Das Konzil von Vienne

Inzwischen tat Klemens alles, was in seiner Macht stand, um das geschwärzte Andenken seines Vorgängers zu retten. Jeder Einfluss, der vermocht werden konnte, auf den rachedürstenden oder politischen König zu wirken, wurde zu Hilfe gerufen, endlich mit Erfolg. Vielleicht sah Philipp, dass er seinen Zweck vollständig erreicht habe. Er hatte nicht die Absicht, das Papsttum zu zerstören, sein Ziel war, es umzuwandeln — den Königen von Frankreich eine völligere Herrschaft über dasselbe zu geben und zur Ausführung dieses Vorsatzes zu zeigen, bei welch einem Zustand es durch das gegenwärtige System angelangt sei. Was immer die Entscheidung sein mochte, es war solches Zeugnis vorgebracht, dass es trotz seiner Widersprüche und offenbarer Ungereimtheiten einen tiefen Eindruck auf jeden denkenden Menschen gemacht hatte. Es war die vollendete Politik des Königs, die Sache hierbei bewenden zu lassen. Er gab demnach alles weitere Vorgehen auf. Klemens' Dankbarkeit wurde in einer Bulle ausgedrückt, welche Philipp pries, seine Handlung der Frömmigkeit beimaß, ihn von allem Tadel befreite, frühere ihm nachteilige Bullen annullierte, alle Strafen derjenigen, welche wider Bonifaz beteiligt gewesen, widerrief, fünf Personen ausgenommen, über welche eine leichte und nominelle Strafe verhängt wurde. Im November 1311 n. Chr. kam das Konzil von Vienne zusammen. Im folgenden Jahre erschienen drei Kardinäle vor demselben, um die Orthodoxie und das heilige Leben Papst Bonifaz' zu verteidigen. Zwei Ritter warfen ihren Handschuh hin, um seine Unschuld durch das Anerbieten des Zweikampfes zu behaupten. Kein Ankläger war da, keiner nahm das Pfand auf, und dem Konzil stand es frei, die Sache ruhig zu erledigen.

Inwieweit der verstorbene Papst der gegen ihn ausgesagten Anklagen schuldig gewesen, ist daher nie deutlich ermittelt worden. Aber es war eine entsetzliche, erschreckende Tatsache, dass Beschuldigungen von solchem Charakter nur vorgebracht werden konnten, noch mehr, dass ein nachfolgender Papst ihnen Gehör schenken und dem Ankläger fromme Absichten zuschreiben musste. Die Unsittlichkeiten, deren Bonifaz angeklagt wurde, waren solche, die in Italien nicht dieselbe Entrüstung wie unter dem sittlichen Volk jenseits der Alpen hervorriefen; die Ketzereien waren diejenigen, welche die Kirche überall durchdrangen. Wir haben bereits gesehen, welchen tiefen Eindruck das „Ewige Evangelium“ gemacht hatte und wie viele Anhänger und Märtyrer es besaß. Was gegen Bonifaz ausgesagt wurde, war nur, dass er einen Schritt weiter auf der abschüssigen Bahn der Irreligiosität getan hatte. Sein Fehler lag darin, dass er in einer schlimmen Stunde Gedanken Ausdruck gegeben hatte, welche in Ansehung seiner Stellung in seiner tiefsten Seele hätten verschlossen bleiben sollen. Was den Rest betrifft, wenn er habsüchtig war und ungeheure Schätze aufhäufte, wie sie die Banditen der Colonnas an sich gerissen haben sollen, als sie seine Person beschimpften, so war er darin nicht schlechter als viele andere Päpste.

Der ehemalige Palast der Päpste in Avignon.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Welt der Gotik