Das Stadthaus (Hôtel de ville).

Es liegt auf dem berüchtigten Greveplatz, auch Place de l’hôtel de ville genannt. Der Italiener Cortone war der Baumeister dieses unter Franz I. erbauten Gebäudes. 1533 wurde der Grund dazu gelegt, aber erst 73 Jahre später dasselbe vollendet. Hier hat die Präfektur ihren Sitz. Zwei Pavillons mit großen Thorhallen bilden die Flügel des Gebäudes, in dessen Mitte die Uhr angebracht ist, nach welcher sich ganz Paris richtet, alle Beamte und Müssigänger, der Hauptstadt sind von ihrer Genauigkeit überzeugt. Der innere Hof ist mit Arkaden umgeben. Die Bildsäule Heinrichs IV. zu Pferd ist über der Mittelthüre angebracht und war lange Zeit durch Napoleons Statue abgelößt worden. Jetzt steht wieder der gute König da, chacun a son tour. Auch ein Ludwig XIV. ist, wenn wir nicht irren, im Inneren des Hofes irgendwo ganz an einer Treppe als Wächter angebracht. — Das Stadthaus ist von großer historischer Wichtigkeit, und hat namentlich bei der Revolution von 1789 eine große Rolle gespielt, und wurde damals (1792) la maison commune (das Gemeindehaus) genannt. Hier war es unter andern auch, wohin sich Robespierre in seiner Herzensangst mit noch mehreren seiner blutigen Helfershelfer geflüchtet hatte, um dem gerechten Racheschwert zu entgehen, aber gerade hier wurde die Hyäne gefangen. Die höchst merkwürdigen letzten Augenblicke dieses so blutdürstigen als kurzsichtigen Ungeheuers verdienen hier aufgezeichnet zu werden. Schon war Robespierre's Macht und Einfluß sogar bei dem raub- und mordsüchtigen Pöbel sehr gesunken, als der Convent den 9. Thermidor sich um die gewöhnliche Stunde versammelte. Aber der Enthusiasmus, den Robespierre während der Nacht unter den Jacobinern hervorgerufen hatte, gab ihm wieder Vertrauen.

Der Tyrann und seine beiden Akoliden, Couthon und St. Just, hatten beschlossen, den Kampf im Convente zu erneuern, und hofften den nämlichen Schrecken, wie bei den Jacobinern, in demselben zu verbreiten. Es schien, als träumten sie nur von Rache, von der Dictatur, von Festen und Hinrichtungen. Robespierre bemerkte indessen, daß die Männer des Berges noch nie so entschlossen und drohend ausgesehen hatten, wie heute. — Ihre Reihen sind dicht und zahlreich, und seine Bank ist verlassen und einsam. Vergeblich sucht er die gewöhnliche Miene der Demuth und Unterwerfung; dieß scheint ihn zu beunruhigen, und er erblaßt. — Indessen sind seine Gegner übereingekommen, mit ihrer Vertheidigung und ihrem Angriff auf ein verabredetes Zeichen zu warten. — Dieses Zeichen wurde durch St. Just's Erscheinung gegeben, welcher sich um Mittag auf die Tribune schwang. Mit düsterer Miene, wildem Blick und unsicherem Tone begann er seine Rede. „Er gehöre zu keiner Parthei, zu keiner Faction. Von dem Wohlfahrts- und Sicherheitsausschuß beauftragt, über die Ursachen der sichtbaren Erschütterung zu berichten, welche die öffentliche Meinung seit einiger Zeit erlitten hätte, wolle er seinem Auftrage genügen, sollte auch die Rednerbühne für ihn, so wie für mehrere Andere, ein tarpejischer Fels werden. Man habe das Gerücht verbreitet, die Regierung sey getheilt, dieß sey sie nicht ...“


Weiter kam der Redner nicht. Von Ungeduld gefoltert, schwang sich Tallien auf die Rednerbühne. „Ich verlange das Wort,“ sagte er, „der Redner hat uns so eben versichert, er sey von keiner Parthei. Ich sage dasselbe von mir. Nur mir selbst, nur der Freiheit gehöre ich an; und darum will ich die Freiheit ertönen lassen. Kein guter Bürger kann sich bei dem unglücklichen Geschicke des Vaterlandes der Thränen enthalten. Ueberall Uneinigkeit! Gestern tritt ein Mitglied der Regierung in seinem eignen Namen auf; heute wird dasselbe Schauspiel wiederholt. Bald wird es zum Angriff kommen, und das Vaterland in den Abgrund gestürzt werden. Ganz soll man den Schleier zerreißen. Ich will die Gefahr in ihrem ganzen Umfange, den Tyrannen in seiner schwärzesten Blöße zeigen. — Den ganzen Convent will er nun vernichten, denn seit seinem gestrigen Unfalle weiß er nur zu gut, daß, wenn er diesen Körper auch noch zwei-, drei- oder viermal anklagte, er dennoch keine Stütze für seine freiheits-mörderischen Absichten, für die Dictatur oder gar das Königthum und seine Tyrannei, oder welchen Namen er derselben geben möchte, finden würde. — Er will daß auch keine einzige Freistätte für die Freunde der Republik und der heiligen Freiheit mehr übrig bleibe. Er will Euch Alle vernichten, ja Alle, und noch heute, in wenigen Stunden; er hat es versprochen und geschworen. Zweitausend Bösewichter haben es mit ihm geschworen, ich habe diese Nacht ihre furchtbaren Eide gehört, und fünfzig meiner Collegen haben sie mit mir gehört. Wir haben die Zubereitungen der Mörder gesehen, der Tyrann befahl seinen Lictoren ... Ich nenne Euch, Dumas, den unwürdigen verruchten Präsidenten des Revolutionstribunals; Henriot, das treulose Oberhaupt, welches man der Nationalgarde gegeben hat . . . „Ja“ fiel ihm Billaud-Varennes, der seine Ungeduld nicht länger bezähmen konnte, in die Rede, „der Augenblick ist gekommen, wo man sich ganz erklären muß. Nach allem, was vorhergegangen ist, wundere ich mich nicht, St. Just auf der Rednerbühne zu sehen. Er hat den beiden Ausschüssen versprochen, seine Rede ihrem Ausspruche zu unterwerfen, ehe er sie im Convente ablese; und jetzt tritt er auf, ohne Wort gehalten zu haben. Der Convent schwebt zwischen zwei furchtbaren Klippen, und zu Grunde gehen muß er, wenn er schwach ist. Nur mit Entsetzen könnt ihr einen Blick auf Eure wahre Lage werfen. Wisset, daß das Oberhaupt der bewaffneten Macht von Paris dem Revolutionstribunal als Mitschuldiger Heberts von dem Wohlfahrtsausschuß angezeigt ist. Wisset, daß diese bewaffnete Macht von beinahe lauter Aristokraten angeführt wir. Wisset, daß ein Mensch, als von der Sendung neuer Volksrepräsentanten in die Departemente die Rede war, auf der ihm überreichten Liste nur 20 Mitglieder des Convents einer solchen Sendung würdig fand; dieser Mensch ist Robespierre. Wisset, daß der Präsident des Revolutionstribunals gestern im Jacobinerclubb ganz unumwunden den Vorschlag that, daß man alle unreinen Mitglieder aus dem Schooße des Convents verjagen sollte. Sterben wollen wir lieber, als diese Kränkungen noch länger ertragen. Gerade diejenigen, welche im Convent und Jacobinerclubb unablässig von Gerechtigkeit und Tugend sprechen, treten beide unter die Füße, so oft sie nur können. Hier ist der Beweiß. Ein Schreiber des Wohlfahrtsausschusses entwendete 114,000 Livres. Ich spreche von seiner Verhaftung, und Robespierre verhinderte sie. Ha, Bürger, tausend ähnliche Thatsachen könnte ich Euch anzeigen; und doch sind wir es, die er anklagt. — Gerade diese Thatsachen haben mich erst auf den Schlund hingeleitet, den er unter unsern Füßen gräbt, und den wir mit unsern Leichnamen ausfüllen werden, wenn wir nicht über ihn und seinen Anhang triumphiren.“

Länger vermogte sich Robespierre nicht zu halten, mit Ungestüm schwang er sich auf die Rednerbühne; mit aufgehobenen Händen verlangte er das Wort; aber von allen Seiten erschallte ein: „Hinunter mit dem Tyrannen:“ und verlassen mußte er von Neuem die Bühne. Tallien erhielt an seiner Stelle das Wort. „Ich forderte so eben,“ sagte er, „daß der Schleier zerrissen werden sollte, und mit Entzücken sehe ich jetzt, daß er es ist. Entlarvt sind die Tyrannen. Bald werden sie vernichtet seyn, und die Freiheit wird noch einmal triumphiren. Alles verkündigt, daß der Feind der Nationalrepräsentation unter ihren Streichen fallen wird. Einen herrlichen Beweiß von unserer republicanischen Redlichkeit geben wir der wachsenden Republik. Geschwiegen haben wir bis jetzt; aber von seinen Planen unterrichtet, schweigen wir nicht länger. Mit diesem Dolch würde ich ihm das Herz durchbohren, wenn der Convent den Muth nicht hätte, seine Verhaftung zu decretiren. Nicht auf ein Individuum, nein, auf eine weit verbreitete Verschwörung mache ich aufmerksam. Die Verhaftung Henriots verlange ich vor allen Dingen. Ist diese geschehen, dann mögen wir ruhig in der Untersuchung fortfahren. Robespierre's Anklage ist in Euren Herzen, und steht auf Euren Gesichtern geschrieben. Ist auch eine Stimme, die hier sagen kann: „Robespierre war nicht ein Unterdrücker?“ Er spreche, der Sclave, dessen Niederträchtigkeit sich mit so unwürdigen Fesseln befreunden könnte. — Er spreche, damit ihn der Abscheu und die Verachtung des ganzen Convents und aller wahren Republicaner treffe. Haben die Bürger unter den schändlichsten unserer sich Könige nennenden Tyrannen, unter einem Ludwig XI., Ludwig XIV., und unter den schimpflichen Maitressenregierungen Ludwigs XV., in einer blutigen Sclaverei geschmachtet? — Ich kann nicht leben und mein Vaterland in den Ketten eines solchen Menschen schmachten sehen. Zittere, Robespierre! erzittere, Tyrann! Deine unkluge Rede hat dich in aller Augen entlarvt. Siehe mit welchem Abscheu sich alle freie Männer von dir entfernen! Wir freuen uns deiner Todesangst ; aber das Heil des Vaterlandes will, daß wir sie nicht verlängern. Ich erkläre nochmals, daß, wenn der Convent nicht die Anklage des Tyrannen decretirt, ich ihm den Dolch ins Herz stoßen werde.“ — Die ganze Versammlung erhob sich, einen wüthenden Beifall zollend. Robespierre schien vor Furcht unbeweglich, und St. Just verschwand von der Rednerbühne, den Augenblick verfluchend, in welchem er dieselbe bestiegen hatte. Couthon fürchtete, durch ein Wort die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Von den übrigen Verschwornen unterstützt, brachte es Tallien dahin, daß außer Henriot auch noch sein Generalstab, Dumas, Boulanger und Defraise verhaftet werden sollten. Vergeblich forderte Robespierre von Neuem das Wort. Man riß ihn von der Rednerbühne. Nur seine Ankläger sollten gehört werden. Von diesen nannte ihn Vadier den alleinigen Verfasser des Dekrets vom 22. Prairial, und spottete bitter über Catharina Théot, diese Mutter Gottes, die er Robespierre's Hohenpriesterin nannte. Bourdon (von Oise) beschuldigte ihn, sechs Patrioten von Brüssel aufgeopfert zu haben. Andere brachten noch unbestimmtere Beschuldigungen hervor.

Collot d'Herbois verlor sich in persönlichen Angriffen gegen seinen Feind, dem er einen egoistischen Eigendünkel vorwirft, und wobei er die Ungeschicklichkeit begeht, ihn hierin nachzuahmen. Billaud-Varennes wirft ihm sogar vor, Danton lange vertheidigt zu haben, und geht, durch den Instinct seiner Grausamkeit getrieben, fast soweit, ihn der Mäßigung und zu vieler Gnade zu beschuldigen. Tallien, ungeduldig, fiel endlich wieder ein und sagte: „Zu was dienen alle diese einzelnen Thatsachen, da ihr in Eurem Innern die tiefe Ueberzeugung von Robespierre's Verbrechen habt? Der ganze Tag würde nicht hinreichen, um den kleinsten Theil derselben nur zu berühren, und ihr habt keine Minute von diesem Tage zu verlieren, den der Tyrann wohl anzuwenden wüßte, wenn man ihm einen Augenblick Ruhe gönnte. — Ueber was kann er sich beklagen? er kömmt ja durch die von ihm selbst erfundenen Waffen um, von denen er einen so grausamen Gebrauch unter uns gemacht hat. — Welchem Beklagten hat er jemals das Recht, sich zu vertheidigen, gestattet? — Laßt uns jetzt ebenfalls sagen, daß unser Gewissen seit langer Zeit erleuchtet ist! Darf der sich beklagen, der durch das abscheuliche Gesetz vom 22. Prairial neun Zehntheile der Franzosen außer dem Gesetz erklärt hat? — Keine Umstände mit den Tyrannen und ihren Schergen! man kann ihr Ende nicht genug beschleunigen: er selbst hat euch dieß hundertmal wiederholt. Wohlan, er komme ohne Aufschub sammt den Helfershelfern seiner freiheits-mörderischen Tyrannei um.“

„Schlagen wir mit festem Arme zu, bis auf die Bänke des Revolutionstribunals, bis in die Schreibstuben der Jakobiner, in die des Gemeinderaths; laßt uns ihn und seinen, aus Bösewichtern und Spitzbuben bestehenden Generalstab verfolgen. Laßt uns endlich so vielen feigen Angriffen auf die Menschheit und ihre heiligsten Rechte ein Ziel setzen. Laßt uns frei seyn, laßt uns Männer seyn, trotzt jeder Gefahr, um der Sclaverei zu entgehen. Ein Leben ohne Freiheit, ein Leben, in der Knechtschaft ist zehnmal schlimmer als der Tod, und kann nur solchen Menschen behagen, die mit dem Vieh der schlechtesten Gattung auf einer Stufe stehen. Stimmt über die Verhaftung des Tyrannen ab: dann wollen wir uns mit seinen Speichelleckern und Höflingen befassen.“

Tallien schien eine absolute Gewalt auf die ganze Versammlung erlangt zu haben; der Berg erhob sich mit einem Male, um Robespierre's Verhaftung zu begehren. Dieser, von seiner Betäubung etwas zurück gekommen, versuchte nun alles Mögliche, um zum Worte zu kommen. Seine schneidende gellende Stimme durchdrang die donnernden und brüllenden Stimmen seiner Feinde. — Bald erkletterte er die Rednerbühne, bald den Stuhl des Präsidenten. Dieser blieb taub für sein Geschrei, — es war Thuriot, dem er schon zwanzigmal mit dem Tode gedroht hatte.

Ein fortdauernder Kampf entspann sich zwischen der Klingel des Präsidenten und Robespierre's Stimme. In Verzweiflung suchte er mit begierigen Augen diejenigen seiner feilen Höflinge, die ihm im Glücke am Meisten geschmeichelt hatten, aber vergeblich; es schien, als suchten sie sich seinen Blicken zu entziehen, und die Furcht und Angst stand deutlich auf den blassen, todten-ähnlichen Gesichtern dieses kriechenden Ungeziefers, das sich überall gleich bleibt, geschrieben. — „Zum letzten Male,“ schrie er jetzt, „Präsident der Meuchelmörder, verlange ich das Wort.“

— Die Klingel antwortete ihm abermals, und jetzt änderte Robespierre sein Projekt und wirft sich auf die Bänke, wo Vergniauds Freunde sitzen, deren Hülfe er anspricht, indem er sagt: er habe diese durch seine Beständigkeit, sie zu vertheidigen, wohlverdient. „Wir müssen einander gegen die gemeinschaftlichen Feinde,“ fuhr er fort, „die seit langer Zeit Euern Tod geschworen haben, und heute den meinigen verlangen, unterstützen.“

„Von diesen Bänken zurück,“ ruft ihm Ferrand zu, „du besudelst sie durch deine Gegenwart. Vergniaud und Condorcet saßen hier.“

Robespierre fängt von Neuem den Kampf mit des Präsidenten Klingel an. Aber schon geht ihm die Stimme aus. „Man will mich morden!“ keuchte er. — „Hast du den Tod etwa nicht verdient, tausendfach verdient?“ antwortete man ihm.

— Noch immer will er sich Gehör verschaffen; aber man reißt ihn zurück, und Garnier, welcher bemerkt, daß seine Stimme sich verändert hat, ruft ihm zu: „Das ist Dantons Blut, das in deinem Rachen zusammenströmt und deine Sprache erstickt!“ Er schimpft, er droht, er wirft sich voll Verzweiflung auf die Bänke, er springt wieder auf, sein Mund schäumt, Rache blitzt aus seinen Augen.

Endlich machte Louchet dieser fürchterlichen Scene ein Ende, indem er auf Robespierre's Verhaftung bestand. Sie wurde eben decretirt, als der Bruder des Angeklagten mit den Worten auftrat:

„Ich bin eben so schuldig, als mein Bruder; ich theile seine Tugenden, und verlange in das Anklagedecret aufgenommen zu werden.“ Lebas that dieselbe Forderung.

Diese Zufälle schienen die Versammlung auf einige Augenblicke zu verwirren. Einige schienen sogar durch diese brüderliche Ergebenheit gerührt, aber Elias Lacoste schrie: „Nein du sollst nicht von deinem Bruder getrennt werden, warst du nicht gestern auch bei den Jakobinern und hast sie zur Ermordung aller Stellvertreter des Volks aufgefordert?“ — Freron rief: „Ein Tyrann hat ein zähes Leben, nieder mit ihm!“ Er bestand auf dem Verhaftsdecrete gegen Couthon und St. Just, und von Lacoste unterstützt erhielt er es. St. Just mußte die Rede aushändigen, welche er zu sprechen angefangen hatte, — „einen wahren Dolch,“ sagte ein Schriftsteller, „die ganze Versammlung zu ermorden.“

Es wurde nun über Robespierre's Verhaftung abgestimmt, und dieselbe bis auf fünf oder sechs Stimmen einstimmig unter dem Geschrei: „Es lebe die Republik!“ decretirt. — „Die Republik!“ schrie Robespierre, „es gibt keine mehr, die Spitzbuben siegen!“ Gleich darauf ward auch seines Bruders, nebst St. Just's und Couthons Verhaftung decretirt. Als letzterer hörte, daß man ihn der Tyrannei anklagte, sagte er: „Wie? ich, lahm, wie ich bin, soll nach der Herrschaft trachten?“ — „Du hast hundert Arme für das Verbrechen,“ schrie ihm Legendre zu — Bald fügte man zu den erlassenen Verhaftsdecreten noch das von Robespierre's Schwager Lebas, das von dem berüchtigten Präsidenten des Revolutionstribunals, Dumas, die von Henriot, Boulanger, Dufraise, Lavalette, Aubigni, Prosper, Figas, sämmtlich Chefs der Nationalgarde, hinzu. — Noch in der nämlichen Sitzung ließ der Convent Robespierre und die mit ihm angeklagten Deputirten vor die Schranken schleppen, um sich an seiner Demüthigung zu weiden, doch kostete es Mühe die Gerichtsboten dahin zu bringen, ihre Schuldigkeit zu thun, so sehr war der Tyrann gefürchtet.

Der furchtbare Robespierre war zwar gelähmt, aber noch nicht zerschmettert. Ein fragender Blick, den er auf die Gallerien warf, erhielt ein Zischen zur Antwort. „Die Banditen siegen,“ sagte er mit verbissener Wuth, indem er sich den Schranken näherte, wo die Gensd'armerie seiner harrte, um ihn mit seinen Freunden in den Luxemburg zu bringen. Noch war aber nicht Alles gewonnen, noch konnte der gefürchtete Namen des Unbestechlichen Wunder vollbringen. Robespierre ins Gefängniß führen lassen! — ein unerhörtes Wagestück: alle seine Schergen waren im Anzuge und Henriot mit seinem ganzen Generalstabe durcheilte seit dem Morgen die Straßen der Hauptstadt.

Während der Debatten im Convente hatte der Maire Fleuriot und der Nationalagent Payan, alle Municipalbeamten auffordern lassen, sich in dem Gemeindehause einzufinden. Auf Payans Vorschlag wurden aus dem allgemeinen Rathe Emissäre verschickt, um das Volk zum Beistande seiner Obrigkeit und zur Rettung des bedrohten Vaterlandes zu ermuntern. Diese Sendung blieb nicht ohne Erfolg. Große Menschenmassen bewegten sich dem Gemeindehause zu, wo sich die Befehlshaber der Nationalgarde und die constituirten Obrigkeiten bereits durch einen Eid verpflichtet hatten, die Sache des Volks zu vertheidigen. „Patrioten,“ sagte man dem hinzuströmenden Volke, „sind in Gefahr unterdrückt zu werden; aber retten werdet ihr sie, wenn ihr dem braven Henriot folgt, der die Befehle der Municipalität vollziehen wird.“

Eben so thätig hatten die Jacobiner Abgeordnete ausgesendet, um die Sectionen von Paris, das Lager von Sablons und die Arbeiter in der Pulvermühle von Grenelle in Bewegung zu setzen. Auch von dieser Seite war eine große Menschenmasse im Anzuge, und nichts blieb unversucht, um sie zu einem hartnäckigen Kampfe zu bestimmen.

Die Sturmglocke läutete, die Thore wurden geschlossen, Henriot stellte sich an die Spitze der Seinigen und drohte, den ganzen Convent zu vernichten. Die Insurrection war vollendet.

Außerdem war das Revolutionstribunal durchaus von Robespierre's Creaturen besetzt; auch nicht ein Mitglied desselben war, das er nicht ernannt hatte, und war Marat von demselben triumphirend zurückgekommen, so mußte Robespierre wenigstens heilig gesprochen werden. — In der Nationalversammlung fühlte man wohl, und hätte vielleicht gewünscht, daß Talliens Dolch der Sache ein schnelles Ende gemacht hätte, indessen hatte der Kampf auf Tod und Leben einmal begonnen, und kein Rücktritt war mehr möglich.

Bald zeigte es sich, daß die Furcht, welche man wegen Robespierre's Einfluß hatte, nur zu gegründet war. Henriot und seine Satelliten schienen überall die Oberhand zu bekommen. Als man gegen fünf Uhr des Abends noch achtzig Schlachtopfer auf den Richtplatz führte, und die Bedeckung nicht sehr zahlreich war, hörte man zum ersten Male, wie das Volk laut Gnade für sie verlangte, und Einige riefen sogar, Robespierre gehöre an ihre Stelle. Jetzt wirft sich das Volk auf die Todtenkarren, hält den Marsch auf, verjagt die Gensd'armen, der Henker selbst scheint sich eines Ruhetags zu freuen, und die Schlachtopfer belebt wieder neue Hoffnung. — Aber in dem Augenblicke sprengt Henriot mit seinen saubern Adjudanten herbei, sammelt die zerstreuten Gensd'armen wieder, läßt mit den Säbelklingen auf das unbewaffnete mitleidige Volk einhauen, — der Todtenmarsch wird fortgesetzt, und am Tage der Rettung müssen noch achtzig Schlachtopfer der Tyrannen durch einen schon in Verhaft decretirten Bösewicht fallen.

Ueber diesen Erfolg stolz, versuchte Henriot nun das Mitleiden des Volkes zu Gunsten Robespierre's in Bewegung zu setzen, und schreit über Rebellion und Aufruhr bis unter die Fenster der Tuillerien.

Wahnsinn und Verwirrung schienen sich von Neuem auf Paris herabgelassen zu haben. In derselben Straße schrie man: „Es leben Robespierre und die Volksbeamten!“ und: „Verderben den Tyrannen! Es lebe der Convent!“ Um Robespierre Hülfe zu leisten, setzten sich die Bewohner der Vorstadt St. Marcel in Bewegung; die rebellische Municipalität zu bekämpfen, brach die Vorstadt St. Antoine auf. Ein wüthendes Blutvergießen schien unvermeidlich. Henriot wurde bald mit Säbelhieben verfolgt, bald im Triumph daher getragen. Er selbst wußte nicht ob er den Convent angreifen, oder das Gemeindehaus vertheidigen sollte, und schwankte lange wie besessen in den Straßen umher. Er wurde endlich durch zwei Deputirte, als er das Volk anredete, und auf deren Geheiß von eben dem Volke gefangen genommen, und in den Sicherheitsausschuß gebracht. Coffinhal befreite ihn einige Augenblicke darauf. Endlich gelang es ihm, an der Spitze eines starken Trupps, die Vorposten der Tuillerien zu überwältigen. Mit einer furchtbaren Artillerie rückte er in die Höfe des Nationalpallastes ein, und drang bis in den Saal der Freiheit vor, um die Mitglieder der Regierungsausschüsse zu verhaften. Schon kündigte Collot d'Herbois, den Präsidentenstuhl besteigend, der Versammlung an, daß man eines ruhmvollen Todes sterben müsse; schon riefen alle Mitglieder der Versammlung; „Wir sind zum Tode entschlossen!“ als sich die Zuhörer auf den Gallerien der Verlassenen annahmen, Henriot und die Seinigen zurückdrängten, und alle Gefahr entfernten. Der Sieg erklärte sich von diesem Augenblicke an für den Convent. Das Gemeindehaus wurde umringt.

Gerade um diese Zeit trat Legendre, mit einer geladenen Pistole und von zehn entschlossenen Gefährten begleitet, in den Saal der Jacobiner ein. Allgemeiner Schrecken ergriff die ganze Gesellschaft. Ihr Präsident Vivier, auf welchen Legendre mit drohender Miene losging, sprang von seinem Lehnsessel und verlor sich unter der Menge. Alle drängten sich nach der Thüre zu, um die Straße zu gewinnen, weil Legendre's Begleiter ihnen verkündigten, daß Kanonen gegen den Saal im Anzuge seyen. In wenigen Augenblicken war der Saal gereinigt. Legendre verschloß ihn, und überlieferte dem Convente die Schlüssel mit eben so viel Pathos, als ein glücklicher Feldherr seinem Souverän die Schlüssel einer eroberten Stadt.

Der Henker Lyons, Collot d'Herbois, schwankte noch immer in Angst, und hatte in seinem verwirrten Berichte die Gefahr augenscheinlich vergrößert. Glücklicherweise sahen sie Tallien, Barras, Legendre und Freron mit anderen Augen an, und der Erstere sagte: „Robespierre hat uns durch seine und seiner Mitschuldigen Rebellion das einzige Mittel in die Hände gegeben, das gegen einen Tyrannen anwendbar ist, und dem Vaterlande und dem Convente die Freiheit wieder geben wird. Gott sey Dank, zu unserer Aller Heil haben wir nun nicht mehr nöthig, ihn durch das Gesetz, oder vielmehr das Revolutionstribunal richten zu lassen, wo wir sicher den Kürzern gezogen hätten; seine Empörung berechtigt uns vollkommen, ihn und alle seine Schergen außer dem Gesetz zu erklären. Laßt uns durch dasselbe Decret den rebellischen Gemeinderath vernichten. — Keine Ungewißheit mehr, laßt uns alle Sectionen aufrufen. Laßt uns einen Commandanten der bewaffneten Macht ernennen. In jedem Kampfe gegen die Tyrannei muß man der angreifende Theil seyn, das heißt sich des Sieges versichern: dieß hat uns die Revolution gelehrt:“ — Nun wurden die Decrete erlassen, durch welche Robespierre und alle seine Anhänger außer dem Gesetz erklärt wurden; Barras wird einstimmig zum Befehlshaber der bewaffneten Macht ernannt, und schwur, das Amt annehmend, nur als Sieger zurückzukehren. Andere Deputaten eilen, um die Sectionen in Bewegung zu setzen.

Der Vorsteher des Gefängnisses Luxemburg hatte indessen Robespierre und seine Freunde, den Befehlen des allgemeinen Sicherheitsausschusses zum Trotz, nicht annehmen wollen, und ein Policei-Officiant hatte den Augenblick benutzt, die Verhafteten im Triumphe erst in die Mairie, und bald darauf nach dem Gemeinde-Hause zu führen.

Der Generalmarsch rief nun alle Bürger nach dem Convente, und die Sturmglocke beschied sie auf das Stadthaus, wo der Gemeinderath war. Als aber die Sectionen die Convents- deputirten kommen sahen, vereinigten sie sich freudig mit diesen. Die von Robespierre und seinen Helfershelfern Geächteten kamen ebenfalls aus ihren Schlupfwinkeln hervor und ganz Paris setzte sich von allen Seiten her in Bewegung. Robespierre war indessen auf dem Gemeindehause und benahm durch seine Furcht Denjenigen den Muth, die herbeigeeilt waren, um ihn zu vertheidigen. Er suchte vergeblich jenen Lanzenwald, den er bei den frühern Aufständen zu sehen gewohnt war. Die Commissäre des Gemeinderaths hatten in den Vorstädten nichts bewirkt, selbst das roheste Volk war der abscheulichen Hinrichtungen müde und gab zur Antwort: „Wenn wir vor Hunger sterben, so gibt man uns das Schauspiel einer Hinrichtung von hundert sogenannten Aristokraten, unter denen oft die besten Patrioten und Sansculotten sind. Will man uns mit Menschenfleisch speisen und mit Blut tränken? — Robespierre hatte alle Freiheit und alle Menschenrechte unterdrückt, und wir sollten uns eines solchen Tyrannen annehmen?“

Da indessen noch 2 — 3000 Männer um das Gemeindehaus standen, so gab Payan noch nicht alle Hoffnung auf. Er affectirte die Decrete, welche die Erklärung außer dem Gesetz enthielten, mit Verachtung zu lesen. Die Meisten, welche darin begriffen waren, suchten ihren Schrecken durch ein erzwungenes Lachen zu verbergen. Um elf Uhr in der Nacht kam Barras, von mehreren Deputaten begleitet, mit 1800 Mann, welche ihm die Sectionen gesandt hatten, an. Er machte nun Anstalten, das Gemeindehaus zu umzingeln und alle Ausgänge zu versperren. Die Nacht verbarg die geringe Zahl seiner Streiter. Er läßt die Deerete, die er zu vollziehen kommt, laut vorlesen, und die 3000 Satelliten des Tyrannen wagen es nicht, ihn zu unterbrechen, sie denken jetzt nur noch daran, ihre Oberhäupter auszuliefern; bald hört man sie: „Es lebe der Convent“ schreien, die Kanoniere richten ihr Geschütz gegen den Gemeinderath den sie noch eben zu vertheidigen geschworen hatten. Alle andern werfen die Waffen weg und zerstreuen sich. Man dringt nun in das Gemeindehaus, wo sich die Tyrannen, gleich Räuber in einer Höhle, gefangen finden.

Um dem Schaffot zu entrinnen, drückte Robespierre eine Pistole in seinen Mund ab, wodurch er sich aber nur die Kinnlade zerschmetterte. Sein jüngerer Bruder stürzte sich aus dem Fenster, und zerschmetterte sich die Schenkelbeine. Couthon versuchte sich, unter einem Tische versteckt, durch Messerstiche zu tödten. Lebas drückte zu gleicher Zeit zwei Pistolen in seine Schläfe, und stürzte todt zu Robespierre's Füßen nieder. St. Just und Dumas wurden gefangen genommen. Henriot ward von Coffinhal, der ihm Alles zur Last legte, aus einem Fenster geworfen, und verbarg sich in einem Abzugsgraben, wo ein Gensd'arme ihn wieder fand, der ihn durch Säbelhiebe zur Ergebung nöthigte.

Die Gefangenen hatten bittere Kränkungen zu ertragen. Während Robespierre Ströme von Blut verlor, näherte sich ihm ein Bürger mit den Worten: „Es gibt ein höchstes Wesen!“ Der podagrische Couthon wurde durch Kolbenstöße in Bewegung gebracht, und die übrigen Lebendigen unter diesen Unglücklichen nicht besser behandelt. Auf einer Art von Bahre trug man den ältern Robespierre bis an die Thüre des Conventssaales, um ihn der Versammlung zu zeigen. Keiner wollte ihn sehen, und Thuriot sagte: „Fort mit dem Cadaver eines Tyrannen, weil er die Pest verbreiten kann!“ Man setzte ihn in einem von den Sälen des Wohlfahrtsausschusses ab. Hier war er Verwünschungen und Flüchen preisgegeben, während Schmerzen und Fieberschauer seinen Körper bewegten. Ohne einen Laut von sich zu geben, lag er zwei volle Stunden in derselben Stellung. Dann führte man ihn in das Hospital, Hotel-Dieu genannt, wo ein Wundarzt seine Wunde verbinden mußte, und zuletzt in die Conciergerie.

Alle, ausgenommen Lebas, der, ehe er sich erschoß, noch ausgerufen hatte: „Folgt meinem Beispiele, Feiglinge!“ hatte man lebendig bekommen. Unter ihnen war Dumas, Coffinhal, Payan, Fleuriot, der Schuhmacher Simon etc., alle hatte man mit den Waffen in der Hand ergriffen und waren folglich außer dem Gesetz erklärt. Die Mitglieder des Revolutionstribunals werden zusammen berufen und gezwungen ihre eigenen Chefs und Freunde zu verurtheilen. Der Sieg des Convents war vollkommen. Aber während sich Alles der Freude überließ, fingen die Mitglieder der Wohlfahrts- und Sicherheitsausschüsse an, eine geheime Furcht zu bekommen; das allgemeine Freiheitsgeschrei verkündete ihnen das nahe Ende ihrer Herrschaft. Unter den 200 bereits Verhafteten sind 199 ihrer Mitschuldigen! — Die Billands und Collots-d'Herbois fürchten bald das Schicksal der Dumas, Coffinhals etc. zu theilen; der Convent erhebt sich endlich von seiner langen Erniedrigung und sie müssen wider Willen die Todtesliste ihrer Helfershelfer unterzeichnen, von denen heute 21, morgen 70, übermorgen 15 umkommen sollen, und die Hand der Unterschreibenden zittert zum ersten Male.

Als Robespierre von dem Revolutionstribunale zurückkehrte, wo sein Prozeß sehr schnell gemacht war, mußte er sich durch 500 Verhaftete drängen, welchen der Schließer: „Platz dem Unbestechlichen!“ zurief. Das Schaffot wurde für ihn auf dem Revolutionsplatze, nämlich eben daselbst, wo so viele Tausende für seine Grundsätze und zur Beschleunigung seines Sturzes geblutet hatten, errichtet. Fürchterlich war der Anblick des Karrens, der ihn und seine Freunde dem Revolutionsplatze zuführte; sein Kopf war in blutiger Leinwand eingehüllt, sein Bruder und Couthon rangen mit dem Tode, Henriot war mit Wunden bedeckt, aus welchen noch das Blut rieselte. Vor Robespierre's Wohnung hielt der Karren, und eine Gruppe von Weibern umtanzte ihn mit bacchantischer Wildheit. Außer den Gebrüdern Robespierre, Couthon, St. Just, Lebas, Henriot und Dumas, wurden noch Fleuriot, Payan, Vivier, Präsident der Jakobinergesellschaft, Simon, Schuster und Erzieher des jungen Copets, und mehrere andere Mitglieder der Munizipalität hingerichtet. Couthon heult, St. Just ist erstarrt, Dumas, Coffinhal und Simon stoßen Flüche aus, die sich in dem Frohlocken der Menge verlieren. Das Volk jubelte laut in ungeheurer Masse, und noch inniger frohlockten Tallien und die übrigen Verschwornen. Die Leichname der Hingerichteten warf man in eben die Gruben, welche kurz zuvor aufgeworfen wurden, um die Körper mehrerer Hunderte von Schlachtopfern zu bedecken, die als Theilnehmer an der von Elias Lacoste angezeigten Verschwörung des Barons von Batz dem Tode geweiht waren.

„So stürzte auch Robespierre in den Revolutionen Schlund,“ sagt Buchholz, „zu dessen Erweiterung er selbst nicht wenig beigetragen hatte. Argwöhnender Parthei-Geist hat seinen Charakter verunstaltet. Es fehlte ihm an Talenten, an Genie und Einsichten. Irre geführt durch falsche Begriffe von der Bestimmung des menschlichen Geschlechts, wähnte er die Tugend, welche nur immer das Resultat glücklicher oder unglücklicher Socialverhältnisse ist, zur Stifterin einer bessern Ordnung der Dinge erheben zu können. Dieser Irrthum war die Quelle seiner Grausamkeit; denn unwidersprechlich beweisen alle seine Handlungen und Reden, daß er das Gute wollte. Sein Freiheitsfanatismus stellte ihn zuletzt an die Spitze eines großen Staats. Menschlich in dem engen Kreise eines Richteramtes, wurde er auf dem höchsten Standorte, den die Gesellschaft anweisen kann, zum Henker, weil auf demselben die Menschlichkeit nur durch Genie und Einsichten oder durch Verfassung und Gesetze gerettet werden kann, und weil in den unglücklichen Zeiten, wo Robespierre wirken mußte, selbst das größte Genie sich nur im Zusammenhalten, nicht im Organisiren zeigen konnte. Unerbittliche Strenge und die argwöhnische Eifersucht, womit er die Freiheit, sein Idol, bewachte, erregten gegen ihn den Verdacht, daß er nach der Dictatur strebe; aber sein ganzes Leben trägt den Stempel der Uneigennützigkeit, und diese unterscheidet ihn wesentlich von allen Tyrannen, welche das menschliche Geschlecht verheert haben, und macht ihn zum Einzigen in seiner Gattung. Fürchterlich war der Kampf, in welchen er mit sich selbst gerieth, als er seinen Irrthum zu ahnen begann. Ihn zu endigen, blieb er seinen Grundsätzen und seiner Rolle in einem Zeitpuncte getreu, wo sie ihn nur ins Verderben stürzen konnten. Er konnte nicht länger leben, und sein Tod war verdient; doch nicht die Art desselben. Um seinem furchtbaren Patriotismus zu entrinnen, beschuldigte man ihn des Ehrgeizes; und so fiel er unter den Dolchen der Furcht, da er eigentlich unter dem Schwerte der verletzten Menschlichkeit hätte fallen sollen.“

Robespierre war 35 Jahre alt, als er das Blutgerüste bestieg. Von mittlerer Größe und nervigtem Bau war er zu anhaltenden Arbeiten von der Natur selbst geeignet. Seine herrschende Stimmung war gefühlvoller Ernst. Die cynische Simplicität, welche in seinem Wohnzimmer herrschte, fand man in seiner Person nicht wieder; für diese liebte er sogar den Schmuck. Während der ganzen Dauer seines Aufenthalts in Paris lebte er zurückgezogen in dem Hause des Tischlers Duplair, angebetet von seinen Hausgenossen. Rousseau's Werke waren sein einziges Studium; der gesellschaftliche Vertrag dieses Schriftstellers die Grundlage der Schreckensperiode, insofern sie von Robespierre ausging. Alle seine Gedanken und Gefühle gehörten dem Staate in einem so hohen Grade, daß keiner sich seiner Freundschaft rühmen konnte, und selbst sein Bruder von ihm sagte: „Er treibe Politik mit seinem Herzen.“ Von allen seinen Anhängern scheinen außer diesem nur Couthon, St. Just und Lebas ihn einigermaßen verstanden zu haben, alle übrigen, Payan selbst nicht ausgenommen, waren mehr seine Werkzeuge, und hätten daher auch minder hart behandelt werden sollen; aber das grausame Verfahren gegen sie bewieß nur allzusehr, daß der 9. Ther- midor nicht zum Besten der tiefgekränkten Menschlichkeit herbeigeführt wurde. In wie weit die Scheußlichkeiten, welche das Revolutionstribunal in den letzten sechs Wochen von dieser Epoche verübte, auf Robespierre's Rechnung kommen, ist nie untersucht worden; aber ausgemacht ist es, daß Vadier, Elias Lacoste und mehrere andere seiner heftigsten Gegner sich in Erfindung neuer Verschwörungen am sinnreichsten bewiesen. Hieraus erklärt sich, warum in den letzten 45 Tagen nach Robespierre's Austritt aus dem Wohlfahrtsausschusse die Anzahl der unglücklichen Schlachtopfer von 577 plötzlich auf 1286 stieg.

Robespierre sagt man, sey Willens gewesen, von der Bühne zu verschwinden, auf welcher er sich so sehr ausgezeichnet hatte. So unglaublich dieß auch ist, so verdient dennoch der Grund, auf welchen sich diese Behauptung stützt, bestimmt angegeben zu werden. Er ist in einem anonymen Schreiben enthalten, welches man unter seinen nachgelassenen Papieren fand; selbst Ort und Datum sind in diesem Schreiben nicht angezeigt. Man bittet ihn darin, wegen der Sachen, die er seit dem Anfange seiner Besorgnisse überschickt habe, unbekümmert zu seyn. „Jetzt werden Sie,“ setzt der Briefsteller hinzu, „alle Vorsichtigkeit anwenden, welche die Nothwendigkeit einen Schauplatz zu fliehen, wo Sie bald zum Letztenmal erscheinen sollen, erfordert. Es ist unnöthig, Ihnen die Gründe noch einmal vorzuhalten, warum Sie in Gefahr schweben; denn der letzte Schritt, der Sie auf den Sopha der Präsidentenschaft führt, bringt Sie dem Blutgerüste näher, wo Ihnen das Gesindel ebenso gut in's Gesicht speien würde, als allen, die Sie gerichtet haben. Orleans, genannt Egalite, diene Ihnen zum Beispiel. Da es Ihnen also gelungen ist, sich hier einen hinlänglichen Schatz zu sammeln, um mit den Personen, für welche ich bereits schon Gelder von Ihnen erhalten habe, bequem zu leben; so erwarte ich Sie mit Ungeduld. Wir wollen dann nach Ihrer Ankunft über die Rolle lachen, die sie in den Unruhen einer ebenso leichtgläubigen, als nach der Neuheit gierigen Nation gespielt haben.“

Dieses Schreiben, trägt mehr den Stempel der berechneten Beleidigung, als der theilnehmenden Freundschaft, und muß daher, wo nicht für untergeschoben, doch für das Produkt eines erbitterten Gemüthes gehalten werden, welches geheime Rache suchte. Für Robespierre gab es in Europa schwerlich einen Zufluchtsort, und ein Uebermaaß von Unsinn verrieth die Voraussetzung, daß Robespierre und Pitt in Betreff der französischen Colonien im Einverständnisse gewesen seyen, und daß der erstere sich nach England hätte zurück ziehen sollen.

St. Just, ehemals Marquis von Fonteville, war ein junger Mann und von großen Talenten. Als ein feuriger Bewunderer Robespierre's schrieb er schon im August 1790 folgenden Brief an ihn: „Gegen den Strom des Despotismus und der Cabale erhalten sie das wankende Vaterland aufrecht; wie die Gottheit lerne ich sie durch Wunder kennen. Ich wende mich also an Sie mit der Bitte, meinen unglücklichen Geburtsort mit mir zu retten. Unterstützen Sie mit ihrem ganzen Talente die Adresse worin ich die Vereinigung meines Erbtheils mit den National- domänen verlange; denn nur dadurch kann mein Geburtsort in dem Besitze eines Privilegiums bleiben, ohne welches er von Hunger aufgerieben werden muß; Sie sind nicht der Abgeordnete einer Provinz, sondern der Deputirte der Menschheit und der Republik.“ Diese Bewunderung scheint ihm immer eigen geblieben und die Quelle aller seiner Uebertreibungen gewesen zu seyn. Robespierre's übrige Unglücksgefährten sind minder merkwürdig. So starben in dem kurzen Zeitraume eines Jahres die Stifter vom 31. Mai und die Koryphäen des Schreckensystems, der menschenfressende Maral durch die Hand des Heroismus, der die Ungeheuer vertilgt; der colossale Danton durch das nivellirende Beil der Gleichheit, der grausame patriotische Robespierre durch die Dolche der Furcht.