Abschnitt 8 - Vom Weltenbrand

Der Weltbrand, wie ihn die Staatslenker an der Themse entfesselt haben, um das Deutsche Reich niederzuzwingen, scheint überhaupt einen sehr andern Verlauf zu nehmen, als sie dies erwartet haben. Statt daß die russische „Dampfwalze“ und die französischen Bajonette den indischen Lanzenreitern den Weg nach Berlin bahnen, wo Lord Curzon sie schon durch das Brandenburger Tor hat einreiten sehen, stehen die deutschen Heere, nachdem sie fast ganz Belgien und Nordfrankreich überflutet haben, bei Soissons, keine 80 km von Paris entfernt, und vor Warschau. Nicht einmal jenes Antwerpen, das die Engländer wie ihren eigenen Augapfel hüteten, haben sie vor den deutschen Waffen zu retten vermocht. Ob sich das Millionenheer ihres Kitchener seiner Aufgabe gewachsen zeigen wird, steht noch dahin. Erst muss es jedenfalls noch von deutschen Unterseebooten unbehelligt übers Wasser gelangen. Churchill, der Marineminister mit dem losen Mundwerk, posaunt zwar in die Welt hinaus, daß England seit Trafalgar auf See niemals so allmächtig gewesen sei, wie zur Stunde. Es hat in der Tat die deutschen Handelsschiffe und auch, mit Hilfe der Japaner, Franzosen, Russen und Australier! ziemlich alle deutschen Kreuzer von den offenen Weltmeeren hinweg gefegt. Hunderttausende von Indern, Afrikanern Australiern, Kanadern unbehindert über See befördern können. Dafür hat es aber den Großen Ozean, die Südsee und auch noch das Indische Meer den Japanern anheimgestellt und diese in Anspruch nehmen müssen, um in Singapur womöglich seine meuternde indische Soldateska, die, um nicht als Kanonenfutter nach Europa verschickt zu werden, ihre Offiziere kurzerhand weggeschossen hat, unterzukriegen, und muss mit verschränkten Armen zuschauen, wie der bisher so verachtete kleine „Jap“ den Handel Chinas für sich zu monopolisieren im Begriffe steht!

An die deutsche Küste wagt sich die englische Riesenflotte mit gutem Grunde nicht heran; sie, die aus allen Weltmeeren in der Nordsee konzentriert worden ist, um die deutsche Flotte, wie dies Churchill voraus verkündigt hat, wegzublasen, noch bevor sie von der Kriegserklärung wisse, hat sich vor den deutschen Unterseebooten aus der Nordsee und auch aus dem Kanäle und der Irischen See geflüchtet und hält sich, möglichst weit vom Schusse, so sorgfältig versteckt, daß sie schier unauffindbar zu sein scheint. In den englischen Gewässern selbst wagt sich die englische Flagge kaum zu zeigen, deckt das Meer beherrschende Albion seine Schiffe mit fremdländischen Farben! Es sind nicht nur die Unterseeboote von ungeahntem Wirkungskreis, gegen die, die schwimmenden Festungen sich wehrlos erweisen, die ihnen die Hölle heiß machen; wo immer an Zahl und Geschütz gleichwertige deutsche Panzer sich mit englischen gemessen haben, haben sie sich mehr als gleichwertig erwiesen; dort, wo sie der Übermacht erlegen sind, haben sie den betreffenden englischen Geschwadern so schwere Havarien zugefügt, daß die englische Admiralität diese nicht sorgfältig genug verheimlichen kann.


Am Nil, am Kap, in Indien droht Rebellion oder ist diese schon ausgebrochen.

In solchen Todesnöten hat sich die Meereskönigin noch nie befunden. Dabei hat England vor Kriegsausbruch, allseits umworben und unbedroht, auf einer Machthöhe gestanden wie nie zuvor.

In der Rechnung seiner Staatslenker muss demnach, als sie den Weltbrand anfachten, ein Kapitalfehler gewesen sein. Sollte dieser nicht darin bestanden haben, daß sie die geographische und völkliche Zugehörigkeit der großbritannischen Inseln zum europäischen Kontinent außer acht gelassen haben? Der europäische Weltteil ist es, der als solcher auf dem Erdenrunde vor den übrigen den Vorsprung gewonnen hat, die europäische Zivilisation, die es England ermöglicht hat, seine Weltherrschaft aufzurichten. Asien, Afrika und auch Amerika gegenüber gibt es eine europäische Solidarität, die kein europäischer Staat außer acht lassen kann, ohne sich selbst ins Fleisch zu schneiden. Nicht genug damit, daß England um seiner Alleinherrschaft willen eine europäische Macht gegen die andere ausspielend, mit dem festländischen Europa zu spielen gewohnt ist, wie die Katze mit der Maus — es führt diesmal direkt Asiaten und Afrikaner, zum Teil niederer Rasse, auf europäischem Boden gegen Europäer ins Feld. Braune, Gelbe und Schwarze gegen Weiße!

England stand am Scheidewege, als es sich mit — Japan verbündete: erst gegen Russland und dann gegen Deutschland. Mit den ostasiatischen Insulanern, die mit dem Europäer unmöglich mitempfinden können und die, die von ihm empfangenen Waffen nutzen, um sich ihn vom Leibe zu halten. Zweifellos hegt man in Downingstreet die Hoffnung, daß es gelingen werde, die englische Riesenflotte soweit intakt zu erhalten, daß sie, nach Niederkämpfung von Deutschland, ausreichen werde, um zugleich mit den Australiern und den Nordamerikanern die Japaner wieder in Schranken zu weisen. Es dürfte indes auch diese Rechnung ein Loch haben und England Asien an eben jenes Japan verlieren, das ihm behilflich sein sollte, es sich zu erhalten.

Auch der schwarze Weltteil, jenes riesige, massige Afrika, das wir Europäer im Laufe des 19. Jahrhunderts endlich seinem ganzen Umfange nach durchforscht und in Kultur genommen haben, droht, indem es in den Weltbrand mit hinein gezogen worden, zum Mindesten in seiner nördlichen Hälfte, so weit als der Araber gedrungen ist, nicht nur für England, sondern für Europa verloren zu gehen.

Selbst im Innern und Süden des Weltteils, wo erst ein Häuflein Weißer eingedrungen ist, und nichts so bitter not tut, als ihr Zusammenstehen den Schwarzen gegenüber, hat sich England nicht gescheut, Weiße im Bunde mit schwarzen Hilfsvölkern gegen Weiße ins Feld zu führen! Weiße mit Schwarzen zugleich in Konzentrationslagern nach englischem Muster einzuzäunen! Hat es je eine schmählichere, blindwütigere Preisgabe der eigenen Rasse, eine gröbere Schändung der edleren Menschheit als solcher gegeben?

Niemand braucht Europa mehr, als jenes England, das es solcher Weise in Blut badet und zerstört. Am allerwenigsten hatte England Ursache, eine deutsche See- und Kolonialmacht nicht neben sich aufkommen zu lassen. Solange England dem freien Handel huldigte, und der Grundsatz der offenen Tür auch innerhalb seiner Pflanzstätten Geltung behielt, sind letztere auch dem deutschen Handel zugute gekommen und hat Deutschland keine derselben für sich begehrt. Deutschland hat sich mit den Überresten der von Europäern noch nicht beanspruchten Gebiete begnügt und nur verlangt, daß England sich ihm nicht in den Weg stelle. Ein Zusammenstoß drohte nur, wenn England alles für sich begehrte und den Deutschen nichts gönnte. Auch die Entwicklung der deutschen Industrie und des deutschen Handels,, sein wachsender Wohlstand, hat England weniger genommen als gegeben. Deutschland war sein kaufkräftigster Abnehmer geworden. Zur Entwicklung des Handels bedarf es der Gegenseitigkeit. Nie hat England einen glänzenderen Jahresabschluss aufzuweisen gehabt, als am Schlüsse des Jahres 1913. Dabei ist die deutsche Diplomatie auf nichts stetiger bedacht geblieben, als auf Verständigung, auf Einvernehmen mit England. Nichts hätte den europäischen und den Weltfrieden mehr sichern können; mindestens wäre damit ein Gleichgewicht der Kräfte hergestellt worden, so daß keine Alleinherrschaft aufkommen konnte, weder zu Lande noch zu Wasser. Eben diese Alleinherrschaft aber ist es, die England anstrebt. Um sich diese zu sichern, hat es den Weltkrieg inszeniert.

Möglich, daß auf dem Wege, den England einmal genommen hatte, es nicht anders konnte, ohne sich selbst aufzugeben, Ratzel wenigstens, der Bahnbrecher für die politische Geographie, hat nicht genug betonen können, wie die Beherrschung des offenen Weltmeeres nicht nur den Horizont des betreffenden Volkes ins Schrankenlose erweitert, sondern mit zwingender Notwendigkeit zur Alleinherrschaft auf demselben drängt. In der Tat führt das Weltmeer unmittelbar an alle Gestade des Erdenrundes und ist die Wasserfläche eine Einheit, die sich nicht abteilen lässt. Die seefahrenden Völker sind daher ständig im Wettkampfe mit einander gewesen. Im Mittelländischen Meere zunächst: Phöniker und Griechen, hernach Punier und Römer, bis diese des ganzen Wassers und damit der umliegenden Gestade und Länder Herr wurden. Die Araber und später die Türken haben diese Alleinherrschaft auf dem Mittelmeere ebenfalls angestrebt, ohne sie indes erringen zu können. Da sie von Asien und Afrika herbeikamen, mußten sie sich zuletzt der europäischen Küstenländer bemächtigen; diese erwiesen sich jedoch mit ihrer reichen Gliederung, den vielen Buchten und Häfen und der alten Kultur noch einmal unüberwindlich. Seither ist das Mittelländische Meer zwischen den Türken, Griechen, Italienern, Österreichern, Franzosen, Spaniern, sämtlichen Anwohnern strittig geblieben, haben sich diese gegenseitig dulden und die Gestade untereinander teilen müssen. Da kamen die Engländer hinzu. Sie sind als Fremdländer eingedrungen. Indem sie sich in Gibraltar festsetzten, brachten sie das Ganze kurzer Hand unter Ihren Verschluss. Mit Malta bemächtigten sie sich dir Zentralfeste, die es ihnen ermöglichte, auch innerhalb desselben den Herrscherstab zu führen. Durch die Einnahme des Nillandes mit dem Suezkanal haben sie, nachdem es der kürzeste Wasserweg, die Durchgangsstraße nach Indien geworden war, sich auch des östlichen Ausgangs bemächtigt. Um Herr des Mittelmeers zu bleiben, der es solcher Weise tatsächlich geworden ist, wird England darüber wachen müssen, daß die Anwohnenden sich gegenseitig so weit in Schranken halten, daß sie ein „Gleichgewicht“ bilden und es als Zünglein an der Wage sie allesamt unterkriegt, in seiner Gewalt behält. Das übermächtige Russland, das dies „Gleichgewicht“ zu stören droht und zudem den Besitz Indiens, den unerschöpflichen Born des englischen Reichtums, auf dem Landwege in Frage stellt, kann nicht sorgfältig genug fern gehalten werden. Hierzu genügt indes die Dardanellensperre.

Man setze an Stelle des Mittelmeeres das Weltmeer, und das Exempel ist in seinen Grundzügen für England das gleiche. Durch die Besetzung aller Meerengen und der strategischen Inseln hat es auch dieses unter seinen Verschluss gebracht, vermag es „das Reich der Amphitrite“ wie „sein eigenes Haus“ zu schließen. Zunächst vor den europäischen Mitmächten. Um dies zu erlangen, hat es die seemächtigsten unter diesen nach einander aus dem Felde schlagen müssen: Spanier und Portugiesen, Holländer und Franzosen, Schweden und Dänen, schließlich, sobald sie an das Meer gelangt waren, auch die Russen. Das hat England nur vermocht, indem es sie gegen einander ausspielte. Um Spanien und Portugal klein zu kriegen, mußten die Holländer und Franzosen helfen, bis Spanien und Portugal durch den Abfall ihrer amerikanischen Pflanzstätten, deren „Freiheit“ und „Unabhängigkeit“ England nicht genug begünstigen konnte, auf Europa zurückgeworfen waren. Zur Niederkämpfung der Holländer halfen, unter Richelieu und Mazarin, die Franzosen mit, und dafür — vice versa — zur Niederkämpfung Frankreichs die Holländer. Sie nicht allein. Österreich und Preußen-Deutschland, die Gegner Frankreichs auf dem europäischen Festlande, taten noch wirksamere Dienste. Gar als Napoleon erstand, da wurde das ganze festländische Europa zum subventionierten Bundesgenossen Englands. Der große Korse, der von einem Weltreich in englischen Maßstäben geträumt hatte, endete auf — St. Helena. Damit war ganz Europa auf dem Weltmeere von England schachmatt gesetzt, war dieses des Weltmeeres Herr geworden, ähnlich wie dereinst die Römer des Mittelländischen. Rings auf dem Erdenrunde gab es keine Seemacht, die daran denken konnte, sich mit der seinigen zu messen.

Dass sich die anderen Mächte bei Aufrichtung der englischen Weltherrschaft immer wieder als dessen Hilfsvölker haben brauchen lassen, erklärt sich nicht nur aus ihrem Widerstreit gegeneinander, sondern auch daraus, daß sie infolge der verhältnismäßigen Kürze ihres Horizontes, das englische Weltspiel nicht haben über- und damit durchschauen können. Das gilt zur Zeit offenbar nicht nur von den Staatslenkern an der Seine, der Spree, der Tiber oder der Donau, sondern selbst auch noch von denen an der Newa. Während der Staatslenker an der Themse, seit den Tagen Pitt’s und vollends seit dem Zeitalter der Viktoria, ständig die Weltkugel in der Hand hält und sein politisches Spiel im Hinblick auf das gesamte Erdenrund betreibt, bleiben die anderen an Grenzpfählen und Schranken hängen, die für den Engländer längst nicht mehr vorhanden sind. Um sie einzufangen und für seine Zwecke auszubeuten, fehlt es demjenigen, der nach Gutdünken die Welt zu verteilen hat, nicht an denkbar lockendsten Ködern. Um Frankreich von Ägypten abzubringen, genügte die Zuschanzung von Marokko und die Aussicht auf Waffengemeinschaft gegen Deutschland. Japan war gegen Russland zu haben gewesen, um in Besitz von Port Arthur zu gelangen, gegen Deutschland in den von Kiautschou. Das durch Japan vom Golf von Petschili zurückgeschlagene Russland, das bei dieser Gelegenheit obendrein seine ganze Kriegsflotte eingebüßt hatte, erhielt zunächst, zu Portsmouth, einen verhältnismäßig glimpflichen Friedensschluss, indem es keine Kriegsentschädigung zu zahlen und nur die südliche Mandschurei zu räumen brauchte. Dass solcherweise Japan für die nächsten Jahre voraussichtlich nicht genügende „silberne Kugeln“ haben werde, um weiter auszugreifen und dadurch England selbst gefährlich zu werden, war ein Gewinn mehr. Hierauf wurde den Russen Konstantinopel in Aussicht gestellt und dazu noch womöglich Galizien und die Bukowina, Ost- und Westpreußen! Wie sollte dem russischen Bären nicht nach solchem Honig gelüsten? Und so konnte die „Dampfwalze“ zu gelegener Stunde auf Wien und Berlin zu dirigiert werden. Italien hatte schon sein Tripolis und konnte das Trentino und Triest, auch Albanien, vorgehalten bekommen. Griechenland — Smyrna! Dänemark — Schleswig-Holstein. Wie sollte es da England gegen Deutschland und Österreich an Bundesgenossen fehlen?

Auch wenn die Vernichtung Deutschlands nicht gelang, konnte der Krieg, solange England selbst intakt blieb — und in Dowingstreet hielt man es für unangreifbar — ihm zum Vorteil ausschlagen. Unmöglich kann England wünschen, daß Russland obsiegt und noch erstarkt und auch ein geschwächtes Frankreich, das der Anlehnung nicht entraten kann, ist ihm zweifellos willkommener, als eines, das wieder auf sich selbst gestellt ist. Je mehr die europäischen Festlandmächte sich gegenseitig zerfleischen und lahmlegen, um so freieren Spielraum gewinnt das meerbeherrschende England, der europäische „Outsider“.

Gar das beklagenswerte Belgien! England hat 1830 gern gesehen, daß es sich von Holland losriss, allein nur, weil das Vereinigte Königreich der Niederlande, wie es 1814/15 auf dem Wiener Kongress vereinbart worden war, als Bollwerk gegen Frankreich, wider Erwarten, eine so bedeutsame Industrie und Handelsmacht zu werden begonnen hatte, daß dem Engländer darob unbehaglich wurde. Belgien durfte indes unter keinen Umständen wieder, wie von 1794 zu 1814, zu einer französischen Provinz werden. Und so machte es Palmerston, wie er sich dessen gern rühmte, zu seiner „Tochter“. Es hatte fortan in England seinen Rückhalt und seinen — Schutzherrn. Diese „väterliche“ Freundschaft ist zwar ernstlich gefährdet worden, als das kleine, rein festländische Königreich sich den gewaltigen Kongostaat zueignete und dadurch eine beachtenswerte Kolonialmacht wurde. Indes — da es nicht wagte, sich eine eigene Kriegsflotte anzulegen, legte sich der „väterliche“ Groll allgemach wieder; dies um so vollständiger, als es nicht nur die der Themsemündung gegenüberliegende Küste Frankreich und Deutschland vorenthielt, sondern mit seinen mächtigen Festungen und dem respektablen Landheere gegebenenfalles England nicht nur für seine eigene Truppenmacht auf dem europäischen Festlande den erwünschtesten Landungsplatz darbot, sondern ein Glacis und Vorwerk darstellte, wie sich England kein wertvolleres denken konnte; gar nach Abschluß der „Entente Cordiale“ mit Frankreich, zum Entscheidungskampfe gegen Deutschland! Schon damit die Franzosen nicht Herren im Lande wurden, mußten die Engländer selbst zur Stelle sein. Sogar wenn die Belgier sie nicht herbeiriefen, waren sie entschlossen, einzurücken. Natürlich nur um Belgiens selbst willen, um dessen Völker rechtlich verbürgte „Neutralität“ zu verteidigen, zum edelmütigen Schutze des „Schwachen“ und nicht um des eigenen Interesses und Vorteils willen! Dass Deutschland, um nicht von Belgien her durch England und Frankreich an der tödlichsten Stelle in seiner Flanke gefaßt zu werden und an den Feind herankommen zu können, freien Durchzug verlangte und dafür die Unversehrtheit Belgiens verbürgte, um als der Durchzug verweigert wurde, sich gewaltsam Bahn zu brechen, war, obgleich jede andere Großmacht in ähnlicher Lage unbedingt das gleiche getan hätte, dies eine solche Versündigung gegen das heilige Völkerrecht, daß die ganze Kulturwelt gegen den Gemeinverbrecher in Harnisch gebracht wurde! Ausgerechnet von jenem England, vor dem kein Küstenstrich, kein Volkstum auf dem weiten Erdenrunde sicher ist, sobald es dessen Weltherrschaft eine Schranke zu setzen droht. Jenes England, das den Weltbrand entzündet hat, nur damit Deutschland nicht aufkomme, zieht in den Krieg: nur um die „Unabhängigkeit“ Belgiens zu wahren! So wirft der Walfischfänger die Tonne aus, mit der das ahnungslose Ungetüm spielen soll, nur damit die Harpune es um so tödlicher treffe.

England und das Völkerrecht! Das Völkerrecht, das es in erster Linie interessiert, ist das auf See. Hier aber hat es nie ein anderes gelten lassen, als eines, das seinen Schiffskanonen absolut freies Spiel sichert. Seine eigene Flagge schätzt es so hoch ein, daß jeder, der auf einem englischen Schiffe zur Welt kommt, als wäre dieses englischer Boden, dadurch die englische Staatsangehörigkeit erlangt. Das hindert es nicht, falls es mit irgend einer Macht auf dem Erdenrunde in Krieg geraten ist, jedes Schiff anzuhalten und daraufhin zu untersuchen, ob es das Geringste an Bord hat, das seinem, dem englischen Gegner, irgend zugute kommen könnte. Kriegskontrebande ist zur Zeit, da es Deutschlands Handel und Industrie von Grund aus zu ruinieren und es durch Hunger zu bezwingen gilt, nachgerade jede Zufuhr, zumal auch jede Art Nahrungsmittel. Selbst wenn der Bestimmungshafen ein neutraler ist, genügt schon der bloße Verdacht, daß nur ein Teil der Ware auf solchem Umwege nach Deutschland gelangen könnte, um das Schiff abzuführen und die Ladung zu beschlagnahmen. Sind gar Deutsche im militärpflichtigen Alter an Bord, so werden sie, der Flagge, auf deren Schutz sie zählten, ungeachtet, zu Gefangenen gemacht, um in England oder in irgend einem Weltteil, wo England seine Flagge aufgepflanzt hat, — — interniert zu werden. Auf diese Weise haben Hunderttausende von deutschen Staatsangehörigen nicht heimkommen können. Dabei versteckt England sich, sobald seine Schiffe durch Deutsche bedroht werden, hinter beliebige neutrale Flaggen! Selbst in den einheimischen eigenen Gewässern! Flüchten sich deutsche Schiffe vor englischer Übermacht in neutrales Wasser, so hindert dies englische Kriegsschiffe nicht, sie auch innerhalb dieser zusammenzuschießen. Sowohl der Hilfskreuzer „Wilhelm der Große“, wie der Kreuzer „Dresden“ sind in neutralen Gewässern zerstört worden.

Das mit England selbst vereinbarte „Völkerrecht“ bestimmt, daß eine Blockade nur dann als solche zu achten ist, wenn sie eine „effektive“ ist, will sagen, mit so ausreichenden Mitteln durchgeführt wird, daß die vor dem betreffenden Hafen oder der in Frage stehenden Küste vorgezogene Kriegsschiffskette keine Lücke übrig lässt. An die deutsche Küste wagen sich die englischen Panzer wohlweislich nicht heran. Um diese trotzdem für jedermann unzugänglich zu machen, belegt England die ganze Nordsee mit Minen und erklärt, als dies nicht genügt, den Schiffsverkehr mit Deutschland lahmzulegen, die ganze See in Blokadezustand, ohne daß sich auch nur ein englischer Panzer auf dieser zu zeigen wagt! Und blockiert auf solche Weise auch die angrenzenden Neutralen. Wenn hingegen Deutschland, um sich dieser Erdrosselung von dem Meere aus zu erwehren, die englische See mittels Unterseebooten nach Möglichkeit sperrt, und den Schiffen, die sich nicht der Gefahr aussetzen wollen, torpediert zu werden oder auf Minen zu stoßen, den Rat erteilt, die englischen Gewässer zu meiden, indem sie im Norden diese umfahren, so ist das reine „Seeräuberei“, gegen die alle Völker des Erdenrundes in die Schranke gerufen werden! Kraft englischer Allgewalt auf See ist Deutschland nicht in der Lage, feindliche Schiffe als Prise abzuführen, sich Schiff nebst Ladung anzueignen und für sich zu verwenden, wie dies England tut, seine Kriegsfahrzeuge sind daher genötigt, die feindlichen Schiffe, wo immer sie solche bewältigen können, zu versenken. Wer wollte sich ob solcher Untat nicht entsetzen und entrüsten? Vollends, daß deutsche Unterseeboote die englischen Panzer aus ihrem Schussbereich halten und mit den englischen Schiffen in den englischen Gewässern kurzen Prozess machen, kann, nach Meinung der „völkerrechtlichen“ Engländer, nur mittels des Stranges hinreichend gesühnt werden! Auch das Aushungern ganzer Völker durch Absperrung der Zufuhr zur See soll als ein englisches Vorrecht geachtet werden.

In der Politik kann man sich vor Empfindsamkeit und ethischem Pathos nicht genug hüten. Im Daseinskampfe der Völker handelt es sich letzten Endes um Machtfragen. In der Lage der Engländer würde schwerlich ein anderes Volkstum viel anders verfahren sein. Man kann die Tatkraft und Klugheit, mit der die Engländer ihre geographische Lage auszunutzen und ihre Weltherrschaft zu erringen verstanden haben, nur bewundern. Es fragt sich jedoch, inwieweit die anderen Völker das ihnen auferlegte Joch zu tragen willens sind. Vor bald anderthalb Jahrhunderten (1780), zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, haben sich unter der Führung der Kaiserin Katharina II, von Russland die Neutralen zusammengetan, um wenigstens das elementarste Völkerrecht auf See vor englischer Vergewaltigung und Willkür zu schützen. Heute begnügen sich die selbst so schwer Geschädigten mit — papiernen Noten! Sogar die Vereinigten Staaten Nordamerikas wagen nicht, ihrer Flagge Achtung zu verschaffen. Und so bleibt, um das Weltmeer von der englischen Seeräuberei zu befreien und den europäischen Völkern ihre Entfaltung zu ermöglichen, Deutschland mit seinen beiden Verbündeten, Österreich und der Türkei, allein auf dem Plan.

Gelingt es nicht, England zur Waffenstreckung zu bringen, so ist all das Blut, das der zur Zeit tobende Weltkrieg fordert, umsonst geflossen, haben Sir Edward Grey und Genossen das Spiel gewonnen. Obsiegt Deutschland, so hat es das Meer nicht nur für sich, sondern für alle befreit. Sollen wirklich sämtliche Meerengen für immer unter englischen Kanonen stehen? Wie lange noch soll diese ungeheuerliche Wegelagerei auf der Weltstraße geduldet werden? Wann wird sich Europa auf sich selbst besinnen? Will es damit zuwarten, bis England, um seiner Alleinherrschaft willen, Europa zu Grunde gerichtet hat und sich selbst mit?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Völker und das Meer im Lauf der Jahrtausende