Die Weltkunde in einer planmäßig geordneten Rundschau der wichtigsten neueren Land- und Seereisen

Die Piratenküste
Autor: Harnisch, Wilhelm Dr. (1787-1864) deutscher Theologe und Pädagoge, Erscheinungsjahr: 1853
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Piratenküste, Piraten, Nordafrika, Arabien
Die Küste des persischen Golfs westlich vom Cap Musendom bis nach Bahrein hin ist die sogenannte Piratenküste, wo seit den ältesten Zeiten Seeräuber gehaust haben. Der Besitz einiger Häfen in und bei dem Eingange des persischen Golfs setzte sie in Stand, jedes vorübersegelnde Fahrzeug zu bemerken und zu überfallen. Ihre Räubereien beschränkten sich nicht auf diese Gegend, auch die ganze Südküste von Arabien bis zum roten Meere und der nördliche Teil von Indien war ihren Plünderungen ausgesetzt. Den Portugiesen waren sie während ihrer kurzen Herrschaft in Indien eben so lästig, als den Engländern in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Ihrer Kühnheit kam nur ihre Tapferkeit gleich. Weiber wurden geschont, jeder Moslim, wenn er nicht Widerstand leistete, kam mit dem Leben davon, aber der Ungläubige musste sterben oder auf der Stelle Moslim werden. Ein englisches Schiff stieß einst im Jahre 1808 auf eine Flotte dieser Seeräuber und wurde nach der gewöhnlichen Taktik derselben durch Entern genommen. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch von Seiten des Kapitäns, sich mit dem Schiffe in die Luft zu sprengen, begann das Schlachten der Opfer. Das Schiff wurde erst mit Wasser und mit Wohlgerüchen gereinigt, dann wurden die gebundenen Gefangenen einzeln vorn auf den Gang des Schiffes gebracht. Dort trat einer der Piraten vor und schnitt ihnen die Kehle ab unter dem Ausruf, dessen sie sich beim Schlachten des Viehs bedienten: allahu akbar (Gott ist groß!) Bei solcher Grausamkeit waren sie sich ihres Schicksals im Falle eines Unglücks wohl bewusst und ergaben sich dann ruhig in ihr Los. Als man einst nach einem Kampfe mit ihnen die Gefangenen fragte, was für eine Behandlung sie erwarteten, war ihre feste und entschlossene Antwort: „Den schnellen Tod, den wir euch gegeben hätten, wenn uns euer Glück geworden wäre.“ England hatte zu lange die Räubereien ertragen, endlich im Jahre 1809 wurde eine Expedition gegen sie abgeschickt. Ihr festester Platz Ras el Chaima und mehrere andere Häfen wurden erobert, eine Menge ihrer Fahrzeuge verbrannt. Für einige Zeit hatte dies die beste Wirkung, aber bald setzten sie die Häfen wieder in Stand und kehrten zu ihren Räubereien zurück. Um diese Zeit trieb das Waffenglück Mehemed Alis und der Fall von Dereijje viele Wahjâdis nach der Seeküste, wo die verschiedenen Stämme schon ihren Glauben angenommen hatten. Für ihren unruhigen und kühnen Geist hatte das abenteuerliche Seeräuberleben allen Reiz, sie vertauschten gern die Sandwüste mit der Wüste des Meeres und schlossen sich in solcher Menge an die Piraten an, dass ihre Macht bald furchtbar wurde. Die ganze Küste von Arabien bis zum roten Meere und die nördlichen Küsten von Indien wurden in Schrecken gesetzt, zahlreich und verzweifelt waren die Kämpfe, die sie mit den indischen Schiffen hatten, keine Niederlage konnte sie beugen. Da erlaubte endlich die Beseitigung der Verwickelungen in Indien den Engländern im Jahre 1819 eine neue Expedition gegen die Seeräuber zu unternehmen. Ras el Chaima Schardscha und die andern Häfen gerieten wieder in unsere Hände, die Forts wurden geschleift und alle ihre Fahrzeuge verbrannt. Vollständig ward aber der Sieg erst durch die genaue Aufnahme der Küsten des persischen Golfs im Jahre 1828, wodurch die sämtlichen Schlupfwinkel der Seeräuber uns bekannt wurden. Jetzt, da die englischen Schiffe ihre Küste „aufschrieben,“ wie sie sich ausdrückten, verloren sie das Gefühl der Sicherheit und fingen nun an, ihre Tätigkeit auf Handelszwecke zu verwenden. Alle ihre Städte sind wieder aufgebaut und vielleicht größer als zuvor, und nie vielleicht seit den ältesten Zeiten hat die Barke des Kaufmanns an diesen Küsten gleichen Schutz genossen, wie in unsern Tagen. Trotz ihres Reichtums und ihres beständigen Verkehrs mit Indien und Persien sind sie bei der Einfachheit der Beduinen-Lebensweise geblieben und ihre Regierungsweise durch die Schechs ist gleichfalls nicht verändert. Sie selbst stellen sich weit über die Beduinen und städtischen Araber. Die letztern, vorzüglich die aus Oman, sind bei ihnen so verachtet, dass ihnen ein „Maskati“ mit einem verworfenen Feigling so ziemlich gleichbedeutend ist. Sie sind größer, schöner, meist muskulöser, als jene, und zum Teil wahre Muster von kräftigen Figuren. Wenn sie nicht mit ihren Nachbarn Krieg haben, beschäftigen sie sich mit dem Fischfang oder der Perlfischerei. Die bedeutendsten Stämme der Piraten sind die Dschewâsimi und die Beni As. Erstere besitzen nicht nur alle Haupthäfen auf der arabischen Seite des Golfs, sondern haben sich auch auf der persischen Küste festgesetzt, wo sie einige große Städte und blühende Dörfer haben. Ras el Chaima ist die Residenz des Häuptlings.