Die Völker des Kaukasus und ihre Freiheitskämpfe gegen die Russen Bd1

Ein Beitrag zur neuesten Geschichte des Orients
Autor: Bodenstedt, Friedrich von (1819-1892) deutscher Schriftsteller, Prof. für Slawistik und Altenglisch, Erscheinungsjahr: 1855
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Konstantinopel, Osmanisches Reich, Kaukasus,
Zweite, gänzlich umgearbeitete und durch eine Abhandlung über die orientalische Frage vermehrte Auflage.

Aus der Vorrede zur ersten Auflage, geschrieben 1847.

Dieses Buch ist bestimmt, eine Lücke in der neuem Geschichte auszufüllen, eine Reihe von Völkerschaften historisch zu würdigen, deren Mehrzahl bisher in Europa kaum dem Namen nach bekannt war. Es schildert diese Völker in ihrem heimatlichen Leben, mit Bemerkungen über ihre Sprache, ihren Glauben, ihre Trachten, Sitten und Gebräuche, in den mannigfaltigen Abschattungen, welche Natur und Geschichte unter ihnen erzeugt haben, und zuletzt in ihrem Kampfe gegen das gewaltsam ihnen sich aufdrängende Russentum ...

Bei der Mannigfaltigkeit und Neuheit der hier behandelten Gegenstände machte ich mir Klarheit der Darstellung zur ersten — Kürze zur zweiten Pflicht. Sorgfältig habe ich alles allgemein Bekannte vermieden, und ausführlich nur das in den Kreis meiner Betrachtung gezogen, was unmittelbar mit eigenen Studien und Erfahrungen zusammenhing.

Den ethnographischen Schilderungen sind, nach Maßgabe der Bedeutung der einzelnen Völker, mehr oder minder umfangreiche historische Skizzen vorausgeschickt; bei solchen Völkern hingegen, welche noch keine Geschichte haben, oder über deren Vergangenheit ein zu großes Dunkel schwebt, wurde bloß die Gegenwart berücksichtigt. Denn bei der Betrachtung eines fast noch im Naturzustande begriffenen Volkes handelt es sich weniger um die bisherigen Erfolge seines Wirkens und Lebens, als um die zu künftigem Aufblühen vorhandenen Elemente; es fragt sich hier nicht, ob das Volk schon Großes vollbracht habe, sondern ob und wie weit die in ihm schlummernden Elemente die Annahme rechtfertigen, dass es im Stande sei, Großes zu vollbringen ...

In meiner politischen Anschauungsweise teile ich die Ansicht derer, welche glauben, dass die Gefahr, welche von Russland aus dem Osten droht, auch für den Westen nicht fern sei; wie schon Goethe gesagt: „Wir haben uns seit einer langen Zeit gewöhnt unsern Blick nur nach Westen zu richten und alle Gefahr von dorther zu erwarten; aber die Erde dehnt sich auch noch weithin gegen Morgen aus.“*)

*) Siehe den Aufsatz: Spätere Berührungen mit Goethe, — in H. Ludens „Rückblicke in mein Leben.“
  1. Russland und die orientalische Frage
    1. Anfänge
    2. Das Christentum unter russischem Schutze
Vorrede zur zweiten Auflage.

Nahe an sieben Jahre sind verflossen, seit ich Vorstehendes schrieb, und meine Worte haben inzwischen tiefere und allgemeinere Bedeutung gewonnen, als ich erwarten durfte. Der Brand, welcher zu jener Zeit nur einen Teil des kaukasischen Isthmus umfasste, hat sich nicht allein über den ganzen Orient verbreitet, sondern auch die mächtigsten Völker des Westens unter die Waffen gerufen. Das immer drohender um sich greifende Kriegesfeuer sinket stündlich neue Nahrung, die Verwicklung wächst von Tage zu Tage und die Ereignisse drängen einander mit einer Hast, dass die Feder des Geschichtsschreibers ihnen kaum zu folgen vermag.

Doch darf und will ich mich der Aufgabe nicht entziehen, mein Buch in seiner neuen Gestalt durch eine möglichst klare Schilderung jener Verwickelungen und ihrer Ursachen zu erweitern und zu ergänzen. Ich brauche dabei nur an meine früheren Aufzeichnungen anzuknüpfen um zu zeigen, dass die neuen Verwickelungen im engsten Zusammenhange mit den alte stehen, eine natürliche Fortsetzung davon sind und sich auf dieselben Ursachen zurückführen lassen. Es ist dieses der einzige Punkt, der in den bisher erschienenen Schriften über die orientalische Frage nicht die gehörige Berücksichtigung gefunden hat, und deshalb werde ich gerade diesen Punkt — der zugleich der Schwerpunkt des Ganzen ist — besonders hervorheben.

Im Übrigen ist die orientalische Frage schon zum Gegenstande so vieler, teilweise sehr gründlicher und scharfsinniger Untersuchungen geworden, dass sich wenig Neues darüber sagen lässt. Unleugbar aber haben die vielen Parteischriften für und wider, das Urteil der Menge mehr verwirrt als aufgeklärt, denn nicht Alle können Alles lesen und nur Wenige sind befähigt, aus den sich wirr kreuzenden Ansichten und Aufstellungen das Richtige herauszufinden.

Die Sache liegt heute so, dass es in der Tat weniger darauf ankommt was darüber gesagt wird, als wer es sagt, d. h. welche Bürgschaft die Persönlichkeit, der Charakter, die Stellung und Befähigung des Autors bieten, der es unternimmt, mit seinem Urteil über eine weltbewegende Frage an die Öffentlichkeit zu treten ...

Die erste Auflage dieses Werks hat sich einer weiten Verbreitung und von den vornehmsten orientalischen Gelehrten der Gegenwart einer rühmlichen Beurteilung zu erfreuen gehabt. Die darin aufgestellten historisch-politischen Gesichtspunkte und Beweisführungen haben von keiner Seite gegründeten Widerspruch erfahren, und meine Schilderungen der Länder und Völker des kaukasischen Isthmus sind schon in Volks- und Schulbücher übergegangen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass diese vielfach erweiterte und verbesserte zweite Auflage meines Buchs eine nicht minder günstige Aufnahme finden werde als die erste.
München, Ende April 1854.
F. B.

Bodenstedt, Friedrich von (1819-1892) deutscher Schriftsteller, Prof. für Slawistik und Altenglisch

Bodenstedt, Friedrich von (1819-1892) deutscher Schriftsteller, Prof. für Slawistik und Altenglisch

Russisches Kaiserpaar in historischen Kostümen

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Russischer Geistlicher

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Reiterstandbild Peter I.

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Kosaken

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