Die Weihnachtskrippe

Ein Beitrag zur Volkskunde und Kunstgeschichte aus dem Bayerischen Nationalmuseum
Autor: Hager, Georg Dr. (1863-1941) deutscher Kunsthistoriker, Erscheinungsjahr: 1902
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Weihnachtskrippe, Kindheit Jesu, Leiden Christi, Weihnachten, christliche Kunst, Weihnachtsfest, Christi Geburt, Mutterliebe und Mutterglück, Geheimnis der heiligen Nacht in Bethlehem, knisternder Schnee, Christbaum, Flucht nach Ägypten, Maria Lichtmess, Maria und Joseph, Heidentum, Weihnachtslied, Dreikönigstage, Hirten, Einsiedler, Bethlehem, Ochs und Esel,
Die christliche Kunst schuf ihre anmutigsten Werke im Bilderkreis der Kindheit Jesu. Dramatischer ist das spätere Leben und das Leiden Christi. Die Geburt und die Kindheit des Heilandes aber bieten dem Künstler die lieblichsten Seiten des Lebens: Unschuld des Kindes, Mutterliebe und Mutterglück — wie oft sind sie in verschiedenster, bald idealer, bald realistischer Auffassung geschildert worden! Der Liebreiz, der aus dem unschuldigen Kinde spricht, umweht alle diese Darstellungen. Wie der Mensch mit frohem Gemüt sich gerne an dem holden Treiben der Kleinen erfreut und ergötzt, so bringt er auch den Bildern aus der Kindheit Jesu ein offenes Herz entgegen. Und als Christ sieht er in der Geburt des Heilandes den Anfang jenes erhabenen Opfers der Liebe, welches der Ausgangs- und Mittelpunkt der Erlösung und das unterscheidende Merkmal der neuen Religion gegenüber dem Heidentum ist. Darum empfinden wir die Geburtsfeier Christi als das schönste Fest des Kirchenjahres, in welchem alle andern beginnen. „Der Tag, der ist so freudenreich aller Kreature“, singt ein altes Weihnachtslied, und zahllose ähnliche Lieder lassen diesen Ton weiter klingen. So hat die christliche Poesie ihre zartesten und duftigsten Blüten um das Weihnachtsfest gewoben.

Das Geheimnis der heiligen Nacht in Bethlehem hat den einfachen Menschen von jeher aufs tiefste gerührt, es hat die Phantasie des Volkes angeregt und beschäftigt, die Neigung zu christlicher Liebe und Milde immer wieder erneut, und es hat endlich zu jener Feier des Festes geführt, welche von allen die gemütvollste und sinnreichste ist, zur deutschen Weihnachtsfeier. Wenn die Natur im Winterfrost erstirbt und Wald und Flur in knisterndem Schnee liegen, dann sieht das deutsche Haus das frohe Fest, das aus der Liebe geboren ist und wiederum Liebe erzeugt. Der Christbaum mit seinem harzigen Waldesduft und seinem Lichterglanz., der Gabentisch und das Krippchen zaubern in der warmen Stube eine Stimmung hervor, welche für Groß und Klein zum Urquell seliger Freude wird. Es ist der deutsche Weihnachtsabend, wie ihn Eichendorff voll tiefer Empfindung malt:

Markt und Strassen steh’n verlassen.
Still erleuchtet jedes Haus.
Sinnend geh’ durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.

An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein steh’n und schauen.
Sind so wunderbar beglückt.

Und ich wand’re aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Heil’ges Glänzen, hehres Schauern!
Wie so weit und still die Welt.

Sterne hoch die Kreise schlingen;
Aus des Schnee’s Einsamkeit
Steigt’s wie wunderbares Singen:
O du gnadenreiche Zeit!


Mannigfaltig sind die Gebräuche, die sich an das Weihnachtsfest knüpfen, und mannigfaltig ist die Entwicklung derselben im Laufe der Jahrhunderte. Gar oft ragen da Nachklänge des Heidentums herein. Rein christlich aber und zugleich am weitesten verbreitet ist die Weihnachtskrippe. Ich meine die plastischen Darstellungen aus der Kindheit Jesu, wie sie in der Weihnachtszeit in zahlreichen katholischen Kirchen und in vielen Häusern aufgestellt werden.

Lass dir eine dieser Krippen zeigen! Es ist in einem Gebirgsdorfe, zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstage. Frisch gefallener Schnee bedeckt Weg und Steg, lastet auf den niederen Häusern und überzieht Sträucher und Bäume und das hölzerne Zaunwerk. Blendender Sonnenschein liegt über der Landschart und hebt die Umrisse der Berge scharf und klar vom tiefen blau des Himmels ab. Ruhe allum, kein Mensch lässt sich blicken, von Leben zeugt nur der langsam aus den Dächern ziehende Rauch.Auf kaum ausgetretenem Pfade wandern wir zur Kirche, deren grüner Spitzhelm schlank in die Lüfte steigt. Im verschneiten Friedhofe ragt da und dort ein einsames Kreuz. Wir schütteln den Schnee von den Füssen und treten in das Gotteshaus. Winterliche Kälte — und doch, wie gemütlich und wohlig ist die Stimmung des Raumes. Volles Tageslicht flutet durch die weiten und hellen Fenster herein, die Sonnenstrahlen spielen auf den weißen Wänden, den zierlichen Stukkaturen, den duftigen Gemälden und den goldglänzenden Figuren. Und in einer Ecke beim Eingang ist eine wirkliche Sonnenlandschaft plastisch aufgebaut, ein im zarten Moosgrün schimmernder Grund, auf drei Seiten von Bergen mit Felsen und Wachholdergebüsch umschlossen. Auf einem kleinen Hügel steht eine verfallene Hütte, ein offener Stall mit Öchslein und Eselchen und darin sitzt die heilige Jungfrau Maria, das neugeborene Kindlein vor sich. Joseph schaut, auf einen Stab gestützt, besorgt auf die Gruppe herab. Hirten knien verehrend vor dem Kindlein und haben fromme gaben zu seinen Füssen gelegt, ein Lamm, Eier und Brot. Andere eilen voll Erwartung herbei. Auf den Wiesen aber weiden Schafe und Ziegen in großer Zahl. Da und dort wachen Hirten zerstreut, manche lagern am Bach und an einem Brunnen in trautem Gespräch. Ganz seitlich betet ein Einsiedler in seiner Klause und nickt dankend mit dem Kopfe, wenn du ein Geldstück in die Opferbüchse wirfst. Auch auf den Bergen geht es lebendig zu. Leute mit Körben und Schubkarren steigen auf und ab. Denn oben auf der Höhe erhebt sich ein Städtchen mit Mauern, Türmen und Toren — Bethlehem. Und kommst du am Dreikönigsfeste wieder, so findest du an der Stelle der Hirten die Anbetung der Weisen aus dem Morgenlande mit allem Prunk des Orients, noch später die Flucht nach Ägypten und zum Schlusse, gegen Maria Lichtmess, die heilige Familie im ruhigen Alltagstreiben des Hauses Nazareth. Ähnlich, jedoch meist kleiner, wird die Krippe in den Häusern vorgestellt. Alles mehr oder minder kunstvoll, oft wohl auch kunstlos, wie eben die Mittel und der Geschmack des Einzelnen es bedingen.

Was ich hier skizziert habe, ist nur ein Beispiel aus den mancherlei Arten, in welchen die Krippe in den einzelnen Ländern erscheint. Denn die Form der Krippen ist gar verschieden, sowohl was den Umfang und die Zahl der Szenen, als auch was das Material der Figuren betrifft. Gerade in diesen Unterschieden beruht ein Hauptreiz der Krippen, beruht vor allem ihr Wert für die Kenntnis volkstümlicher Kunst.

So reich aber auch die Erscheinungsform der Krippe ist, eines bleibt überall charakteristisch: zum Begriff Krippe genügt nicht die Darstellung des neugeborenen Kindes allein, es müssen mindestens die Figuren von Maria und Joseph dazu kommen. Wird die Krippe erweitert, so geschieht dies zunächst durch Wiedergabe der Örtlichkeit der Geburtsszene, des Stalles mit Ochs und Esel. Zum vollen Ausbau gehört endlich die landschaftliche Umgebung. Die plastischen Figuren können mit dem Boden fest verbunden oder sie können versetzbar sein. Die Krippen der ersteren Art sind gewöhnlich ganz in Holz geschnitzt, bisweilen auch in anderem Material geformt, immer aber als Ganzes komponiert. das vom Besitzer nicht beliebig verändert werden kann. Diese werden uns hier weniger beschäftigen, als die Krippen mit den versetzbaren Figuren, die auch häufig beweglich sind. An solche denken wir vor Allem, wenn wir von Weihnachtskrippen sprechen, sie sind es, die den Reiz der ganzen Gattung begründen.

Der Name Krippe, althochdeutsch chrippa, crippa, mittelhochdeutsch krippe und kripfe, in einer Nebenform auch krüpfe, krüpfli (hochdeutsch, bezw, schweizerisch), cruppe, kroppe und krupfe (mitteldeutsch), krubbe, krubbelin , kribbe (niederdeutsch), ist deutschen Stammes und bedeutet ursprünglich allgemein ein einschließendes oder schützendes Geflecht.*)

Diese Bedeutung des Wortes tritt noch klar auf im Deichwesen, wo Krippe einen geflochtenen Zaun zum Schutze der Dämm gegen die Gewalt des Wassers bezeichnet, und im Bergwesen Österreichs, wo man den aus Weiden geflochtenen Kasten zum Verladen der Kohlen Krippe nennt. Vom Geflecht wird der Name auf gitterartiges Lattenwerk übertragen (Hürde, Pferch, Stall). Die Hauptbedeutung des Wortes ist Futterkrippe. Eine Futterkrippe im Stalle zu Bethlehem war es, in welche die heilige Jungfrau das neugeborene Kindlein legte. Von dieser Krippe ging der Name auf die Darstellung der Geburt Christi über. Deutlicher ist hiefür der zusammengesetzte Ausdruck „Weihnachtskrippe“, der mindestens schon im achtzehnten Jahrhundert gebräuchlich war.**)

*) Grimm, deutsches Wörterbuch V, 2320 ff.

**) Vgl. z. B. Frz. S. Meidinger, Historische Beschreibung der Städte Landshut und Straubing etc. (1787), S 320: Weihnachtskrippe in dem sog. Fürstenzimmer in Tuntenhausen.

Fig. 1. Stall aus einer Münchener Krippe um 1800

Fig. 1. Stall aus einer Münchener Krippe um 1800

Fig. 2. Hirten auf dem Felde, Münchener Schnitzereien

Fig. 2. Hirten auf dem Felde, Münchener Schnitzereien