Volkstümliche Ausgestaltung und die Verbreitung der Krippen

Volkstümliche Ausgestaltung und die Verbreitung der Krippen

Derselbe Geist, der in diesen Werken waltet, bildete auch den Nährboden für die volkstümliche Ausgestaltung und die Verbreitung der Krippen. Und ähnlich war es in den anderen Ländern, wo Barock und Rokoko blühte. Wir werden unten bei der Einzelschilderung kennen lernen, mit welch liebevoller Sorgfalt in den Krippen das Beiwerk gepflegt wurde, die Natur mit allen ihren Reizen in Flur und Wald, in Berg und Tal und in der Staffage, das Volk mit all seinen örtlichen und zeitlichen Eigenheiten. Der Krippenbauer schafft ein Abbild seiner Umgebung, er kann sich nicht genug tun in der Freude, die Natur mit ihrem Leben und Weben zu konterfeien, unbewusst arbeitet er wie die niederländischen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts, welche die heiligen Szenen in eine sorgfältig detaillierte Landschaft stellen, die, so sehr sie auch in die Weite gehen mag, doch Grashalm für Grashalm, jede Blume, jeden Baum, jedes Haus in den Strassen zu zählen gestattet. Der Krippenbauer erlebt förmlich die heiligen Vorgänge, er schafft den Boden, auf dem sie sich abspielen sollen; er bereitet den Stall für das neugeborne Kindlein, er führt die Hirten und die Weisen aus dem Morgenlande herbei, er denkt sich in die schreckensvolle Einsamkeit der Flucht nach Ägypten hinein und er weilt im Frieden des Hauses Nazareth mit seiner echt deutschen Behaglichkeit. Und der Beschauer des fertigen Werkes erlebt es mit ihm.


So mag die Krippe dem frommen Gemüt in der Tat das werden, was eine Klosterfrau in Bamberg im Jahre 1648 zum Zwecke der Betrachtung vor dem im Kloster bis Lichtmess aufgestellten „Kripplein“ in einem Gebetbuche Punkt für Punkt auseinander setzt, nämlich das Mittel, die Kindheit Jesu mit allen ihren Reizen, aber auch mit all ihrer Not und Armut sinnlich greifbar sich vorzustellen.*)

*) Vgl. Himmlischer Wegzeiger, zusammengetragen und geschrieben von Maria Anna Juniusin zu Bamberg 1643. Papierhandschrift in Kleinoktav in der Bibliothek des bayerischen Nationalmuseums. Nr. 956. Aus der Sammlung Reider.

War schon der allgemeine Charakter der kirchlichen Kunst des Barock und Rokoko der Entwicklung der Krippe sehr förderlich, so trug dazu das künstlerische Wesen der Barockplastik noch besonders bei. Der Barockplastik ist vor allein ein dekorativer Zug eigen, das Ziel, ein malerisches Zusammenwirken der plastischen Werke und ihrer Umgebung, der Architektur oder der Landschaft, zu erreichen. Damit verknüpft sich die Absicht, die Handlung und die Erregung des Augenblicks in den Statuen zu verkörpern, das Bestreben, die Figuren auf den Altären in dramatische Beziehung zu einander zu setzen, ja sogar förmliche lebende Bilder im Aufbau der Altäre zusammenzustellen. So erhält die Plastik einen Zug, der aufs innigste mit dem künstlerischen Wesen der Krippe verwandt ist: was die Krippe im Kleinen bezweckt, das strebt die Plastik im Grossen an.

Die Zeichnung des Milieus, in welchem die Krippe sich entwickelte, wäre unvollständig, wenn ich nicht auch an die Schäferpoesie und an die Idyllendichtung erinnerte, welche, von Italien ausgehend, in Deutschland im siebzehnten Jahrhundert blühte und mit ihrem süßlichen und weichlichen Wesen alles beeinflusste. Auch die Gebet- und Gesangbücher sind bis tief ins achtzehnte Jahrhundert von dieser Gemütsrichtung erfüllt. Der Entwicklung und Ausdehnung der Krippe war die in die Kirche eingedrungene Schäferidylle jedenfalls sehr förderlich. Was anderes aber blickt uns an aus der Maske des Schäferspiels als die Sehnsucht nach der Natur? Ist nicht auch Claude Lorrain (1600 — 1682) ein Kind desselben Geistes, der Landschaftsmaler, der die Erde als Paradies sieht, als ein Land des ungetrübten Glückes, das im Sonnenglanze schimmert und den flüchtigen Erdenwandler wie eine Ahnung der Ewigkeit überkommt?*)

*) A. SCHMARSOW, Barock und Rococo (1897). S. 287, 386.

Im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts hat sich die Krippe weit verbreitet, von den Klosterkirchen drang sie hinaus in die Pfarrkirchen, hinaus in die Dörfer. Wie volkstümlich die Krippen z. B. in Altbayern geworden waren, lässt eine Nachricht ahnen, die sich zufällig vom Kloster Tegernsee erhalten hat. Beim Tode des P. Placidus von Prey am 4. Januar 1700 bemerkt der Chronist, dass der Mönch vom Schlage getroffen wurde, als er sich eben mit einigen Conventualen auf den Weg gemacht, verschiedene Weihnachtskrippen zu besuchen.*) Ob die Krippen, welche der Tegernseer Pater besuchen wollte, in Bauernhäusern oder in Kirchen aufgestellt waren, wissen wir nicht. Ich vermute aber, dass es sich um Krippen in Kirchen der Umgegend handelt. In der nahen Pfarrkirche von Egern z. B. wird um jene Zeit in den Rechnungen die Ausbesserung von Krippenfiguren durch die Nonnen im Kloster Reutberg bei Tölz erwähnt. In Gmund am Tegernsee wurden 1736 laut Kirchenrechnung 45 Kreuzer verausgabt, „das Krippl aufzumachen und abzubrechen.“ **) Noch heute gehen die Krippen, welche in alt bayerischen Pfarrkirchen aufgestellt werden, in einzelnen Bestandteilen in das achtzehnte Jahrhundert zurück; so sah ich an einem Hause der Krippe in Schliersee die Jahreszahl 1778.

Nicht bloß in den Kirchen und Klöstern, auch in Privathäusern winden Klippen aufgestellt. Und hier lebte auch die alte Sitte fort, vor der Krippe Lieder zu singen oder Weihnachtsspiele aufzuführen.***) Dem volkstümlichen Weihnachtsspiel und Weihnachtslied zu Liebe verfertigte man sogar tragbare Krippen mit welchen die Sänger in Stadt und Dorf von Haus zu Haus wanderten. So war es z. B. Sitte in München.****) Und in Westerndorf bei Rosenheim in Oberbayern zogen noch um 1870 Bauernmädchen mit einer Krippe umher und führten in den Häusern ein Weihnachtsspiel auf.*****) In dem Nachspiele eines Weihnachtsspieles aus Schwaz in Tirol treten drei Welsche mit einem Guckkasten herein, in welchem die Krippe vorgestellt wird.******) In Thüringen führten im achtzehnten Jahrhundert auch die Sternsinger eine kleine Marionettenkrippe mit, die mittels eines Brettes auf einer Stange thronte und außer dem Stalle mit der heiligen Familie Herodes an einem Fenster seines Schlosses und die heiligen drei Könige zeigte.*******)

*) P. Pirmin Lindner, Familia S. Quirini in Tegernsee. Oberbayer. Archiv Bd. 50. Ergänzungsheft (1898), S. 40.

**) J. Obermayer, Die Pfarrei Gmund am Tegernsee (1808). S. 164.

***) Einen früheren Beleg eines Weihnachtsspieles in Privathäusern finden wir in Spanien, wo schon 1492 in Salamanca eine Ekloge des Dichters Juan del Encina auf die Geburt des Erlösers im Palaste des Herzogs vor der Darstellung einer Geburt Christi (nacimiento) aufgeführt wurde. H. Alt, Theater und Kirche (1846). S. 502. Schack a. a. O. I. S. 151

****) C. A. Regnet, München in unter alter Zeit (1879), S. 72—73

*****) A. Hartmann, Weihnachtlied u. -Spiel in Oberbayern. Oberbayer. Archiv XXXIV (1874). S. 144.

******) H. Hartmann, Volksschauspiele (1880). S. 337.

*******) Vgl. die Beschreibung von 1789 bei Hoffmann von Fallersleben, Horae belgicae II (1833), S. 71



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe