Papst Benedikt XI. wird vergiftet

So ging Bonifaz nach einem Pontifikat von neun ereignisvollen Jahren unter. Seine Geschichte und sein Geschick zeigen, welchem Abgrunde sich das römische Christentum näherte. Sein Nachfolger, Benedikt XI., hatte nur einen kurzen Genuss der Macht, allein lang genug, um zu erfahren, dass der Hass des Königs von Frankreich mit dem Tode Bonifaz' nicht erloschen und dass er entschlossen sei, nicht nur das Andenken des geschiedenen Papstes über das Grab hinaus zu verfolgen, sondern auch eine gründliche Veränderung im Papsttum selbst zu bewirken. Benedikt wurde ein Korb mit Feigen von einem verschleierten weiblichen Wesen überreicht. Sie hatte sie, wie sie sagte, von der Äbtissin von St. Petronilla gebracht. In einem unbewachten Augenblick aß der Papst davon, ohne die herkömmliche Vorsicht, sie zuvor kosten zu lassen. Eine Dysenterie trat ein, binnen wenigen Tagen war er tot. Aber die Colonnas hatten den König von Frankreich bereits gelehrt, wie man arbeiten müsse, um das Papsttum zu treffen; das eben vorgefallene Ereignis war die Vorbereitung zur Ausführung ihres Rates. Der König kam zu einem Einverständnis mit Bernhard de Goth, Erzbischof von Bordeaux. Sechs Bedingungen wurden zwischen ihnen abgemacht: 1. Aussöhnung zwischen der Kirche und dem Könige, 2. Absolution aller bei Bonifaz' Angelegenheit beteiligten Personen, 3. den Zehnten von der Geistlichkeit für fünf Jahre, 4. Verdammung von Bonifaz' Andenken, 5. Wiederherstellung der Colonnas, 6. ein geheimer Artikel; worin er bestand. lehrte die Zeit bald. Ein Eilbote brachte den Parteigängern des Königs im Kollegium der Kardinäle Nachricht, und Bernhard wurde Klemens V. „Es wird lange dauern, ehe wir das Antlitz eines andern Papstes in Rom sehen!“ rief Kardinal Matteo Orsini mit einer Vorahnung dessen aus, was kam, als die Verschwörung ihre Entwicklung erreichte. Seine Prophezeiung war nur zu wahr. Nun zeigte sich, was jener sechste, jener geheime Artikel war, welcher zwischen König Philipp und de Goth verhandelt worden. Klemens schlug seine Residenz zu Avignon in Frankreich auf. Das Grab der Apostel ward verlassen. Die Ewige Stadt hatte aufgehört, Metropole der Christenheit zu sein.

Allein ein französischer Prälat hatte nicht mit einem französischen Könige um die erhabenste Würde, nach der ein Europäer trachten kann, gehandelt, ohne ein Äquivalent zu geben. In so guter Treue er gegen seinen Vertrag konnte, in so guter Treue er gegen seine gegenwärtige hervorragende Stellung konnte, schritt Klemens dazu, seinen Teil der Verpflichtung zu erfüllen. Bis zu einem gewissen Umfange wurde König Philipp von einer unauslöschlichen Rache gegen seinen Feind beseelt, den er als seinem Griff entschlüpft betrachtete, doch wurde er auch von dem aufrichtigen Verlangen, eine Verbesserung in der Kirche durch eine gründliche Veränderung in ihrer Verfassung auszuführen, getrieben. Er war entschlossen, dass die Päpste den Königen von Frankreich verantwortlich sein oder dass Frankreich unmittelbarer ihr Verhalten beeinflussen sollte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Welt der Gotik