Die Anbetung der Hirten

Die Anbetung der Hirten

Zwischen zwei Bergen, die von beiden Seiten her in den Vordergrund hereinragen, öffnet sich der Blick in ein gekrümmtes Tal, auf dessen terrassenförmig abgestuftem linksseitigen Hange die Häuser eines Dorfes malerisch aufsteigen, die hintersten in weiter Ferne sich verlierend. Rechts steht ganz im Vordergrund auf einem Bergvorsprung der Stall, ein offener Gewölbebogen, der letzte Rest einer verfallenen Burg, hart an den Berg gelehnt, und durch herabgestürzten Schutt und wild wuchernde Pflanzen mit dem Hange wie verwachsen. Durch einen weiten Öffnungsbogen im Hintergrund des Stalles, durch den der Weg ins Freie führt, schaut man in den Hintergrund der reizenden Berglandschaft. Im Stalle liegt das Jesuskind in einem Korbe, verehrt von Maria, die vor ihm kniet, und von Joseph. Hirten, welche die frohe Botschaft von ihren Kameraden vernommen haben, nahen dem Eingange der Ruine; einer kniet schon vor der Krippe. Ihre Geberde redet die Sprache jenes schlichten Weihnachtshirtenliedes:


Was finden wir da!
Ein herziges Kindlein
Auf schneeweißen Windlein.
Dabei sind zwei Tier, Ochs, Esel, allhier.*)


Die Stalllaterne, welche am Gewölbe hängt, ist erloschen, denn der Tag ist angebrochen. Im Dorfe machen sich die Bauern auf, der Arbeit nachzugehen. Das bewaldete Mittelgebirge und das abgeholzte Hochgebirge des Hintergrundes strahlen im Morgendufte. Der Hauptreiz des Bildes liegt in der Landschaft und in der Staffage; die Anbetung der Hirten spielt nur nebenbei mit. Wie sorgfältig sind die Häuser ausgeführt mit ihrem Gebälk, ihren Lauben, Türen und Fenstern, wie greifbar anschaulich wird hier das Treiben in einem deutschtiroler Dorfe geschildert, in dem deutschtiroler Dorfe, wo aus jeder Ecke eine so behagliche und traute Häuslichkeit spricht und wo jeder stets so gerne Einkehr hält. Welcher Gegensatz zwischen der trauten Wohnlichkeit des Dorfes und der Armut des Stalles und der heiligen Familie! Mit Worten lässt sich das harte Lager und die Armseligkeit des Christkindes nicht so treffend schildern, wie es hier im Bilde geschehen. Der Beschauer fühlt von Herzen all die Not, die in den Hirten- und Wiegenliedern der Weihnachtszeit den Gegenstand mitleidiger Klage bildet:

O wie ein so raue Krippen
Hast du, Jesu, dir erwählt.
Zwischen Felsen, Stein und Klippen.
Blöden Tieren zugesellt.
O herzliebstes Jesukindlein,
Liegst allhier im kalten Stall
Bei dem Esel und dem Rindlein,
Und verlässt den Himmelssaal.**)


Vor und hinter dem Stalle stehen einige blühende Sträucher. Sie erinnern an den alten Volksglauben, dass die Geburt des Erlösers die der heiligen Nacht in den Frühling versetzt hat, sie gemahnen an die blühenden Bäume, die in der Weihnachtssage und im Weihnachtsbauch eine so sinnige Rolle spielen.***) Im Weihnachtsspiel und in den Weihnachtsliedern findet diese anmutige Legende ihren Ausdruck.****) In der Provence steckt man blühende Kirsch- und Apfelzweige an die Krippe*****)

*) K. Simrock, Deutsche Weihnachtslieder (1859), S. 134.

**) weinhold a. a. O., S. 451. Aus Kärnthen.

***) Tille a. a. O., S. 219 ff.

****) Vgl. z. B. Weinhold a. a. O., S. 181. Oberb. Archiv XXXIV, s. 46. Vogt a. a. O., S. 307.

*****) Bethlehem. Aus den neuprovenzalischen Weihnachtsliedern des Pfarrers Lambert ausgewählt und frei übertragen durch W. Kreiten (1895), S. 7.


In der Tiroler Krippe des bayerischen Nationalmuseums lebt und webt die Poesie der Gebirgslandschaft, sie; ruft die Erinnerung wach an das Entzücken, das die Hochgebirgsnatur in dem modernen Menschen erweckt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe