Dritte Fortsetzung

Weil Unterricht und Erziehung die Grundlagen für das sittliche und intellektuelle Gemeindeleben in der Staatsgemeinde legen sollen, und weil das Gedeihen, wenn nicht die Existenz der Staatsgesellschaft davon abhängt, wie tief der nahrhafte Schulunterricht in die Volksschichten eingedrungen, und wie weit die Schulzucht den Willen zum Gehorsam und zur Fügsamkeit in die strengen Forderungen eines höheren Ganzen ausgebildet hat; so muss die Staatsgesellschaft dahin trachten, die Schule gegen alle Einflüsse zu schützen, welche sie an der Erreichung jener Aufgabe hindern könnten, muss ihr aber auch die Mittel gewähren, welche zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind.

Es können also einzelne Verwaltungsbehörden oder eine Kirchenpartei nicht die Macht haben, die Schulen ganz allein nach ihrem Ermessen zu leiten, sondern müssen durch Gesetze, an denen sich die Volksvertreter beteiligten, in dieser Eigenmächtigkeit beschränkt werden, damit sie nicht ein einseitiges Parteiinteresse für ein Volksinteresse halten und dem Unterrichtsleben eine einseitige Richtung geben. Die Regierung tut oft Ungenügendes für Lehrerbildung, bemisst die Lehrmittel oft nur nach einseitigen Parteizwecken, drängt der Schule eine Denkweise und Anschauungsweise auf, die nicht ein lebendiges Kulturinteresse vertritt, kurz macht sie zu einer einseitigen Parteianstalt auf Kosten des Landes. Aus allen diesen Widersprüchen kommt man heraus, wenn man die Schulen darauf beschränkt, pädagogische Anstalten zu sein, um auf das Kulturleben der Gegenwart vorzubereiten und in dasselbe einzuführen. Es sind aber weder Regulative, noch veraltete Katechismen und Kernlieder, noch absolutistische Geschichtsauffassung Kulturinteressen der Gegenwart, welche vielmehr auf deren Beseitigung und auf gänzliche Umwandlung feudalistischer Institutionen in konstitutionelle anstreben.


Wenn es das Streben der Weltgeschichte ist, solche Zustände zu erschaffen, in welchen jedem Einzelnen nach dem Maß seiner Bildung und seiner Leistung innerhalb der Staatsgesellschaft so viel Freiheit durch Gesetz und Sitte zugestanden wird, als sich mit der allgemeinen Wohlfahrt verträgt, wenn mit andern Worten das Ziel aller geschichtlichen Entwicklung dahin geht, das gesellschaftliche Leben der Staatsgemeinde auf die Grundsätze der Humanität zu gründen und aus diesen Recht und Sitte abzuleiten, so bleiben die Grundlagen des sozialpolitischen Lebens die Unabhängigkeit des Richterstandes und die freie Schule als Bildungsanstalt zur Humanität. Jene sichert die Anwendung des humanen Rechts, diese erzeugt und verbreitet die humane Bildung. Die innige Wechselwirkung der materiellen Interessen, Eisenbahnen, Banken, Börsen und Aktiengesellschaften bringen die Kulturvölker bereits in eine solche ausgleichende Berührung, dass Humanität bereits das gemeinsame Interesse dieser Völker und die Grundlage ihres Verkehrs geworden ist. Wird diese Humanität im Kulturleben des einen Volkes gewaltsam unterdrückt oder nur gehemmt, so empfinden auch die Nachbarvölker diesen Druck, welcher gewissermaßen auf dem Gehirn des gesamten Kulturlebens und dem Körper des europäischen Groß- und Weltstaates lastet. Daher sind es im Grunde nicht materielle Interessen, welche die Kulturstaaten verbinden, sondern Humanitätsideen, die sich in ihnen aussprechen, es sind weltbeherrschende demokratische Ideen, welche durch alle jene großartigen Unternehmungen der Industrie vertreten werden. Die Eisenbahnen dienen auch dem Unbemittelten, Kunstausstellungen machen die Kunstgenüsse. Jedem zugänglich, Omnibusse erleichtern den Lokalverkehr für Alle, die großartigen Bauwerke der Eisenbahnhöfe stehen. Jedem zum Beschauen und zum Besuche offen; Kunstausstellungen, Lesevereine, Leihbibliotheken, Bildungsvereine und Zeitschriften aller Art verbreiten Bildung durch tausend Kanäle bis in die untersten Volksschichten, die Assekuranzen, Vorschussbanken, Assoziationsvereine usw. stellen die materielle Existenz des Einzelnen sicher, Leichenvereine, Kranken- und Pensionsvereine sichern gegen den Schaden bei Unglücksfällen. Alle diese Vereine befördern Humanitätszwecke, sie werden um so lebenskräftiger gedeihen, je mehr Bildung das Volk besitzt, je mehr Bildung sich in ihnen verwertet, denn auch Kenntnisse sind ja Kapital. Alle diese Wegweiser in die Zukunft des europäischen Kulturlebens weisen mit dem einen Arme zurück auf die Schulbildung, von welcher der Weg ausgeht. Wenig kultivierte Völker vermögen es daher nicht, in dieses Kulturleben einzutreten, wenn nicht zuvor durch gute und hinreichende Schulen das Volk empfänglich und reif geworden ist für die Ideen und das Streben des modernen Geschichtslebens. Man fängt ja auch bereits an, die ganze Weltgeschichte von diesem Standpunkte aus aufzufassen, denn Kriegs- und Fürstengeschichte ist nur ein Bruchstück der Völker- und Kulturgeschichte. Oppenheim in der Philosophie des Rechts und der Gesellschaft stellt folgende sehr beachtenswerte Sätze über öffentliche Erziehung als Sache der Gesellschaft auf: „Der Mensch muss zur Freiheit erzogen werden, weil er irren kann. Um frei zu sein, d. h. einer Natur und einen Kräften gemäß zu leben, muss jede eigentümlich innewohnende Kapazität des Einzelnen ausgebildet sein, denn Jeder hat für seine eigenen Anlagen ein eigentümliches Ideal zu erreichen. Die Erziehung soll das Talent erforschen, wecken und ausbilden, der Natur auf dem Fuße folgen und den Eigentümlichkeiten ihren freien Lauf lassen. Denn Jeder soll Eigentümliches leisten, um sich leichter zu ernähren, er soll nicht aus Unlust und falscher Lebensrichtung der Arbeit entfremdet werden. Die Arbeit soll Ehre sein und Freude, nicht aber Müßiggang und Sinekuren. Es liegt im Interesse der Gesellschaft, von jeden in ihren Mitgliedern lebenden Talenten den größtmöglichsten Nutzen zu ziehen, jedes schlummernde Talent zu wecken und jeder Anlage den weitesten Spielraum zu gewähren. Doch sollen allgemeine und vorbereitende Kulturschulen den Fachschulen vorangestellt werden.“

Außerordentlich klar und schlagend entwickelt Schreber in seinem Artikel des Welckerschen Staatslexikons die hohe Bedeutung der Schule für das sozialpolitische Leben der Völker, wenn er sagt: „Jedes zum wahren menschlichen Bewusstsein gelangte Volk – und insofern dessen Regierung der natürliche Repräsentant desselben ist, zunächst diese – erkennt in der Volkserziehung seine erste und schwierigste Aufgabe, die erste Lebensfrage des Staates. Sie steht überall im gleichen Verhältnisse mit der geschichtlichen Bedeutung, mit dem Bildungswerte, mit der physischen und moralischen Kraft einer Nation. Die Geschichte der Erziehung ist der Brennpunkt der Geschichte der Staaten. Immer und immer bleibt das Gedeihen aller staatlichen Einrichtungen abhängig von der einen Grundbedingung: von der Sorge für die Bildung der Jugend. Sie ist die gemeinschaftliche Lebenswurzel jeder andern Verbesserung auf dem ganzen Gebiete unseres politischen und sozialen Lebens. Man fürchte nicht, dass durch das Höhersteigen der allgemeinen Volksbildung die unteren Schichten des Volkes zu anspruchsvoll werden würden. Die wahre gediegene, allgemein menschliche Bildung ist das radikalste Mittel gegen solche Auswüchse am Staatskörper.