Der Einfluss des geistlichen Schauspiels auf die bildende Kunst

Der Einfluss des geistlichen Schauspiels auf die bildende Kunst

Der Einfluss des geistlichen Schauspiels auf die Darstellungen der bildenden Kunst ist wiederholt nachgewiesen worden, am eingehendsten von P. Weber.* ) Er musste sich ganz besonders bei der Krippe geltend machen. Die Krippe ist ja nichts anderes als das Herausgreifen und Festhalten bestimmter Momente aus einem Schauspiel, die Übersetzung lebender Bilder in das Kleine. Die Einwirkung des geistlichen Schauspiels zeigt sich denn auch deutlich in den fast lebensgroßen Gruppen von heiligen Gräbern und Krippen, welche der Modenese Guido Mazzoni (um 1400 — 1518) aus einzeln geformten Terrakottafiguren zusammenstellte. Zu den bekanntesten dieser Werke gehört die Anbetung des Kindes in der Krypta des Domes zu Modena aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.**) Mazzoni hatte einen Vorgänger in dem Süditaliener Niccolo dell’Arca († 1494) und er fand einen Nachfolger in Antonio Begarelli (um 1468 — 1565). Auch andere Bildhauer ahmten diese Art Gruppen vielfach nach; auf dem Sacro Monte bei Varallo in Piemont ist z. B. das ganze Leben Jesu in 46 Kapellen derartig dargestellt. Die Modelle werden aus dem Volke genommen und in der Tracht und in dem Beiwerk in genrehafter Behandlung völlig naturalistisch wiedergegeben; dazu kommt die Polychromie, welche den Eindruck des Natürlichen und Wirklichen noch steigert.***)


*) P. WEBER, Geistliches Schauspiel u. kirchliche Kunst 1894. Vgl. auch F. X. KRAUS, Gesch. d. christl. Kunst II (1897), S. 420 ff.

**) Abb. bei REBER & BAYERSDORFER , Klassischer Sculpturenschatz Nr. 219. Vgl. W. BODE, Die ital. Plastik (Handbücher d. kgl. Museen zu Berlin) 1893. S. 40. C. MEYER. Geistl. Schauspiel u. kirchliche Kunst bei L. GEIGER, Vierteljahrsschrift f. Kultur u. Literatur I (1886), S. 175.

***) W. BODE, a. a. O., S. 134, 167.


Mit den großen italienischen Tonkrippen sind wir ins fünfzehnte Jahrhundert getreten, eine der interessantesten Epochen der Kunstgeschichte. Damals erschloss sich den Künstlern der Blick für die Wirklichkeit, für die Natur und deren Schönheiten, die Gemüter überkam eine Sehnsucht nach Vertiefung ins All der Schöpfung. Hatten die Maler früher die Heiligenfiguren und die heiligen Geschichten auf den feierlichen Goldgrund gestellt, so begannen sie nun, vor allem in den Niederlanden, durch Wiedergabe der Örtlichkeit die volle Wirklichkeit anzustreben. Die Umgebung wird mit der gleichen Liebe und Sorgfalt behandelt wie der heilige Vorgang selbst. Ja, man begnügt sich nicht, nur die nächste landschaftliche Umgebung darzustellen, der Blick schweift in die Weite und Tiefe. Für die gemalte Landschaft des fünfzehnten und auch noch zum Teil des sechzehnten Jahrhunderts ist gerade die in die Tiefe gehende Raumwirkung charakteristisch. Der Horizont wird sehr hoch genommen. Wir schauen von oben, aus der Vogelperspektive, auf die weit sich hinziehende Landschaft, hinaus in Täler und Schluchten bis an deren Ende, hinein in lange Strassen der Städte bis zum letzten Haus, und dabei ist alles scharf und klar auch in den weitesten Fernen. Es sieht sich oft an, als ob die heiligen Geschichten dem Künstler nur den Vorwand geben müssten, möglichst ausführlich erzählen und schildern zu können wie schön und lustsam Gottes weite Welt ist. In solche Landschaften stellten die Maler im fünfzehnten Jahrhundert auch die Szene der Geburt Christi oder der Anbetung der drei Könige. Seit dieser Zeit erst kann die Verbindung der landschaftlichen Umgebung mit der Krippe datieren.

Eine weitere Folge des neu gewonnenen Blickes für die Wirklichkeit war die genreartige Behandlung der heiligen Szenen, die sich stetig steigerte und im sechzehnten Jahrhundert zur vollen Entwicklung des Sittenbildes führte.*) Wir werden später sehen, dass die Krippe, besonders in Italien das Sittenbild in weitestem Umfange aufnimmt.

*) B. Riehl, Geschichte d. Sittenbildes in der deutschen Kunst 1884

Bedeutungsvoll für unsern Gegenstand ist es. dass die Bildschnitzer der Spätgotik ebenfalls den neuen Weg wandelten. Gelegenheit dazu fanden sie in den Schreinen der spätgotischen Flügelaltäre. Rundplastik und Tiefrelief wirken hier zusammen und schaffen förmlich plastische Gemälde, die mit den Tafelbildern jener Zeit den Wechsel des Augenpunktes in den einzelnen Plänen gemein haben. Lübke schildert diese Altäre mit den anschaulichen Worten: „Der Hauptteil besteht aus einem tiefen Schrein, der entweder mit einigen großen Statuen oder mit vielen kleinen Reliefszenen ausgefüllt ist. Letztere überwiegen und finden manchmal selbst neben den Statuen in Seitenabteilungen einen Platz. Sie schildern die Vorgänge durchaus malerisch, mit perspektivisch entwickeltem Plan mit landschaftlichen Gründen. Die kleinen Figuren sind zahlreich und füllen in gedrängter Anordnung den Raum bis zum fernen Hintergrund. Sie stufen sich von den völlig frei herausgearbeiteten Statuetten des Vordergrundes durch das sehr energische Hochrelief des Mittelgrundes bis zum Flachrelief der tiefen landschaftlichen Ferne ab. Unterstützt durch reiche Bemalung und Vergoldung, gewähren sie den Eindruck der Wirklichkeit und veranschaulichen uns die Art, wie die beliebten Mysterienspiele aufgeführt wurden; denn gewiss sind sie die in Holz übersetzten geistlichen Schauspiele jener Zeit.“*)

Zeigt ein solcher Altarschrein die Geburt Christi dargestellt, so ist die Ähnlichkeit mit unseren Krippen eine ganz überraschende. So z. B. auf dem Flügelaltar aus Tramin bei Bozen, der aus der Schule Pachers stammt und jetzt eine Zierde des bayerischen Nationalmuseums bildet.**) In der Nische des Schreines schauen wir im Vordergrunde eines hohen gewölbten Raumes die Anbetung des Kindes durch Maria und Joseph in vollrund geschnitzten Figuren. Oben schweben lobsingende Engelchen. Rückwärts und zur Seite öffnet sich in fünf großen Bögen der Blick ins Freie. Durch die seitlichen Bogenöffnungen schaut links und rechts ein Hirte neugierig herein, durch die mittlere Öffnung strecken Ochs und Esel ihren Kopf vor. Im Hintergrunde sehen wir in der Mitte die hl. drei Könige mit zahlreichem Gefolge heranreiten, links aber Joseph mit Maria und dem Kinde auf der Flucht nach Ägypten ziehen. Ähnlich ist der Altar in der Franziskanerkirche in Bozen.***) Die breite historische Erzählungsweise und das Ausmalen der Details macht die Darstellung ungemein anschaulich, traut und anheimelnd, verleiht ihr den intimen Liebreiz der Krippe.

*) W. LÜBKE, Gesch. d. Plastik II (1880), S. 683 f.

**) Kataloge d. bayer. Nationalmuseums IV, 1319 mit Abb.

***) B. RIEHL, Die Kunst an der Brennerstrasse 1898, S. 180.


Von dem Weihnachtsbilde in den Schnitzaltären bis zur Herstellung einer selbständigen Krippe war nur ein kleiner Schritt: das Bild konnte dasselbe bleiben, bloß der Rahmen musste ein anderer werden. So wurden jedenfalls schon im fünfzehnten Jahrhundert Krippen nach Art der Reliefs in den Altären geschnitzt, mit der Bestimmung, in der Weihnachtszeit zur Förderung der Andacht zu dienen. Im übrigen Jahre blieben sie in einem Kasten oder einer Lade verwahrt. Solcher Art waren wohl die beiden Krippen, welche in einem Inventar des Karmelitenklosters in Brügge von 1537 beschrieben werden. Bei einer dieser geschnitzten und farbig gefassten Krippen wird außer der Aufbewahrungslade ausdrücklich eine Nische mit vier vergoldeten Säulchen und mit farbiger Fassung erwähnt, die nach dem Wortlaute des Inventars offenbar ein Stück für sich war und zum Hineinstellen des Schnitzwerks diente. Man nannte diese Bildwerke in Flandern „Ställchen von Bethlehem“ oder kurz „Bethlehem“. Der Name „Bethlehem“ ist auch für die Krippen in Schlesien gebräuchlich. Niffle-Anciaux beschreibt ein „Bethlehem“ im Besitze des Stadtarchivars Ed. van Even in Louvain. Es stammt aus der Gegend von Hasselt und Herckenrode und misst 88 cm Höhe bei einer Breite von 70 cm. Die Entstehungszeit fällt in die erste Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Von einem zweiten, noch der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts angehörenden „Bethlehem“ bei der Familie Baus in Ypres bietet Niffle-Anciaux eine Abbildung. Die Höhe dieses Werkes beträgt 78, die Breite 60, die Tiefe 22 cm. Da es völlig einem Altarreliefe gleicht, so erhebt sich der Verdacht, dass es nicht als selbständige Krippe, sondern als Bestandteil eines Altarzyklus gearbeitet ist.

Sollte es mehr als Zufall sein, dass wir aus Flandern eine so frühe Nachricht über Krippen besitzen? Aus Flandern. wo in der Malerei die Landschaft und das Beiwerk am frühesten und liebevollsten wiedergegeben wurde und wo vor allem auch der spätgotische Schnitzaltar in dem Schreine eine solche Fülle von Gruppen in hunderten von Figürchen und in zahlreichen Abteilungen zeigt, wie nirgends in Deutschland. Flämische Schnitzaltäre, besonders aus den Werkstätten in Antwerpen und Brüssel, fanden weite Verbreitung in den Rheinlanden und in Westfalen, ja sogar in Norddeutschland, in Dänemark und Schweden. Wo die Sitte, in den Schnitzwerken Rundplastik und Tiefrelief zu verbinden, in so ausgedehntem Maße Platz gegriffen hat, mag auch sehr bald der Gedanke entstanden sein, die Anbetung des Kindes vom Altare loszulösen und als selbständiges Schnitzwerk zu gestalten. Der Gedanke lag dort um so näher, als oft für die Gruppen in den Altarschreinen einzelne Figuren gesondert geschnitten und erst nachträglich zusammengestellt wurden.*)

Können wir in Flandern die Zusammenstellung von Krippen aus einzelnen geschnitzten Figuren in der Spätgotik nur vermutungsweise annehmen, so hat sich in Italien eine solche Krippe aus dem fünfzehnten Jahrhundert noch erhalten. Im Jahre 1478 schloss Jaconello Pipe (oder Pepe) mit den Meistern Pietro und Giovanni Alamanno einen Vertrag über Herstellung einer Krippe in seiner Kapelle in der Augustinereremitenkirche San Giovanni a Carbonara in Neapel. Die Meister sollten folgende Figuren schnitzen: Die hl. Jungfrau mit einer Krone auf dem Kopfe, St. Joseph, den Bambino, Ochs und Esel, drei Hirten, zwölf Schafe, zwei Hunde, vier Bäume „cum tortanis“, elf Engel, zwei Propheten, zwei Sibyllen. Luigi Correra, dem wir die Nachricht von diesem für die Geschichte der Krippe wichtigen Vertrage verdanken,**) bemerkt, dass in der Kirche noch Maria (ohne Krone) und Joseph, die Engel, die Propheten und die Sibyllen vorhanden seien. Die Figuren sind farbig gefasst. Maria und Joseph sind knieend dargestellt, das Kindlein verehrend, wie in spätmittelalterlichen Reliefs und Gemälden. Die Engel sind mit langen Alben bekleidet; die einen haben die Hände verehrend über der Brust gekreuzt, die andern tragen mit beiden Händen kleine hölzerne Leuchter. Angesichts der Engel vom Presepe in San Giovanni a Carbonara in Neapel darf man annehmen, dass manche der spätgotischen Holzstatuetten stehender Engel, die sich in der gleichen Art zahlreich in unseren Museen finden, von Krippen stammen.

*) MÜNZENBERGER-BEISSEL, Zur Kenntnis und Würdigung der mittelalterlichen Altäre Deutschlands II, S. 13, 82.

**) L’Arte II (1899). p. 325.


Auch das bayerische Nationalmuseum besitzt in der mittelalterlichen Abteilung eine Anzahl solcher Engel. Sehr interessant ist das Auftreten von Propheten und Sibyllen in der Krippe des Signor Pepi. Denn in diesen Figuren verrät sich abermals der enge Zusammenhang der Krippe mit dem geistlichen Schauspiel. Sepet und P. Weber haben eingehend erörtert, dass die Propheten und Sibyllen aus dem „Sermo beati Augustini contra Paganos Judaeos et Arianos de symbolo“, der eine Lektion in den Weihnachtstagen bildete, in das geistliche Schauspiel und von da in die bildende Kunst übergingen. Dass auch das italienische Weihnachtsspiel des Mittelalters die Propheten und Sibyllen mit ihrer Weissagung auf Christus kannte, belegt Sepet durch mehrere Nachweise.*) Auf andere italienische Krippen aus gleicher und aus etwas späterer Zeit werde ich in dem Abschnitte über die neapolitanische Krippe zu sprechen kommen.

Die in Flandern erwähnten Krippen haben wohl der Privatandacht gedient, sei es in einer Stube oder in einer Hauskapelle. Auf einen Altar in der Kirche sind sie schwerlich gestellt worden. In den Kirchen begnügte man sich wahrscheinlich noch damit, ein Kindlein in einer Wiege auf den Altar zu setzen, von dem ein Weihnachtslied gesungen und getanzt wurde. Letzteren Brauch schildern in Deutschland in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts Johannes Boemus, Onmium gentium mores (1520) und Sebastian Franck in seinem Weltbuch (1588). Beide erwähnen das „Kindleinwiegen“, mit keinem Worte aber eine mit Figuren ausgestattete Krippe, obwohl sie bei der Beschreibung der in Deutschland üblichen Feierlichkeiten auf den Palmesel, die Grablegung, die Auferstehung, das Aufziehen des Christusbildes am Himmelfahrtsfeste zu sprechen kommen.**) Auch in Ritualien, Zeremonialien und Anweisungen für den Sacristan, die vom Ausgang des Mittelalters in zahlreichen Handschriften ehemaliger Klöster in der Hof- und Staatsbibliothek in München erhalten sind, habe ich vergebens nach Andeutungen über Krippen gesucht. Der Nürnberger Stadtschreiber Johann Müllner († 1634)), der in seinen Relationen eine Schilderung des gottesdienstlichen Wesens der alten Reichsstadt vor der Reformation gibt, spricht zwar von dem Palmesel, dem heiligen Grab, der Auffahrt Christi, aber er weiß nichts von einer Krippe.***)

*) P. Weber, a. a. O. S. 46

**) A. Schultz, Deutsches Leben im XIV. u. XV. Jahrh. Große Ausgabe 1892, S. 428.
Vgl. Hoffmann von Fallersleben, gesch. d. deutschen Kirchenliedes (1854), S. 424.

***) M. Herold, Alt-Nürnberg in seinen Gottesdiensten (1890), S. 54 ff.


Dagegen hat vielleicht Georg Wizel in seinem Psaltes ecclesiasticus. Köln 1550, figürliche Krippendarstellungen im Auge, wenn er BI. 163 schreibt: „Erstlich wird am heiligen Christage an etlichen orten exhibiert, beide in der heiligen Nacht und des Abends zum Vesperlobe, dardurch angezeigt wird die selige Geburt unsers Seligmachers Christi, als mit der representation des stedlins Bethlehem, der Engel, der Hirten, der drey Königen etc. Da auch die Knäblin im gesange Resonet in öffentlicher samlung auff vnd nidder springen, vn mit den henden zusamen schlagen, die grosse Freude anzuzeigen, welche alles Volck von dieser Geburt hat vnd haben sol.“ Hoffmann*), Cassel**) und Tille***) sind der Anschauung, dass Wizel mit der hier beschriebenen „äußerlichen Vorbildung“ figürliche Krippendarstellungen, nicht etwa Weihnachtsspiele meint.****) Da Wizel den sonst für schauspielerische Darstellungen üblichen Ausdruck „exhibiren“ in der Folge auch von der Prozession mit dem Palmesel, von der Auferstehung und Himmelfahrt des Christusbildes gebraucht, so möchte ich die Deutung der Beschreibung als Krippe ebenfalls für möglich halten. Wizel weilte vorwiegend in Mitteldeutschland und dürfte also seine Kenntnis der kirchlichen Festbräuche in erster Linie aus mitteldeutschen Gegenden geschöpft haben.*****)

Für die Krippe Wizels ist es charakteristisch, dass das Vorzeigen der figürlichen Darstellungen von Gesang und Tanz begleitet wurde. Gesang und Tanz war schon lange beim Kindleinwiegen üblich. Als man stellenweise dazu überging, statt eines Kindleins in der Wiege eine reicher inszenierte Krippe aufzustellen, wurde der alte Volksbrauch vorerst noch beibehalten. Nur allmählich mochte der Tanz wegfallen, der ja in Spanien beim Gottesdienste heute noch üblich ist. Der Gesang von Weihnachtsliedern vor der Krippe in der Kirche aber erhielt sich länger. Wurde doch auch das Kindleinwiegen mit Gesang in manchen Gegenden bis in die neuere Zeit in den Kirchen gepflegt. In Ischl in Oberösterreich wurde z. B. noch 1654 eine „andächtige Weyss, das Jesukind zu wiegen“ niedergeschrieben. Nach einzelnen Abschnitten dieses 37 Strophen umfassenden Liedes finden sich Wiegenvorschriften, wie „Hie fahnt das Wiegnen an“, „Ein anders Kind wieget“ etc. ******)

*) A. a. O., S. 424.

**) A. a. O., S. 153.

***) A. a. O., S. 62.

****) Vgl. dagegen BÄUMKER, a. a. O. I, S. 305.

*****) JANSSEN a. a. O. VII (1893), S. 473. Ueber den Psaltes ecclesiasticus vgl. auch W. BÄUMKER a. a. O. I. S. 129 ff.

******) W. PAILLER, Weihnachtlieder u. Krippenspiele aus Oberösterreich u. Tirol II (1883). C. 4, 17.


Im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts hat sich die Krippe weiter entwickelt und ausgestaltet. Einer der treibenden Gründe war das Wirklichkeitsbedürfnis der Renaissance. Waren schon im Mittelalter in den kirchlichen Marionettenspielen Krippenfiguren mit wirklichen Stoffen bekleidet gewesen, so wurde jetzt der Drang, die Figuren auf solche Weise dem Leben täuschend ähnlich zu gestalten, noch viel allgemeiner. Wer erinnert sich da nicht an die Muttergottesbilder in den Kirchen, die seit dem sechzehnten. Jahrhundert mit wirklichen Gewändern und Mänteln bekleidet wurden?*) Die Triebfeder für diese Sitte ist das gleiche Bedürfnis: die Bekleidung mit Stoffen steigerte für die Einbildungskraft die Realität des Bildes, das Volk konnte mit so bekleideten Heiligenfiguren gleichsam in innigere Beziehungen treten. Wie oft sah ich auf meinen Wanderungen, dass am Vorabend hoher Feste in einer abgelegenen Landkirche oder Kapelle ein Bild von einem alten Mütterchen liebevoll umgekleidet wurde, damit es der Feier entsprechend prange! Je mehr vom sechzehnten Jahrhundert ab in der Plastik, vor allem in Italien, die bunte Fassung, welche bis dahin herkömmlich war, zurückgedrängt wurde, desto mehr mochte das Volk Ersatz in der wirklichen Kleidung der Figuren suchen.

*) Über bekleidete Marienbilder vgl. Beissel, die Verehrung U. L. Frau in Deutschland (1896), S. 90 f.

Und dasselbe Wirklichkeitsbedürfnis spricht aus der Vorliebe, welche die Renaissanceperiode für großartige und kunstvolle Puppen- und Dockenhäuser, für Meierhöfe, Falknereien und Stadtmodelle hatte. Es war ein allgemeines Bestreben das Tun und Treiben des täglichen Lebens in solchen plastischen Nachbildungen im Kleinen festzuhalten. „Die Entdeckung der Welt und des Menschen“ hat Jakob Burckhardt als ein Merkmal der Kultur der Renaissance geschildert: ein Ausfluss derselben sind auch diese scheinbaren Spielereien. Mit welchem Eifer derartige, oft sehr kostspielige Liebhabereien von vornehmen Herren damals betrieben wurden, zeigen die Reiseberichte und Korrespondenzen des
bekannten Augsburger Patriziers Philipp Hainhofer aus den Jahren (1610—1620), lässt besonders auch das Inventar der herzoglichen Kunstkammer in München von 1598 erkennen. Unter den „Kunststücken“ dieses Inventars treffen wir gar Manches, was mit den Krippentableaus wesentlich verwandt ist. Vor allem zahlreiche, plastisch ausgeführte Landschaften mit Szenen aus der Mythologie und aus dem alten und neuen Testament. Sie standen auf Tischen in Kästen, die zum Teil von Glas waren. Eine eigene Kategorie dieser Kunststücke in München bildeten die sog. Bergwerke von Handsteinen, von welchen zwei mit der Geburt Christi, „in Glaserz“ (Silbererz) geschnitten, bekrönt waren. Am sonderbarsten aber ist die Krippe, die mit einem Schreibzeug verbunden war und die von Fickler unter Nr. 1756 folgendermaßen beschrieben wird: „Ein schwarz hülzen Fueteral, darinen steht ain viereckheter garten, mit einem halb gülden und halb grüenen Zaun, auch auf einer viereckheten laden, in welcher ein silberine Schreibfeder und Federkhüel, auch mit Goldt und Berlen geziert, ain Schärl und Messerl. Oben auf in dem Garten steht ain Hütten, darunder die Geburt Christi, darbey ein Dintenfass und die Sträpüchs, alles von gestickhter Arbeit.“*)

Die Ausgestaltung der Krippe im sechzehnten Jahrhundert entsprach somit einem allgemeinen Bedürfnisse der Zeit. Sie hängt aber auch damit zusammen, dass das Volk sich jetzt noch mehr als früher in die Weihnachtsfeier vertiefte. Die deutschen Weihnachtsspiele wachsen nun gegenüber dem Mittelalter mächtig an Zahl, in sie legt das Volk gewissermaßen seine ganze Seele. Ja, wir dürfen sagen, dass sich das Weihnachtsspiel im sechzehnten Jahrhundert wärmer und natürlicher ausgebildet hat, als die großartigeren Passionsosterspiele dieser Zeit.**)

Noch ein weiterer Umstand kam der Entwicklung der Krippe zu statten, nämlich das Eindringen größerer Pracht in das Schauspiel. Das italienische Drama zeigte schon im vierzehnten Jahrhundert die Tendenz, das Hauptgewicht nicht auf das gesprochene Wort, sondern auf die glänzende Ausstattung zu verlegen. Dieses Bestreben wurde auch weiterhin für die Geschichte des italienischen Theaters von Bedeutung.***) Vom Theater ging es in die italienischen Krippen über.

*) Cod. germ. 2133 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München. Vgl. J. STOCKBAUER, Die Kunstbestrebungen am bayer. Hofe unter Herzog Albert V. und seinem Nachfolger Wilhelm V. (1874), S. 9 ff.

**) E. WILKEN a. a. O., S. 171.

***) W. CREIZENACH a. a. O., S. 301.


In Deutschland waren es die Jesuiten, welche in Anknüpfung an das italienische Theater in ihren Dramen prunkvolle Ausstattung durchführten. Die Jesuitenbühne wendet sich weniger an das Verständnis — dies schließt schon die lateinische Sprache des Jesuitendramas aus — , als vielmehr an die Phantasie der Menge und sie thut es durch den Glanz der Darstellung, die Pracht der Dekorationen.*) In Altbayern z. B. übten die Jesuiten damals einen wesentlichen Einfluss auf die prunkvolle Ausgestaltung des Dramas. Auch die Fronleichnamsprozession in München entwickelten sie durch die lebenden Bilder zu großer Pracht. Und damit berühren wir abermals einen Punkt, der für die Krippendarstellungen wohl nicht ohne Folgen blieb. Die lebenden Bilder der Münchener Fronleichnamsprozession führten dem Volke unter den Hauptmomenten des alten und neuen Testaments auch die Geburt Christi, die Anbetung der drei Könige und die Flucht nach Ägypten vor. Die Anweisung, welche für die Fronleichnamsprozession im Jahre 1580 gegeben wurde, hat sich erhalten. Es heißt darin von den drei eben angeführten Bildern: „Die vierte Maria bey den Tuechscherern, welche die geburt Christi haben, soll auch fein sittsam nach dem Kriplein mit dem Joseph gen. ze Zeiten die Hendt aufheben, samb (als) lobt sy Gott, ze Zeiten die Hendt von einander kreuzweis aufheben, samb verwundert sy sich vber die Allmechtigkheit vnd lieb Gottes, vnd soll Ir liebs Kündle im Kriple anschauen. Die sechste Maria bey den Kirschnern, welche die heiligen 3 König haben, die sizt auf einem Stuel bey der Krippen, vnd hat ein lebendigs Khindh’ auf der Schoss etc.“**)

*) K. Trautmann, Oberammergau und sein Passionsspiel (1890). S. 52.

**) L. Westenrieder, Beiträge z. vaterl. Historie V (1794), S. 122. Vgl. die Beschreibung der Fronleichnamprozession von 1574 in den Sitzungsberichten de. philos.-philol. U. hist. Cl. d. bayer. Akad. d. W. 1873, S. 843 ff. A Hartmann, Volksschauspiele (1880), S. 428.


1597 war die prächtige Renaissancekirche der Jesuiten in München eingeweiht worden. Schon zehn Jahre später finden wir in derselben eine Klippe. „1607 wurde zum ersten Male und zwar vor dem Namen-Jesualtare im östlichen Querschiff die Krippe errichtet. Folgende Vorstellungen wurden bis zum Octavtag des heiligen Dreikönigsfestes aufgestellt: Die Geburt Jesu, die Anbetung der Hirten, die Beschneidung, die Anbetung der Weisen aus dem Morgenlande, der bethlehemitische Kindermord und die Flucht nach Ägypten. Jeden Abend wurde eine musikalische Litanei aufgeführt. Nachdem später die letztere unterblieb, wurde die Krippenzeit bis zum 2. Februar ausgedehnt. Die Krippe scheint zu verschiedenen Malen ihren Standort gewechselt zu haben und gegen Ende des vorigen Jahrhunderts überhaupt nicht mehr zur Aufstellung gekommen zu sein. Erst im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts finden wir sie wieder in der Magdalenenkapelle in kleinen Vorstellungen errichtet. Der Andrang frommer Schaulustiger veranlasste ihre Versetzung an den gegenwärtigen Aufstellungsort, in die Heilig-Kreuzkapelle. Im Jahre 1866 wurde die Krippe vollständig restauriert.“*)

Die Nachricht über die Jesuitenkrippe in München ist in mehrfacher Beziehung interessant. Bemerkenswert ist vor Allem der Wechsel der Vorstellungen, der noch heute in deutschen Krippen üblich ist. Das „Haus Nazareth“, das jetzt in deutschen Krippenvorstellungen gewöhnlich den Schluss bildet, fehlt noch. Merkwürdig ist die Aufführung einer musikalischen Litanei vor der Krippe. Man darf hier wohl einen Nachklang der alten volkstümlichen Krippenfeier mit Gesang und Tanz erkennen. Dass die Krippenvorstellungen in der Michaelskirche ursprünglich nur bis zur Oktav des Dreikönigsfestes dauerten, zeigt, dass die Krippe sich damals noch in einem Entwicklungsstadium befand. Mit der späteren Verlängerung der Krippendauer bis Maria Lichtmess erstreckte sich die Krippe völlig bis zum Schluss der kirchlichen Weihnachtszeit.

Sieht man von den Franziskanerkrippen, über welche ich übrigens keine Auskunft geben kann, ab, so zählt die Münchener Jesuitenkrippe wohl zu den ältesten Krippen Altbayerns. Wären die Krippen in Altbayern damals schon zahlreicher gewesen, so hätten sicher die Frauenklöster die Gelegenheit des sinnigen Brauches sich nicht entgehen lassen. So aber stellten z. B. die Benediktinernonnen in Frauenchiemsee zum ersten Male im Jahre 1627 eine Krippe auf. Der Neuheit des Schauspiels verdanken wir es, dass die Äbtissin Magdalena Haidenbucher in ihrem Tagebuche das anziehende Ereignis erzählt. Der schlichte Bericht der würdigen Frau lautet wörtlich: „Disess Jar haben wir durch Rat und Hilff unssers Herrn Beicht Vatterss und eines seines Mitconventualen bey S. Veicht pater Wilhalmb Volkhamb, der Zeit Capplan alhie gewöst, ein schöne Weinacht bitten und Berg in der 12 potten Capeln auf die h (eilige) weinachtliche Zeit aufrichten lassen und den Althar dise Zeit die weil abhöben lassen, beü wölchem das gemaine Volkh täglich grosse Andacht erzaigt und ihrem Vermögen nach zimblicher massen darzue geopfert haben.“**)

*) Ad. Schulz, Die St. Michaels-Hofkirche in München (1897), S. 83 f

**) Cod. Germ. 1767 der k. Hof- und Staatsbibliothek in München. Die Tatsache ist kurz erwähnt i. d. Geschichte des Benediktiner-Nonnenklosters Frauenchiemsee von E. Geiss bei Deutinger, Beiträge z. Gesch. d. Erzbistums München und Freising I (1850), S. 407.


Beichtvater des Klosters war Caspar Ableittner aus dem Benediktinerkloster St. Veit bei Neumarkt in Oberbayern. Es verdiente untersucht zu werden, ob Ableittner nicht aus der bekannten Münchener Bildhauerfamilie gleichen Namens stammt und so die Anregung zur Aufstellung einer Krippe in München und zwar in St. Michael erhalten hat. Übrigens war P. Caspar Ableittner auch sonst für die reichere Gestaltung der Zeremonien in Frauenchiemsee tätig. Kaum war er 1622 als Beichtvater verordnet worden, so wurde schon im folgenden Jahre auf seinen Rat „die andechtige und buessvörttige Procession zu dem heiligen Grab aufgericht und angestölt“. Ableittner war eben ein echtes Kind einer Zeit, die vor allem auch durch Äußerlichkeiten und Prunk auf die Religiosität zu wirken suchte. In ganz Altbayern wurde damals gesteigerter Wert auf erhöhte Rührung der Andacht des Volkes gelegt, es hat die Periode der Gegenreformation begonnen, in der die Kirche durch den Glanz des Gottesdienstes und durch die Pflege der Kunst der Renaissance und des Barock die Gemüter zu bannen sucht. Machten die mittelalterlichen Gotteshäuser durch ihr mystisches Halbdunkel einen feierlich ernsten Eindruck, so trat jetzt in den Kirchen mehr das Heitere, Frohe, Anmutige, die Sehnsucht nach der Natur in den Vordergrund. Hatten früher die Butzenscheiben und die Glasgemälde das Licht nur gedämpft eingelassen, so stellten nun durchsichtige Scheiben hoher und breiter Fenster eine innige Verbindung des Innenraumes mit dem Freien her, die Licht- und Sonnenstrahlen konnten ungehindert hereinfluten und über den weißen Grundton der stuckierten Wände und Decken, die vergoldeten Heiligenfiguren und die warm getönten Gemälde gleiten. Der Einklang von Natur und Kunst ist vielleicht nirgends anders bezaubernder geschaffen worden als in den altbayerischen Kirchen des Barock und vor allem des Rokoko. Ich brauche nur den Namen Ettal zu nennen und vor unserm Auge wird der ganze Zauber des bayerischen Hochgebirges lebendig, der das Ammertal mit den ragenden Felsspitzen, saftig grünen Matten und duftenden Wäldern, nicht weniger aber auch die gewaltige Rotunde der Klosterkirche mit ihrer frohen Farbenpracht beseelt. Und wer kennt nicht die Wallfahrtskapelle am Fuße des Wendelstein mit der malerischen holzgezimmerten Laube, den goldblinkenden Rokokoschnitzereien und den flott und phantasievoll gemalten Bildern — die Kapelle Birkenstein mit dem hinter ihr emporsteigenden Bergmassiv und der zu ihren Füssen frisch sprudelnden Quelle? Oder die Wallfahrtskirche Wies bei Steingaden, das entzückende Rokokowerk eines Wessobrunner Stuckators und Architekten, das einsam auf weiter Flur steht und dem Wallfahrer, der bedrängten Herzens zum gegeißelten Heiland kommt, schon beim Eintritt in den froh gestimmten, wie Bergduft anmutenden Raum Zuversicht, Trost und Hoffnung einflösst. An diese und viele andere ähnliche Kirchen des Barock und Rokoko werde ich erinnert, wenn ich die Entfaltung des Krippenwesens im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert überschaue.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe