Bonifaz VIII. und die Kreuzzüge

Der religiöse Zustand Bonifaz' ist der Erklärung fähig. Durch die Kreuzzüge war ganz Europa zu einer fanatischen Erwartung aufgeregt worden, die notwendig zur Enttäuschung verurteilt war. Das Papsttum hatte ungeheure Vorteile an Geld wie an Macht aus ihnen gezogen. Jetzt sollte es furchtbare Übel erfahren. Es hatte denen, die das Kreuz nehmen würden, reiche Belohnungen in diesem Leben und auch in der künftigen Welt versprochen; es hatte mit Bedacht das Christentum als Gegner des Mohammedanismus aufgestellt und die Echtheit jedes auf den Ausgang des Kampfes gesetzt. Im Angesicht der ganzen Welt hatte es als den wahren Prüfstein den Besitz der heiligen Orte hingestellt, welche durch das Leben, das Leiden, den Tod, die Auferstehung des Erlösers geheiligt waren. Was auch das Ergebnis sein mochte, die Umstände, unter welchen dies geschehen, waren der Art, dass kein Verheimlichen, kein Heucheln möglich. In ganz Europa gab es nicht eine Familie, welche nicht pekuniär in die Kreuzzüge verwickelt gewesen wäre, vielleicht nicht eine, die nicht Menschen geliefert hätte. War es irgendwie zu verwundern, dass das Volk, an die Logik der Untersuchung durch den Kampf gewöhnt, überall schreckenerfüllt war, als es das Ergebnis sah? War es zu verwundern, dass sich selbst noch entsetzlichere Ketzereien von selbst aufdrängten? War es irgendwie außerordentlich, dass, wenn es Päpste gegeben hatte, welche jenen Prüfstein aufrichtig angenommen, der Ausgang ein Papst sein sollte, welcher ein aufrichtiger Ungläubiger war? War es außerordentlich, dass ein Verlust des päpstlichen Prestige eintreten sollte? Das Papsttum hatte auf das fromme Gemüt des religiösen Europa zu seinen eigenen Zwecken gewirkt, es hatte dem Kontinent sein Blut und, was vielleicht noch höher geschätzt wurde, sein Geld abgepresst; es hatte einen falschen Ausgang, einen unhaltbaren Prüfstein aufgestellt — und jetzt kam die Zeit, wo es Folgen verschiedener Art ernten sollte — geistige Auflehnung unter dem Volke, Ketzerei unter der Geistlichkeit.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Welt der Gotik