Die Catacomben.

Diese Todtengewölbe gehören nicht nur zu den größten Merkwürdigkeiten von Paris, sondern der ganzen Welt; sie liegen im Süden der Hauptstadt, wo eine offene Treppe im Innern der Gebäude der Barriere l'Enfer, westlich von der Straße nach Orleans, zu ihnen führt. Diese Treppe geht acht Fuß in die Erde, dann folgt man eine Viertelstunde lang dem Kreuzwege, einer bald weitern bald engeren Gallerie. Die eigentlichen Catacomben bilden einen getrennten und sorgfältig verschlossenen Umfang. Man durchwandelt im Innern lange, unzählbare Gänge und Säle mit Menschengebeinen ausgemauert. Die kraßen Todtenschädel und Schenkelbeine sind mit vieler Symmetrie aufgestellt und machen den Schmuck dieser Trauermauern aus. In einigen Sälen befinden sich Altäre aus Todtengebeinen mit Gyps zusammengefügt. Die Treppe zum Ausgange ist 18,000 Fuß von der Barriere, östlich von der Straße nach Orleans, die man unter der Erde durchkreuzt, entfernt. Ein anderer Weg geht unter der Seine durch. Ueberall sieht man Schädel in den meilenlangen, düstern Gewölben und Gängen.

Seit dem Jahr 1786 warf man in diese grauenvollen, damals geweihten Höhlen alle Gebeine, welche seit Jahrhunderten in den nun aufgehobenen Kirchhöfen und Kirchen der Stadt aufbewahrt worden waren. Die Ueberbleibsel von mehr denn zehn Generationen sind hier an- und aufgehäuft, und man hält diese unterirdische, leblose Bevölkerung für zehnmal zahlreicher als die lebende oberirdische. Auf der engen dunkeln Treppe, welche in diese düsteren Höhlen des Todes führet, kann nur einer nach dem andern, von dem matten Schein einer Fackel erleuchtet, wandern. Wenn man 90 Fuß hinabgestiegen ist, kömmt man an eine Gallerie, wo zwei nebeneinander gehen können. Rechts und links öffnen sich Gänge, welche unter die Ebene von Montrouge und gegen die Vorstädte St. Jacque und St. Germain führen. Um sich in diesem unermeßlichen Labyrinth von Todtengebeinen finden zu können, hat man an den Gewölben der ganzen Länge nach eine dicke schwarze Linie gezogen, welche den verirrten Wanderern in diesen Schauerhöhlen statt eines ariadnischen Fadens dienen und ihn. zurechtweisen können. Einige schreckbar hervorstehende Felsen unterbrechen hier und da in langen Zwischenräumen den einförmigen Anblick dieses ungeheuren Magazins von Menschenknochen. Eine Ruine, welche zu gleicher Zeit die furchtbarste und romantischste Ansicht gewährt, besteht aus herabhängenden Felsen, die, wie es scheint, der leiseste Windeshauch umzustürzen droht. Dieses gräßliche Spiel der Natur haben schon mehrere Dekorationsmaler studirt und benutzt; auch haben in früheren Zeiten schon mehrmals Personen durch Einsturz von Felsenmassen hier ihr Leben eingebüßt, unter ihnen der Soldat, der 1756 unter Richelieu die Expedition nach Minorka mitmachte und später um geringen Taglohn hier arbeitete, und während seiner Feierstunden den Plan des Hafens von Mahon en relief verfertigte, und dabei das Opfer seiner genialen Arbeit wurde. Die Gallerie, in welcher man diese Arbeit, nicht sowohl wegen ihrer Kunst, als wegen der unendlichen Mühe, Geduld und Geschicklichkeit, die sie erforderte, bewandert, heißt noch die Gallerie Port-Mahon.


Wenn man bis an eine Art Vorhalle gekommen ist, so erblickt man im Hintergrunde derselben eine schwarze Thüre zwischen zwei Pilastern, über welche geschrieben steht: Has ultra metas requiescunt beatum spem expectantes. (Jenseits dieser traurigen Grenze ruhen die, welche die ewige Glückseligkeit erwarten.) — Jetzt dreht sich die schwere Thüre knarrend in ihren Angeln, und ein unwillkürlicher Schauer überfällt den so leicht gebrechlichen Sterblichen bei dem ersten Schritt in das unermeßliche Reich der Todten. Die Millionen, deren Gebeine hier ruhen, verlebten schnell ihre Tage auf der rauschenden Oberfläche von Frankreichs Hauptstadt. Niemand weiß mehr von ihnen was zu sagen; friedlich unter einander liegen hier die Schädel, in welchen einst weltumstürzende Pläne reiften, die Geist, Talente, Tapferkeit und Genie zu rühmlichen und nichtswürdigen Thaten trieben, so wie die der gemeinen Taschendiebe, Gauner und Hallunken aller Art. Der vornehme Reiche, der nur in Seide, Sammt, Gold und Purpur gekleidet ging und nur von Silber und Gold die Leckerbissen aller Welttheile schmausete, liegt hier friedfertig und ohne Spur von Hochmut! unter einem Haufen von Armen und Bettlern, die zur selben Zeit in Lumpen gehüllt, ihre Blößen nicht bedecken konnten, von Unrath und Ungeziefer aufgezehrt wurden und an verschimmelten Brodrinden nagten. In diesem dunklen Ozean von Gebeinen steht unser aller Schicksal mit hellflammenden Worten geschrieben, und wer ihn durchwandert, muß unwillkürlich sagen: das ist das Loos, was dich erwartet nach einem kurzen, kurzen Leben. Auch der hochmüthigste und reichste Stockfisch muß hier seine große Dummheit erkennen lernen. Hier, wo man die Reste der großen Gelehrten und Weisen, der Helden, Prinzen und Könige, nachdem man sie aus ihren marmornen und silbernen Sarkophagen gerissen, mit denen ohne Unterschied durcheinander geworfen, welche von den Bettlern herrühren, deren Leichname man kaum in einen Lumpen gehüllt, in die nackte Erde vergrub, oder höchstens mit einigen tannenen Brettern umhüllte. O vanitas vanitatum. — Fürsten- und Bettlerschädel sind hier in ein und dasselbe Mosaik durcheinander verwendet worden, welche die ungeheure Höhle auf das monotonste verzieren. Hier und da zeigen sehr einsylbige Inschriften an, aus welchen Gottesäckern und Kirchen die Gebeine genommen wurden; auch auf religiöse, mitunter erhabene Inschriften stößt man. So düster, ernst und traurig mahnend aber auch dieser Ort seyn mag, so treibt doch nicht selten auch Frivolität, Rohheit und ganz gemeine Brutalität hier ihren geistlosen Spott, nachdem der erste Schauder vorüber ist, und selbst die strengste Aufsicht kann es nicht verhüten, daß nicht erbärmliche Zweideutigkeiten etc. an die Wände oder auch auf die Schädel gekritzelt werden. Eine kleine Kapelle mit einem Altar, welche in einem Winkel dieser Gewölbe liegt, scheint zuerst einigen frommen Seelen religiösen Trost zu gewahren, doch man tritt näher und liest auf einem Granitstein die Schreckensworte: „Der 2. September 1792. *) —

Hat man die endlos scheinenden Gänge, diese unterirdischen Gewölbe durchwandelt, so kommt man 300 Toisen östlich von der Landstraße, die nach Orleans führt, an eine Treppe, die wieder an das Tageslicht zu den Lebenden der Oberwelt führt, deren bunt-tolles Treiben man in den ersten Stunden kaum fassen kann, und durchdrungen von der Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles Irdischen, sich in ein großes Tollhaus versetzt glaubt, wenigstens ging es dem Verfasser dieses so.




*) Der Tag, wo die besoldeten Bluthunde der Jakobiner die wehrlosen Gefangenen in Paris metzelten.