73. Der wunderbare Ring in der Familie von Alvensleben.

In der Mark Brandenburg blühet, schon seit vielen Jahrhunderten, ein altes hohes Geschlecht, das der Grafen und Freiherren von Alvensleben. Besonders ist es in der Altmark zu Hause, wo es in Erxleben, zu Calbe an der Milde, in der Gegend von Gardelegen und an mehreren anderen Orten bedeutende Güter hat. Das Schloß zu Calbe war lange Zeit der Hauptsitz der Familie; Herr Albrecht von Alvensleben und seine Söhne Gebhardt und Albrecht hatten es im Jahre 1324 von den Gebrüdern Johann und Heinrich von Kröcher angekauft. In diesem Schlosse befindet sich auch noch die Hälfte eines wunderbaren Ringes, der auf folgende Weise in den Besitz der Familie gekommen ist:

Auf dem Schlosse zu Calbe lebte vor langen Jahren eine Frau von Alvensleben, eine sehr fromme und mildthätige Frau. Diese wurde einstens bei nachtschlafender Zeit, als das Haus und ihre Schlafkammer wohl verschlossen waren, von einer Magd geweckt, die mit einer Laterne vor ihrem Bette stand, und sie inständigst bat, aufzustehen, und ihrer Frau beizustehen, die in Kindesnöthen sei. Die Frau von Alvensleben weigerte sich dessen anfangs; als die Magd ihr aber so viele gute Worte gab, willigte sie endlich ein, und sie stand auf, kleidete sich an und ging mit der Magd. Unterwegs sprach diese mit ihr, und ermahnte sie, wann sie in das Haus komme, so solle sie ja nichts essen oder trinken, auch sonst nichts annehmen, was man ihr anbieten werde. Darauf führte die Magd sie an einen Ort, wo die Frau von Alvensleben vorher in ihrem Leben noch niemals gewesen war, und den sie auch nachher keinem Menschen hat beschreiben können. Dort fand sie eine Frau, die in Kindesnöthen war, und daneben stand deren Mann. Mann und Frau waren ganz kleine Leute, so wie auch die Magd war. Die Frau von Alvensleben leistete der kleinen Frau ihren Beistand, worauf das Männlein ihr eine Schüssel mit gemünztem Golde darreichte und sie sehr bat, dieselbe anzunehmen. Die gebärende Frau sprach aber ebenfalls zu ihr, sie solle das Gold nicht annehmen, denn, wofern sie durch Geiz sich blenden lasse, werde ihr Mann durch Gottes Verhängniß ihr vielen Schaden zufügen. Daher nahm sie von dem Golde nichts an, sondern ließ sich von derselben Magd zum Schlosse und in ihr Schlafzimmer zurückgeleiten, ohne daß ihr das geringste Leid widerfahren wäre.


Ueber eine Zeit kam die Magd um Mitternacht, als Alles schlief und alle Thüren im Hause verschlossen waren, wieder mit einer Laterne vor das Bette der Frau von Alvensleben, und weckte diese. Sie trug zwei Schüsseln über einander gestülpt. In der untersten derselben lag ein goldener Ring; den gab sie der Frau von Alvensleben, nebst vielen Grüßen von ihrem Herrn, den sie aber nicht nannte, und hinzufügend: ihr Herr verehre ihr hiermit ein Kleinod, einen güldenen Ring, zur Danksagung für erzeigten Dienst; den solle sie wohl bewahren, denn so lange derselbige Ring ganz und ungetheilet auf dem Hause Calbe und bei dem Geschlechte derer von Alvensleben bleiben werde, solle dieses blühen und Glück und Wohlfahrt haben; werde aber der Ring von Händen kommen oder zertheilet werden, so werde es auch demselben Geschlecht unglücklich und nicht wohl ergehen. – Damit verschwand die Magd.

Der Ring wurde lange auf dem Hause Calbe verwahrt, und brachte sichtlich Heil und Glück dem immer mehr blühenden Geschlechte von Alvensleben. Einstmals waren aber zween Brüder, die sich bei der Erbtheilung um den Ring nicht vertragen konnten. Jeder wollte ihn für sich allein behalten, und als ihn nun Keiner missen wollte, verlangte zuletzt der Eine, daß er getheilet werden solle. Darauf mußte denn der Ring in zwei Theile getheilt werden. Aber der Stamm dessen, so die Theilung am heftigsten begehrt hatte, verkümmerte bald und ging rasch gänzlich zu Grunde, so daß die Wahrsagung der Magd sich an ihm bewährte. Der andere Stamm, der auf dem Hause Calbe blieb, verwahrt dort noch bis auf den heutigen Tag die ihm zugetheilte Hälfte des Ringes, und er ist deshalb auch noch in einem blühenden Zustande. Andere behaupten hingegen, der Ring sei niemals getheilt worden, und befinde sich noch unversehrt in der Capelle auf dem Hause zu Calbe. Er ist in Gestalt eines ordentlichen Traurings, nicht sonderlich stark, und ohne alles Abzeichen.

Ueber die Altmark. II. S. 226. 227.
Beckmann histor. Beschr. der Altmark. Th. 5. B. 1. Cap. 9. S. 54.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Volkssagen der Altmark