Talfurchen und Sonderart
In der Tat musste von den Gletscherhöhen des Gotthard noch mancher Tropfen Wasser in den vier Strömen zum Mittel- und zum Nordmeer herabfließen, ehe es die Kunst vermochte, der jungen Eidgenossenschaft, die dort oben zusammengekommen war, ihr Dasein, das im harten Kampf mit Natur und Menschengewalten aufging, durch ihre Werke zu verschönen. Ohne uns etwa auf die langsam gewordenen und längst verwischten Spuren kirchlicher und bürgerlicher Kunstentfaltung bis etwa zum Ausgange der Kämpfe mit dem Feudaladel in der Urschweiz einzulassen und auf den allmählichen Zutritt der verschiedenen Orte zum Bunde der vier Waldstätte einzugehen, sei von vornherein auf die durchaus gewollte und notwendig gewordene Sonderart der verschiedenen Landschaften hingewiesen, die jede für sich je nach Bedürfnis aus städtischer, klösterlicher, bäuerlicher oder patrizischer Gliederung die Kunst mit besonderen Anliegen zu Rate ziehen und dabei ganz hausbacken und schlicht oder aufwändig und freigebig zu Werke gehen. Aus lauter Einzelzellen mit besonderen Lebensformen und Kunstzwecken setzt sich der beständig wachsende und werdende Aufbau des Schweizerischen Bundes zusammen. Bald scheint nur der praktische Zweck maßgebend, bald greift der Nutzsinn in die reichen Schätze künstlerischer Großformen und stattlichen Aufwandes. Nirgendwo ein Gesamtziel; nicht einmal im Kirchlichen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die alte Schweiz