24. Die alte und die neue Stadt Gardelegen.

Die Stadt Gardelegen hat vormals nicht an demselben Platze gelegen, wo sie jetzt liegt, sondern eine gute Strecke davon, nahe bei, wo jetzt die Isenschnibbe ist. Hier hat noch vor 300 Jahren ein altes steinernes Kreuz gestanden, an welchem eine unleserliche Inschrift gewesen; zu demselben, welches dem heiligen Petrus zu Ehren soll aufgerichtet gewesen sein, ist damals alle Jahre am Sonntage Exaudi die ganze Stadt mit Singen und Spielen in einem großen Aufzuge herausgefahren und gegangen, und hat sich sonderlich lustig gemacht.

Der Ort aber, wo das jetzige Gardelegen liegt, ist vor Zeiten ein Sumpf, Morast und dickes Holz- und Buschwerk gewesen, durch welches die Wölde und Lausebeck geflossen. Darin haben viele Buschklepper und Räuber genistet, von welchen dem Lande viel Schaden zugefügt worden. Da hat es sich eines Tages zugetragen, daß die in der alten Stadt Gardelegen einen von diesen Räubern gefangen bekamen. Sie hatten ihn vermittelst der Spur seines Pferdes in seiner Mördergrube aufgespüret, und diese besetzet. Von Hunger gezwungen hatte er endlich Vorschläge gethan, sich zu ergeben, und, wenn man ihn am Leben lasse, viel zu offenbaren. Man willigte darein, legte ihm aber zur Strafe auf, von seinem Raube die St. Jürgens-Kirche und ein Haus für die Armen zu bauen, was er von seinem Raube gern und leicht gethan.


Von diesem Räuber erfuhren die Gardeleger nun unter andern auch, wo die ganze Bande ihr Raubnest habe, daß dies der Busch sei, und daß dort ein bequemer und gar guter Ort wäre, eine Stadt dahin zu bauen und darinnen sicher zu leben. Diese Rede und Anschlag nahm man wohl in Acht, man untersuchte den Busch und fand Alles angezeigtermaßen. Man faßte also den Schluß, eine neue Stadt daselbst zu bauen. An dem jetzigen Markte, der damals der geraumste Ort gewesen, wurde angefangen und das erste Haus errichtet. Von selbigem herunter nach dem alten Gardelegen hin wurde dann zuerst die Stendalsche Straße gebauet, weil man nach der alten Stadt noch am meisten hin mußte. Demnächst wurde vom Markte ab gebauet die Gasse nach der Nicolai-Kirche; darauf vom Markte hinab nach dem Magdeburger Thore zu die Magdeburgische Straße. Sodann wurde aus der Stendalischen Straße hinunter eine Gasse gebaut, die man die Burgstraße geheißen. Die Sandstraße ist die letzte gewesen, die man angelegt, als die Stadt erweitert werden müssen. Weil es aber hier einen niedrigen und sumpfigen Grund gegeben, so mußte der Ort mit Sand erhöhet werden, welches der Gasse den Namen Sandstraße gegeben. Die Gasse hinter St. Marien wurde die Rittergasse geheißen, weil die Ritter und Edelleute dieselbe bewohnt; dieselbe ist aber sehr kothig gewesen, und es haben allda große Steine gelegen, daß man von einem auf den andern hat springen müssen. – Dieses Alles ist aber nicht in einem oder etlichen Jahren verrichtet, sondern nachdem sich die Bürgerschaft vermehret, allmälig fortgesetzet, bis der Ort endlich zu einer vollkommenen Stadt geworden.

Johannis Rudolphi Noltenii (Archidiaconi an St. Marien zu Gardelegen) Ungläubiges und Abergläubiges Gardelegen. §. 13.

Dr. Johannis Christophori Becmanni Aufsatz von der Stadt Gardelegen. §. 3.

Beide Abhandlungen stehen in: Historicorum Palaeo-Marchicorum Collectio II. III. Das ist: Altmärkischen historischen Sachen zweite und dritte Sammlung, gesammelt und ans Licht gestellt von Julio Conrad. Rüdemann, Brunswicensi, Pastore an St. Jacobi Kirchen in Stendal. Salzwedel bei Christian Schustern 1728.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Volkssagen der Altmark