Die Weltherrschaft der Baumwolle. Mit sechs Bildern von O. Haeckel

Autor: Dr. H. Selenka, Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Landwirtschaft, Baumwolle, Sklaven, Engländer, Kolonien,
„Die Baumwolle ist König,“ sagt der geschäftskundige Engländer von dieser wichtigsten Gespinstpflanze, die viel zu seiner Macht und Größe beigetragen. Vier Fünftel der gesamten Menschheit, mehr als zwölfhundert Millionen, kleiden sich mit ihren zarten Fasern. Die Baumwolle gehört nach ihrem Blütenbau zu den Malven. Sie findet sich in etwa zweiundvierzig Arten als ausdauerndes Kraut, strauchartig und als bis fünf Meter hoher Baum in allen Tropenländern, doch wurde sie im Lauf der Zeit durch Kreuzung derart abgeändert und veredelt, dass es kaum möglich ist, die Stammform der unzähligen Spielarten noch festzustellen. Fast sechshundert Sorten zeigten allein die Vereinigten Staaten von Nordamerika im Jahre 1900 auf der Pariser Weltausstellung. Im Handel unterscheidet man hauptsächlich nur amerikanische und indische Baumwolle, da beide Länder als Produzenten an erster Stelle stehen. Allein die Südstaaten von Nordamerika, die im unteren Mississippital den lockeren sandigen Boden und das feuchtwarme Klima haben, das die Baumwolle braucht, liefern ja über zweiundsechzig Prozent der gesamten Welternte, die sich 1914 auf 25.484.000 Ballen zu je 250 Kilo bezifferte. Dann folgt Ostindien mit fünfzehn Prozent, China und Japan mit etwa zehn und Ägypten mit rund acht Prozent, während die anderen Länder insgesamt nur vier Prozent zu Markte bringen, wobei die Ernten Griechenlands, der Türkei, Italiens und Spaniens kaum in Betracht kommen. So riesengroß diese Erträge, wie sie nächst dem Getreide keine andere Gabe der Natur mehr aufweist, auch erscheinen mögen, so fordert doch der ständig wachsende Bedarf, der bald nicht weniger als vierzig Millionen Ballen fordern dürfte, noch immer weitere Steigerung der Zufuhr. dass dem entsprochen werden könnte, beweist die sprunghaft aufschnellende Statistik der vergangenen Jahre, die durch die Tatsache, dass der Ertrag unserer afrikanischen Kolonien kurz vor dem Kriegsausbruch um mehr als das Vierzigfache stieg, wehmütige Erinnerungen weckt. Nach sachverständigem Urteil könnten Brasilien, Mexiko und Argentinien, dazu auch China-Japan nach Überwindung gegenwärtiger Krise das Zwanzig bis Dreißigfache der bisherigen Erträge liefern und damit ernste Konkurrenten der Vereinigten Staaten werden. In unserer Zeit stellen sich der Ausdehnung der Anbauflächen große Schwierigkeiten entgegen.

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Wie steht es um diese Kultur in dem uns nächstgelegenen Baumwollland Ägypten? Dort sät man im März, indem man in Abständen von einem halben Meter bis zu zehn Samen in den gepflügten und bewässerten Boden senkt, damit die Keimlinge das rasch erhärtende Erdreich mit vereinter Kraft durchbrechen. Die aufgehende Saat wird wieder überflutet, worauf in jedem Setzloch zwei der kräftigsten Pflanzen belassen und etwa alle zwei bis drei Wochen neu berieselt werden. Der Boden wird öfters mit der Hacke gelockert und wiederholt gedüngt, besonders mit der kieselhaltigen Asche von verbrannten vorjährigen Stauden. Im Juni prangen die Felder im Blütenschmuck, der sich von dem dunkelgrünen, weinblattförmigen Laub abhebt, und dem drei Monate darauf die lang sich hinziehende Ernte folgt. Nun regen sich unzählige Hände, die blendend weiße Wolle, in der die Samen eingebettet liegen, aus den aufspringenden Kapseln herauszuzupfen. Je nach der Sorte liefern fünfhundert bis achthundert dieser walnussgroßen Früchte ein Kilo Fasern von ein bis fünf Zentimeter Länge, wobei ein Hektar höchstens sechs Zentner Wolle einbringt. Diese wird mit Maschinen von den noch anhaftenden Kernen befreit, die ausgepresst das sogenannte Kottonöl ergeben, das außer Speisezwecken der Herstellung von Seifen dient, während der eiweißreiche Rückstand ein Kraftfutter für Rinder liefert. In den Hafenstädten werden die Ballen dann mit Dampfpressen auf möglichst kleinen Raum gebracht, mit Bandeisen verschnürt und so verfrachtet, wofür reichlich fünftausend Schiffslasten zu je fünftausend Ballen nötig sind. Der wichtigste Hafen für Baumwolle ist in Europa Liverpool, dem vor 1914 Bremen folgte, das einen großen Teil des festländischen Marktes an sich Zog, wenn Deutschlands Textilindustrie auch erst an dritter Stelle stand; 1912 überstieg unser Bedarf an Baumwolle schon zehn Millionen Zentner! Damals schnarrten bei uns nicht weniger als 10.726.000 Spindeln, die größte Zahl des europäischen Festlandes, während die Vereinigten Staaten etwa dreimal und England mehr als fünfmal so viel besitzen. Im Färben und Bedrucken, desgleichen in der Zahl der Muster, stand aber unser Vaterland an der Spitze. In der Geschichte der Weltwirtschaft steht der Aufschwung der Baumwollindustrie einzig da, von der mindestens fünfundzwanzig Millionen Menschen leben! Um 1700 betrug Englands Verbrauch neuntausend Doppelzentner, heute mehr als neun Millionen. Amerika, der jetzige Hauptproduzent, begann erst 1770 seine Baumwollzucht, für die es sich den Samen aus Smyrna kommen ließ, weil es die bei ihm wildwachsenden Pflanzen missachtete. Zur selben Zeit etwa fertigte man in England die ersten, rein baumwollenen Gewebe, deren Rohstoffe aus der Levante, aus Cayenne und Surinam kamen, und heilte beherrschen sie den Weltmarkt! Was die Baumwolle erst zum Allgemeingut machte, waren die wohldurchdachten Spinn- und Webmaschinen findiger Köpfe, die damit ihrem Vaterlande große Dienste leisteten. Als dann die Dampfkraft seit 1820 immer mehr zur Anwendung gelangte, da ging's mit Riesenschritten vorwärts, so dass kurz vor dem Kriege auf der ganzen Erde schätzungsweise 140.690.000 Spindeln und 2.650.000 Webstühle arbeiteten, um all die Kleiderstoffe, Segel- und Hemdentuche, Schleierzeuge, Schirm- und Gardinenstoffe sowie Zwirne und Garne herzustellen, deren die Welt bedarf. Bei so vielseitiger Verwendung, die Riesenkapitalien in Umlauf setzt und Millionen fleißiger Hände Arbeit gibt, ist Sicherung der Rohstoffzufuhr eine der ersten volkswirtschaftlichen Aufgaben und daher Pflicht jedes Staates. Alle Nationen suchen denn auch den Bedarf möglichst aus eigenen Kolonien zu decken, um der nicht ungefährlicher: Abhängigkeit in der Baumwollversorgung durch Amerika nach Kräften zu begegnen. Trotzdem sind die Aussichten des Baumwollmarktes für die nächsten Jahre äußerst trübe. Wie wir dem „Tropenpflanzer“, dem Organ des 1900 von der Regierung begründeten Kolonialwirtschaftlichen Komitees, entnehmen, sind höchstens fünfzehn Millionen Ballen zu erhoffen, während der ständig steigende Bedarf bald vierzig fordern wird. Der Grund der auffallenden Erscheinung ist einmal in dem überaus gewachsenen Selbstverbrauch der Baumwolle erzeugenden Länder zu suchen, dann aber im ständigen Rückgang der Erträge von denselben Anbauflächen in Amerika, wozu noch die Verheerungen eines unscheinbaren Rüsselkäfers kommen, der seine Eier in die Kapseln legt, worauf die Maden deren Inhalt fressen. Die seine Sea-Island-Wolle ist durch ihn schon ganz vernichtet, so dass die Farmer, die 1912/13 noch eine wahre Glücksernte von 12.138.000 Ballen hatten, sich heute wieder mehr und mehr, zumal die Unkosten infolge hoher Arbeitslöhne um das Zwölffache für ein Pfund Baumwolle stiegen, der allgemeinen Landwirtschaft zuwenden. Um das Unglück voll zu machen, beginnen auch die Baumwollpflanzen zu entarten, wohl eine Folge der durch den Krieg gehemmten Zufuhr von Kali, deren sie bedürfen. Frankreich suchte diesen Umstand schon für die elsässischen Kaliwerke auszunützen, doch rächt sich jetzt die Ausweisung der mit dem Abbau wohlvertrauten Arbeiter. So dürfte denn wohl Deutschland dieser Bodenschätze wegen noch immer mehr umworben werden, ein wahres Glück bei seiner ständig fortschreitenden Geldentwertung, die jede Zufuhr schließlich lähmen würde. Auch Indiens durch unzweckmäßige Bewässerung stets schwankende Ernte hat sich vermindert, zumal die Eingeborenen, die früher barfuß liefen, jetzt Schuhe und Strümpfe tragen, Was einen ungeheuren Mehrbedarf bedingt. Und in Ägypten weigern sich die Pflanzer, die hohe Pacht zu zahlen, und fordern, dass die Landbesitzer sie teilweise tragen, da neben Misswuchs und Entartung vor allem die gestiegenen Löhne den Gewinn derart verringern, dass viele lieber Zuckerrohr anbauen, weil dessen Ernte weniger Arbeitskräfte fordert, vor allem aber die Regierung auf Jahre hinaus dafür hohe Einnahmen garantiert. Die Aussichten der Baumwollversorgung sind umso niederdrückender, als auch die Reserven in Europa und Asien erschöpft sind. In England spricht man schon von einem Baumwollhunger und meint damit jenen Tiefstand in der Belieferung, wie er beispielsweise nach dem unglückseligen Bürgerkrieg der Nord- und Südstaaten Amerikas einsetzte, der den Schandfleck der Menschheit, die Sklaverei, die der Plantagenbau, vor allem auch der viele Arbeitskräfte fordernde Anbau der Baumwolle, hervorgerufen hatte, mit Strömen Blutes tilgte. Erst 1873, ein Dezennium später, ward diese schwere Krise überwunden, Nordamerika lieferte mehr Baumwolle als je zuvor und übernahm damit die bisher umstrittene Führung im Welthandel. —

Auch jetzt und in den kommenden fünf bis zehn Jahren wird der Preis für Baumwolle ungeahnte Höhen erreichen, die Industrie aber gleich manchem, der einst bessere Tage kannte, von der Hand in den Mund leben. Das zwingt uns bei dem Tiefstande der Valuta zu größter Sparsamkeit. Der einzelne muss deshalb darauf sinnen, seine baumwollenen Schätze möglichst zu schonen, und besonders bei der Wäsche auf beste Behandlung sehen. Der Fabrikant sollte, wie Alfred Schmidt in „Technik und Wirtschaft“ mit Recht betont, zum Wohl der Allgemeinheit mehr denn je darauf bedacht sein, die Haltbarkeit der Fasern nicht zu gefährden und jede unnütze Verteuerung zu unterlassen. Dazu gehört die sogenannte Appretur der Stoffe, die letzten Endes nur der augenblicklichen Verschönerung und dem Verdecken von Fehlern dient. Da diese ganze Zurichtung oft schon beim ersten Waschen wieder schwindet, ist es verlorene Liebesmüh, wenn es nicht gar um solche Zusätze sich handelt, die, wie das Chlormagnesium, beim Bügeln Salzsäure entwickeln und die Fasern zerstören. Des Weiteren ließe sich neben möglichster Ausnützung einheimischer Gespinstpflanzen doch wohl der zarte Filz, wie ihn etwa die Pappel und das Wollgras bieten, als Polstermaterial und Watte brauchen oder zur Herstellung von Schießbaumwolle, dem Ausgangspunkt so mancher Industrie, verwerten, um den Bedarf an teurer Baumwolle etwas herabzusetzen. Die Nachfrage wird gleichwohl derart sein, dass man sagen darf, der langsam, aber ständig wachsende Konflikt zwischen Amerika und Japan-China, die bei Anspannung aller Kräfte gleichfalls imstande sind, den kommenden Bedarf zu decken, bedeute letzten Endes den Weltstreit um die Beherrschung der Baumwolle.

Die auf dem Felde gesammelte Baumwolle wird nach der Faktorei gebracht
Baumwollernte in Amerika.
Indischer Baumwollreiniger.
Baumwollpresse in Togo (Ostafrika).
Verladen der Baumwollballen in Ostafrika nach den Stapelplätzen

Baumwolle, Baumwollpresse in Togo, Ostafrika

Baumwolle, Baumwollpresse in Togo, Ostafrika

Baumwolle, Bauwollernte in Amerika

Baumwolle, Bauwollernte in Amerika

Baumwolle, Die auf dem Feld gesammelte Baumwolle wird nach der Faktorei gebracht

Baumwolle, Die auf dem Feld gesammelte Baumwolle wird nach der Faktorei gebracht

Baumwolle, Eine aufgebrochene Baumwollblüte

Baumwolle, Eine aufgebrochene Baumwollblüte

Baumwolle, Indischer Baumwollreiniger

Baumwolle, Indischer Baumwollreiniger

Baumwolle, Verladen der Baumwolle in Ostafrika nach den Stapelplätzen

Baumwolle, Verladen der Baumwolle in Ostafrika nach den Stapelplätzen