstaunt – „Ihr seid wirklich verheiratet?“

„Ich habe Frau und Kind“, erwiderte der Mann.

Mr. Powell schüttelte den Kopf. „Und so lange sitzt Ihr da im Busch und habt ihnen, soviel ich wenigstens weiß, noch nicht ein einziges Mal Nachricht gegeben, noch keinen Brief von ihnen erhalten? Das begreife ich nicht.“

„Früher hätt’ ich’s vielleicht auch nicht begriffen“, sagte der Deutsche finster, „hier im Busch ist’s aber, als ob man gegen alles andere abstumpfte und tot würde, und an nichts weiter mehr dächte als – eben an den Busch. Vielleicht“ – setzte er halblaut und wie für sich hinzu – „kann ich doch noch ein anderer Mensch werden!“

Es lag ein so eigener wilder Schmerz auf dem Antlitz des Mannes, daß es dem Engländer auffiel. Bis dahin hatte er seinen Hüttenwächter wenig oder garnicht beachtet, jetzt kam es ihm fast vor, als ob in dieser rauhen Hülle doch am Ende ein anderer Kern stecke.

„Was habt Ihr eigentlich früher getrieben, ehe Ihr nach Australien kamt?“ fragte er ihn; „denn soviel ich weiß, seid Ihr noch garnicht so viele Jahre in den Kolonien.“

Miller lachte bitter vor sich hin und schwieg. Endlich sagte er kopfschüttelnd: „Ein Tor war ich, daß ich nicht wußte, wann es mir gut ging, und von dem Leben mehr forderte, als es bieten kann. Ich habe dafür gebüßt, ich und – doch das sind alte Geschichten.“

Es ist in Australien eine sehr mißliche Sache, irgend jemand, den man nicht ganz genau kennt, nach seiner Vergangenheit zu fragen; denn da der größte Teil der arbeitenden Klasse, wenigstens noch vor einigen Jahren, aus lauter teils begnadigten, teils auf ‚Urlaub‘ befindlichen Sträflingen bestand, war man stets in Gefahr, bei einer solchen Frage ein höchst unglückseliges und eigentlich verpöntes Thema zu berühren. Mr. Powell fühlte, daß er eine unangenehme Saite in der Brust des Mannes berührt habe und er sagte freundlich:

„Wir alle sind meist leichtsinnig in der Jugend. Ich will auch nicht hart mit Euch sein, noch weniger Euch Vorwürfe machen. – Wollt Ihr allein nach Adelaide gehen?“

„Es bleibt mir keine andere Wahl“, erwiderte Miller.

„Ich glaube allerdings“, meinte Mr. Powell, „daß gerade jetzt, wo die schwarze Polizei hier eingetroffen ist, keine Gefahr selbst für den einzelnen Unbewaffneten besteht, aber wenn Ihr fürchtet, den Weg allein zu gehen, so will ich nicht die Ursache sein, Euch hinauszuschicken. Wartet hier auf der Station, bis sich Begleitung für Euch findet, oder ein Teil der schwarzen Polizei vielleicht dort hinübergeht. Ihr seid solange mein Gast, und einer meiner Schäfer mag Euch in seine Hütte nehmen.“

„Mr. Powell“, sagte der Deutsche, kaum imstande, eines Gefühls Meister zu werden, das aus Rührung und Scham gemischt schien, „ich danke Ihnen herzlich für dieses freundliche Anerbieten, aber – ich darf Ihre Güte nicht mißbrauchen.“

Er machte eine Bewegung, als ob er des Herrn Hand ergreifen wolle, besann sich aber wieder, grüßte und ging dem Hause zu, um dort den eigentlich verscherzten Lohn in Empfang zunehmen. Der wurde ihm auch von Georg Powell unverkürzt ausgezahlt, und er trat dann noch in den Laden, um sich etwas Tabak und ein Paar neue Schuhe, die er notwendig brauchte, für den Marsch zu kaufen.

Im Laden stand Mac Donald, der sich auch ein Paar Schuhe hatte geben lassen und sie gerade anprobierte.

„Die sind Ihnen aber viel zu weit“, sagte der jüngste Powell, Ned, der gewöhnlich die Ladengeschäfte besorgte und mit seinem Vater zusammen die Bücher führte.

„Ich denke nicht“, erwiderte der Fremde; „Schuhwerk habe ich gern bequem, und diese sitzen gut.“

„Sie werden scheuern, nehmen Sie lieber eine kleinere Nummer.“

„Ich will diese versuchen. – Ah, Miller, Sie wollen die Station verlassen?“

„Ich bin auf dem Wege. – Bitte, Mr. Powell, haben Sie doch die Güte, mir ein Pfund Tabak abzuwiegen – und dann möcht’ ich auch ein Paar solcher Buschschuhe haben.“

„Ist der Rationskarren schon hinausgefahren?“ fragte Mac Donald den jungen Verkäufer.

„Er wird erst gegen Mittag abgehen“, sagte Ned; „aber wenn Sie etwas zu bestellen haben, Mr. Bale reitet dort vorbei und sattelt, wenn ich nicht irre, gerade sein Pferd.“

„Reitet er über die Schafstation?“

„Ja, er hat sich eben ein Pfund Tabak für den neuen Hüttenwächter abwiegen lassen, um es mit hinauszunehmen.“

„Ah – nein, es war bloß Neugierde von mir – aber ich will ihn doch fortreiten sehen. Möchte gern wissen, wie ihm der Grauschimmel behagt.“

„Gehen Sie nur gerade hier durch und an den beiden Blockhäusern vorüber. Gleich dahinter ist der Stall. Sie werden sich aber beeilen müssen, denn er kommt wohl kaum noch einmal zum Hause her. – Die Schuhe sind Ihnen wahrhaftig zu weit.“

„Gott bewahre! Sie sitzen mir bequem und reiben nicht im mindesten. – Ich danke, ich werde ihn aufsuchen.“

Miller legte indessen das Geld für Schuhe und Tabak auf den Ladentisch und wollte mit einem Gruß den Raum verlassen.

„Ihr geht jetzt stromab?“ fragte Ned den Hüttenwächter.

„Ich denke so“, erwiderte dieser – „leben Sie wohl.“

„Halt – trinkt erst noch einmal, eh’ Ihr geht. Ihr werdet eine lange Strecke weit nichts wieder bekommen.“ Er nahm dabei eine Flasche und ein Glas vom Gesims und schenkte es dem Mann halb voll Kognak.

„Ich danke, ich trinke keinen Branntwein“, erwiderte dieser; nichtsdestoweniger warf er einen verlangenden Blick auf das Glas, das ihm gar so verführerisch mit seiner dunkelbraunen Flüssigkeit entgegenfunkelte.

„Nun, der Schluck wird Euch nichts schaden, der Weg ist weit“, sagte der junge Bursche gutmütig. „Vater hat Euch doch Euer Geld ausgezahlt?“

„Bis auf den letzten Pfennig. – Er ist ein Ehrenmann.“

„Gut, dann trinkt das auf sein Wohl, und behüt’ Euch Gott!“

Miller ging zum Tisch, nahm das Glas, betrachtete es einen Augenblick gegen das Licht, und tief aufseufzend, ehe er es an die Lippen setzte, leerte er es auf einen Zug. Dann verließ er mit raschen Schritten das Haus und die Station. Er wanderte ruhig fort, bis er eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatte und eine schmale Waldblöße erreichte. Dort warf er sein kleines Bündel und seine wollene Decke zu Boden, setzte sich unter einen Gumbaum und starrte, die Hände um sein rechtes Knie gefaltet, eine Zeitlang schweigend vor sich nieder.

„Das geht nicht länger so“, murmelte er endlich leise vor sich hin – „das Leben muß ein Ende nehmen. Du – ein fortgejagter Hüttenwächter, und dein Weib – in Glanz und Wohlleben erzogen, indessen vielleicht Not und Mangel leidend in dem fremden Lande! Großer Gott, was ist aus mir geworden! – Wohin hat mich der unselige Trunk, wohin hat mich mein furchtbarer, entsetzlicher Leichtsinn gebracht? – Aber das muß anders werden, es muß! Ich bin gesund und stark, ich werde arbeiten; dann bin ich vielleicht imstande, einst wieder in die Heimat zurückzukehren. – In die Heimat!“ wiederholte er stöhnend, und es war, als ob ihn aufs neue bei dem Gedanken an das Verlorene ein bitterer Schmerz ergriffe.

Aber das alles schüttelte er ab. Mit den guten Vorsätzen schien es fast, als ob auch ein neuer Mensch in ihn gefahren sei. Er nahm seinen Weg wieder durch den Wald und schritt mit raschen, rüstigen Schritten nach Westen – dem Ziele zu.

Der Wachtmeister, Culloch mit Namen, hatte indessen die Zeit benutzt, von Mr. Powell eine Liste seiner Leute mit Alter und Namen zu bekommen, die ihm übrigens wenig Befriedigendes bot. Die meisten von diesen waren schon drei, vier und mehr Jahre auf der Station, lauter ehrliche, brave Leute; der einzige, der heute abgegangen und den Culloch am Hause gesehen, war ein Deutscher, der nach dem Adelaide-Distrikt zurückkehrte. Nur eine ‚neue Hand‘, wie sie im Busch sagen, hatte sich auf der Station anwerben lassen. Diesen kannte aber Mr. Powell selber nicht, und Bale, der Aufseher, der allenfalls noch etwas Näheres über ihn hätte berichten können, war gleich nach der Ankunft der Polizei seinen Geschäften auf unbestimmte Zeit nachgeritten. Allerdings erinnerte sich Mr. Powell, daß ihm Bale gesagt habe, Mr. Mac Donald kenne den Mann von früher her. Von dem Wachtmeister selber darüber befragt, konnte Mac Donald ihm aber nur die Auskunft geben, daß er den Burschen, der sich Toby nannte, vor einiger Zeit auf einer Station am Murray unter sich gehabt hätte und damals zufrieden mit ihm gewesen wäre. Wegen einer Schlägerei mit einem Schäfer mußte er den Dienst verlassen.

„Bah“, sagte der Wachtmeister lachend, wenn’s wegen weiter nichts anderem war, hat’s gute Wege“, und schien damit vollkommen zufrieden gestellt. Bei weiterer Überlegung beschloß er aber doch, einen seiner schwarzen Burschen einmal hinüberzuschicken, daß er sich den fremden Gesellen ansehen möge. Wenn sein Leutnant eintraf, mußte er ihm genauen Bericht abstatten.

Das Gespräch wurde aber Sarah doch zu langweilig, und zu Mac Donald tretend, der am Fenster lehnte und der Unterhaltung zuhörte, sagte sie lächelnd:

„Wenn Sie nicht ein ganz besonderes Interesse für alle diese Dinge haben, so begleiten Sie mich ein wenig an den Strom. Ich möchte gern diese schwarze Polizei, von der ich schon so viel Abenteuerliches gehört habe, persönlich kennen lernen.“

Leichten Schrittes wanderte das schöne Mädchen am Arme ihres Begleiters dem Lagerplatz zu, auf dem sich schon wieder eine Schar der schwarzen Burschen in ihren blauen Jacken versammelt hatte, um sowohl die von der Station erhaltenen Lebensmittel zu teilen, als auch die eingebrachte Jagdbeute an den Feuern zu rösten.

„Was für ein wunderliches Volk das ist!“ sagte Sarah lächelnd, als sie zwischen den Rindenhütten und den Schwarzen langsam hindurchgingen – „und doch werden sie Wilde bleiben, solange sie leben, trotz der Uniform.“

„Ich wundere mich überhaupt“, erwiderte Mac Donald, „daß sie sich in die engen Kleider haben einzwängen lassen. Nach dem, was ich bis jetzt von ihnen gesehen habe, schien dies mir immer das größte Hindernis, sie einem geregelten Leben zu gewinnen.“

Sie hatten das Lager jetzt hinter sich und gingen am Flusse hinab. Sarah schaute sich nach den Schwarzen um. „Sehen Sie nur, wie aufmerksam sie unsere Spuren betrachten“, sagte sie lachend; „die scheinen sie mehr zu interessieren als wir selbst.“

„Wir sind ihnen auch nur eine Art Wild“, erwiderte Mac Donald. „Der Mensch ist jedenfalls das grausamste, erbarmungsloseste Geschöpf unter der Sonne.“

„Wohl haben Sie recht“, seufzte Sarah, „und“ – setzte sie lächelnd hinzu – „ich möchte deshalb nie einen Jäger heiraten.“

„Wir sind alle Jäger“, erwiderte Mac Donald sinnend, „der eine auf dies – der andere auf das – Jäger oder – Gejagte in diesem Leben, und man weiß das eine vom anderen kaum zu unterscheiden.“

Sie hatten unter solchen Gesprächen, vielleicht dreihundert Schritt von dem Lager der Schwarzen entfernt, das Flußufer erreicht. Der Strom machte hier eine Biegung, breitete dadurch eine größere Wasserfläche vor ihnen aus, als er sonst zeigte, und eine eigene, stille Ruhe lag darauf.

„Und doch ist es auch hier schön“, sagte Mac Donald, als sie an dem freundlichen Platze stehen geblieben waren und einige Minuten schweigend hinausgeschaut hatten; „doch könnte sich auch hier eine Menschenbrust wohl und glücklich fühlen in Ruhe und Frieden – wenn es ihr eben vergönnt wäre in der Welt – Ruhe und Frieden zu finden!“

Er hatte die letzten Worte mit kaum hörbarer Stimme gesprochen, und ein tiefer Seufzer schien dabei dem wie von Angst gepreßten Herzen Luft zu machen. Sarah sah zu ihm auf, und da er schwieg und vor sich niederschaute, sagte sie endlich freundlich, indem sie seinen Arm losließ, um ihm besser ins Gesicht schauen zu können: „Was fehlt Ihnen, Mr. Mac Donald? Wir sind uns allerdings fremd – was man eben in dem kalten gesellschaftlichen Leben fremd nennt, – aber Sie fühlen gewiß, daß wir alle hier den innigsten Anteil an Ihnen nehmen, und ist etwas, wobei mein Vater – und – wir Ihnen helfen können, so dürfen Sie überzeugt sein, daß der Wille dazu in uns rege ist.“

„Ich danke Ihnen, Miss Sarah, für das freundliche Wort“, sagte Mac Donald, als ob ihn das zu rasch ausgesprochene Gefühl schon reute. „Es hat jeder von uns auf dieser wunderlichen Welt sein Teil zu tragen, der eine mehr, der andere weniger, und jeder glaubt in törichter Einbildung, daß seins das schwerste sei.“

„Sie sehen mir nicht aus“, sagte Sarah ernst, „als ob Sie Ihre Last überschätzen würden.“

„Trauen Sie mir nicht zu viel zu“, sagte Mac Donald mit einem Lächeln, das ihre Furcht verscheuchen sollte, sie aber eher noch vermehrte; „ich bin vielleicht schwächer, als Sie glauben.“

„Ich habe kein Recht, mich in Ihr Vertrauen zu drängen“, sagte Sarah leise, „und doch wüßte ich“, setzte sie mit tiefem Gefühl hinzu, „niemanden, den ich lieber –“ sie brach errötend ab und wandte den Kopf einem Schwarm kreischender Kakadus zu, der den Fluß hinunterflog.

„Würden Sie mir vertrauen?“ sagte Mac Donald, indem er ihre Hand ergriff, „mir, dem Fremden, Unbekannten? – und wenn ich Sie nun selbst davor warnte?“

„Ich würde Ihnen nicht glauben“, lächelte Sarah durch eine paar helle Tränen hin, die ihr an den Wimpern hingen; „jetzt nicht, so wenig wie vorher.“

„Sie dürfen mir glauben, wenn ich als mein eigener Ankläger auftrete, Sarah“, sagte da plötzlich Mac Donald, wie -von einer tiefen inneren Bewegung ergriffen, „aber, wenn es andere tun, glauben Sie ihnen nicht. Halten Sie an dem Vertrauen, das Sie, vielleicht zu leichtgläubig, in mich setzen, ein klein wenig fest; lassen Sie mich das Bewußtsein mit fortnehmen, daß es ein Wesen auf der weiten Welt gibt, das teil an mir nimmt – das freundlich an mich denkt.“

Ein so tiefer Schmerz zeigte sich bei den Worten, die er mit fast ängstlicher Hast sprach, in seinen Zügen, daß Sarah schwieg, als rasche Hufschläge plötzlich durch den Busch tönten.

Beide sahen sich nach der Störung um, und Mac Donald ließ unwillkürlich Sarahs Hand los. Der heransprengende Reiter lenkte auf sie zu und zügelte dann sein Pferd, warf erst einen scharfen, forschenden Bück auf Mac Donald, als ob ihn dessen Anwesenheit hier eben nicht be- sonders freue, und sagte dann, sich vor Sarah verneigend: „Ich sah Ihr lichtes Kleid durch die Büsche schimmern, mein Fräulein, und danke meinem guten Stern, der gerade Sie vor allen anderen mir entgegenführt. Mag es mir als gutes Omen gelten.“

Bei diesen Worten sprang er gewandt aus dem Sattel seines Tieres, dessen Zügel er einem der rasch herbeieilenden schwarzen Polizeisoldaten überließ, und näherte sich, ihr die Hand dabei entgegenstreckend, der jungen Dame.

„Ich weiß nicht einmal, ob Sie mich noch kennen – so lange kommt mir die Zeit vor, in der ich Sie zu begrüßen nicht das Glück hatte, und doch sind kaum mehr als drei Jahre darüber hingegangen.“

„Leutnant Walker muß mir ein sehr schlechtes Gedächtnis zutrauen“, erwiderte freundlich, aber auch zurückhaltend, Sarah, „wenn die Zeit schon genügt haben sollte, ihn ganz, aus meiner Erinnerung zu tilgen.“

„Hätte es länger gedauert, ständen Sie für nichts?“ lachte der Offizier.

„Ich glaube nicht, daß sich die Herren kennen“, wich Sarah einer Antwort aus; – „Herr Oberleutnant Walker, und wenn ich nicht irre, Anführer der berittenen schwarzen Polizei“, – der Leutnant verbeugte sich kalt aber höflich – „und Mr. Mac Donald – ein Freund unseres Hauses, der uns vor einigen Tagen mit seinem Besuch überrascht hat.“

Mac Donald erwiderte die Verbeugung, und der junge Offizier fuhr, sich wieder zu Sarah wendend, lebhaft fort:

„Sie können nicht glauben, Miss, mit welchem Jubel ich den Befehl aufnahm, einen Trupp hierher zu führen.“

„Mein Vater wird sich sicherlich freuen, Sie wiederzusehen“, sagte Sarah, „und wenn es Ihnen recht ist, führe ich Sie nach Hause.“

„Wohin Sie wollen – ich folge Ihnen – und darf ich dabei wagen, Ihnen über den rauhen Weg hin meinen Arm zu bieten?“

„Ich danke Ihnen“, lehnte Sarah freundlich die Hilfe ab, „ich kenne hier jede Wurzel – aber da kommt mein Vater schon, der Ihre Ankunft jedenfalls erfahren hat“, und mit leichtem Grüßen eilte sie dem Hause wieder zu.

Mr. Powell hatte wirklich die Ankunft seines Gastes schon erfahren, und kam herbei, ihn zu begrüßen. Während sie dem Hause zuschritten, blieb Mac Donald allein am Flusse zurück und starrte still und schweigend auf das Wasser nieder, das schäumend und rauschend vorüberquoll.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die beiden Sträflinge