Die heilige Nacht

Die heilige Nacht.

Die heilige Nacht. Eine Hügellandschaft mit Palmbäumen im Dunkel der Nacht. Am schwärzlich blauen Firmament blinken die Sterne, über dem Kamme der hintersten Hügelkette zittert ein leiser Dämmerungsschimmer des nahenden Tages. Links ragt auf einem Hügel eine Palastruine empor, deren Inneres in mildem himmlischen Lichte strahlt. Durch einen weisen Öffnungsbogen derselben erblickst du die Anbetung des Kindes. Das Jesulein liegt in der Krippe; vor ihm sitzt die heilige Jungfrau, über der sich Joseph vorneigt, das Kindlein fromm bewundernd. Große und kleine Engel stellen und knien verehrungsvoll um die Krippe, andere schweben lobsingend in der Höhe (Fig. 11). Höchst malerisch ist der Farbengegensatz der lichtumflossenen heiligen Gruppe zu dem altersgrauen, rückwärts im Dunkel sich verlierenden Gemäuer. Ein Strahl des Lichtes fällt von der Ruine seitlich hinaus ins Freie, streift den Verkündigungsengel, der am Steilrande des Hügels steht, und wirft seinen letzten matten Schein unten auf das Feld, wo die Hirten erwacht sind, staunend dem Lichtglanze sich zuwenden und der frohen Botschaft lauschen: „Fürchtet euch nicht; denn siehe ich verkündige euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird: denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren worden, welcher Christus der Herr ist“. Das Bild atmet den hehren Zauber des Sternenhimmels, die Poesie der Einsamkeit und des Schweigens der Nacht. Es ist die weihevollste aller Krippenvorstellungen. In solche Stimmung tönt das Weihnachtslied herein:


Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute, heilige Paar.
Holder Knab’ im lockigen Haar
Schlafe in himmlischer Ruh.


Das mit feinem künstlerischen Sinn gestellte Bild knüpft an die Erzählung der Apokryphen an, dass die Höhle bei Bethlehem, in welcher Maria und Joseph Herberge fanden, von dem Augenblicke an, da Maria eintrat, in göttlichem Lichte erstrahlte. Von dem Stalle Bethlehems geht das Licht der Welt aus.

Der Stall der Vorstellung stammt aus der Sailerkrippe, der vorgesetzte Bogen ist neu, der daran stoßende Turm ans der Steinmetzkrippe. Die Engel sind meist von Barsam geschnitzt: der Verkündigungsengel ist älter. Der künstlerischen Wirkung zu Liebe sind, wie in den beiden folgenden Münchener Krippenvorstellungen, für Maria und Joseph neapolitanische Figuren gewählt: denn gerade diese heiligen Personen sind die schwache Seite der deutschen und ganz besonders der Münchener Krippe. Weder in den Köpfen noch in der Kleidung pflegen die Münchener Marien- und Josephsfiguren höheren Anforderungen zu genügen. So trefflich die unmittelbar dem Volksleben entnommenen Hirten und selbst oft die Könige dargestellt sind, hier, wo die Vorbilder versagen, reicht die Kraft des deutschen Krippenkünstlers gewöhnlich nicht aus.

Als nächste Vorstellung reiht sich an „das Opfer der Hirten“.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe