Der Justizpallast.

Er liegt auf der Insel, die Citè genannt, am Platz Dauphine. Wer es wagen wollte, alle in diesem Gebäude der Gerechtigkeit schon vorgefallene Ungerechtigkeiten zu erzählen, würde vielleicht mit hundert enggedruckten Folianten nicht ausreichen. Eine nicht erwiesene Sage berichtet, daß König Dagobert hier sein Hoflager gehalten habe; gewisser ist es, daß die Grafen von Paris hier wohnten. Hugo Capet vereinigte den Pallast mit den Krongebäuden, und er war von jetzt an bis zu Carl V. die gewöhnliche Residenz der französischen Könige. Seine ältesten noch bestehenden Bautheile datiren sich von der Regierung des Königs Robert, der gegen das Jahr Tausend die Thürme und Gallerien zu bauen anfing. Als das Gebäude vollendet war, ließ er am Osterfest viel große Tische für Arme decken, und bevor die Mahlzeit begann, wusch er sich die etwas schmutzigen Hände. Ein Blinder trat unter den Haufen gegenwärtiger Bettler hervor, und bat den König um ein Almosen. Scherzend sprützte ihm S. M. etwas Wasser ins Gesicht, und — o Wunder ! — der Blinde ward sehend! Gewiß war dieß das größte Almosen, das ihm der König geben konnte. Alle Anwesenden schrieen nun Mirakel; Alles strömte nach dem Pallast, der, wie ein alter Schriftsteller erzählte, der diese Sache berichtet, hierdurch zu großer Ehre kam. — Der heilige Ludwig ließ sich ein Schlafzimmer, eine Capelle und einen großen Saal, der nach seinem Namen die Kirche des heiligen Ludwig genannt wurde, daselbst bauen. Philipp der Schöne ließ den Pallast noch sehr erweitern. In dem großen, prachtvollen gothischen Saale wurden nun Gesandtschaften empfangen, die Hochzeiten der königlichen Brüder und Kinder und andere große Ceremonien gefeiert. — 1618 verzehrte ein Feuer diesen Saal, und die berühmte Marmortafel wurde mit ihrer antiken Bildsäule zerschmettert. 1762 wurde der Saal des pas perdus (der verlornen Schritte), es ist der größte Saal in ganz Frankreich, erbaut. 1776 richtete eine abermalige Feuersbrunst große Verheerungen in dem Gebäude an, welches nun von mehreren Baumeistern nach einem großen Plane wieder hergestellt wurde, wobei aber die antike Capelle, in welcher Philipp August noch getauft worden war, abgetragen wurde. Unter diesem König waren die vornehmsten Zimmer des Pallastes mit Stroh tapeziert, welches, sobald es zu faulen anfing, der großmüthige Monarch den Armen schenkte.

Der große Saal, der nicht weniger als 230 Fuß lang und 84 breit ist, dient zum Aufenthalt der klagenden Partheien u. s. w.; von ihm führen viele Thüren zu den verschiedenen Tribunalen, mit Aufschluß gebenden Aufschriften.


In seinem Ganzen bietet der Pallast, von so vielen Baumeistern und mit Gebäuden aus so verschiedenen Jahrhunderten, natürlich wenig Uebereinstimmung dar. Zwei dicke Thürme nach dem Quai de l’horloge scheinen aus dem 13. Jahrhundert zu stammen, andere aus dem 16. u. s. w. — In dem sogenannten niedrigen Glockenthurme befand sich eine Glocke (Tusin genannt) welche das Vorrecht hatte, nur bei der Geburt und dem Tode der Dauphins und Könige von Frankreich geläutet zu werden; da sie aber den 24. August 1572 das Zeichen zu dem schändlichen Gemetzel der Bartholomäusnacht, fluchwürdigen Andenkens, gegeben hatte, wurde sie während der Revolution zertrümmert.

Der Appellationshof, der Cassationshof, La salla des enquêtes, die Tribunale von der ersten bis zur letzten Instanz, die Assisen oder das Criminalamt etc. haben alle ihren Sitz in unzähligen Sälen und Zimmern dahier; auch fehlt es weder an verbundenen, noch an unverbundenen Bildsäulen der Justiz.

Ueber dem Eingange zu dem großen Saale des Cassationshofes ist diese Göttin zwischen zwei Löwen dargestellt. Vor der Revolution sah man auf dem großen Kamine dieses Saals Ludwig XIV. zwischen der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Man war im Zweifel, ob dieses eine beißende Satire auf S. M. oder auf die beiden Göttinnen oder auf alle drei zugleich seyn sollte. Drei große Gallerien über dem ungeheuren Saal dienen als Archive. In diesem Papiermeer liegt unter unendlich viel Ungerechtigkeiten und jämmerlichem Advocaten- und Rabulistengeschmier mancher geschichtliche Schatz begraben; wer vermag aber diesen Augiasstall zu säubern! Der Rechnungshof ist ebenfalls in dem Justizpallast, unfern der heiligen Kapelle des Pallastes. Durch drei schöne Gitterthore kommt man in den Vorhof desselben, der zu den Mittelgebäuden führt, an dessen Ballustraden man die Statuen der Gewalt, des Ueberflusses, der Gerechtigkeit und der Klugheit findet. Vier Dinge, die hier so selten, als allenthalben sind.

Breite Treppen führen zur Vorhalle und in das Innere des Gebäudes. Wie mancher arme Teufel hat dieselben schon mit Zittern und Zagen, voller Hoffnung und Angst erstiegen, und ist mit der Verzweiflung im Herzen wieder herabgestiegen. Ein Glück, daß die Oeffentlichkeit der Gerichtssäle der Kabale und den Intriguen der Rechtsverdreher wenig Spielraum läßt. Dieß ist auch der Hauptgrund, warum in unserem deutschen Vaterland sich alle schlechte Juristen und blutsaugende Rechtsverdreher so sehr gegen diese Oeffentlichkeit sträuben; denn sie würde sowohl den talentlosen, als den bestechbaren Advocaten gar bald das falsche Spiel legen. Wer den Zulauf aller, die in diesem Pallast Recht suchen, vom Grauen des Tages bis in die sinkende Nacht, noch nicht gesehen hat, kann sich unmöglich eine richtige Vorstellung davon machen; es ist ein ewig summender Bienenkorb in einem ungeheuern Maßstab.