Die Stadt Jerusalem

Die Stadt Jerusalem

Ein ganz anderes Bild bietet die Stadt der Moser’schen Krippe. Sie nimmt den größten Teil einer runden Kreisfläche mit einem Durchmesser von 6 m ein. Um einen unregelmäßigen weiten Platz, der sich vorne gegen den Beschauer öffnet, gruppieren sich in malerischer Weise die verschiedensten Gebäude, vor allem Paläste mit Säulenordnungen und Säulenhallen an der Façade. In mehreren Plänen steigen im linken Halbrund die Gebäude auf, überragt von zahllosen Türmchen und Minaretts und beherrscht in der Mitte von einem gotischen Rathhaus flandrischen Stiles, dessen Turm sich kräftig und kühn emporreckt. Zur Rechten schiebt sich in dem Mittelgrund ein prunkvoller Barocktempel vor mit Säulenportikus, Seitentürmen und Mittelkuppel. Den weiten Platz ziert ein mehrschaliger Brunnen und ein Obelisk. Schnee liegt auf dem Pflaster, auf den Gesimsen der Gebäude, auf den Türmen und auf den Kuppeln. Und über der Schneelandschaft und dem reichen Architekturbilde wölbt sich der Abendhimmel, noch glühend von dem letzten Scheine der untergegangenen Sonne. Die üppigste Phantasie kann sich kein reicheres Städtebild vorzaubern; was die Architektur verschiedener Zeiten und verschiedener Völker geschaffen, ist im Geiste des Bozener Meisters wiedergeboren und trotz der Gegensätze zu einem einheitlichen Ganzen verwoben worden. Kein Zweifel, an dem schlichten Gerbermeister ging ein Architekt mit einer hervorragend schöpferischen Kraft verloren. Moserisch ist freilich nur der Entwurf und die Ausführung der einzelnen Gebäude. Gruppiert wurden die Gebäude in der jetzigen kunstvollen Weise von Schmederer, der auch die Schneelandschaft und die Abendstimmung zufügte. Am schönsten wirkt das Bild bei Morgenbeleuchtung, wenn die Sonne von Osten her den aus Leinwand gespannten, bemalten Horizont trifft und das Rot in verschiedenen Abstufungen erglühen lässt, oder auch am Spätnachmittag, wenn der Sonnenball tief im Westen steht und seine Strahlen im Rot und Gelb warm aufleuchten. Mit Absicht ist bei der Aufstellung dieses Stadtbildes die Größe des Eindruckes und die späte Abendstimmung der Landschaft nicht durch Menschengewimmel gestört worden. Der aus einigen Fußgängern, einem Wagen und ein Paar Reitern bestehende Zug, der auf der beschneiten Strasse sich fortbewegt, verliert sich förmlich auf dem weiten Platze, er dient nur dazu, die Stimmung der Einsamkeit zu erhöhen und Architektur und Landschaft noch mehr für sich wirken zu lassen, ähnlich, wie Jakob Ruysdael es in seinen Bildern tat. So stellt sich deutsche Phantasie und deutsches Gemüt den heiligen Abend in Jerusalem vor, als der Erlöser zu den Menschenkindern herabstieg.


Die Tiroler Anbetung der Hirten und die Moser’sche Stadt stehen in der Sammlung neben einander. Dort die armen Hirten, die Hauern, das schlichte, einfache Landvolk; hier die hoho Kultur, die kunstvolle Architektur der Bürger, der Reichen und Vornehmen. An der Krippe des Christkindes weilen zuerst die Armen. Das Christkind kommt aber zu allen Menschen, es beglückt und erwärmt mit seiner Liebe die ganze Welt. Diesen Gedanken mögen die zwei so verschiedenen Bilder verkörpern.

Zu der Moser’schen Krippe gehören etliche Hunderte von Figürchen, die in einem eigenen Schranke aufgestellt sind. Durchaus (auch in den Gewändern) von Holz geschnitzt und bemalt, sind sie völlig bewegungslos. Da finden wir nahezu Alles, was zu einer Krippe gehört. Maria, Joseph, die Hirten, die drei Könige mit ihrem Gefolge, letzteres vielfach zu Pferd, auf Kamelen und Elefanten, Leute aus dem Volke, Tiere, zum Teil in sehr guter Schnitzerei, aus verschiedenen Zeiten. Moser ließ offenbar nicht nur neue Figuren schnitzen, sondern er erwarb auch passende Werke aus dem achtzehnten Jahrhundert. Zur Erzielung einer richtigen Perspektive in den einzelnen Plänen der Krippe stellte Moser eine Anzahl von Personen und Tieren in verschiedenen Größen bereit; es finden sich menschliche Figuren von 10 cm Höhe, andere von 7 cm und endlich ganz kleine von 4 und 2 cm Höhe. Auf das richtige Größenverhältnis der Figuren zu den Gebäuden legte Moser großen Wert. Dass die Moser’sche Krippe eine größere Anzahl von Szenen hatte, beweisen die Figuren, die zur Darstellung Jesu im Tempel gehören, beweist auch das Hochzeitsmahl von Kana, wo die Gesellschaft um eine grosse rechteckige Tafel gruppiert sitzt, Aufwärter geschäftig hin und her eilen und sogar viele Paare sich im Tanze drehen. Alle Figürchen stehen auf grünen Postamentchen und werden zu Gruppen zusammengestellt, ähnlich, wie wir es bei den sizilianischen Krippen linden. Als Schnitzer neueren Sachen wird Pendel genannt, wohl jener Johann Pendel in Meran, von dem das Tirolische Künstlerlexikon (1830) gut geschnitzte Kruzifixe rühmt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe