Das Opfer der Hirten

Das Opfer der Hirten.

Ein hochgesprengtes Kreuzgewölbe überspannt die weite und tiefe Halle einer römischen Palastruine. Fensterlos steigen die altersgrauen Mauern bis zum Gewölbe auf, nur zur Rechten öffnet sich im Mittelgrund ein Bogen nach einem anstoßenden, ganz verfallenen Raume, wo Ochs und Esel an der Krippe stehen. Vor der Krippe sitzt, Maria, das Kindlein im Arme; hinter der Mutter steht Joseph und einer der Hirten. Voll überflutet das Tageslicht die Gruppe, durch einen breiten Mauerspalt herabfallend und auch die Halle mit den nahenden Hirten noch matt erhellend. Die Hirten bringen Früchte und Lämmer als Gaben dar. Von der Außenwelt völlig abgeschlossen, bietet die Szene ein Bild stillen Friedens, feierlich wirkend durch den Gegensatz zwischen dem dunklen Gewölbe und der von oben kommenden Lichtfülle, und anheimelnd zugleich durch die rührende Opferwilligkeit der armen Hirten. Das Bild erinnert an die Poesie des Helldunkels bei Rembrandt. Von der Architektur ist lediglich der eigentliche Stall alt; er stammt aus der Steinmetzkrippe. Die Halle ist neu. Unter den Figuren sind manche ganz geschnitzt und unbeweglich, so der kniende Hirte Reiners (Fig. 16).


In den Evangelien ist nur von der Verehrung und Anbetung der Hirten die Rede. Die Annahme, dass die Hirten auch Opfergaben brachten, bildete sich im volkstümlichen Weihnachtsspiel und in der Krippe nach dem Muster des Opfers der drei Könige.*) Auf das gleiche Vorbild geht auch die Dreizahl der Hirten zurück, die wir so oft im Weihnachtsspiel und hie und da in der Krippe treffen. Mit dem Opfer der Hirten steht die schöne Sitte in Verbindung, dass die Bauern in Altbayern an manchen Orten bei der Christmette freiwillige Geschenke an Naturalien in die Kirche bringen. A. Hartmann erzählt: „Noch jetzt bringt, wenn ich recht berichtet wurde, einer der Kaiserbauern, die in einem Hochtal zwischen dem Vorderen und Wilden Kaiser wohnen, in der Christnacht einen Butterlaib von vielen Pfunden in die Kufsteiner Pfarrkirche. Dafür muss, sagt man, so lange geläutet werden, bis dieser Bauer in die Kirche eingetreten ist. Zu Grassau brachten die Bäuerinnen ehemals Butter, Eier und Flachs vor einer in der Kirche errichteten Krippe dar. In Münchens Nähe, zu Untersendling, war früher ein allgemeiner Brauch, die Eier, welche die Hennen gegen die Regel vor Weihnachten gelegt hatten, dem Christkindel zu opfern. Noch jetzt beobachten mehrere Höfe dieses Herkommen; wer am Christtag hinausgeht, kann auf jeder Seite des Altars 6—8 Eier liegen sehen, welche die alten Bäuerinnen geopfert haben. Die Gabe gehört hier zum Einkommen des Messners. In Flandern pflegten die Hirten um die Weihnachtszeit Eier und Käse in die Kirche zu bringen.**) Naturalienopfer werden auch bei der Krippe in Ara Celi in Rom erwähnt***)

Dem Opfer der Hirten folgt im Zyklus die „Anbetung der drei Könige“.

*) Wilcken a. a. O., S..38, 40. Weinhold a. a. O., S. 118, 179, 181. Vogt a. a. O., S. 140.

**) Oberb. Archiv XXXIV, S. 49.

***) E. v. d. Recke, Tagebuch einer Reise durch einen Teil Deutschlands und durch Italien in den Jahren 1804 bis 1806, II (1815), S. 190.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Weihnachtskrippe