Bodengestaltung und Kulturwege
Doch mich will es bedünken, dass vorerst die geschichtlichen und geographischen Gegebenheiten erkannt sein sollten, ehe es erlaubt ist, sich in schweizerischen Kunstwillen einzufühlen und seinen Wert abzuschätzen. Denn auf diesem merkwürdigsten und reichsten Punkte der Erdrinde sind alle europäischen Formationen der Berg-, Fluss- und Bodengestaltung vertreten mit Ausnahme der Meeresküste und der Steppe, die aber eine asiatische Form ist und daher nur in Polen und Russland vorkommt. Schweizerisch ist europäisch. Die landschaftliche Mannigfaltigkeit bedingt die der Bewirtschaftung des Bodens und infolgedessen eine vielfältige Art der Lebenshaltung. Und von ihr hängt das künstlerische Bedürfnis ab. Ein so eigenartiges und seltsam verflochtenes Gebilde wie die Kunst des Schweizerlandes, wo das Hin und Her europäischer Funkenblitze nur den Punkt der Durchkreuzungen, aber nicht den Zustand allmählichen Werdens und dauernden Bestehens zu bezeichnen scheint, kann nicht ohne weiteres nach dem üblichen Kanon, der augenblicklich Geltung hat, beurteilt werden. Denn wo sich so viele und so verschiedenartige Kräfte die Wage halten, scheint gänzlich jene gleichmäßige Wirkung zu fehlen, die in der Retorte kultureller Prozesse das feine Destillat einer künstlerischen Atmosphäre hervorbringt. Auch ist in diesem Gebiete der mechanischen Druckkräfte, die die Politik auslöst, die Notwendigkeit wirtschaftlicher Vorsicht immer so gebieterisch gewesen, dass die Stunde lange nicht kommen konnte, die die Dinge der Kunst zu einer allgemeinen Angelegenheit hätten machen können.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die alte Schweiz