Der Platz Ludwig XV. mit dem Garde Meuble.

Dieser Platz, der größte zu Paris, wurde 1763 nach den Zeichnungen Gabriels angelegt und 1772 vollendet, und erhielt seinen Namen von einer Reiterstatue, welche den beschränkten Wüstling Ludwig XV, mit Lorbeern gekrönt, in römischer Tracht, aber nach der damaligen Mode schön frisirt und gelockt, darstellte. Dieser Platz liegt zwischen den Tuilerien und den elisaischen Feldern; sechs Zugänge führen zu demselben, seine Länge ist nahe an 800 und seine Breite weit über 600 Fuß. Dieser Platz erhielt durch die Hinrichtung Ludwig XVI eine große historische Wichtigkeit, und war dem unglücklichen Fürsten schon als Dauphin bei seiner Vermählung mit Marie Antoinette von sehr unheilverkündender Vorbedeutung. Die Stadt Paris gab nämlich am 30. Mai 1770 ein Fest zu Ehren der Neuvermählten. Ein Feuerwerk sollte auf dem weitläufigen Platze Ludwig XV abgebrannt werden, wo seit kurzem die Bildsäule dieses Monarchen errichtet worden war. Man arbeitete noch an der Vollendung der Rue royale, welche von diesem Platze auf das Boulevard führt, sie war mit Baumaterialien belegt; unausgefüllte Gruben machten die Passage schwierig. Eine unermeßliche Anzahl Wagen waren in großer Unordnung an dem Quai aufgefahren, und hatten den bequemsten Ausgang dieses Platzes versperrt. Einige Patrouillen, die sich in der Menge verloren, waren bei weitem nicht hinreichend, um die Ordnung zu erhalten und Unfälle zu verhüten. Das Feuerwerk entsprach den Erwartungen nicht, welche sich die Tausende von Zuschauern davon gemacht hatten. Noch ehe das Raketen-Bouquet abgefeuert wurde, verbrannten mehrere Verzierungen von Holz. Zuerst bewunderte man dieses Feuer, indem man glaubte, daß es absichtlich angezündet sey, um dem Ganzen mehr Wirkung zu geben. Als man aber dessen schnelle Ausbreitung wahrnahm, verwandelte sich die Bewunderung bald in Schrecken, und Jeder suchte sich so schnell wie möglich zu entfernen. Die Fußgänger verließen den Quai, weil sie fürchten mußten von den Wagen und Pferden zermalmt zu werden, und eilten alle nach der Rue royale zu. Schon war die Unordnung sehr groß, als Taschendiebe und Spitzbuben dieselbe durch ihr Geschrei und Gedränge noch zu mehren suchten, um diejenigen bestehlen zu können, an welche sie sich drückten und die sie herumstießen. Kein Mensch konnte sich aus diesem Gedränge herausfinden, das fast eben so gefährlich als auf einem Schlachtfeld wurde. Schrecklich war die Lage derjenigen, welche Weiber oder Kinder bei sich hatten. Eine gute halbe Stunde dauerte dieser Zustand, in dem man erdrückt, zerschlagen, zertreten oder verwundet wurde. Endlich gab es Luft, aber 133 Todte, und eine weit größere Anzahl Verwundeter blieben auf dem Platze liegen. Die Zahl der Schlachtopfer dieses Tages, denn auch an andern Orten, namentlich an dem Quai der Tuilerien, fanden noch dergleichen Unfälle statt, gab man auf 1200 an. Welche schreckliche Nacht für die Bewohner der Hauptstadt. 24 Stunden eines wüthenden Bürgerkrieges würden nicht mehr Schaden und Unglück angerichtet haben. Viele Personen, welche dem Tode zwar entgingen, waren so zerdrückt worden, daß sie unaufhörliches Blutspeien bekamen. In Todesangst schwebten diejenigen, welche theure Personen vermißten: Schrecken und Verzweiflung auf dem Gesichte, eilten sie auf den Wahlplatz, die Leichname der Erdrückten zu erkennen, unter denen man auch viele von den Dieben und Spitzbuben fand, welche das Meiste zu der allgemeinen Verwirrung beigetragen hatten; ein schlechter Trost für den ungeheuern Verlust, den so manche brave Familie erlitten hatte. Man schrie und schimpfte über die Regierung, welche so schlechte Maaßregeln zur Verhinderung eines solchen Unglücks getroffen hatte, und glaubte in Jedem, der ein Amt bekleidete, einen Mitschuldigen zu erblicken. Das Parlament machte bekannt, daß es dem Publikum Genugthuung verschaffen werde; es ließ Erkundigungen einziehen und Untersuchungen anstellen. Aber der Schuldigen fanden sich zu viele und zu bedeutende vor, und — Niemand wurde gestraft oder zur Verantwortung gezogen. Der alte, von Wollust abgestumpfte König, bekümmerte sich um nichts, man verschwieg ihm die Zahl der Umgekommenen und er ließ sich gern hintergehen; desto mehr aber ging dem jungen Dauphin dieß schreckliche Ereigniß zu Herzen; vergebens suchte man ihn davon abzubringen, er erkundigte sich nach den kleinsten Details, und seine junge Gattin schwamm in Thränen. Beide überschickten ihre Einkünfte von einem ganzen Jahre, mit einem rührenden Schreiben begleitet, dem Stadtmagistrate, und ersuchten denselben, die unglücklichsten Familien damit zu unterstützen.

Den 11. August 1792 wurde der steinerne Ludwig XV mit den andern Monumenten der Art zu Paris umgestürzt; ein Dekret der gesetzgebenden Versammlung hatte ihre Zerstörung befohlen. Einige Monate darauf wurde an die Stelle der umgeworfenen Bildsäule eine kolossale Figur, die Freiheit vorstellend, errichtet und der Platz Revolutionsplatz getauft. Diese blieb bis zum 20 März 1800 stehen, wo sie der Consul Bonaparte mit noch andern Denkmälern der Freiheit unter dem Vorwand wegnehmen ließ, daß an ihre Stellen, so wie in allen Departementen Frankreichs, eine große Siegessäule der Freiheit der Nation errichtet werden sollte; es wurde sogar der Grundstein derselben durch Lucian Bounaparte gelegt, die Säule selbst aber sah man nur auf gemalter Leinwand eine kurze Zeit, und Bonaparte ward Kaiser. Damals wurde der Platz de la Concorde (der Einigkeit) genannt, weil sich auf der gemalten Säule, die um ein Gebälk genagelt war, alle Departemente, allegorisch dargestellt, die Hände reichten. Die Idee war nicht übel, aber auf Leinwand wenig haltbar, so wenig wie Napoleons Kaiserreich. Unter der Schreckensregierung der Blutmenschen fielen hier unzählige Opfer, oft die rechtlichsten, freisinnigsten, ganz unschuldigen Bürger. Den 21. Januar wurde auch hier Ludwig XVI enthauptet, wo seine Vermählung so vielen Menschen das Leben gekostet hatte. Es ist hier an seinem Ort, die letzten Augenblicke des hingerichteten Königs unsern Lesern mitzutheilen. Derselbe war durch Stimmenmehrheit der Conventsmitglieder zum Tode verurtheilt, und es handelte sich nur noch darum, ob die Hinrichtung aufgeschoben werden solle, oder nicht. In der Sitzung vom 19. Januar sprach Marat zuerst hierüber und bestand auf der Nothwendigkeit der schleunigen Vollziehung des Todesurtheils. Buzot, Casaneuve, Thomas Paine und Brissot sprachen für den Aufschub; Thuriot, Couthon, Guffroi, Barbarour und Barrere für die schleunige Hinrichtung. Buzot sagte gerade heraus: er wisse wohl, daß nur die Parthei des Herzogs von Orleans die Hinrichtung so sehr zu beschleunigen suche. „Man verjage“, sprach er, „den Orleans und seine Söhne, dann hört sogleich aller Zwist unter uns auf.“


Endlich wurde zum namentlichen Aufruf über die Frage geschritten: ob die Hinrichtung Ludwig Capets aufgeschoben werden solle oder nicht? Nach Endigung derselben fand sich, daß unter 690 anwesenden Mitgliedern 310 für den Aufschub, und 380 gegen denselben gestimmt hatten; demnach war beschlossen, daß die Hinrichtung unverzüglich und ohne Aufschub vorzunehmen sey.

Die Versammlung faßte folgenden Beschluß:

1) Der Nationalconvent erklärte Ludwig Capet, letzten König der Franzosen, einer Verschwörung gegen die Freiheit der Nation, und eines frevelhaften Angriffes der Sicherheit des Staates schuldig.

2) Der Nationalconvent beschließt, daß Ludwig Capet die Todesstrafe erleide.

3) Der Nationalconvent erklärt die von den Vertheidigern Ludwig Capets vor die Schranken gebrachte Schrift, worin er von dem durch den Convent gegen ihn ausgesprochenen Urtheilsspruche an die Nation appellirt, für nichtig. Er verbietet, daß irgend Jemand darauf Rücksicht nehme, bei Strafe, als ein Verbrecher gegen die öffentliche Sicherheit der Republik angeklagt und bestraft zu werden.

Ferner wurde auf Cambaceres Vorschlag beschlossen:

„Daß sogleich dem vollziehenden Staatsrathe eine Abschrift des Beschlusses, vermöge dessen Ludwig Capet zum Tode verurtheilt werde, zugesandt werden solle; daß der vollziehende Staatsrat! den Auftrag erhalte, Ludwig Capet den Beschluß bekannt zu machen, denselben innerhalb 24 Stunden nach der Bekanntmachung vollziehen zu lassen, und wegen dieser Vollziehung solche Maaßregeln der Sicherheit und der Polizei zu nehmen, die ihm nöthig scheinen möchten. Dem Maire und den Bürgerräthen der Stadt Paris soll befohlen seyn, Ludwig die Freiheit zu lassen, Umgang mit seiner Familie zu haben und diejenigen Geistlichen zu sich zu berufen, welche er in seinen letzten Augenblicken zu sprechen wünsche.

Am 20. Januar, um 3 Uhr des Morgens wurde die Sitzung aufgehoben.

Der Staatsrath bekümmerte sich wenig um das Schicksal des Königs. Lebrun und Garat bedauerten, daß dieser Prozeß angefangen worden und schienen sich vor dem Ausgange zu fürchten. Roland schien zu bedauern, daß er durch seine Anklagen die erste Ursache dieses Prozesses geworden war. Claviere freute sich über die Wendung, welche der Prozeß nahm, denn er hatte einen persönlichen Haß gegen den König. Monge gab sich große Mühe die Anzahl der Feinde des Königs zu vermehren, und war ein erklärter Vertheidiger des Königsmordes. Pache war ein wüthender Feind des Königs. Er trieb seinen Haß gegen denselben so weit, daß seine Frau und seine Tochter auf seinen Befehl in die Kasernen der Marseiller und Föderirten von Stube zu Stube gehen, sich den Soldaten anbieten, und die Lüste derselben stillen mußten, unter der Bedingung, daß diese Soldaten den Kopf des Königs verlangen sollten. Grouvelle behauptete, daß die Würde der Republik diese Bestrafung des Königs erfordere.

Die Girondisten waren größtentheils der Meinung, daß man den Prozeß des Königs gar nicht hätte anfangen sollen, und sie stimmten meistens deßwegen für das Todesurtheil, weil sie wußten, daß sonst die Maratisten einen Aufstand erregen, und während desselben die königliche Familie im Tempel ermorden würden. Sie gestanden es offenherzig, daß dieß der Grund wäre, warum sie für den Tod des Königs gestimmt hätten. Da sie einsahen, daß sie ihn doch nicht zu retten vermochten, so wollten sie lieber, daß er durch das Schwert der Gerechtigkeit, als unter den Dolchen der Mörder falle.

Am Vormittage des 20. Januars versammelte sich der Staatsrath. Der Justizminister Garat hatte in demselben den Vorsitz. Nach geendigter Berathschlagung begaben sich Garat, Roland, Grouvelle, der Maire und zwei Aufseher der Abtheilung von Paris, nach dem Tempel in das Gefängniß des Königs. Um 2 Uhr Nachmittags langten sie daselbst an. Garat, welcher dem König das Todesurtheil vorlesen sollte, war höchst erschüttert. Er stammelte und konnte nicht zum Worte kommen. Der König sah ihn mit unerschrockner Miene an. Er wußte schon, daß er zum Tode verurtheilt war, denn am Abend des 18. hatte bereits Malesherbes ihn mit den Worten angeredet: „Fürst, Sie haben Muth, ich darf Ihnen also nicht verhehlen, daß Sie zum Tode verurtheilt sind;“ worauf der König antwortete: „Recht gut, so bin ich nicht länger in Ungewißheit.“

Endlich sprach Garat leise und stammelnd: „Ludwig! Der vollziehende Staatsrath hat Befehl, Ihnen den gestrigen Beschluß des Nationalconvents bekannt zu machen.“ Der Sekretär Grouvelle las den Beschluß ab. Der König stand während der ganzen Zeit der Vorlesung ruhig vor dem Sekretär und hörte gedultig zu, ohne zu klagen. Nur bei dem Eingange als Grouvelle las: „Der Nationalconvent erklärt Ludwig Capet, letzten König der Franzosen, einer Verschwörung gegen die Freiheit der Nation und eines frevelhaften Angriffs der Sicherheit des Staates schuldig,“ sagte der König mit gerührter Stimme: „einer Verschwörung gegen die Freiheit der Nation und eines frevelhaften Angriffs der Sicherheit des Staates?“ — Bald nachher setzte er hinzu: „man hat Unrecht mich der Verrätherei zu beschuldigen; ich habe es immer gut gemeint und aufrichtig das Wohl meiner Mitbürger zu befördern gesucht.“

Nachdem Grouvelle mit dem Vorlesen fertig war, zog der König eine Schrift aus der Tasche, sagte, was sie enthalte, und ersuchte Garat, dieselbe dem vollziehenden Staatsrathe einzuhändigen. Garat erwiederte, es komme dem Staatsrathe nicht zu, über die Forderungen des Königs zu entscheiden, er werde aber unverzüglich diese Schrift dem Convente vorlegen, welche einige in derselben enthaltene Punkte bereits genehmigt habe. Nachher entließ der König diese Todtesboten mit so viel Anstand und Würde, daß selbst Garat, ein Werkzeug der Feinde des Königs, nicht ohne Rührung diesen Auftritt in der Folge zu erzählen vermochte.

Noch verlangte der König, daß man ihm erlauben möchte, seinen Beichtvater, einen irländischen Priester, Namens Edgeworth, zu sprechen.

Die Schrift, welche der König übergeben hatte, war folgenden Inhalts:

„Ich verlange einen Aufschub von drei Tagen, um mich vorzubereiten, in der Gegenwart Gottes zu erscheinen. Ich verlange zu diesem Ende, daß es mir erlaubt sey, Denjenigen, dessen Namen ich den Mitgliedern des Bürgerrathes anzeigen werde, frei zu sprechen, wie auch, daß derselbe wegen des Liebesdienstes, den er mir erzeigen wird, ganz außer Furcht und Besorgniß gesetzt werde. Ich verlange von der unaufhörlichen Aufsicht, welche der Bürgerrath seit einigen Tagen über mich ausübt, befreit zu werden. Ich verlange während dieser Zeit, so oft ich es nöthig finde, mit meiner Familie, und zwar ohne Zeugen, mich unterhalten zu können. Ich wünsche sehr, daß sich der Nationalconvent sogleich mit dem Schicksale meiner Familie beschäftigen und derselben erlauben möchte, sich frei und auf eine schickliche Weise an denjenigen Ort zu begeben, den sie wählen würde. Ich empfehle der Wohlthätigkeit der Nation alle diejenigen Personen an, die in meinem Dienste waren. Es sind viele darunter, deren ganzer Reichthum in ihrer Stelle bestand, und die jetzt, da sie keinen Gehalt mehr bekommen, in Dürftigkeit seyn müssen — vorzüglich diejenigen, die bloß von ihrem Gehalt lebten. Unter denen, die eine Pension erhielten, befinden sich viele Greise, Weiber und Kinder, welche nur von ihrer Pension lebten.

Geschrieben in dem Thurme des Tempels, am 20. Januar 1793.

Der Convent beschloß: „Daß es dem Könige frei stehe, denjenigen Geistlichen zu sich kommen zu lassen, den er verlangen würde, und mit seiner Familie ohne Zeugen sich zu unterhalten; auch sollte der Staatsrath ihm zu wissen thun, daß die Nation, welche jederzeit großmüthig und gerecht handle, sich seiner Familie annehmen werde.“ Die Bitte, welche die Personen in seinem Dienste betraf, wurde, so wie die Bitte, die Hinrichtung noch drei Tage lang aufzuschieben, verweigert.

Der Minister kam in den Tempel zurück, und berichtete dem Könige, daß der Convent die meisten seiner Forderungen gewähre; er setzte aber hinzu, die Bitte, um Aufschub der Hinrichtung, ist nicht bewilligt. „Nun so muß ich mich darein ergeben,“ erwiederte der König.

Nachdem der Justizminister weggegangen war, gab der König einem Commissär des Bürgerrathes einen Brief an Edgeworth, den er in seinen letzten Augenblicken um sich zu haben wünschte.

Der Vater Edgeworths war ein protestantischer Prediger aus einem guten irländischen Hause. Er ging zur römischkatholischen Kirche über, und ließ sich in Frankreich nieder, wo er seinen Sohn selbst zum römisch-katholischen Priester erzog. Dieser empfahl sich so sehr durch sein gutes Betragen und seinen vortrefflichen Charakter, daß ihn die Prinzessin Elisabeth zu ihrem Beichtvater wählte. Dadurch lernte ihn der König kennen und hochschätzen.

Drei von dem Bürgerrathe abgesandte Soldaten überbrachten Edgeworth den Brief des Königs. Der Brief enthielt die Bitte um geistlichen Beistand, mit dem Ansuchen an Edgeworth, daß er, wenn er entweder aus Furcht vor den Folgen oder aus anderen Ursachen, nicht geneigt wäre, diese Bitte zu erfüllen, sich bemühen möchte, einen andern, weniger bedenklichen Geistlichen aufzusuchen.

Edgeworth antwortete den Soldaten, er werde ihnen sogleich nach dem Tempel folgen. Seine Mutter und Schwester wohnten damals in der Nachbarschaft von Paris. Er ersuchte die Frau von Argbuge, in deren Hause er sich aufhielt, seine Verwandten von dem Vorgange nichts wissen zu lassen, denn er sah, daß diese Dame selbst sehr erschrocken war, und befürchtete, sie möchte jene mit ihrer Besorgniß anstecken.

Zuerst wurde Edgeworth vor die im Tempel sitzenden Commissarien geführt und nachher zu dem Könige. Gleich bei seinem Eintritte in das Zimmer des Königs, äußerte er so viel Ehrerbietung und Rührung, daß der unglückliche Fürst dadurch ganz erschüttert in Thränen ausbrach, und einige Augenblicke nichts vorbringen vermochte.

Endlich sagte er: „Verzeihen Sie mir, Herr Edgeworth, ich bin seit einiger Zeit der Gesellschaft von Männern Ihrer Art ganz ungewohnt.“

Nachdem der König einige Zeit lang mit seinem Beichtvater allein gewesen war, glaubte er Stärke genug gefaßt zu haben, um eine Zusammenkunft mit seiner Familie ertragen zu können. Die Königin, die Prinzessin Elisabeth, der Kronprinz und die Kronprinzessin wurden in sein Zimmer geführt. — Kein Trauerspieldichter hat jemals einen ähnlichen Auftritt gemalt, als der hier wirklich Statt fand. Die handelnden Personen, welche vor Kurzem noch in der glänzendsten Lage der Welt sich befanden, waren jetzt vom Gipfel des Glückes in den tiefsten Abgrund des menschlichen Jammers hinabgestürzt.

Der König war freilich zuweilen unaussprechlich erschüttert, dennoch behielt er seine Fassung bis zum letzten Augenblicke. Bei dem Abschiede äußerte die Prinzessin Elisabeth: sie hoffe ihn am folgenden Morgen wieder zu sehen. Der König ließ ihr diese Hoffnung. Die Königin war taub gegen alle Worte des Trostes. Durch keine Rücksicht ließ sie sich abhalten, ihren Unwillen gegen die Feinde ihres Gemahls in den heftigsten Ausdrücken zu zeigen. Sie zerschlug sich ihre Brust, zerraufte sich die Haare, wälzte sich auf der Erde, und brach in ein fürchterliches Aechzen und in ein Jammergeschrei aus, welches sogar das felsenharte Herz der vor dem Zimmer lauernden Jakobiner zu erweichen vermochte.

Nachdem sich die Familie entfernt hatte, stand der König eine Zeit lang sprachlos und sah starr auf den Boden. Endlich sagte er mit einem tiefen Seufzer: „das war ein schrecklicher Augenblick.“ Bald nachher erkundigte er sich mit vieler Teilnahme bei Edgeworth nach dem Schicksale verschiedener Personen, die er für seine Freunde hielt, und nach verschiedenen Geistlichen, die man grausam verfolgt hatte. Er freute sich zu hören, daß viele derselben nach England entkommen wären und daselbst eine günstige Aufnahme gefunden hätten. Edgeworth bewog den König, sich einige Stunden niederzulegen.

Am 21. Januar, Morgens um fünf Uhr, stand der König auf und verlangte die Messe zu hören. Edgeworth berichtete den im Tempel befindlichen Commissaren das Verlangen des Königs. Sie machten Einwürfe dagegen. Edgeworth hob aber dieselben, indem er sagte: man könne den dazu nöthigen geistlichen Schmuck, so wie alles andere, was die Feierlichkeit erfordere, aus einer benachbarten Kirche entlehnen. Hierauf bemerkte Einer von den Commissären, man habe Beispiele von Leuten, die durch das Nachtmahl vergiftet worden seyen. Diesem Vorwurf setzte Edgeworth weiter nichts, als die ruhige Antwort entgegen, daß die Commissare die Hostie selbst besorgen möchten.

Alles Erforderliche wurde endlich herbeigeschafft. Edgeworth las die Messe und reichte dem Könige das Nachtmahl. Dann erinnerte er den König, daß seine Familie, ehe er den Tempel verlasse, ihn zu sehen erwarte. Der König befürchtete aber, er möchte nicht standhaft genug seyn, eine zweite Zusammenkunft zu ertragen. Außerdem wünschte er, den Seinigen die Todesangst eines solchen Auftritts zu ersparen.

Um halb neun Uhr kam Santerre und berichtete dem Könige, daß er Befehl habe, ihn nach dem Richtplatze zu begleiten. Nun blieb der König noch drei Minuten mit seinem Beichtvater allein, dann trat er in das Vorzimmer, woselbst Santerre zurückgeblieben war, und sagte: „wir können gehen, ich bin bereit.“ Indem er die Treppe herunter und in den Hof hinabstieg, ersuchte er die Commissäre, gewisse Personen, die sich in seinem Dienste befanden, dem Bürgerrathe zu empfehlen. Hierauf wollte er von Herrn Edgeworth Abschied nehmen, weil er nicht erwartete, daß ihn dieser weiter als bis hierher begleiten würde. Edgeworth sagte: „Mein Beistand ist noch nicht zu Ende.“ — „Was?“ erwiederte der König, „Sie wollen mich noch weiter begleiten?“ — „Ja“, sagte der Beichtvater, „bis ans Ende.“

Nun ging der König mit festen Schritten über den Hofplatz und stieg in die Kutsche des Maire. Sein Beichtvater saß ihm zur Seite. Auf dem Vordersitze befanden sich Gensd'armerie-Offiziere. Ein Mitglied des Bürgerrathes und zwei Offiziere der Bürgermiliz folgten in einem andern Wagen.

Auf dem Wege von dem Tempel nach dem Revolutionsplatze (dem Platze Ludwigs XV) betete der König Todesgebete. Sein ganzes Betragen zeigte christliche Ergebenheit in ein unvermeidliches Schicksal.

Als der Wagen bei dem Blutgerüste, welches an dem Fußgestelle der am 10. August zertrümmerten Bildsäule Ludwigs XV errichtet wurde, angekommen war, und still hielt, sagte der König: „Jetzt sind wir da.“ Hierauf bestieg er mit festem Schritte das Blutgerüst und betrachtete einige Augenblicke die unzählbare Menge des Volkes. Dann kehrte er sich mit einem tiefen Seufzer gegen den Palast der Tuillerien, und sah stillschweigend nach seiner vormaligen königlichen Wohnung, in deren Angesicht man auf eine grausame Weise das Blutgerüste aufgestellt hatte. Der Platz war außer einer unermeßlichen Menge von Zuschauern mit fünfzehn bis zwanzigtausend bewaffneten Bürgersoldaten besetzt. Zunächst um das Blutgerüst stellte sich ein beträchtliches Corps Reiterei unter Anführung Santerre's auf. In einiger Entfernung standen mehrere mit Kartätschen geladene Kanonen gegen das Schaffot gerichtet. Der König trug einen bräunlichen Ueberrock und darunter ein dunkleres Kleid. Drei Henkersknechte packten ihn und wollten ihm seinen Ueberrock und sein Kleid ausziehen; er aber stieß sie zurück und entkleidete sich selbst. Hierauf legten sie ihm ein weißes Kamisol an, welches den Hals frei ließ. Dann schnitten sie ihm die Haare ab. Als sich der eine der Henker mit dem Stricke näherte, um dem Könige die Hände auf den Rücken zu binden, äußerte der König abermals Unwillen und widersetzte sich dem Binden. Als ihn aber Edgeworth erinnerte, daß der Erlöser der Menschen sich hatte die Arme binden lassen, wurde der König nachgiebig, und ließ sich ohne Widerstand binden.

So stand nun der gute König gebunden auf dem Blutgerüste. Er betrachtete die schreckliche Todesmaschine aufmerksam, und trat zwei Schritte bei derselben vorbei auf den Rand des Schaffots, in der Absicht zu sprechen, wie man aus einer Bewegung seines Kopfes schließen konnte. Sogleich verstummte die Musik, und der König sagte mit lauter Stimme: „Franzosen! Ich sterbe unschuldig. Ich vergebe allen meinen Feinden, und wünsche, daß Frankreich . . . .“

Santerre schrie: „Man muß ihn nicht hören, man muß ihn nicht hören; das ist gar nicht der Augenblick zu sprechen.“ Dabei gab er den Trommelschlägern ein Zeichen und befahl den Scharfrichtern, ihr Amt zu verrichten. Das Wirbeln der Trommeln erstickte die Stimme des Königs.

Der König stand bei diesem Lärmen unbeweglich. Schmerz und Erstaunen über eine solche Härte seiner unversöhnlichen Feinde war auf seinem Gesichte ausgedrückt. Einer der Scharfrichter packte ihn jetzt und zog ihn. Der König folgte nach einem leichten Widerstande ganz gelassen und stellte sich der Maschine gegenüber, schien die Entfernung zu messen, und legte sich hinein. Der Beichtvater legte sein Haupt, knieend, dicht an das Haupt des Königs, und rief laut: „Sohn des heiligen Ludwigs! erhebe dich zum Himmel!“ Das Beil fiel. Edge- worths Gesicht wurde mit dem Blute des Königs besprüht. Der Kopf blieb mit der Unterhaut des Halses am Rumpfe hängen, und mußte abgerissen werden. Der abgeschlagene Kopf wurde bei dem Schopfe empor gehalten und dem versammelten Volke gezeigt. Es entstand ein lautes Jubelgeschrei: „Es lebe die Nation! Es lebe die Republik!“ Die Hüte und Mützen flogen in die Höhe, während andere ihre Schnupftücher in das hervorströmende Blut tauchten. Die Henkersknechte tauchten ihre Hände in das Blut und machten den Umstehenden unter lautem Lachen Schnurrbärte damit.

Der Leichnam wurde auf einen Karren gelegt, und in dem Kirchhofe der Magdalenenkirche in ein, zwölf Fuß tiefes, zum Theil mit ungelöschtem Kalk angefülltes Grab geworfen.

Auf den Gesichtern der unzählbaren Zuschauer bemerkte man weder Mitleid, noch Gefühl der begangenen Ungerechtigkeit. Die meisten zeigten eine grimmige Freude, die übrigen eine dumme Neugierde. Gleich nach der Hinrichtung tanzten die Umstehenden die Carmagnole um das Blutgerüst. Niemand wagte es auch nur eine Thräne zu vergießen. Die Bedienten des Königs, die von ihm mit Wohlthaten überhäuft worden waren, standen zunächst am Blutgerüste und zeigten sich am blutgierigsten.

Am Abende desselben Tages waren alle Schauspielhäuser gedrängt voll, und drei Tage nachher sprach man nicht einmal mehr von dieser schrecklichen Hinrichtung. Die Standhaftigkeit, die Seelengröße und der Muth, mit denen der König starb, übertreffen alle Beschreibung. Ein wüthender Republikaner, der Engländer Marwell, welcher sich in dem Gefolge Santerre's dicht neben das Blutgerüst gedrängt hatte, um das Schauspiel eines Königsmordes recht genießen zu können, sah sich gezwungen, zu gestehen: daß der König mit einer Seelengröße, mit einer Fassung gestorben sey, auf welche nicht einmal die gewaltsame Verhinderung zu reden, Eindruck gemacht habe; mit einer Seelengröße, welche die Erwartung der Umstehenden weit übertroffen, sie tief erschüttert und ihre Bewunderung erregt habe. Marwell sagt ferner: der König habe, als er aus dem Gefängnisse geführt worden, und in den Wagen gestiegen sey um zum Blutgerüste zu fahren, sich so frei und heiter umgesehen, als wenn es zu einer Spazierfahrt ginge; eben diese Gemüthsruhe habe der König auch während des Zuges, wahrend des Wartens, beim Aussteigen und beim Auskleiden gezeigt, wobei er selbst mitgeholfen und es nur äußerst langsam habe geschehen lassen. Die religiösen Gesinnungen des Königs, seine Zuversicht, in ein besseres Leben überzugehen, wo seine Unschuld sowohl, als die Rechtschaffenheit seiner Denkungsart würde anerkannt werden, machten ihm den Tod nicht nur leicht, sondern auch erwünscht. Der Heldenmuth, mit welchem der König starb, dieser auffallende Beweis seiner erhabenen Denkungsart war für seine Mörder ein Vorwurf. Sie suchten daher denselben wegzuleugnen, und erfanden zu diesem Ende ein Gerücht, welches vorzüglich der als Schriftsteller bekannte Champfort zu verbreiten sich sehr angelegen seyn ließ. Der König soll nämlich bis auf den letzten Augenblick immer noch gehofft haben, begnadigt zu werden, und er soll, als ihn die Henkersknechte angriffen und er bemerkte, daß er wirklich werde hingerichtet werden, ausgerufen haben: „Ach! ich bin verloren! ich bin verloren!“ Champfort behauptete sogar, diesen Umstand von dem Scharfrichter Samson selbst gehört zu haben, und ließ diese Erzählung in zwei Zeitschriften, in den Thermometer Nro. 418 und in das Journal von Brüssel Nro. 42 einrücken.

Bei dieser Erdichtung erwachte das Gefühl für Gerechtigkeit und Wahrheit sogar in der Seele des Scharfrichters, und dieser ließ in mehrere französische Zeitblätter Folgendes einrücken:

„Als Ludwig aus dem Wagen stieg, sagte man ihm, er müsse das Kleid ausziehen. Er machte einige Schwierigkeit, und sagte, er könne so hingerichtet werden wie er sey. Da man ihm vorstellte, dieß sey unmöglich, half er selbst mit, sein Kleid ausziehen. Er machte eben diese Schwierigkeit, als die Hände ihm gebunden werden sollten; doch gab er sie selbst her, als ihm die Personen, die bei ihm waren zuredeten, dieses letzte Opfer zu bringen. Hierauf fragte er, ob die Trommeln immerfort würden gerührt werden? Es wurde ihm geantwortet: man wisse es nicht, und das war die Wahrheit. Er bestieg das Blutgerüst und wollte vortreten, um zu sprechen; man stellte ihm aber vor, dieß könne nicht geschehen. Darauf ließ er sich an die Stelle führen, wo man ihn fest band und rief sehr laut: „Volk ich sterbe unschuldig!“ Nachher wandte er sich gegen uns und sprach: „Meine Herren! ich bin unschuldig an dem, dessen man mich anklagt; ich wünsche, daß mein Tod das Wohl der Franzosen befördern möge!“ — Dieß waren seine letzten Worte.“ Der kleine Streit am Fuße des Blutgerüstes betraf blos das Ausziehen des Kleides und das Binden der Hände. Er wünschte auch, sich selbst die Haare abzuschneiden. Wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, so muß man gestehen, daß er alles mit einer erstaunenswürdigen Kaltblütigkeit und Festigkeit ertragen hat. Ich bin überzeugt, daß er diese Eigenschaften aus den Grundsätzen der Religion geschöpft hatte, von denen niemand inniger durchdrungen seyn kann, als er es zu seyn schien. Diesen Brief können Sie bekannt machen, er enthält die reine Wahrheit. Am 23. Februar 1793.

Samson, Scharfrichter.

Nach geschehener Hinrichtung stattete Roux, vormals Priester, nunmehr Commissar des Bürgerrathes, demselben folgenden Bericht ab:

„Wir kommen, von dem Auftrage, den wir erhalten hatten, Bericht abzustatten. Wir begaben uns nach dem Tempel, und kündigten daselbst dem Tyrannen an, daß die Stunde seiner Hinrichtung gekommen sey. Er verlangte, einige Minuten mit seinem Beichtvater allein zuzubringen. Er wollte uns hierauf ein Päckchen übergeben, um Euch (dem Bürgerrathe) dasselbe zu überreichen; wir bemerkten ihm aber, daß wir keinen andern Auftrag hätten als den, ihn zum Blutgerüste zu begleiten; worauf er antwortete: da haben Sie Recht. Er überreichte hierauf das Päckchen einem unserer Collegen, empfahl seine Familie und verlangte, daß Clery, sein Kammerdiener, der Königin Kammerdiener seyn möchte. Schnell unterbrach er sich und sagte: meiner Frau Kammerdiener. Ueberdieß bat er, daß man seine alten Bedienten nicht vergessen möchte.

Dann sagte er zu Santerre: nun laßt uns gehen. Er ging durch einen Hof zu Fuß und stieg erst im zweiten in den Wagen. Auf dem Wege herrschte das allertiefste Stillschweigen. Es fiel nicht das Mindeste vor. Wir begaben uns in die Canzlei des Seeministers, um über die Hinrichtung ein Protokoll aufzusetzen. Wir folgten Capet mit den Augen bis unter die Köpfmaschine. Um zehn Uhr und zehn Minuten kam er an. Er brauchte drei Minuten, um aus seinem Wagen zu steigen. Er wollte zu dem Volke sprechen; Santerre widersetzte sich — und sein Kopf fiel.“

Darauf sagte Santerre: „Man hat Euch so eben von allem was vorgefallen ist, einen genauen Bericht abgestattet. Ich muß die bewaffnete Macht loben, die sich im höchsten Grade gehorsam gezeigt hat. Ludwig Capet wollte zum Volke um Mitleid sprechen, ich habe ihn aber daran verhindert, und das Gesetz vollziehen lassen.“

Am Tage der Hinrichtung (am 21. Januar 1793) versammelte sich der Convent. Benedikt Leduc bat sich den Leichnam des hingerichteten Königs aus, um denselben zu Sens in der Gruft beisetzen zu lassen, in welcher der Leichnam des Vaters des Königs beigesetzt worden war. Die Bitte wurde auf Chabots Vorschlag verweigert. Nachher entstanden Privatstreitigkeiten und Zankereien zwischen den Mitgliedern. Endlich übersandte der Bürgerrath das Protokoll über die Hinrichtung des Königs. Man wollte dasselbe vorlesen, Lemarquc aber sagte: „Jetzt, da der Tyrann todt ist, sind seine Verbrechen getilgt. Lasset uns die Tyrannei bekriegen und den Tyrannen vergessen.“ Nach dieser Bemerkung fuhr der Convent in seinen Debatten fort und das Protokoll wurde nicht gelesen.

Der Kammerdiener des Königs, Clery, überreichte dem Bürgerrathe folgende Dinge, welche ihm von dem Könige an seinem Todestage überreicht worden waren: 1) einen goldnen Ring, denselben, welchen der König bei seiner Vermählung von der Königin als Trauring empfangen hatte. Es standen darauf die Buchstaben M. A. A. A. (Maria Antonia, Archiduc. Austriae) nebst dem Datum, 19. April 1770. Diesen Ring bat der König, seiner Gemahlin zu übergeben und ihr dabei zu sagen, er trenne sich ungern von ihr. 2) Ein dreiseitiges Siegel, an einer Uhr zu tragen. Auf der einen Seite war das Wappen von Frankreich, auf der zweiten der Namenszug des Königs, L. (Louis), auf der dritten ein mit dem Helm bedeckter Kopf eines Kindes. Dieses Siegel bat der König dem Kronprinzen zu übergeben. 3) Ein kleines Päckchen, auf welchem von der Hand des Königs geschrieben stand: „Haare von meiner Frau, meiner Schwester und meinen Kindern.“ In dem Päckchen waren vier andere kleine Päckchen, mit Haaren enthalten. Dieses Päckchen ersuchte der König den Kammerdiener seiner Gemahlin zu überreichen und ihr zu sagen, sie möchte ihm verzeihen, daß er sie vor seinem Tod nicht noch einmal gesprochen habe, er habe ihr den Schmerz einer so schrecklichen Trennung ersparen wollen.

Der Bürgerrath befahl Clery, diese Dinge aufzubewahren. Die Personen, denen der König dieselben bestimmt hatte, konnten sie also nicht erhalten, und der letzte Auftrag des Königs blieb unerfüllt.




Das Garde Meuble der Krone, welches auf der Mitternachtseite des Platzes liegt und in dem jetzt das Ministerium des Innern seinen Sitz hat, wurde 1760 erbaut. Es war dazu bestimmt, alle Seltenheiten, Kostbarkeiten, Juwelen, seltene Waffen etc., der Krone gehörig, aufzubewahren, und enthielt in der That seltene Schätze jeder Art, die in vielen Sälen vertheilt und aufbewahrt wurden. Hier war auch der berühmte Diamant, der Regent genannt, den die Könige von Frankreich oft als Knopf auf ihrem Hut trugen, den aber Napoleon auf seinen Degenknopf hatte fassen lassen. Er war mit noch vielen andern Kostbarkeiten in der Nacht vom 16. auf den 17. September 1792 mittelst Einbruch gestohlen worden, doch wurden später viele der Diebe, 21 an der Zahl, verhaftet, und die meisten der gestohlenen Gegenstände kamen wieder zum Vorschein.




Während der Schreckenszeit ging folgende so schauerlich als abentheuerliche Sage in ganz Paris von Mund zu Mund, und es fehlte nicht an Leuten, welche die Wahrheit derselben auf das feierlichste betheuerten und sogar verbürgen wollten.

Einen jungen Maler, der eben von einem ziemlich lärmenden Abendschmaus heimkehren wollte, führte sein Weg über den Revolutionsplatz. Sein Kopf war etwas schwerer als gewöhnlich und der Schaum des genossenen Champagner brauste noch in seinem Kopfe, als er bei hellem Mondschein eine schlanke, schwanenweiß gekleidete Frauenzimmergestalt an dem Fuße des Blutgerüstes, den Kopf auf die Hand gestützt, bemerkte. Der junge Maler ging auf sie zu, redete sie an und fragte sie, wie sie zu dieser Stunde an einen so schrecklichen Ort käme. Das Mädchen hob langsam ihr Haupt in die Höhe, blickte den jungen Mann mit wehmüthig bedeutungsvollen Augen an, und ließ sodann den Kopf wieder in die vorige Stellung sinken. Jetzt lud sie St. Croix, so nannte sich der Maler, ein, diesen Ort zu verlassen und noch eine Promenade im Mondschein mit ihm zu machen. Das Mädchen willigte stillschweigend ein, erhob sich langsam von ihrem Sitze und nahm den ihr angebotenen Arm an. Beide wandelten eine Zeit lang in den elysäischen Feldern und den zunächst gelegenen Straßen auf und ab, aber das Frauenzimmer gab auf keine der Fragen, welche St. Croix an sie richtete, Antwort, sondern drückte ihren Willen nur durch Schütteln oder Nicken des Kopfes aus, und war durchaus nicht zu bewegen mit ihrem Begleiter in ein Kaffeehaus oder in eine Restauration oder einen andern öffentlichen Ort zu gehen, wie ihr derselbe dieses zu wiederholten Malen vorschlug. St. Croix bat sie nun, ihm in seine Wohnung zu folgen, nachdem er lange noch vergeblich nach der ihrigen gefragt hatte, wobei sie immer die Augen gegen die Sterne richtete. — Sie gab nun ihre Einwilligung durch Kopfnicken zu erkennen, und beide langten nach einer viertel Stunde Weges in der rue St. Appoline an, wo St. Croix die Thür öffnete, und seine stumme Begleiterin drei Treppen hoch in sein Wohnzimmer führte. Er schlug Licht und erblickte eine todtenblasse Schönheit, die nur um den Hals einen ganz schmalen rothen Streif, kaum von der Breite einer Messerklinge hatte, den er zwar auch schon im Mondschein bemerkt hatte, aber für ein schmales Bändchen oder etwas dergleichen gehalten hatte. Er fragte auch nach der Ursache dieses Streifes, konnte aber auch jetzt keine andere Antwort als ein leises Kopfschütteln erhalten. Er fing nun an, die schöne Stumme zu liebkosen und zudringlich zu werden, und sie widersetzte sich lautlos keiner dieser immer feuriger werdenden Liebkosungen, sondern blieb die stille Dulderin unter allen Umständen. Schon lange war Mitternacht vorüber und der anbrechende Morgen nicht mehr fern, als auf einmal das Mädchen von dem Ruhebette aufsprang, der Thüre zueilte, und wie ein Zephirlüftchen der Treppe hinabglitt; St. Croix folgte ihr nach und konnte trotz aller Eile ihr nicht näher als auf 50 Schritte kommen. Sie begab sich auf dem kürzesten Weg nach dem Revolutionsplatz, fiel an dem Fuß des Schaffots bewegungslos nieder; und als ihr nächtlicher Gesellschafter sie daselbst erreichte, da — man denke sich dessen Entsetzen — fand er das Mädchen, den Rumpf vom Kopf getrennt daselbst liegen und fiel bewußtlos nieder. — Der Tag graute, es wurde lebendig; Leute fingen an zu gehen und zu kommen; einer derselben brachte ihn wieder zu sich selbst, doch das war nicht wohl möglich, denn St. Croix sprach unverständliche Worte, verfiel in einen dumpfen Wahnsinn und gab nach drei Tagen den Geist auf, nachdem er noch zuvor diese grauenvolle Begebenheit in einem lichten Augenblicke mit allen Nebenumständen den Personen die an seinem Sterbebette waren, erzählt hatte. — Den Tag bevor ihm dieses begegnete, war das reizende Fräulein von G . . . . auf den Befehl des stupiden Bluthund Robespierre guillotinirt worden. — Es gab viele Personen die noch lange nachher dieses Paar in der Mitternachtsstunde die Ronde um diesen. Platz machend, gesehen haben wollten.

Anfangs April 1814 erhielt der Platz wieder seine erste Benennung nach Ludwig XV.