Münchener Krippen

Münchener Krippen.

Von den Krippen, welche im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert in Kirchen Münchens aufgerichtet waren, ist nur noch jene in der Michaelskirche an Ort und Stelle erhalten. Manche Bestandteile sind freilich erneuert worden, aber die meisten der etwa 1 m hohen, gekleideten Figuren sind alt. Die Köpfe sind teils von Holz, teils von Wachs. Im Allgemeinen erscheinen die Figuren steif, das Ganze, insbesondere in der gegenwärtigen Aufstellung, ohne künstlerischen Wert.


Von der Kunststufe, auf welcher die kirchlichen Krippen Alt-Münchens stehen mochten, geben die Reste dieser ehemaligen Jesuitenkrippe keinen Begriff. Vermutlich hat J. Gorani kirchliche Krippen im Auge, wenn er 1794 gelegentlich der Beschreibung neapolitanischer Krippen von „sehr schönen Krippen“ spricht, die er in München und Wien gesehen.*)

*) J. Gorani, Mémoires secrets et critiques des cours, des gouvernemens et des moeurs des principaux états de l’Italie. I (1794), p. 329.

Ein günstigeres Geschick waltete über den Krippen im Privatbesitz.

Eine der bekanntesten Krippen besaß der Benefiziat bei St. Peter Joseph Paul Spöckmayr (geb. 29. Mai 1740, gest. 13. Januar 1821). Die Figuren ließ er von guten Meistern schnitzen, so insbesondere von Ludwig drei Hirten. Ungefähr gleicher Zeit gehörten die Krippen der alten Franziskanerkirche und der Peterskirche an; erstere wurde bei der Säkularisation verkauft, letztere wurde weggegeben, weil der starke Besuch den Gottesdienst störte. Daneben bestanden zahlreiche andere Krippen, deren Besitzer sich gegenseitig an Schönheit und Reichtum zu überbieten suchten. Oft wurden Figuren von den Besitzern vertauscht und verhandelt, eigene Bildschnitzer deckten den jährlichen Bedarf. Es entstand sogar ein selbständiger Krippenmarkt, am ersten Adventsonntag beginnend und an Maria Lichtmess endend. Der Markt, der gegenwärtig in den Anlagen der Sonnenstrasse abgehalten wird, ging aus dem Verkauf von Moos, Felsen, Rinde und Wachholdergesträuch hervor. Die Leute, welche diese Dinge feil hielten, übernahmen allmählich auch den Verkauf von Figuren. In etwa einem Dutzend hölzerner Jahrmarktbuden wird die Krippenware von Früh bis Abends verhandelt. Die Jugend verbringt da im Schauen und Staunen frohe Stunden. Schon seit Monaten haben die Buben kleine Geldgeschenke zusammengespart, um das und jenes kaufen zu können, was ihrer Krippe noch fehlt, vor allem auch, um frisches gepresstes Moos, duftende Wachholderbüsche und biegsame Weidenruten für die Herstellung des geflochtenen Zaunes, der die Krippe vorne abschließt, einzuhandeln. Was jetzt an Figuren auf dem Krippenmarkte sich findet, ist freilich kunstlose Ware, wenn nicht gute Holzschnitzereien aus älterer Zeit sich her verirren. Billig und schlecht, — so kann man den Markt charakterisieren. Früher war dies anders. Tüchtige Bildschnitzer ließen da ihre Ware feil halten. Und das Publikum hatte noch so viel Interesse, das entsprechende Geld aufzuwenden. Die Krippenliebhaberei war damals so stark, dass es sogar Leute gab, die aus dem kunstvollen Aufrichten von Krippen im Privatbesitz ein Geschäft machten, wie Peter Herzog, der im übrigen besonders Architekturstücke, Ställe etc. anfertigte.*)

*) Näheres über den Krippenmarkt vgl. bei FRZ. S. U(TZ) a. a. O.

Gute Münchener Krippen haben ihre eigene Geschichte. Als Benefiziat Spöckmayer 1821 gestorben war, ging seine Krippe an den Tändler Frauenhuber am Anger über. Die drei Hirtenfiguren Ludwigs erwarb dann der Hofmusiker Zink 1838 um 41 Gulden, der sie nach wenigen Wochen im Januar des folgenden Jahres an den Magistratskassier Zeiller um 44 Gulden 48 Kreuzer weiter verkaufte. Zink hatte aus der Spöckmayerischen Krippe auch die meisten anderen Sachen erworben und damit eine prächtige Krippe zusammengestellt, die man alljährlich in seiner Wohnung an der Frauenstrasse bewundern konnte. Zeiller überließ die Hirten später dem Graveur Seitz, von dem sie Max Schmederer erwarb.

Um eine Vorstellung von der Liebhaberei für Krippen in München zu geben, zähle ich eine Reihe von Krippen auf, die in Folge ihrer guten Schnitzereien einen Namen hatten.

Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren bekannt die Krippe im Durchgange des Hauses No. 30 an der Neuhauserstrasse, einem Kaufmann Mayer gehörig und von einem alten Manne, Namens Satani, aufgestellt, das ganze Jahr über zugänglich und nicht nur Szenen aus dem Leben und Leiden Jesu, sondern auch aus der Bibel zeigend; die Krippe des Lebzelters Speiser, Neuhauserstr. 16 (jetzt in der Franziskanerkirche am Lehel), des Melbers Widmann neben der Bürgersaalkirche, des Hofoberbauführers Joh. Lang am Anger, mit Figuren von Sickinger, dem Meister der Kanzel in der Liebfrauenkirche, jetzt noch im Besitz der Familie; die Krippe des Goldschlägers Lessel am Anger, des Kaufmanns Feuerstein in der Au, des Wasserbaumeisters Finauer in den linksseitigen Isaranlagen, des Bäckers Hammerl am Anger; Hammerl, der, 82 Jahre alt, noch lebt, verfertigte auch für andere Krippen Architekturstücke aus Kork und Holz in kunstreicher Weise. Zu nennen sind außerdem die Krippe des Josephspitals, um 1860 nach Rumänien verkauft, die Nadler Schmid’sche Krippe am Kreuz (jetzt in der Kapuzinerkirche), die mechanische oder „lebendige“ Krippe des Nagelschmiedes Strobel beim Josephspitale, später im Besitze Herzogs, der sie gegen Eintrittsgeld ausstellte; die Krippen von Kerschensteiner, Schreibmayr. Bäcker Sailer, Metzger Werner. Buchbinder Oettl, Maler Listmeyer und Bäcker Utz. Welch’ bedeutenden Wert diese Krippen mit ihren holzgeschnitzten Figuren oft darstellten, lässt sich z. B. daraus ermessen, dass die Krippe des Münzdirektors Heindl in den sechziger Jahren um den Preis von 1.500 Gulden zum Verkaufe ausgeschrieben wurde. Zink veräußerte seine Klippe noch bei Lebzeiten nach und nach. Ein großer Teil ging an den Kaufmann Gartmayer in der Sendlingerstrasse über. Einen anderen Teil erwarb Hofdekorateur Steinmetz. Auch Obstler Götz, der später seine Krippe an Hofglasmalereibesitzer Zettler abgab, erstand Sachen von Zink, ebenso Bildhauer Schiele. Häufig erwarben auch Händler ganze Krippen und schlugen sie auf dein Krippenmarkte wieder einzeln los. So kamen Krippen auseinander und bildeten sich wieder neue Krippen*)

*) Die Notizen über die Münchener Krippen gründen auf dem angeführten Schriftchen von Frz, S. Utz und auf Mitteilungen von M. Schmederer.

In den sechziger Jahren nahm die Liebhaberei für Krippen bedeutend ab, das Interesse für kunstvolle Arbeiten wurde seltener, die guten Schnitzereien wurden von Jahr zu Jahr weniger. Man betrachtete das „Kripperl“ als Kinderspielzeug, und nur ganz vereinzelt blieb das Verständnis für den Wert der guten Krippen bestehen. So kam es, dass, als Max Schmederer eine Anzahl Altmünchener Krippen erworben hatte und zur Besichtigung ausstellte, das Publikum wie vor einer neuen Entdeckung stand. Seit die Schmederer’sche Sammlung im Neubau des bayerischen Nationalmuseums allgemein zugänglich ist, ist die Krippe in weiteren Kreisen wieder zu Ehren gebracht.

Die Schmederer’sche Sammlung gibt ein reiches Bild von den Münchener Krippen alter Zeit. In vier Kabinetten sind Hunderte von Werken der Münchener Krippenschnitzer aufgestellt, einzeln oder in Gruppen, viele auch in Bildern, oder wie man diese in der Krippensprache nennt, in „Vorstellungen“ vereint. An den menschlichen Figuren — der Altbayer nennt sie „Krippenmannl“*) — ist vor allem charakteristisch, dass die Köpfe in der Regel aus Holz geschnitzt sind; Wachsköpfe (mit eingesetzten Glasaugen) sind an alten Figuren selten. Die Figuren sind gewöhnlich beweglich, indem Arme und Beine durch Draht mit dem Oberkörper verbunden sind und der Kopf drehbar ist; bisweilen haben ganz geschnitzte Figuren auch bewegliche Gelenke. Unbeweglich und völlig in Holz geschnitzt sind meistens die Engel, hie und da ein Hirte, der in einer bestimmten Stellung aufgefasst ist, z. B. knieend oder im Schlafe liegend, die Mohren aus dem Gefolge der drei Könige. So gut, ja bisweilen sogar hervorragend fein die menschlichen Figuren ausgeführt sind, so beruht in ihnen doch nicht die Stärke der Münchener Krippen; denn mit den neapolitanischen oder sizilianischen Werken können sie sich nicht messen. Das Hauptinteresse bieten vielmehr die Tiere; unter diesen findet sich eine ganze Anzahl vorzüglicher Schnitzereien. Hier haben die alten Münchener Krippen ihr Bestes geleistet.

*) SCHMELLERFROMM ANN, Bayer. Wörterbuch I, S. 1378.

Von den Münchener Bildschnitzern waren wohl viele auch für Krippen tätig. Nur wenige aber sind uns namentlich bekannt. Von Ignaz Günther, dem vorzüglichen Bildhauer, der seine Figuren in Gruppen wunderbar zu beseelen verstand, geht die Tradition, dass er Engel für Krippen schnitzte. Wohl die besten Werke, die wir von ihm besitzen, finden sich in der Klosterkirche von Weyarn am Steilrand des waldfrischen Mangfalltales, so der Tabernakel am Hochaltar, die Gruppen der Verkündigung Maria und der Beweinung Christi, die großen Engel am Schreine des hl. Valerius und eine Reihe kleiner Engel an einem Seitenaltar, alles aus der Zeit um 1760*). Der Meister ist nicht nur an dem gerundeten Linienfluss seiner Figuren, sondern vor Allem auch an der flotten Haarbehandlung kenntlich, welche einzelne Partien büschelweise zusammenzufassen liebt. Von Günther, der 1790 starb, könnte der Mittelengel in der Gruppe Fig. 10 herrühren.

*) G. v. Bezold und B. Riehl, Die Kunstdenkmale des Königreiches Bayern I (1526).

Roman Anton Boos (1730 — 1810) schnitzte ebenfalls Krippenengel. Ihm weiden die großen Engel in der Krippe der Michaelskirche in München zugeschrieben und in unserer Sammlung zwei stehende Engel von 22 cm Höhe, welche sich durch kräftigen und vollen Körperbau auszeichnen.

In viel größerem Umfange arbeiteten andere Schnitzer für Krippen. So vor allem Niklas, von Haus aus angeblich ein Zimmermann. Er soll um 1800 in der Vorstadt Haidhausen gelebt haben. Niklas war als Krippenschnitzer so bekannt, dass man bis vor Kurzem jede alte gute Figur ihm zuschrieb. Indessen hat er weniger menschliche Figuren geschnitzt, als vor Allem und hauptsächlich Tiere; und in diesen hat er allerdings Ausgezeichnetes geleistet. In der Schmederer-Sammlung rühren von seiner Hand eine Anzahl Lämmer und Widder her (Fig. 2. linke Hälfte, ca. 10 cm hoch). Kühe (ca. 15 cm hoch. Fig. 15), Hirsche und Rehe (bis ca. 16 cm Höhe, Fig. 19). Alle diese Tiere sind höchst naturwahr geschnitzt, voll Leben. Gewiss hat Niklas in der Umgebung Münchens gar oft Naturstudien gemacht, sicher hat er auch die Radierungen Riedingers gekannt. Interessant ist die Stilisierung des Felles der Schafe und Ziegen, welche den zottigen Charakter trefflich wiedergibt und durch Herausarbeiten höherer und tiefer liegender Partien der Wolle sehr malerisch und lebendig wirkt im Gegensatz zu der flacheren, mehr die einzelnen Haare mit dem Schnitzmesser andeutenden Behandlung späterer Bildhauer. Das Meisterstück des Niklas sind aber die zwei kämpfenden Stiere (Fig. 20). Ehemals angeblich in der Krippe der Peterskirche später Jahre langgetrennt, der eine in der Seitz-, der andere in der Kolditzkrippe, sind sie in der Schmederer-Sammlung wieder vereint worden (Höhe 15 cm). Eine gewisse Berühmtheit unter den Arbeiten des Niklas erlangte ein prächtiger Schäferhund, der in hervorragendem Maße von der Virtuosität des Meisters in der malerischen Behandlung des zottigen Felles zeugt (Fig. 2). Dieser Schäferhund fand seiner Zeit so großen Beifall, dass er öfter wiederholt wurde. Eine solche Wiederholung besitzt z. B. die Krippe der Kapuziner in München.

Was Niklas im Tierfache, das war Ludwig im Fache der „Krippenmannl“. Sein berühmtestes Werk sind die bereits oben erwähnten drei Hirten (Fig. 21). Ganz in Holz geschnitzt, mit Kugelgelenken und mit drehbaren Köpfen, zählen sie zu den größten Münchener Figuren (Höhe 26 cm). An Köpfen und Händen ist die Ausführung der Einzelheiten bis aufs Äußerste getrieben, die Muskulatur und die Adern sind derart im Einzelnen herausgearbeitet, wie wir dies bisweilen bei spätgotischen Werken des sechzehnten Jahrhunderts treffen, die Falten und Runzeln der Haut, das struppige Gewirr der Barthaare sind mit scharfem Blicke der Natur abgeguckt. Es sind wettergebräunte, alte Gesellen, sturmfest, erprobt in manchem Kampfe mit der Natur, ohne jede Spur von dem süßlichen und sentimentalen Charakter, welchen die Bildhauer des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts so oft dem hl. Hirten Wendelin geben. Die drei Hirten Ludwigs sind voll aus dem Leben des Bauernvolkes gegriffen, sie gleichen den derben und naturalistischen Hirtengestalten in den altbayerischen Weihnachtsspielen, den Lippai, Lenzai, Veichtel und Girgai, den ungehobelten und drolligen Hirten der altbayerischen Weihnachtslieder. Diese Werke Ludwigs stellen das Beste dar, was die Münchener Krippenschnitzer geleistet haben. Um eine Vorstellung von der Art der Beweglichkeit der Figuren zu geben, bilden wir den Hirten mit dem langen wallenden Bart nebenan nochmals ab (Fig. 22), in einer Haltung, die von der ersten in Fig. 21 völlig verschieden ist.

Zu Ludwigs Arbeiten zählen in der Sammlung auch Figuren der hl. drei Könige (Fig. 28) und eine vorzügliche Mohrengruppe (23 cm Höhe, Fig. 7).

Ludwig starb um das Jahr 1830. Ein Zeitgenosse von ihm ist der Bildschnitzer Johann Berger, von welchem u. A. die Gruppe der tanzenden Mohren aus der Steinmetzkrippe herrührt, Maria und Joseph im Hause Nazareth (Fig. 26). Auch zwei stehende Engel von einer Anbetung des Kindes, mit Flor bekleidet, sowie eine andere ähnliche Gruppe von fünf Engeln gingen aus seiner Hand hervor. Außerdem enthält die Sammlung zahlreiche Tierfiguren von ihm, namentlich Schafe, auch einen guten Ziegenbock.

Wendelin Reiner, Bildschnitzer von Schwabmünchen, wohnte in der Vorstadt Au, wo er laut Kirchenbuch am 8. Juli 1845 im Alter von 45 Jahren starb. Er schnitzte sowohl menschliche wie Tierfiguren, z.B. den knienden, unbeweglichen Hirten (Fig. 16). So sorgfältig Reiner die Tiere auch schnitzte, er erreichte hierin die Kunsthöhe seines Vorgängers Niklas nicht. Es fehlt die Rundung, die wir bei Niklas — man vergleiche die Schafe der beiden Schnitzer — so sehr bewundern. Reiner bleibt mehr an den Einzelheiten haften, er stellt am Fell der Schafe und Ziegen gewissermaßen Haar für Haar dar, er sieht wie mit dem Vergrößerungsglas: Niklas aber hat die Wirkung des Ganzen im Auge, ersieht das Fell der Tiere so, wie es sich in einiger Entfernung betrachtet darstellt. Ein Stiefsohn Reiners war Andreas Barsam, sehr talentiert und außerordentlich flink, aber leichtsinnig und oft nur schwer zum Arbeiten zu bewegen, schuf er, trotzdem er nur ein Alter von etwa 30 Jahren erreichte, eine grosse Menge von Krippenfiguren, meist gute Durchschnittsarbeiten. Von ihm rührt fast die ganze Krippe im Kloster der Schulschwestern in der Vorstadt Au her, die ehemals im Besitze von Feuerstein war. In der Schmeder’schen Sammlung gehören ihm u. A. zahlreiche Engel an; sie haben lange Flügel, typisch wiederkehrende Köpfe; man sieht ihnen die schnelle und flüchtige Arbeit an. Die Pferde und Kamele der Steinmetzkrippe zeugen ebenfalls von seiner Geschicklichkeit. Seine Werke sind völlig verschieden von der Feinarbeit Reiners. Eine flinke Hand und rasche Art führte Barsam wieder dazu, mehr auf die Gesamtwirkung als auf das Einzelne zu achten; daher ist seine Wiedergabe des Schaffelles der Manier des Niklas verwandt. Barsam starb 1869. Mit ihm ging der letzte eigentliche Krippenschnitzer Münchens zu Grabe.

Nicht nur einheimische, sondern auch auswärtige Bildhauer arbeiteten für die Münchener Krippen. So vor allem Anton Fröhlich in Tölz, auf den ich unten zurückkommen werde. Er schnitzte zahlreiche Figuren, die sich durch feine und saubere Ausführung auszeichnen.

Wie groß die Vorliebe für Krippen in Altmünchen war, kommt uns so recht zum Bewusstsein, wenn wir die Schränke mustern, in welchen Bestandteile von Krippen in schier zahlloser Menge künstlerisch aufgestellt sind. Da bewundern wir in einem Schranke lauter Engel in allen möglichen Stellungen, schwebend, stehend oder knieend (Fig. 3); Engel, welche den Hirten die frohe Botschaft verkünden; Engel, welche in den Lüften lobsingen und musizieren, in der Krippensprache Gloriaengel genannt (Fig. 24); mehrere Engelsglorien , um Gott Vater gruppiert, der in einer geöffneten Wolke im Strahlenkranze thront; die eine davon von Sebastian Schöpfl um 1820 geschnitzt, allerdings etwas derb; Engel, welche sich anbetend um die Krippe scharen, darunter eine Gruppe vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts durch besonders zierliche Komposition und Durchführung ausgezeichnet : der mittlere Engel dieser Gruppe, eine zarte und schlanke Figur, zeigt eine ungewöhnlich sorgfältige Modellierung des Körpers (Fig. 10). Reizvoll ist es, diese etwa 150 Figürchen, welche 10—23 cm Höhe messen, im Einzelnen zu studieren, sie in Bezug auf die Haltung, Modellierung, den Gesichtstypus, die Bildung der Flügel und Haare, ja selbst die Fassung mit einander zu vergleichen, zu beobachten, wie der eine Schnitzer zierliche und schlanke, fast magere Formen wählt, ein anderer (Johann Berger) die Körper kräftig, starkknochig und derb formt, ein dritter (Roman Anton Boos) das Fleisch weich und schwellend bildet. Beachtung verdient auch ein gut und flott geschnitzter Gottvater zwischen zwei schwebenden musizierenden Engeln von etwa 1780.

Die andere Hälfte desselben Kabinetts nimmt eine Schäferidylle ein. Da weiden gegen 200 Schafe in allen möglichen Stellungen, von verschiedenen Meistern geschnitzt, vor Allem von Niklas und von Reiner. Den Schafen gesellt sich auch eine Gruppe von fünf Kühen (14 cm hoch), ausnahmsweise von Gips, trefflich modelliert und bemalt von Sebastian Habenschaden (geb. in München 1813, gest. 1868). Habenschaden, zu dessen Andenken noch jetzt die Münchener Künstler alljährlich in Pullach im Isartale ein frohes Frühlingsfest feiern, war Tiermaler. Er entwickelte aber in modellierten Tieren mehr Geschick als in seinen Bildern.*)

Die Tierwelt setzt sich fort in einer Reihe von Schränken. Kühe. Ziegen (Fig. 25), Rehe, Hirsche, Hasen stehen und lagern in bunter Mannigfaltigkeit und in vorzüglicher Ausführung, so lebendig aufgefasst und natürlich wiedergegeben, dass sie dem Landschaftsmaler als Staffage dienen können. Nicht so sehr künstlerisch als gegenständlich interessant ist eine Auswahl von anderthalb hundert Tieren, die zur Vorstellung „Flucht nach Ägypten“ gehören. Die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten wird in den Apokryphen mit einer Reihe von Erzählungen ausgeschmückt. Da ist die Rede von den wilden Tieren in der Wüste, von Drachen, Löwen, Panthern, Wölfen. Götzenbilder stürzen zu Boden, als das Jesuskind vorbeizieht. Zweimal wird die heilige Familie wunderbar von Räubern gerettet. An solche Erzählungen schließt sich die Darstellung der Flucht in den Krippen an. Mit besonderer Vorliebe schmückte die Altmünchener Krippe diese Szene aus. Vierfüßler, Reptilien, Vögel aller Art sind zusammengetragen, nichts ist vergessen von dem was da ,kreucht und fleucht‘. Wo den Künstler die Anschauung im Stiche ließ, half er mit seiner Phantasie nach. Daher stoßen wir unter den Tieren der „Flucht“ auf manch sonderbare Gestalt. Es fehlen auch nicht die Pyramiden, nicht das Götzenbild und der Räuber.

Haben wir uns an der Tierwelt erfreut, so harren noch eine Reihe anderer Figuren der Betrachtung, so verschiedene Volksgruppen (Fig. 8), köstliche Eseltreiber mit markanten Köpfen (Fig. 6), das Gefolge der heiligen drei Könige, wo unter den Pferden und Elefanten gar manches Stück aus dem achtzehnten Jahrhundert sich findet. Auch eine Vorstellung des zwölfjährigen Jesus im Tempel ist vorhanden und eine Geißelung Christi, zum Beweis, dass manche Krippen das spätere Leben und Leiden Christi mit in ihren Bereich ziehen. Gibt es doch an Wallfahrtsorten Krippen, die das ganze Jahr stehen bleiben und in ihren Vorstellungen den kirchlichen Feiern folgen, so die jedem Münchener wohlbekannte, künstlerisch allerdings ganz unbedeutende Krippe von Maria Eich bei Planegg, über der gar stimmungsvoll der Hochwald rauscht.

*) Fr. Pecht, Geschichte der Münchner Kunst (1888), S. 170

Auch an Architekturstücken ist kein Mangel. Wir zählen deren ungefähr 60. Da finden sich römische und ägyptische Tempelruinen, Obelisken und Pyramiden, romanische; und gotische Burgruinen und Türme, orientalische Häuser, Stadtmauern und Stadttore, selbst Brücken und Brunnen. Sie gehören fast durchaus dem neunzehnten Jahrhundert an. Von den Stallruinen stammt die schönste aus der Spöckmayerkrippe (Fig. 1), in der Hüttenform an den Stall auf altdeutschen Bildern erinnernd. Sie ist von Holz, mit Gips- und Kreidemasse überzogen und bemalt (Höhe 80 cm). Einen anderen Typus vertritt ein 67 cm hoher Stall, der die Ruine eines gewölbten Ziegelbaues darstellt (Fig. 5). Er ist aus Holz, mit Sand bespritzt und dann bemalt.

Reizen die Krippenfiguren in den Schränken zur Musterung im Einzelnen, so wollen die „Vorstellungen“ als Ganzes betrachtet sein. Gewöhnlich beginnen die Münchener Krippen mit dem „Herbergsuchen“. Maria und Joseph bitten, in Bethlehem angekommen, an einem Hause um Herberge; der Wirt weist sie ab, weil sie geringe Leute sind und er vornehme Gäste erwartet. Man stellt diese Szene mehrere Tage vor Weihnachten dar. In gemütvoller und echt volkstümlicher Weise leitet sie die Krippe ein, gleichwie sie an der Spitze vieler Weihnachtsspiele steht. Die Armut der heiligen Familie und die Hartherzigkeit des Wirtes wird hier veranschaulicht. Wegen Raummangel konnte das „Herbergsuchen“ im Museum nicht zur Darstellung gelangen. Dagegen findet sich die unmittelbar daran sich schließende Vorstellung „Die heilige Nacht“.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe