Die Zunahme der Schafhaltung eine wirtschaftliche Notwendigkeit.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Roller, H., Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schaf, Schafhaltung, Schäfer, Bauern, Güter, Schafherde, Lämmer, Kindheitserinnerungen, Wolle, Hammel, Wollerzeugung
Wessen Kindheitserinnerungen in das sechste oder siebente Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zurückreichen, der weiß sich — falls er nicht gerade in der Großstadt aufwuchs — gewiss darauf zu besinnen, welche gesuchte Persönlichkeit damals der im Ruf besonderer Weisheit stehende Schäfer war. Große Schafherden, umkreist von einem oder zwei Hunden, die ihren Aufseherdienst eifrig versahen und unaufhörlich die Lämmerschar umtrabten, waren keine Seltenheit, wie sie es leider heute sind. Im Jahre 1870 zählte man etwa fünfundzwanzig Millionen Schafe in Deutschland, aber in den achtziger Jahren sank der Bestand rasch und betrug 1900 nur noch 9,5 und 1914 gar nur noch 5,4 Millionen, während sich die Einwohnerzahl in den gleichen fünfzig Jahren verdoppelte. Auch in Österreich und Ungarn war derselbe Rückgang zu beklagen, was umso auffälliger ist, als besonders die weiten Steppen an der Theiß für die Schafzucht die denkbar günstigsten Verhältnisse bieten. Die deutschen Landwirte begründeten die Abschaffung der Schafherden damit, dass die intensivere Ausnützung des Bodens durch Anbau von Getreide, Kartoffeln, Futterpflanzen und Rüben notwendig, hingegen die Brachwirtschaft als unvorteilhaft erkannt sei, und verwiesen darauf, dass die Wollpreise so gesunken wären, dass die Schafhaltung nicht mehr lohne. Der Zentner Wolle, für den 1870 noch 240 Mark gezahlt wurden, brachte kurz vor dem Weltkrieg kaum noch 150 Mark.

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Das war freilich vor hundert Jahren anders, als man spanische Schafe zur Zucht zuerst nach Sachsen, dann auch nach Preußen und anderen Gebieten gerade um der Wollerzeugung willen einführte. Die deutschen Wollmärkte standen bald in gutem Ruf und behielten ihn, obwohl die Engländer von ihren Kolonien ungeheure Mengen Wolle nach Europa brachten und den Preis herabdrückten. Den Briten war es ebenfalls zu verdanken, dass die Baumwolle der Schafwolle erheblich Konkurrenz machte. Auch von Australien und Argentinien wurde viel Wolle eingeführt. Bis in die ersten Jahre nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 war die Ausfuhr von Masttieren nach Frankreich, wo stets viel mehr Hammelfleisch gegessen wurde als in Deutschland, bedeutend. Das änderte sich aber, als die Franzosen ihre heimische Schafzucht vergrößerten und von Algier immer mehr Schaffleisch einführten. Im Jahre 1914 betrug der Bestand an Schafen in Frankreich 16,5 Millionen, also mehr als das Dreifache der Schafe Deutschlands, wo die heimische Wollerzeugung den Bedarf längst nicht mehr deckte. Die Wolleinfuhr hatte im Jahre 1913 einen Wert von 432 Millionen Mark. War es schon damals bedauerlich, dass solche Summen nach dem Ausland wanderten, so wäre jetzt erst recht die teure Einfuhr vom Übel. Auf lange Zeit hinaus wird sie kaum nennenswerten Umfang erlangen dürfen. Die Wiederaufnahme beziehungsweise Steigerung der Schafhaltung ist als eine wirtschaftliche Notwendigkeit so dringend, dass sie nirgends versäumt werden sollte. Über die Rentabilitätsaussichten können sich die schafzuchttreibenden Landwirte nun nicht beklagen. Der Wollbedarf ist nach dem Krieg, da alle Vorräte erschöpft sind, noch viel größer als vorher. Mit dem „Ersatz“ soll es doch endlich ein Ende nehmen; wir brauchen gute, solide Tuche, wir brauchen Wolldecken und Wollstrümpfe, und die Pelze finden Liebhaber genug. Nun hat man von einem einzigen Mutterschaf etwa 3 bis 6 Kilogramm Wolle im Jahr; die Tiere können zweimal jährlich geschoren werden, wenn auch die zweite Schur nicht so ergiebig ist. Heute spielt auch nicht nur die Wolle eine Rolle bei der Gewinnberechnung, sondern fast ebenso sehr der Erlös aus dem Fleischverkauf, der vor fünfzig Jahren so gering war, wie es uns heute bei den abenteuerlichen Fleischpreisen kaum glaublich erscheint. Die Auffüllung der gelichteten Rindviehbestände — durch den harten Zwang der Viehablieferung an die Entente noch erschwert — braucht Zeit; Schaffleisch ist bei dem schnelleren Schlachtreifwerden der Schafe geeigneter, an Stelle von Rindfleisch den Küchenbedarf zu befriedigen, und wir werden uns ebenso gut daran gewöhnen können wie Engländer und Franzosen. Schon seit Jahren hat die deutsche Landwirtschaft durch Einführung der Zucht französischer Merinoschafe an Stelle der früher bevorzugten Negrettischafe eine Rasse gezüchtet, die, das Futter besser verwertend, stärker und fetter wird, so dass der Ertrag aus dem Fleisch der Tiere nicht mehr hinter dem aus dem Wollverkauf zurücksteht. Ein Hammel, der bei guter Weide schon nach acht bis zehn Monaten ein Gewicht von einem Zentner erreicht, wirft einen schönen Verdienst ab.

Viel zu wenig beachtet wird ferner, dass die Schafe, besonders einzelne Rassen, wie die ostfriesische,
reichlich und gute Milch liefern, die den Nährwert und Geschmack der Ziegenmilch übertrifft.

Zur Herstellung von einem Pfund Butter genügen zwölf Liter Schafmilch. Außerdem rentiert die Schafhaltung durch die Verwertung des Talges für die Seifenfabrikation, der Därme für die Wurstbereitung, und nicht zuletzt durch die Ausnützung des Schafdüngers. Auch durch den Verkauf von Lämmern kann der Schafhalter guten Nutzen erzielen. Die Nachfrage nach Jungtieren für die Aufzucht bis zur Schlachtreife ist groß. Ist also der früher gemachte Einwand, dass die Schafzucht nicht lohnend sei, jetzt nicht angebracht, so bleibt nur noch die Frage, ob bei dem intensiven Landwirtschaftsbetrieb, der den Boden voll ausnützt, noch genügend Weideland für die Schafe übrigbleibt. Nicht überall wird die Haltung größerer Herden möglich sein: am besten, wie bisher, in Heidegegenden und da, wo noch ausgedehntes Ödland vorhanden ist, aber auch auf Gütern mit großem Grundbesitz, ohne dass man die nicht mehr zeitgemäße Brachwirtschaft wiedereinführen müsste. Die Haltung einiger Schafe ist jedoch ebenso gut jedem Kleinbesitzer möglich und wird gerade auch für bäuerliche Verhältnisse von maßgebenden Fachleuten empfohlen. Kein Anwesen auf dem Lande sollte ohne ein oder mehrere Schafe anzutreffen sein, dann würde mit der Zeit der Tierbestand die Höhe erreichen, die unserem dringenden Bedarf entspricht.

Je nach der Rasse sind die klimatischen Bedürfnisse verschieden. Das ostfriesische Schaf liebt feuchtes Klima, möglichst Seeluft, und andere gedeihen wieder besser auf trockenen Höhenländereien. Bei allen Arten ist aber die Voraussetzung für das Gedeihen, dass die Tiere fast ununterbrochen im Freien auf der Weide sein können. Karge, knappe Fütterung sagt den Schafen nicht zu. Bei ausschließlicher Stallhaltung geht der Milchertrag sehr zurück; viele sind so wetterhart, dass sie auch im Winter draußen bleiben. In der Nacht wollen sie allerdings einen warmen, trockenen Stall. Fürst Leiningen hat im Odenwald sogar mit Erfolg Versuche gemacht, Heidschnucken auf freier Wildbahn zu halten, und somit einen neuen Beweis für Wetterfestigkeit und Anspruchslosigkeit dieser Tiere erbracht. In den meisten Fällen wird jedoch — besonders in Mittel- und Süddeutschland — die geeignetste Rasse, zumal diejenige kleinbäuerlicher Verhältnisse, das württembergische Bastardschaf der Hohenheimer Züchtung sein. Legt man auf den Milchertrag den Hauptwert, ist das ostfriesische Milchschaf vorzuziehen. Bestimmend bei der Wahl sind die Bodenverhältnisse und das Klima. Am geeignetsten ist leichter Boden, obwohl auch auf schwerem, sogenanntem Marschboden schon immer Dauerweiden angelegt worden sind.

Im Gegensatz zum Rind verlangt das Schaf Futter, das keinen großen Wassergehalt hat, bevorzugt saure Gräser und Heidekraut und muss nur vor dem „Verhüten“, das heißt vor anhaltendem Weiden auf nassen Wiesen bewahrt bleiben, weil es sonst leicht der Leberegelseuche zum Opfer fällt. Im Ganzen ist die Schafhaltung unter den jetzigen Verhältnissen für Groß- und Kleinbetrieb lohnend und für die Wohlfahrt der Allgemeinheit sehr erwünscht. In der Zeitschrift für Schafzucht fasst Ruegg sein Urteil dahin zusammen: „Der Weidebetrieb der Schafe ist wohl noch lange der billigste Betrieb. Die Weide macht, wenn sie nicht übersetzt ist, bei einem guten Hirten die Schafe mit geringsten Kosten weidefett, erzeugt Fleisch erster Güte, und das Schaf trägt es mit wenig Kosten auf den Markt."

Auf der Weide
Ein Zuchtbock, der 71.000 Mark kostete
Vor dem Stall
Schafherde im Hochgebirge.

Schafe, Auf der Weide

Schafe, Auf der Weide

Schafe, Ein Zuchtbock, der 71000 Mark kostete

Schafe, Ein Zuchtbock, der 71000 Mark kostete

Schafe, Schafherde im Hochgebirge

Schafe, Schafherde im Hochgebirge

Schafe, Vor dem Stall

Schafe, Vor dem Stall