Zur Geschichte der Krippe

Zur Geschichte der Krippe

Die Krippe ist nicht mit einem Male entstanden. Sie hat sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt. Das Bedürfnis des menschlichen Herzens und Gemütes, die Vorgänge bei der Geburt des Heilandes sich zu vergegenwärtigen und in den wunderbaren Einzelheiten tiefer zu erfassen und zu betrachten, hat die Krippe nach und nach entstehen lassen. Und je mehr der christliche Geist das Volk durchdrang, desto rascher gestaltete sich die Darstellung der Krippe aus unscheinbaren Keimen zu reichen, poesievollen Bildern.


Die Uranfänge der Krippe knüpfen sich an die Geburtshöhle in Bethlehem. Schon Origines weiß von der Höhle zu erzählen und von dem Krippentroge, der dort gezeigt wurde. Kaiserin Helena erbaute über der Stätte eine Basilika. Zahlreich waren bereits im vierten Jahrhundert die Wallfahrer, welche den Ort besuchten. Hieronymus, der in der Nähe der Krippe seine Klause hatte, spricht von der Begeisterung, welche die frommen Besucher beim Anblick der Krippe des Heilandes erfasste. Es dauerte nicht lange, so wurde die Grotte von den Gläubigen reicher ausgestattet und die Krippe selbst mit Gold und Silber geschmückt.*)

*) WETZER & WELTE, Kirchenlexikon VII (1891), 1195 ff. H. USENER. Religionsgeschichtliche Untersuchungen. I. Das Weihnachtsfest (1889), S. 283 ff.

Aber die Annahme, dass hier in Bethlehem schon in der altchristlichen Zeit die Figuren des Jesukindes, Maria und Josephs zur Krippe hinzugefügt wurden, ist nicht stichhaltig. Zwar führt H. Usener zum Beweise eine Homilie Gregorios des Wundertäters aus den Jahren um 400 n. Chr. an, in welcher im Anschlüsse an die Frage, wie das Wort Fleisch geworden sein könne, der Ausruf sich findet: "Aber wozu soll ich es sagen und wozu aussprechen? Mein Auge ruht ja auf dem Zimmermann und der Krippe, dem Knäblein und der jungfräulichen Mutter.“ Und später nochmals: "Wozu soll ich es sagen und wozu aussprechen? Den Knaben schau ich, wie er in Windeln gewickelt ist und in der Krippe liegt; Maria, die Jungfrau zugleich und Mutter, steht dienend dabei nebst Joseph.“ Zugegeben, dass diese Ausrufe anschaulicher sind, als eine ähnliche Stelle in der Weihnachtspredigt des hl. Chrysostomus von 388, so wird doch nicht jeder hier wirklich mehr als rednerische Vergegenwärtigung sehen, eine, wie Usener will, bühnenartig aufgebaute Krippe mit den Personen der heiligen Nacht.*)

Die Verehrung der Krippe geht vom Orient ans. Die weitere Entwicklung der Geburtsfeier Christi aber ist mit Rom verbunden. Papst Liberius war es, der zum ersten Male im Jahre 354 die Geburtsfeier des Heilandes als eigenes Fest am 25. Dezember beging, nachdem sie bis dahin mit der Epiphaniasfeier am 6. Januar verknüpft war. So ist Rom der Ausgangspunkt des Weilmachtsfestes geworden. Papst Liberius erbaute in Rom eine eigene Basilika, die vor allem dem Weihnachtskulte dienen sollte, die Basilika Liberii oder Liberiana, seit Sixtus III. (432—440) Basilika S. Mariae, seit dem siebenten Jahrhundert Basilika S. Maria ad praesepe, seit dem neunten Jahrhundert im Volksmunde S. Maria maggiore genannt. Am rechten Seitenschiff dieser Basilika war eine Kapelle mit der heiligen Krippe errichtet, in welcher der Papst die Weihnachtsmesse feierte. Als Papst Sixtus V. (1585 — 1590) am Ende des rechten Querschiffes eine neue Krippenkapelle erbaute, wurde die alte Kapelle unter den Hauptaltar der neuen als Krypta ersetzt. Noch jetzt werden alljährlich am 24. Dezember auf dem Hochaltare der Basilika die Reliquien feierlich ausgestellt, welche von der Krippe des Herrn stammen sollen, fünf schmale, nebeneinander gelegte Brettchen in einer Fassung von Kristall und Silber aus dem Anfange des nennzehnten Jahrhunderts. Die Krippe von S. Maria maggiore diente als Vorbild für die Krippe, welche Papst Gregor IV. (827—843) in S. Maria Trastevere errichten liess.

*) H. USERER a. a. O., S. 287. Vgl. F. NOACK, Die Geburt Christi in der bildenden Kunst bis zur Renaissance (1894), S. 15.


Dass mit der Krippe, d. h. mit dem Krippentroge, in Rom in jener frühen Zeit eine versinnlichende Darstellung der Geburt Christi verbunden war, ist nicht anzunehmen. Wir wissen nur von einem goldenen Standbilde der Madonna mit dem Kinde, das Papst Gregor III. (731— 741) in die Krippenkapelle der Basilika S. Maria ad praesepe stiftete, und von einer ebenfalls in Gold ausgeführten „Geschichte“ der Gottesmutter, mit welcher Papst Gregor IV. (827 — 843) die Krippenkapelle in S. Maria Trastevere schmückte.*)

Die Krippe in Rom und die Weihnachtsmesse des Papstes vor derselben gab vielleicht den Anstoß zur Sitte, auch anderwärts am Weihnachtsfeste eine Krippe auf oder hinter den Altar zu stellen. Es war das nichts weiter als eine symbolisch-liturgische Handlung, gleich zu achten der schon im zehnten Jahrhundert nachweisbaren Grablegung eines Kruzifixes am Karfreitag und dessen Erhebung am Ostermorgen.**) Ich kann zwar, abgesehen von Rom, für eine solche symbolische Handlung zur Feier des Weihnachtsfestes einen Beleg aus dem ersten Jahrtausend nicht anführen.***) Wenn man aber bedenkt, dass z. B. die Prozession mit der auf dem Palmesel sitzenden Figur Christi schon in der von Gerhard verfassten Vita des hl. Ulrich von Augsburg († 973) erwähnt wird,****) darf man wohl auch die Existenz des Krippenbrauches in jener Frühzeit für möglich halten.

Die symbolische Handlung der Aufstellung einer Krippe auf dem Altar birgt den Keim zur Entwicklung der Krippendarstellungen.

Die Gelegenheit zur weiteren Fortbildung gaben die Mysterien, die geistlichen Schauspiele, die in England und Deutschland bereits im zehnten Jahrhundert nachgewiesen sind, in ihren Anfängen aber vermutlich in das neunte Jahrhundert zurückreichen.*****)

*) USENER a. a. O., S. 291.

**) J. JANSSEN, Geschichte des deutschen Volkes I. (1881), S. 234. W. CREIZENACH, Gesch. des neueren Dramas I (1893), S. 48. V. THALHOFER, Handbuch der katholischen Liturgik II (1890), S. 549.

***) Auch nicht aus dem zwölften Jahrhundert. Denn die von P. KASSEL, Weihnachten (1861), S. 151, A. TILLE, Die Geschichte der deutschen Weihnacht (1893), S. 55, E. NIFFLEANCIAUX, Les repos de Jesus et les berceaux reliquaires (1896) p. 12 zitierten Worte aus einer Weihnachtspredigt des Zisterzienserabtes Guerricus († ca. 1157): „Fratres, et vos invenietis hodie infantem pannis involutum, et positum in praesepio altaris“ können nicht als Beleg einer Aufstellung der Krippe im 12. Jahrhundert angesehen werden; die Worte sind, wie aus dem Zusammenhang des ganzen Predigtabschnittes (MIGNE, Patrol. lat. tom. 185, Pars IV., col. 46) erhellt, bildlich zu verstehen.

****) F. A. HOEYNCK, Gesch. der kirchl. Liturgie des Bistums Augsburg (1889). S. 211. R. v. STRELE, Der Palmesel, in der Zeitschrift des deutschen und Österreich. Alpenvereins XXVIII (1897), S. 136.

*****) P. WEBER, Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst (1894), S. 31 ff.


Die Spiele fanden im früheren Mittelalter in der Kirche statt. Sie entwickelten sich aus dem liturgischen Wechselgesang, der durch Einschiebung von Tropen erweitert wurde. Im Laufe der Entwicklung wurden sie zu einem außerliturgischen Bestandteil des Gottesdienstes, mit der Bestimmung, durch anschauliche Vorführung der heiligen Begebenheiten das Volk zu belehren und den Glauben desselben zu stärken. Wie verbreitet diese Spiele schon im zwölften Jahrhundert waren, bekundet der Chorherr Gerhoh von Reichersberg, der in seiner Schrift „De investigatione Antichristi“ im Jahre 1162 klagt, dass die Kirchen mit mimischen Darstellungen erfüllt werden; er wendet sich namentlich gegen das Weihnachtsspiel mit der Krippe des Herrn, der mütterlichen Jungfrau, dem Stern von Bethlehem, dem Kindermord und der Klage der Rachel.*)

*) Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen. XX (1859). S. 130. Vgl. S. RIEZLER, Gesch. Baierns I (1878), S. 810.

Das Weihnachtsspiel bedurfte zur Aufführung einer Krippe, d. h. einer Vorrichtung in Form eines Troges, eines Korbes oder einer Wiege, in welcher ein Bambino lag. Die ältesten, dem elften Jahrhundert angehörenden Weihnachtsspiele, die wir kennen, bezeugen also allein schon durch ihre Existenz für jene Zeit die Aufstellung einer Krippe in einfachster Form.

Die Krippe wird aber zudem in manchen Spielordnungen ausdrücklich erwähnt; sie soll im Chor, oder am Kreuzaltar, oder auch am Eingang der Kirche errichtet werden. So lautet die Spielordnung des dem dreizehnten Jahrhundert angehörenden Dreikönigsoffizes von Orleans für die Darsteller der heiligen drei Könige: Und dann sollen sie zur Krippe schreiten, welche am Eingange des Münsters bereitet ist. Jedenfalls gehörten in dem Spiele von Orleans zum Apparat der Krippe auch schon Ochs und Esel, die beiden Tiere, welche, obwohl sie im Evangelium nicht erwähnt werden, für die Darstellung der Geburt Christi bereits seit dem vierten Jahrhundert typisch sind. Die Gegenwart von Ochs und Esel kann man wenigstens aus den Worten schließen, welche der Verkündigungsengel in dem Spiele von Orleans zu den Hirten spricht: Ihr werdet ein Kindlein finden, in Windeln gehüllt und in der Krippe liegend, in der Mitte zweier Tiere.*)

Etwas weiter gehen andere Spielordnungen, welche außer auf die eigentliche Krippe auch auf eine Marienfigur Bezug nehmen, so die Anweisung zu einem mindestens in das elfte Jahrhundert zurückgehenden Spiele von Rouen in einer Handschrift des dreizehnten Jahrhunderts: ,,Die Krippe sei hinter dem Altare bereitet und auf demselben stehe ein Marienbild.“**)

Gerade der Umstand, dass hier Maria noch nicht persönlich auftritt, sondern nur durch eine Figur dargestellt wird, könnte auf das hohe Alter dieser Spielordnung schließen lassen, da man schon im zwölften Jahrhundert keinen Anstand mehr nahm, die Mutter Gottes in lebender Person vorzuführen.***)

Der Altar, bei dem die Krippe errichtet werden soll, ist in dem einen der beiden Spiele von Rouen, in dem Dreikönigsoffiz, als der Kreuzaltar gekennzeichnet, der stets in der Mitte des Schiffes vor dem Lettner, d. h. vor dem Eingang in das Presbyterium, stand und deutlich allem Volke sichtbar war. Nach der Inszenierung eines Weihnachtsspieles, die Clement aus einem Missale vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts mitgeteilt hat, befand sich die Krippe in der Tiefe des Chores (Presbyteriums).****)

In ähnlicher Weise wird der Standort der Krippe auch in den späteren Weihnachtsspielen angegeben, insofern diese noch zur Aufführung in der Kirche bestimmt waren. So heißt es in der Spielanweisung zu einem spanischen Weihnachtsspiel von Pedro Suarez de Robles 1561, dass vor dem Hauptaltare ,,eine Wiege in Form einer Krippe“ (una cuna á modo de pesebre) steht, in welche das Jesuskind gelegt wird und bei welcher die heilige Jungfrau und St. Joseph niederknien.*****)

*) Du MERIL, a. a. O., S. 162.

**) Vgl. E. WILKEN, Gesch. d. geistl. Spiele in Deutschland (1872), S. 194 ff. W. KÖPPEN, Beiträge z. Gesch. d. deutschen Weihnachtsspiele (1893), S. 24. CREIZENACH a. a. O., S. 59.

***) S. oben S. 10, Anm. 1. Vgl. FR. VOGT, Die schlesischen Weihnachtsspiele. (Schlesiens volksthümliche Ueberlieferungen. I.) 1901, S. 136. G. BAIST i. d. Zeitschrift f. roman. Philologie IV (1880), S. 445.

****) Annales archéol. VII (1847).

*****) A. FR. V. SCHACK, Gesch. d. dramat. Literatur in Spanien I. (1845). S. 240.


So weit hatte sich die Krippe in den kirchlichen Weihnachtsspielen des Nordens bereits entwickelt, als der hl. Franciscus von Assisi im Jahre 1228 seine berühmt gewordene Weihnachtsfeier veranstaltete. Diese Weihnachtsfeier ist nichts anderes als ein kirchliches Mysterium, das früheste, das wir in Italien nachweisen können.*) Im Walde von Greccio ließ der Heilige eine Krippe bereiten, zu der Heu gebracht und Ochs und Esel geführt wurden. Vor dieser Krippe feierte Franciscus die heilige Nacht mit Amt und Predigt. Früher erblickte man in der Weihnachtsfeier des hl. Franciscus den Ursprung der Krippe. Schon im Anfang des 17. Jahrhunderts beruft sich z. B. ein altbayerischer Dichter im Prolog eines Weihnachtsspieles auf den seraphischen Heiligen: „Ein gwonheit ist zur Jahresfrist, dass iezundt celebrire und dieser Zeit die Christenheit den Christtag renovire. Franciscus dess ein Zeug mir ist, die hoch seraphisch Sonnen, der richtet auch ein Kripplein auf, nur mit stummen Persohnen.“**) Aber die Anschauung, dass Franciscus die Krippe erfunden, geht zu weit.***) Die Krippenfeier des Heiligen bildet nur ein Glied in einer Kette von symbolischen Handlungen und Mysterien am Weihnachtsfeste. Neu ist lediglich der Gedanke, die Krippe des Heilandes, den armseligen Stall mit den Tieren und mit der landschaftlichen Umgebung in voller Wirklichkeit vorzuführen. Bei den Mysterien in den Kirchen war die Örtlichkeit bis dahin wohl nur durch den Krippentrog, höchstens noch, wie in dem Dreikönigsoffiz von Orleans, durch die Tiere Ochs und Esel angedeutet. Franciscus ging einen Schritt weiter, er verlegte den Schauplatz aus der Kirche hinaus in Gottes freie Natur, er führte dem Volke im Dunkel der Nacht und im einsamen Walde einen wirklichen Stall mit lebenden Tieren vor. um so die Einbildungskraft zu steigern und das Geheimnis der heiligen Nacht begreiflicher zu machen. Die Krippe des hl. Franciscus war völlig realistisch. Indem der Heilige die landschaftliche Umgebung mit heranzog, eilte er den bildlichen Darstellungen der Geburt Christi, überhaupt der ganzen Kunstentwicklung voraus. Die Personen der heiligen Nacht hinzuzudenken, überließ Franciscus der Phantasie des Einzelnen. Die Krippe von Greccio beschränkte sich nämlich auf die Repräsentation des Stalles oder der Geburtsgrotte mit den Tieren und der landschaftlichen Umgebung. Die Figur des Jesukindes oder gar der Gottesmutter war nicht beigegeben. Die Erzählung der von Bonaventura verfassten Lebensbeschreibung, Johannes Velita von Greccio habe während der Feier in einer Vision ein schlafendes Kindlein in der Krippe liegen sehen, das Franciscus zärtlich umarmte, ist der beste Beweis für diese Tatsache.

*) H. THODE, Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien. 1885, S. 417. D’ ANOCONA, Origini del teatro italiano I. (1891), S. 116.

**) K. WEINHOLD, Weihnacht-Spiele und Lieder aus Süddeutschland und Schlesien. Neue Ausgabe 1875, S. 175

***) WETZER & WELTE, Kirchenlexikon VII (1891), S. 1195 ff.


Die Tätigkeit des hl. Franciscus war von dem Streben beseelt, das Leben und Leiden Jesu dem menschlichen Empfinden näher zu bringen, indem er neben den göttlichen vor allem auch die menschlichen Seiten zur Betrachtung hervorhob. Franciscus, der Gefühlsmensch, der grosse Freund der Natur, der zu den Bäumen und Vögeln sprach, er hat auch die natürliche Seite der Wechselbeziehung zwischen Maria und dem Heiland, zwischen Mutter und Kind in tiefster Empfindung erfasst. Franciscus war ein echter Sohn des dreizehnten Jahrhunderts, der Zeit, da die Natur in der Kunst mehr und mehr zum Durchbruch kam, jener Periode, welche die Frühgotik mit der knospenden und sprießenden Pflanzenwelt schuf, den Typus des gekreuzigten Christus allmählich realistisch umzubilden begann und in den Mariendarstellungen die deutlichere Kennzeichnung der Beziehungen zwischen Mutter und Kind anbahnte. Zu diesem Umschwunge in der Kunst trug der Heilige durch seine Lehre und seinen Orden nicht wenig bei. Franciscus und seine Jünger suchen die starke Gemütsbewegung, welche sie selbst beseelt, durch sinnlich anschauliche Bilder auch in anderen hervorzurufen. In diesem Sinne wirkt ihre Predigt, wirkt ihre Dichtung. Und ein Ausfluss dieses Strebens ist die Krippe des hl. Franciscus. Kein Wunder, dass jenes Lied, das mit ganz einzigartigem Reize die Krippe besingt, von einem Franziskaner gedichtet ist. Mag es von Jacopone selbst herrühren oder, wie Thode vermutet, dessen „Stabat mater dolorosa“ nachgedichtet sein, jedenfalls gehört es zu den tiefst empfundenen Liedern der christlichen Poesie. Da das Lied vorzüglich geeignet ist, das Verständnis für die Empfindungen zu erschließen, aus welchen heraus die Darstellung der Krippe sich entwickelt hat, so lasse ich es in der Übersetzung von M. v. Diepenbrock folgen:

An der Krippe stand die hohe
Mutter, die so selig frohe,
Wo das Kindlein lag auf Streu.

Und durch ihre freudetrunk’ne
Ganz in Andachtsgluth versunk’ne
Seele drang ein Jubelschrei.

Welches freud’ge, sel’ge Scherzen
Spielt im unbefleckten Herzen
Dieser Jungfrau-Mutter froh’n.

Seel’ und Sinne jubelnd lachten
Und frohlockten im Betrachten,
Dies ihr Kind sei Gottes Sohn,

Wessen Herz nicht freudig glühet,
Wenn er Christi Muttor siehet
In so hohem Wonnetrost?

Wer wohl könnte ohn’ Entzücken
Christi Mutter hier erblicken,
Wie ihr Kindlein sie liebkost?

Wegen seines Volkes Sünden
Muss sie zwischen Tieren finden
Christum frosterstarrt auf Stroh ;

Sehen ihren süssen Knaben
Winseln und Anbetung haben
In dem Stalle kalt und roh.

Und dem Kindlein in der Krippe
Singt der Engelscharen Sippe
Ein unendlich Jubellied.

Und der Jungfrau und dem Greisen
Fehlen Worte, um zu preisen,
Was ihr staunend Herz hier sieht.

Eja Mutter, Quell der Liebe,
Dass auch ich der Inbrunst Triebe
Mit dir fühle, fleh’ ich, mach!

Lass mein Herz in Liebesgluthen
Gegen meinen Gott hinfluthen,
Dass ich ihm gefallen mag.

Heil’ge Mutter, das bewirke:
Präge in mein Herz und wirke
Tief ihm Liebeswunden ein;

Mit dem Kind, dem Himmelssohne,
Der auf Stroh liegt mir zum Lohne,
Lass mich theilen alle Pein;

Lass mich seine Freud’ auch teilen.
Bei dem Jesulein verweilen
Meines Lebens Tage all’:

Lass mich dich stets brünstig grüßen,
Lass des Kindleins mich genießen
Hier in diesem Jammerthal.

O mach’ allgemein dies Sehnen
Und lass niemals mich entwöhnen
Von so heil’gem Sehnsuchtsstrahl.

Jungfrau aller Jungfrau’n, Hehre,
Nicht Dein Kindlein mir verwehre,
Lass mich’s an mich zieh’n mit Macht;

Lass das schöne Kind mich wiegen,
Das den Tod kam zu besiegen
Und das Leben wiederbracht’!

Lass an ihm mit dir mich letzen,
Mich berauschen im Ergötzen,
Jubeln in der Wonne Tanz!

Gluthenflammet von der Minne,
Schwinden staunend mir die Sinne
Ob solches Verkehres Glanz!

Lass vom Kindlein mich bewachen,
Gottes Wort mich rüstig machen,
Fest mich in der Gnade steh’n.

Und wenn einst der Leib verweset,
Lass die Seele dann erlöset
Deines Sohnes Antlitz seh’n!


Die ausgedehnte Verbreitung, welche der Franziskanerorden in kurzer Zeit gewann, förderte auch die Krippenfeier. Noch heute wird ja die Aufstellung einer Krippe in den Franziskaner- und Kapuzinerkirchen mit besonderer Liebe gepflegt.

Wie aber ging die weitere Entwicklung der Krippe im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert vor sich? Bei einem Versuche, diese Frage zu beantworten, werden wir immer wieder zu dem geistlichen Schauspiel zurückgeführt. Am Dreikönigstage 1336 veranstalteten z. B. die Dominikaner in Mailand einen glänzenden Aufzug der drei Könige zu Pferde in kostbaren Gewändern, mit Musik, Gefolge und allerlei seltenen Tieren. Von der Dominikanerkirche S. Maria delle Grazie bewegte sich der Zug nach S. Lorenzo, wo unter der Säulenhalle Herodes mit den Schriftgelehrten wartete. Von da ging es nach der Kirche S. Eustorgio, wo neben dem Hochaltar die Krippe aufgebaut war; in der Krippe befand sich eine Marienfigur, welche in ihren Armen das Kindlein hielt; auch Ochs und Esel fehlten nicht. Nachdem die Könige ihre Geschenke dargebracht, legten sie sich zum Schlafe nieder. Da erschien ein Engel, der ihnen befahl, nicht durch das Laurentiusviertel, sondern durch das Römische Tor zurückzukehren. Man sieht, die Beschreibung der Krippe bietet nicht viel mehr als die Spielanweisung des Offizes von Rouen. Aber bei der reichen Ausstattung, die schon damals dem italienischen Schauspiel eigen war und speziell in unserm Falle bezeugt ist, darf wohl eine möglichst gute Darstellung der Krippe angenommen werden; der Stall war vermutlich durch ein auf vier Pfosten ruhendes Schutzdach angedeutet, wie wir es in der italienischen Malerei jener Zeit finden. Die landschaftliche Umgebung fehlte noch.

Ein ähnlicher Dreikönigszug wird von Parma aus dem Jahre 1414 gemeldet.*)

Das lateinische Weihnachtsspiel wurde an der Krippe in der Kirche aufgeführt, aber das Volk begnügte sich nicht mit dieser Mysterienfeier, es wollte das symbolische Kindlein herzen und kosen, wie es zu Hause mit den Neugeborenen tat. Das Evangelium spricht von einer Krippe, in der das Kindlein lag. Das Volk, das die biblischen Szenen in sein Land und seine Zeit übertrug, dachte sich die Krippe als Wiege. Damit wuchs die Lebendigkeit der Auffassung. Und sie steigerte sich noch, wenn man die Wiege in Schwung setzte. So entstand das sogen. Kindleinwiegen.

Zunächst entwickelte sich der Brauch im Gefolge des Weilmachtsspieles, in welchem er eine eigene Szene bildete.**) Der Mönch Hermann von Salzburg fand im vierzehnten Jahrhundert den Liedesausdruck für diese Szene; Maria sang:

Joseph, lieber neve mîn,
Hilf mir wiegen daz kindelîn.

Und Joseph erwiderte:

Gerne, liebe muome mîn.
Hilf ich dir wiegen dîn kindelîn.

*) D’ANCONA a. a. O. I, S. 277.

**) So im hessischen Weihnachtsspiel aus dem 15. Jahrh. Vgl. dazu VOGT a. a. O. S. 141.


Bald nahmen auch die Zuschauer in ihrer Weihnachtsfreude lebendigen Anteil an dem Kindleinwiegen, sie umtanzten und umjubelten die Wiege, jeder wollte mitwiegen in hellem Festesjubel. Das Frohlocken der ganzen Gemeinde tönt prächtig in dem Liede: „In dulci iubilo, Nun singet und seid froh, unsers Hertzen Wonne ligt in praesepio, und leuchtet als die Sonne matris in gremio, Alpha es et O.“*) Vielfach ist der schöne Brauch bezeugt. Er war nicht nur in Nonnenklöstern beliebt, sondern am Ausgang des Mittelalters in den Kirchen so allgemein verbreitet, dass er in Schriften jener Zeit geradezu als Weihnachtssitte beschrieben wird. **)

Von dem Kindleinwiegen rühren eine Anzahl kleiner gotischer Wiegen her, die zum Teil künstlerisch ausgeführt sind und einen ebenso anziehenden, wie seltenen Sammlungsgegenstand bilden. Ed. Niffle-Anciaux hat diesen Wiegen eine eigene Schrift gewidmet.***)

Das Kindleinwiegen fand Verbreitung im ausgehenden Mittelalter, im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Das war die Zeit, in der im geistlichen Schauspiel die Landessprache durchdrang und das Volk am Spiele noch innigeren Anteil nahm als früher. Das Bedürfnis zu spielen wuchs mehr und mehr. Wo das Spiel mit lebenden Personen nicht durchzuführen war, half man sich mit Marionetten, d. h. mit kleinen beweglichen Figürchen, die mittels Zugfaden dirigiert wurden. Mit den schon im Altertum bekannten Marionetten wurden im Mittelalter an vielen Orten Weihnachtsspiele von den Priestern in den Kirchen gegeben. Magnin berichtet diese Sitte aus Spanien, Frankreich und England. In Spanien verbot erst die Synode von Orihuela 1600 die Marionettenspiele am Altar. In Dieppe wurden von 1443 bis 1647 Marionettenspiele in der St. Jakobskirche aufgeführt, darunter auch das Weihnachtsmysterium. Als im siebzehnten Jahrhundert die Marionetten in den Kirchen verboten wurden, zogen sie sich in die Vorhallen und an die Pforten der Klöster zurück. In Paris stellten z. B. die Theatiner im siebzehnten Jahrhundert Krippenspiele in Marionetten an der Klosterpforte dar. In England bestanden die Marionettenspiele in den Kirchen bis zur Kirchenspaltung unter Heinrich VIII.****)

*) Bäumker, Das katholische deutsche Kirchenlied I (1886), S. 309

**) A. Tille, Die gesch. d. deutschen Weihnacht (1893), S. 59 ff., wo nähere Nachweise. Vgl. auch Bäumker a. a. O. II (1883), S. 10.

***) Vgl oben Anmerkung 3. Das bayrische Nationalmuseum besitzt eine derartige Wiege aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts (Saal 8) und aus dem siebzehnten Jahrhundert (Saal 25).

****) Ch. Magnin, Histoire des marionettes 1852. Vgl auch K. Engel, Deutsche Puppenkomödien XII (1892)





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