3. Der Stadtherr, wie ihn die übrigen Jäger gewöhnlich nannten, bekam Briefe aus Alabama...

Der ‚Stadtherr‘, wie ihn die übrigen Jäger gewöhnlich nannten, bekam Briefe aus Alabama, die seine Rückreise dorthin so rasch als möglich verlangten. Sein Onkel war plötzlich gestorben, er zum Universalerben eingesetzt und jetzt natürlich genötigt, die dortigen Verhältnisse, die durch eine bedeutende Sklavenhalterei noch weit mehr Aufmerksamkeit erforderten, selber zu ordnen. Er mußte also ohne Zögern zurück, und seine im Anfang langsam genug eingeleitete Werbung um die liebliche Waldblume, des alten Suttons Töchterlein, wurde nun zum raschen Heiratsantrag. Mr. Metcamp hielt noch am nämlichen Tag um des Mädchens Hand an, und wenn auch Betsy unbedingt ‚Nein‘ sagte, sprach doch der Vater, dem der jetzt um so reichere Schwiegersohn desto mehr zu behagen schien, ein um so entschiedeneres ‚Ja‘, versicherte seinem künftigen Eidam, das Mädchen ziere sich nur, wolle erst angegangen sein, und bat ihn, sich um das keine Sorge weiter zu machen.

Metcamp hätte allerdings lieber eine freundlichere Antwort der Tochter, wenigstens keine so ganz bestimmt abgeneigte gehabt; da es aber nun einmal nicht anders ging, schien er sich auch hineinzufinden, hoffte durch Freundlichkeit zuerst ihr Wohlwollen, dann vielleicht ihre Liebe zu gewinnen - wenigstens sagte er das dem Vater -, und beschloß jedenfalls an demselben Abend, an dem er den Brief erhalten, eine Art Fest zu geben, wozu sämtliche Bewohner der Ansiedlung eingeladen wurden und das er dadurch zu einer Art Verlobungsfest zu stempeln gedachte.


Der Abend kam heran, und das Gerichtshaus (ein leerstehendes und aus Stämmen roh aufgeführtes Gebäude, das in früherer Zeit einmal zu einer Gerichtssitzung gedient und davon den Namen und später auch noch das ‚Versprechen‘ erhalten hatte, bei nächster Gelegenheit zu einer Schule benutzt zu werden, jetzt aber zur Aufbewahrung des Mais diente) war zu dieser Gelegenheit gar festlich und brillant hergerichtet. Viele Pfund Wachslichter - aus dem rohen gelben Wachs gegossen, wie es die Jäger den gefällten Bienenbäumen entnehmen - erleuchteten den ziemlich großen Raum, der Boden war von allen Maishülsen gereinigt und ringsum Bänke gestellt für die Damen, wie auch ein Tisch mit einem Stuhl oben darauf in die Ecke geschoben, auf dem der einzige Musikant - ein Violinspieler - seinen Sitz nehmen sollte. Kurz, es war alles nur Mögliche angewandt, um den Raum so behaglich als tunlich zu machen, und wer am späten Abend die Fröhlichkeit der äußerst zahlreich versammelten Gäste gesehen hätte, wäre gewiß mit dem Resultat zufrieden gewesen.

Nur Betsy war traurig - sie dachte an ihren armen Ben, der jetzt wahrscheinlich draußen allein im Wald herumirrte, und wollte nicht teilnehmen an Tanz und Lustbarkeit. Nur mit Mühe wurde sie in den Tanzsaal selber gebracht, dort aber wies sie jede Aufforderung auf das entschiedenste zurück und blieb ruhig, dem fröhlichen Treiben zuschauend, auf ihrem gleich am Anfang eingenommenen Platz.

Benjamin Holik war aber nicht draußen im Wald, wie sein armes, hier in der lustigen Schar nur um so viel betrübteres Liebchen in ihrem Schmerz geglaubt. Der alte Sutton hatte ihn sogar, wie sich das übrigens von selbst verstand, da man niemand ausschloß, noch besonders dazu eingeladen, Ben jedoch die Einladung abgelehnt.

In der Nähe mußte er aber doch weilen - geschäftige Freunde brachten ihm bald die Nachricht, daß es ein Verlobungsfest sein werde, was man hier feiern wolle, und er gedachte erst noch einmal zu sehen, mit eigenen, leiblichen Augen zu sehen, daß ihn Betsy - seine Betsy - auch wirklich ganz und gar vergessen habe, und dann - ei, dann zog er nach Texas. - Onkel Sam 1) warb gerade für den beginnenden Krieg, und solche Leute, wie er war - Ben brauchte keinen Spiegel, um sich das selber zu sagen -, fanden rasche und freudige Aufnahme im Dienst.

Scheu und furchtsam, daß ihn niemand erkenne und seinen Schmerz errate, umschlich er wohl eine Stunde lang das Haus und horchte den munteren, kreischenden Tönen der Violine. Näher hinanzugehen, daß er einen Blick hineinwerfen konnte, mochte er nicht. Da kamen endlich ein paar seiner Bekannten aus dem Haus heraus, blieben vor der Tür stehen und schritten dann zusammen dicht an dem Ort vorüber, wo sich Ben versteckt hielt, ihren Wohnungen zu.

Ben drückte sich, so gut das gehen wollte, hinter den Stamm eines dort stehenden Hickory, und der eine der Männer sagte, als sie eben dicht neben ihm waren:

„Betsy hat doch, so lange sie im Haus war, keinen Schritt getanzt.“

„Den ganzen Abend noch nicht, und hat es ein für allemal rund abgeschlagen“, erwiderte der andere, „ich glaube noch nicht einmal, daß sie ihn nimmt.“

„Ah bah“, sagte der erste wieder, „da müßte man die Mädchen nicht kennen - der hat Geld, und da...“

Die weiteren Worte wurden in der Entfernung unverständlich, aber was brauchte Ben auch noch weiter zu hören. Das letzte war schändliche Verleumdung.

„Noch keinen Schritt getanzt“, jubelte der junge Jäger in sich hinein, „also doch nicht falsch, doch nicht treulos, doch ihren Ben nicht vergessen - aber - was kann’s dir auch helfen, armer Ben - du hast doch kein Glück - Betsy ist für dich verloren - und wenn sie dich nicht vergessen könnte - ach, dann wär’s nur so viel schlimmer für sie - besser für dich selber aber nimmer!“

Die Büchse, die er nicht weit von da in einen dichten Busch hineingestellt, hob er vom Boden auf, noch einen Blick nach dem hellerleuchteten Haus warf er zurück, und still und schweigend wanderte er den Fußpfad entlang dem nächsten Hügelrücken zu. Es litt ihn - die Nacht wenigstens - nicht in der Ansiedlung, und er wollte draußen am Feuer schlafen.

Ein Platz war endlich an einer klaren Quelle, die hier dem felsigen Boden rein entquoll, gefunden, eine Flamme entzündet, und in die Decke gehüllt lag er, den Kopf auf einen untergeschobenen Stein gelegt, und schaute sinnend und ernst zu den freundlich auf ihn niederblitzenden Sternen empor.

Im Wald war es merkwürdig still, selbst die Frösche quakten nicht so toll und wild durcheinander, wie er das sonst wohl gehört, den leisen Schritt des Opossums, das zu nächtlichem Hühnerraub nach den bewohnten Ansiedlungen schlich, konnte er deutlich und bestimmt hören, und dort hinten - er hob den Kopf und lauschte einen Augenblick - wahrlich, es war ein Wolf, der weit drüben auf dem scheidenden Gebirgsrücken sein klägliches Abendlied heulte.

„Winsele nur, Bestie“, murmelte er endlich und sank in seine frühere Stellung zurück, „winsele, aber bleib mir außer Schußnähe; auf deinesgleichen und auf - noch einen hätt ich besonders heut abend Appetit.“

Eine halbe Stunde lag er wohl noch so und suchte seine Gedanken wieder auf die früher durchträumten Pläne zu richten - es war aber nicht möglich - das immer näher und näher kommende Geheul des Wolfs lenkte seine Aufmerksamkeit immer wieder dorthin, und jetzt - Alle Wetter, das war gar nicht so weit entfernt! - antwortete eine andere Stimme aus einer hinter ihm liegenden Schlucht, wo auch, wie sich bald auswies, das ganze Rudel steckte.

Er sprang rasch von seinem Lager auf und griff nach der Büchse; der Mond stieg eben hinter den düsteren Schatten der fernen Bergketten hell und freundlich empor - die alte Jagdlust erwachte und verdrängte für den Augenblick wenigstens jeden anderen Gedanken.

Er befand sich auf einem äußerst günstigen, ziemlich offenen und vom Mond hell beschienenen Fleck, und zwar gerade mitten zwischen dem Rudel und dem vereinzelten, jetzt zu diesem zurückkehrenden Wolf - das Feuer war niedergebrannt, und die noch glimmenden Kohlen schreckten die Bestien auch nicht ab, da fortwährend brennende Stämme im Wald liegen und Hirsch und Wolf daran gewöhnt sind, Feuer auf ihrem Pfad zu finden. Ein vom Wind niedergeworfener Stamm, der die Höhe hinunter, nach dem Tal zu lag, gewährte ihm dabei einen trefflichen Hinterhalt.

„Wart, Kanaille“, murmelte er, griff seine Büchse auf und glitt hinter den Stamm, „komm mir nur aus dem Busch vor und freu dich dann auf Ben Holiks Kugel.“

Er hob sein Gewehr auf den Stamm, richtete die Mündung nach der Gegend zu, von der er den einzelnen Wolf erwartete - denn das Rudel bleibt in solchem Fall gewöhnlich so lange auf dem einmal behaupteten Platz, bis der Vereinzelte dazugestoßen ist - und harrte dann lange und geduldig - der Wolf wollte sich aber immer noch nicht sehen lassen.

Sollte die Bestie etwas gemerkt haben - aber der Wind war doch günstig. Holik ließ seine Büchse auf dem Stamm liegen, hielt beide Hände trichterförmig an den Mund und heulte kläglich. Der Laut war täuschend ähnlich nachgeahmt und schallte gar wehmütig durch den düsteren Wald. Wenn auch keine Stimme von dort, wo der einzelne Wolf sein mußte, antwortete, so war Ben doch ein viel zu alter Jäger, um nicht auf der Hut zu sein oder sich durch Übertreibung einen einmal gewonnenen Vorteil zu verderben. Leise griff er wieder nach der Büchse, blieb ruhig im Anschlag liegen und erwartete das Resultat.

Das sollte auch nicht lange ausbleiben. Der Wolf antwortete allerdings nicht mehr, aber nur, weil er zu nahe war, und als Ben mit gespannter Aufmerksamkeit selbst dem leisesten, unbedeutendsten Geräusch lauschte, hörte er plötzlich im trockenen Laub der benachbarten Baumgruppe rasche, aber vorsichtige Schritte. - Trap, trap, trap, trap - und das Tier stand noch einmal - es windete wieder. Hatte es vielleicht den Rauch in die Nase bekommen? Der Wolf betritt übrigens jedesmal vorsichtig einen freien Platz, weil er wahrscheinlich nicht allein Gefahr fürchtet, sondern auch vielleicht selber nach Beute ausschaut. Ben konnte genau von wo er stand die Schritte hören, den Platz selber aber noch nicht mit seinem Blick durchdringen, wagte deshalb auch nicht, sich zu bewegen, weil er nicht wissen konnte, ob des Raubtiers Augen nicht gerade in diesem Moment dorthin gerichtet waren, wo er lag. Heulen durfte er auch nicht wieder - die Entfernung mußte jedenfalls zu gering sein, als daß die scheue Bestie nicht den Betrug hätte merken und den raschen Rufer erkennen sollen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als jetzt ruhig und regungslos abzuwarten, bis das Tier ins Mondlicht hinaustreten würde.

Da wurde plötzlich hinter ihm, ein klein wenig nach rechts, das Rudel wieder laut, und ein triumphierendes Lächeln zuckte über Bens Antlitz - es machte aber auch ebensoschnell einem Ausdruck peinlicher Spannung Platz, denn in dem nämlichen Moment schon trat der Wolf, der durch den letzten Lockton bestimmt schien, aus dem düsteren Schatten vor auf den freien, nur mit einzelnen Bäumen bewachsenen Raum.

Bens Herz schlug fast hörbar, aber sein Arm lag fest wie Eisen - ruhig richtete er das todbringende Rohr nach dem Feind und suchte, mit dem scharfen Blick dessen dunkle Gestalt auf das Korn seiner Büchse zu bringen. Doch vergebens - in dem matten, ungewissen Licht schmolz Korn und Ziel so ineinander, daß er ums Leben nicht hätte genau bestimmen können, wo die Kugel sitzen würde, und fehlen - nein, das durfte er nicht.

Vorsichtig hob er den Lauf gegen den helleren Himmel, wo er das Korn deutlich gegen einen der funkelnden Sterne konnte abstechen sehen, legte sich dann fest in den Kolben, fuhr nieder, und sowie er die Gestalt des noch immer regungslos und jetzt seitwärts ins Tal schauenden Tieres voll im Korn hatte, berührte sein Finger den Drücker.

Der Schuß schmetterte dröhnend durch den Wald, und Ben sprang blitzschnell empor.

„Siehst du, Kanaille“, sagte er da, als er den dunklen Körper regungslos im vom Mondlicht hell beschienenen Laube liegen sah, „siehst du - ich habe dir’s prophezeit. - Das ist doch wenigstens ein Trost, einem solchen herumschleichenden Schuft das Handwerk gelegt zu haben. Panther und Bären - ich wollte, daß Gottes Strahl all das Lumpengesindel träfe, das so wie du, Bestie, das Licht scheut, im Dunkel herumschleicht und Unheil anrichtet, wohin es den Fuß gesetzt und seinen Atem gehaucht!“

Ben war bei diesen Worten, die er mit fest zusammengebissenen Zähnen in den Bart murmelte, ruhig auf seinem Platz stehengeblieben und hatte, nach Jägerart, vor allen Dingen die Büchse wieder geladen, hob sie jetzt mit einem noch leise gemurmelten Fluch auf die Schulter und schritt langsam der Stelle zu, wo der so glücklich erlegte Feind im Laub ausgestreckt lag.

Es war ein großer, kräftiger Wolf, kohlschwarz und nur mit dem einen kleinen, herzförmigen weißen Fleck auf der Brust, der im Mondlicht ordentlich zu glühen schien. Die Kugel mußte ihm gerade durch den Kopf gefahren sein - er rührte und regte sich nicht.

„Ich habe ihn nicht einmal zucken sehen“, sagte der Jäger leise und bog sich zu ihm nieder, um nach dem Kugelloch zu fühlen. Über den ganzen Kopf strich er hinüber und herüber, dort war aber nichts, auch kein Schweiß - und die gegen das Mondlicht gehaltene Hand weiß und rein. „Wunderlicher Schuß!“ brummte der Jäger. „Ei, zum Henker, es ist einerlei, wo die Kugel sitzt, wenn sie nur sitzt, und da ich den Schuft... Hallo!“ unterbrach er sich plötzlich. „Lebt der Bursche noch?“

Er stand mit gespannter Aufmerksamkeit, die Büchse im Anschlag, jede Bewegung des Raubtiers beobachtend, und allerdings gab dies jetzt wieder Lebenszeichen von sich, warf einmal den Kopf auf und schnellte sich dann auf dem linken Vorderlauf in die Höhe.

Ben hatte aber schon zuviel Wild erlegt, als daß ihn diese Bewegung auch nur einen Augenblick länger über den Zustand des Wolfs im Zweifel lassen konnte. Im ersten Augenblick fuhr er allerdings noch einmal, und wie unwillkürlich, mit der Büchse an die Backe - das war aber auch nur ein Moment - im nächsten warf er sie fort und sprang plötzlich in keckem Mut auf das von der Minute an sich wieder ganz kräftig und rasend sträubende Tier.

„Hoho, mein Bursche!“ rief der junge Jägersmann dabei und lachte mit wilder Freude in sich hinein, während er seinen Arm mit eiserner Gewalt um den wütend dagegen ankämpfenden Körper des Wolfes schlang. „Hoho - einfach gecreast 2) - hahahahah - ja, strample nur, strample nur, Herz, der Falle entgehst du nicht - wenn du nicht imstande bist, aus der Haut zu rutschen.“

Das Tier, das nun sein volles Bewußtsein wiedererlangt hatte, schien jetzt erst zu begreifen, in welcher höchst mißlichen Lage es sich eigentlich befinde, und suchte mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft um sich zu beißen und durch Treten und Kratzen seine Freiheit wiederzugewinnen. Doch vergebens, Ben hielt es wie in einem eisernen Schraubstock und drückte sich dabei so mit dem ganzen Gewicht seines schweren Körpers darauf, daß der arme, also ertappte Wolf endlich, und als auch seine Kräfte vollständig erschöpft waren, wenigstens für kurze Zeit ruhig liegen mußte.

Was aber nun tun? - Den Wolf töten? Das wäre allerdings mit nur wenig Schwierigkeiten verknüpft gewesen, denn Ben trug sein haarscharfes Jagdmesser im Gürtel. Aber war nicht jetzt sein Ziel erreicht? - Einen lebendigen, gesunden, unbeschädigten Wolf wollte er haben, und den hielt er in diesem Augenblick hier unter sich so fest, als ob er ihn im Leben nicht wieder loslassen wollte. Doch wie ihn binden und festhalten? Nicht einmal einen Lederriemen führte er bei sich, nichts als seinen Gürtel, und wie hätte er es überhaupt wagen dürfen, auch nur den Versuch zu machen? Ließ er dem Wolf nur ein wenig Luft, so gab es nachher einen Kampf, in dem er ihn entweder ernstlich beschädigen oder gar freilassen mußte - das eine fast so schlimm wie das andere. Und das schwere Tier bis zur Ansiedlung tragen? - Er hätte ohne den Wolf eine halbe Stunde gebraucht, um sie zu erreichen - viel weniger mit ihm - aber es blieb ihm weiter keine Wahl.

„Entweder - oder“, murmelte er, „du oder ich, Bursche, und so mag denn der Abend über mein Glück, über mein Unglück entscheiden. Zum Teufel auch, habe doch schon manchen starken Hirsch getragen, der noch einmal so schwer war wie du hier, und das bloß um des elenden Wildbrets wegen - werden mir heute die Kräfte nicht versagen, da es das Höchste - oder doch wenigstens einen Triumph über den schurkischen Feind - gilt.“

Und mit dem raschen Entschluß nahm er seinen Halt fest um das sich jetzt wieder mit rasender Wut sträubende Tier, brachte den rechten Fuß unter sich und stand, die Schulter gegen einen kleinen stehenden Gumbaum stützend, langsam auf. Er hatte den Wolf mit dem Rücken gegen sich, mit dem linken Arm zwischen den beiden Vorderläufen durch gepackt und den rechten Arm ihm fest um die Weichen geschlagen und hielt ihn so eng zusammengepreßt, daß er ihm mit seinen Zähnen gar nicht schädlich werden konnte.

Die Büchse mußte er natürlich zurücklassen, auch die Mütze war ihm bei dem Ringkampf entfallen, doch das hinderte ihn nicht; mit fest zusammengebissenen Zähnen und zum Äußersten entschlossen, wanderte er, seine wunderliche, sich unaufhörlich sträubende Last im Arm, Schritt für Schritt weiter - der fernen Ansiedlung zu.

Im alten Gerichtshaus herrschte indessen noch immer laute, lärmende Fröhlichkeit, Bowle nach Bowle wohlschmeckenden süßen Stewes war gebraut und der Raum endlich durch Kerzen, Trunk und Tanz so heiß geworden, daß man selbst das kleine, nach dem Holz hinausführende Fenster öffnete, um nur frische Luft hereinzubekommen.

Die Töne der Violine schwirrten immer rascher und gellender in Jigs und Hornpipes, die Füße der Tänzer klapperten immer behender auf dem schon blankgescharrten Boden; Metcamp war besonders ausgelassen lustig, er nannte die arme Betsy - die sich übrigens hartnäckig weigerte, weder mit ihm noch einem der anderen Gäste zu tanzen - nicht anders als sein ‚süßes Bräutchen‘, umarmte den alten Sutton ebenfalls zweimal als ‚Schwiegerpapa‘ und wußte seiner Ausgelassenheit gar keine Grenzen.

Eine kleine Unterbrechung hatte indessen stattgefunden; ‚Lord Howe’s Hornpipe‘ war eben beendigt, und einige Erfrischungen wurden herumgereicht. Betsy, die auf ihres Vaters Befehl die Bedienung überwachen mußte, saß unfern dem Eingang, nicht weit vom Schenktisch, und Metcamp, der sich dicht neben sie gestellt, flüsterte ihr eben einige fade Schmeicheleien ins Ohr, die ihr die zornige Röte auf die Wangen trieben, als plötzlich etwas mit gewaltigem Poltern von außen gegen die Tür schlug.




1) Onkel Sam - Uncle Sam U.S. - Scherzname für die United States - Vereinigten Staaten
2) ‚Creasen‘ nennt der amerikanische Jäger den Schuß über dem Rückgrat oder noch häufiger Hals eines Wildes, wenn die Kugel an die oberen Halssehnen oder Muskeln gedrückt hat, ohne sie zu durchschneiden, was das Tier augenblicklich zu Boden wirft, aber nur für den Moment betäubt und nicht im mindesten beschädigt. Nach sehr kurzer Zeit erholt es sich gewöhnlich wieder, und wenn der Jäger dann nicht schnell mit der Büchse oder dem Messer bei der Hand ist, springt es wieder auf und ist nicht selten weit aus dem Bereich der Kugel, ehe der verblüffte Schütze, der sich seine schon sicher geglaubte Beute auf einmal wieder entgehen sieht, seine Sinne gesammelt hat. Die westlichen Indianer fangen auch mit diesem Schuß die wilden Pferde, wobei natürlich mehr erschossen als gefangen werden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Wolfsglocke