Der Gotthardspass

Die Schweiz ist ein Naturkind. Kein schirmendes Dach hat über ihrer Geburtsstätte gestanden. Sie ist an der Straße geboren : ihre Wiege stand am Gotthardpass. Dieser Weg ist von allen Nord-Südstraßen, die durch die Schweiz fuhren, der bevorzugteste, weil er, zwischen Septimer und Julier einerseits, zu denen auch Lukmanier und Splügen zu zählen sind, und dem Großen St. Bernhard anderseits die geradlinigste Verbindung darstellt und nur einen einzigen Anstieg nötig macht. Dieser Weg, der an der oberen Schöllenen schier unüberwindliche Hindernisse geboten hatte, ehe die fliegende Brücke hergestellt war, erwies sich als der beste.

Wie sich das Wasser des Bergbaches sein Bett schafft, indem es Felsen aushöhlt und Steine unterwühlt, wie es ganze Talstufen durchsägt, um zur Tiefe zu gelangen, so bahnt sich auch der Verkehr seinen Weg; er steigt an den höchsten Gebirgen empor, zerschneidet ihre Kämme oder durchbohrt die Bergmasse und schafft sich freie Bahn.


Am Gotthard half ihm die kluge Geschäftigkeit des Menschen, seinen Weg suchen und sichern. Es war ein folgenreiches Beginnen, als die rauen Waldleute an der Nordseite des Gotthard sich durch Schwur und Handschlag verbanden, den Pass zur Reuß herunter gegen Wind und Wetter, Raub und Überfall, mehr noch aber gegen Machtgelüste und kriegerische Absichten zu schützen. Sie boten Menschen, Tieren und Waren, die aus Italien nach Deutschland zogen und die Rheinstraße nach dem Meere suchten, ihren Schutz und Schirm. Aber auf dem eigenen Grund und Boden Herr zu bleiben und niemandes Knecht zu werden, errichteten sie den Schwurverband, der sich durch die weitergreifenden Interessen der Handels- und Völkerstraße allgemach auswuchs und zur Eidgenossenschaft von 1291 führte. Straßensicherung und Handelsschutz waren die sachlichen und notwendigen Beweggründe, die zum Eidschwur Anlass gaben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die alte Schweiz