Fünftes Kapitel. Die Vertreibung der Juden aus Spanien und Portugal.

Wir haben schon gesehen, dass die Richtungen der jüdischen Wanderungen nicht etwa durch die innere Entwicklung des jüdischen Volkes, sondern in erster Linie durch die ökonomische Entwicklung der Wirtsvölker bestimmt wurden. Und nicht nur, dass das sozial-ökonomische Leben des Wirtsvolkes allein die Juden zur Auswanderung drängte, — das Wirtsvolk selbst griff manchmal mit Gewalt in die jüdischen Wanderungen ein, indem es die Juden aus seinem Lande vertrieb.

Ein solches gewalttätiges Eingreifen des Wirtsvolkes in das Schicksal des jüdischen Volkes ist die Vertreibung der Juden aus Spanien und Portugal gewesen. Um die Ursachen dieser Vertreibung uns klar zu machen, müssen wir uns die wirtschaftliche Lage Spaniens kurz vergegenwärtigen.


Die Vertreibung der Juden aus Spanien fällt in die Glanzzeit dieses Landes, in die Zeit, als es das mächtigste und am meisten gefürchtete Reich Europas war. Doch lagen im wirtschaftlichen Leben Spaniens schon damals die Keime des Verfalls, und die Vertreibung bildete eben das erste markante Zeichen der inneren Schwäche. Nicht die Vertreibung der Juden hat den Verfall Spaniens herbeigeführt, sondern umgekehrt war diese Vertreibung allerdings die erste Erscheinung des unvermeidlich kommenden Verfalls.

Spanien war ein Land, das sich in Kriegen aufrieb. Diese ewigen Kriege entsprangen dem Umstände, dass Spanien das einzige Land war, wo die Ungläubigen — die Mauren — noch frei lebten. Deshalb fühlte sich das spanische Volk verpflichtet, dem christlichen Glauben die endgültige Herrschaft in Europa zu verschaffen. Da aber nach den Kreuzzügen das Geld zum nervus belli geworden war, brauchten die spanischen Herrscher immer Geld.

Außerdem war Spanien — trotz seiner Cortes — ein streng monarchistisches Land, wo der Absolutismus seine höchste Blüte erreichte. Dieser Absolutismus, der sich zuerst mit Hilfe des Bürgertums den Adel Untertan gemacht hatte, um nachher im Bunde mit dem Adel sich das Bürgertum zu unterwerfen, war auf Ausbeutung des Landes angewiesen. Die Verachtung der Arbeit — hauptsächlich der gewerblichen — hat sich in Spanien am längsten erhalten, nachdem alle anderen Völker diese Eigenschaft der mittelalterlichen Gesellschaft abgestreift hatten. Diese dem Mittelalter eigentümliche Verachtung der Arbeit hat Spanien zugrunde gerichtet. Man produzierte in Spanien sehr wenig; nur die Tuchmanufaktur blühte einige Zeit; aber gerade die letztere hat die spanische Landwirtschaft ruiniert: die Herden durchzogen das Land und verdrängten den Landbau. Zwar wurde Spanien wegen seiner Merinoschafe beneidet, — die Landwirtschaft aber geriet ganz in Verfall. Fast alle notwendigen Waren bezog Spanien aus dem Auslande, wobei diese Einfuhr durch die Ausfuhr keineswegs kompensiert wurde. Allerdings bekam Spanien bedeutende Werte aus den neuentdeckten Kolonien, aber gerade deswegen entwickelten sich die Produktivkräfte im Lande selbst sehr ungenügend. Keine Volkswirtschaft kann auf die Dauer auf der Ausbeutung fremder Länder beruhen, wenn nicht im Lande selbst genügend produziert wird. Spanien aber begann schon mit der Vertreibung der Juden, an deren Stelle nachher die Fugger und Genuesen getreten waren, auf fremde Kosten zu leben.

Diese Entwicklung hat sich allerdings erst später klar offenbart, die Anfänge aber waren schon früher da. Schon D. Fernando von Portugal (1367—1383) — die Schicksale und die Entwicklung beider Länder waren im großen und ganzen die gleichen — nahm infolge der Geldnot durch Einführung neuer Münzen und vermittels Reduzierung der alten Münzsorten eine Geldoperation vor, die allerdings misslang und das Volk erbitterte (47).

Die Juden Spaniens und Portugals betrieben hauptsächlich Geldgeschäfte. Mochten sie früher auch Großrundbesitzer gewesen sein zur Zeit der Vertreibung beschäftigte sich die Mehrzahl von ihnen mit Geldleihen und Geldwechseln. „Although the Spanish Jews engaged in many branches of human endeavor agriculture, viticulture, industry, commerce and the various handicrafts il was the money business that procured them their wealth and influence. Kings and prelates, noblemen and farmers, all needed money, and could obtain it only from the Jews, to whom they paid from 20 to 25 per cent interest" (48).

Die Juden waren vielleicht die ersten, welche die Lage des Landes richtig erkannten. D. David Ibn Jachia-Ne riet vor seinem Tode seinen Söhnen dringend, ihr Vermögen nicht in Liegenschaften anzulegen (49) — nicht darum, weil er die künftige Vertreibung ahnen konnte, sondern vor allem wohl deshalb, weil er den unvermeidlichen Ruin der Landwirtschaft voraussah. Durch ihre Geldgeschäfte gelangten die Juden in Spanien und Portugal zu großem Reichtum, „ihr größtes, vielleicht ihr einziges Verbrechen war ihr Reichtum" (50). Die Konfiskation der Gelder dieser Juden war das Nächstliegende, was die spanischen Herrscher unternehmen konnten. Wenn später Philipp II. einfach private Geldsendungen konfiszierte, so hat Ferdinando durch die Vertreibung der Juden ihr ganzes Vermögen beschlagnahmt, allerdings soweit er dessen habhaft werden konnte. Treffend sagt Kayserling: „Die Verfolgung — (und die Vertreibung) — der Juden und Marranen und aller derer, welche mit ihnen in freundlichem Verkehr standen: das war die große staatsmännisch-kirchliche Finanzidee, welche realisiert werden sollte" (51).

Am 31. März 1492 erließen Ferdinando und Isabella den Befehl, dass sämtliche Juden Spaniens innerhalb vier Monaten aus allen Gebietsteilen Castiliens, Aragoniens, Siziliens und Sardiniens bei Todesstrafe auswandern sollten. Dabei durften sie nur ihr Hab und Gut mitnehmen, nicht aber Gold, Silber, Münzen und Waren, die dem Ausfuhrverbot unterlagen.

Die Zahl der Ausgewiesenen geben verschiedene Autoren verschieden an. Die Angaben schwanken zwischen 800.000 und 190.000 (52) . Eine genauere Bestimmung lässt sich darnach nicht geben. Wohl lässt sich aber vermuten, dass die Zahl der Ausgewanderten etwa 300.000 gewesen ist.

Die Ausgewiesenen verließen nicht sogleich die Halbinsel; ein großer Teil von ihnen ging zuerst nach Portugal und gab dadurch dem portugiesischen König Gelegenheit, ein gutes Geschäft zu machen. „Wie immer, wurden die Reichen besonders berücksichtigt. Sechshundert derselben ersten Ranges erhielten die Erlaubnis zu dauernder Ansiedlung; dafür musste jeder von ihnen hundert Gold-Crusados Einzugsgeld zahlen, was die erkleckliche Summe von 60.000 Crusados (etwa 200.000 Mark) ergab, viel für die damalige Zeit, als das Geld — vor Ausbeutung der amerikanischen Goldquellen — noch einen hohen Wert hatte. Auch Handwerker, besonders Metallarbeiter und Waffenschmiede, sollten vier Crusados Einzugsgeld leisten. Die große Menge aber sollte nur acht Monate im Lande bleiben und dafür acht Crusados erlegen" (53) . Dabei ist es interessant, dass die einheimischen Juden Portugals sich sehr gegen den Einzug ihrer Stammesgenossen aus Spanien wehrten (54) ; sie sahen sehr wohl ein, dass die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung nur die Konkurrenz zwischen ihnen verstärken und damit neben ihrer Bedeutung auch ihre Widerstandskraft vermindern würde.

Die spanisch-portugiesischen Verbannten haben nicht alle die Richtung in ein bestimmtes Land eingeschlagen, sondern nahmen verschiedene Wege, entsprechend ihrer sozialen Gruppierung und der wirtschaftlichen Kultur der damaligen Welt. Von den Ausgewanderten nahmen auf (55)

Algerien 10.000
Amerika 5.000
Ägypten 2.000
Frankreich u. Italien 12.000
Holland 25.000
Marokko 20.000
Europäische Türkei 90.000
andere Länder 1.000
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Wanderbewegungen der Juden