Die Schmedersche Krippensammlung des bayerischen Nationalmuseums

Die Schmedersche Krippensammlung des bayerischen Nationalmuseums.

In der Krippe hält sich ein alter Brauch in der Gegenwart lebendig. Aber wie die meisten alten Volksgebräuche, so haben auch die Krippen an Bedeutung und Verbreitung eingebüsst, sie sind jetzt nur Überreste einer reicheren Vergangenheit. Noch findet man sie zwar vielfach in Kirchen und in Familien, in Deutschland und Österreich sowohl wie in Italien, Spanien, Frankreich und Belgien; sie haben sogar mit den Missionären Einzug in fremden Weltteilen gehalten. Aber was bedeutet das alles gegen früher, als die Krippe ein wirkliches Volksbedürfnis war! So ist denn die Zeit gekommen, durch Sammeln von Krippen der Nachwelt zu überliefern, was auf diesem Gebiete Gutes und Schönes und Wertvolles geschaffen wurde.


Anfänge zum Krippensammeln sind schon seit längerem gemacht worden. Bekannt sind zwei neapolitanische Hauskrippen im Musée de Cluny in Paris. Beide stammen aus Spanien (Sammlung Audéoud); die kleinere ist für einen Infanten von Spanien verfertigt worden.*) Das Salzburger Museum besitzt ein Krippchen aus ganz geschnitzten Figürchen in einem Glaskasten. Im Museum für Völkerkunde in Wien ist eine Bauernkrippe aufgestellt, im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg eine Krippe, deren Figuren aus Pappendeckel ausgeschnitten und bemalt sind. Einer gewissen Berühmtheit erfreut sich die Krippe im Museum von San Martino in Neapel. In der retrospektiven Abteilung der Pariser Weltausstellung 1900 waren etwa zwei Dutzend französischer Krippenfiguren (gekleidet) aus dem achtzehnten Jahrhundert zu sehen.**) Die Sammlung Riedinger in Augsburg enthielt eine Krippe, die aus vielen Hunderten von Figuren bestand und den ganzen Zyklus des Lebens Jesu umfasste. Und so verirrten sich da und dort einzelne Krippen, öfter noch einzelne Krippenfiguren, die oft nicht einmal als solche erkannt wurden, in private und öffentliche Sammlungen.

*) E. NIFFLE-ANCIAUX a. a. O., S. 13, mit Abb.

**) Abb. in der Zeitschrift L’Illustration (1900, Dezember).



Einem Münchener Bürger aber blieb es vorbehalten, als der erste in großem Maasstabe Krippen verschiedener Länder zu sammeln. Ich möchte es keinen Zufall nennen, dass gerade ein Münchener die Idee zu einer Krippensammlung fasste. München und das bayerische Alpenvorland pflegt seit Jahrhunderten den Krippenbau, ebenso das nahe Tirol und Österreich. Die Anregung, Krippen zu sammeln, lag also in München gewissermaßen in der Luft. Es bedurfte nur eines äußeren Anstoßes, dass der richtige Mann zur richtigen Zeit der schönen Aufgabe sich unterzog. Der richtige Mann! Denn zum Krippensammeln gehören verschiedene Eigenschaften. Von den materiellen Mitteln will ich nicht reden, obwohl sie in erster Linie in Betracht kommen. Aber das darf ich sagen, dass eine grosse Liebe zur Natur dazu gehört, ein schlichtes und frohes Gemüt, das mit der Volksseele wie mit den Kindern fühlt, ein feines Kunstempfinden, das die Spreu von dem Weizen sondert, ein entwickelter Sinn für Architektur, ein künstlerisches Gestaltungsvermögen, das den entsprechenden landschaftlichen Boden für die einzelnen Szenen schafft und die Figuren in lebendiger und künstlerisch vollendeter Weise stellt. Man hat mir erzählt, dass auf dem Lande besonders die Junggesellen es sind, welche am meisten Vorliebe für Krippen haben und durch Aufrichten von solchen sich selbst und anderen Leuten zur Weihnachtszeit eine Freude machen. Wohlan, auch diese Voraussetzung trifft hier zu, denn unser Sammler ist ein Mann, der unbeirrt von Frau und Kind über seine Wohnung, über sein Haus verfügt und nach Herzenslust Krippen bauen kann, wo und wie und wann er will. Es war somit nur ein äußerer Anlass notwendig, dass Kommerzienrat Max Schmederer, Inhaber der Bankfirma Seb. Pichler sel. Erben, den Grund zu einer Sammlung legte, die jetzt eine Quelle des Entzückens und der Freude für Groß und Klein, ein wertvoller Beitrag zur Volkskunde und zur Geschichte der volkstümlichen Kunst geworden ist. Hören wir, wie Max Schmederer die Geschichte seiner Sammlung erzählt: „Es sind etwa zwanzig Jahre her, dass ich eines Winters durch Krankheit gezwungen wurde, das Zimmer zu hüten. Da ich die Natur entbehren musste, so kam mir der Gedanke, eine Krippe aufzubauen, die mir ein Abbild der Natur im Kleinen geben konnte. Die Freude an dieser meiner Krippe führte mich dazu, allmählich immer mehr Krippen zu erwerben. Bald legte ich auch Gewicht auf den künstlerischen Wert der Figuren. Ehe ich es selbst recht wusste, hatte ich auf diese Weise eine Sammlung gewonnen, die ich dann aus Freude und Interesse an der Sache im Laufe der Jahre vervollständigte und ausbaute. Den ersten künstlerisch wertvollen Zuwachs der Sammlung brachte der Erwerb der Krippen des Hofdekorateurs Steinmetz im Jahre 1883 und des Graveurs Seitz. Dazu gesellte sich die Zettler’sche (früher Götz’sche) Krippe, welche namentlich gute Engel barg. Auch die um die gleiche Zeit gekaufte Kolditz’sche Krippe und die etwas später erworbene Grössl’sche hatten viele gute alte Schnitzereien und Architekturstücke. Es folgten, abgesehen von kleineren Käufen, noch größere Erwerbungen aus den Krippen von Schopf, Hammerl, Sailer. Von auswärts ist zunächst eine Tölzer Krippe (ehemals Sonderer gehörig) zu nennen, ferner die Moser’sche Krippe aus Bozen und die Ursulinerinnenkrippe von Innsbruck aus dem Besitze von Strixner. Am meisten bereichert aber wurde die Sammlung durch die Erwerbungen, welche ich in Neapel und Sizilien machte.“

Bei der Erweiterung der Sammlung ließ sich Schmederer durch künstlerische Gesichtspunkte leiten. Was von den alten Krippen künstlerisch Wertvolles erhalten war, sollte vom Untergang gerettet werden. Noch schwerer aber, als gute Figuren zu erwerben, war es, die Krippen künstlerisch aufzustellen. Nur durch stetes Beobachten und Probieren konnte es gelingen, die strengsten Anforderungen auch in dieser Hinsicht zu erfüllen. Nicht minder wichtig war es, die stimmungsvolle Beleuchtung für die einzelnen Bilder zu treffen.

Anfangs pflegte der Sammler in seinem Hause an der Neuhauserstrasse von Weihnachten bis Lichtmess die fünf Vorstellungen (Heilige Nacht, Opfer der Hirten, Drei Könige, Flucht nach Ägypten, Haus Nazareth) der altbayerischen Sitte gemäss in wechselnder Folge vorzuführen; nach Lichtmess wurde die Krippe abgebrochen und Alles verpackt. Mit dem Anwachsen der Sammlung gelangte Schmederer dazu, gleichzeitig mehrere Bilder nebeneinander zu stellen, die übrigen Figuren aber in Glasschränken der Besichtigung zugänglich zu machen. So nahm die Krippenausstellung zur Weihnachtszeit schließlich ein ganzes Geschoss des Schmederer’schen Hauses ein. Obwohl der Eintritt nur auf Einladung oder gegen Anmeldung gestattet war, wurde die Krippe in jedem Jahr von 6000—8000 Personen besucht.

Um die kostbare Sammlung vor etwaiger künftiger Zersplitterung zu bewahren und der Stadt München zu erhalten, fasste Schmederer im Jahre 1892 den hochherzigen Entschluss, dieselbe dem bayerischen Nationalmuseum als Geschenk zu überweisen. Schmederer dachte damit seine Sammlertätigkeit zu beschließen. Aber er hatte schon zu viel Freude und Genuss am Sammeln gefunden, als dass er es hätte aufgeben können. Ja, er hatte jetzt erst recht die Feinheiten des Krippenwesens kennen gelernt. So erwarb er nach und nach wieder zahlreiche Werke, insbesondere in Neapel und Sizilien. Auch von diesen Neuerwerbungen hat Schmederer einen großen Teil bereits dem Museum gestiftet.

Beim Neubau des bayerischen Nationalmuseums wurde der Krippensammlung ein Obergeschoss eines Seitenflügels eingeräumt. Die Aufstellung leitete und besorgte der Stifter selbst, ohne Beihilfe eines Künstlers beim Arrangement der Bilder. Die Räume der Krippensammlung umfassen gegenwärtig 600 Quadratmeter. Nach Vollendung des zur Aufnahme dor Neuerwerbungen bestimmten Erweiterungsbaues werden sie sich auf rund 1000 Quadratmeter belaufen.

So darf das bayerische Nationalmuseum dank dem Kunstsinn und der Opferfreudigkeit eines Münchener Bürgers eine ebenso eigenartige wie reizvolle Sammlung sein Eigen nennen — die erste größere Krippensammlung, die überhaupt ein Museum besitzt. Das bayerische Nationalmuseum war aber auch, wie nicht leicht ein anderes Institut, dazu geschaffen, diese Sammlung seinem Organismus einzugliedern. Mit der Aufgabe des Museums, alles zu sammeln, was auf die Geschichte des Volkslebens in Bayern Bezug hat, berührt sich die Weihnachtskrippe aufs engste, ja sie berührt sich damit so enge, dass wir uns heute staunend fragen, warum das Museum nicht schon längst den Krippen seine Aufmerksamkeit gewidmet hat. Und wie in den übrigen Sammlungszweigen des bayerischen Nationalmuseums häufig Gegenstände aufgenommen wurden, die ihrer Herkunft nach weder mit der Geschichte des Volkes noch mit der Geschichte des Herrscherhauses Beziehungen haben, so fügen sich auch die ausländischen Krippen den einheimischen ungezwungen an, indem sie einen Vergleich der verschiedenen Krippen untereinander gestatten und dadurch einerseits die Kenntnis der Eigenart der bayerischen Krippen ermöglichen und vertiefen, andererseits die Entwicklung des Krippenwesens im Allgemeinen überblicken lassen. Die von dem Gründer des bayerischen Nationalmuseums, König Maximilian II., seiner Stiftung gegebene Devise: „Meinem Volke zu Ehr und Vorbild“ kann man auch über die Abteilung der Schmederer’schen Krippensammlung schreiben.

In einer Reihe von Kabinetten sind die Weihnachtskrippen aufgestellt. Bei der Aufstellung galt als oberster Grundsatz, alles Eintönige zu vermeiden. Der Besucher soll ferner den lieblichen Reiz der Krippe kennen lernen, ihre Bedeutung für die Volkskunde; es soll ihm aber auch gezeigt werden, dass die Krippe sich zum Kunstwerk erheben kann. Daher enthalten die einen Kabinette kunstvoll gestellte Krippenbilder, die andern einzelne Bestandteile von Krippen in Glasschränken. Alles in stetem Wechsel, kein Kabinett gleicht dem andern als Raumgebilde und auch die Farbe der Schränke und der stoffüberzogene Grund des Innern derselben ist verschieden. Verschieden endlich ist der Charakter der Krippenbilder, verschieden in der Größe und Szenerie und verschieden in Farbe und Beleuchtung. Die Krippenbilder sind ohne Anlehnung an irgendwelche Muster gestellt, sie sind frei in künstlerischem Empfinden komponiert: mit feinsinniger Verwendung aller überlieferten Mittel und mit Ausnützung der örtlich ermöglichten Lichteffekte zeigen sie die Krippe in ihrer künstlerischen Vollendung.

Wenn ich im Folgenden die Weihnachtskrippe verschiedener Länder zu schildern und zu charakterisieren versuche, so bietet mir den Stoff hiezu in erster Linie die Schmederer’sche Sammlung.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe