Das Christentum unter russischem Schutze
Am 1. Januar 1845 war ich in Tiflis Zeuge eines seltsamen Aufzuges. Durch die Hauptstraße der Stadt nach dem Tore zu, welches gen Gori führt, wogte ein langer Schwarm von Menschen. Kosaken und Polizeibeamte trieben eine Anzahl meist alter, graubärtiger Mönche vom Orden der Kapuziner vor sich her, welche, wie man sagte, auf höheren Befehl gewaltsam aus der Stadt und über die Grenze geführt werden sollten.
Die ganze römisch-katholische Gemeinde von Tiflis gab unter Schluchzen und Wehklagen den Vertriebenen das Geleit und eine Menge Georgier, Imerether und Armenier beschlossen den Zug.
Meine Leser werden nach dieser Einleitung vielleicht eben so neugierig sein, als ich selbst war zu erfahren, was die Kapuziner eigentlich verbrochen hatten, um so plötzlich am Neujahrstage vor allem Volk Stadt und Land meiden zu müssen. Ich hatte Gelegenheit alle auf den Fall bezüglichen Aktenstücke einzusehen und teile im Nachstehenden das Wichtigste daraus mit.
Seit dem Jahre 1661 bestand in Tiflis und Kutais, unter dem besondern Schutze der Könige von Georgien, eine Mission der Congregation de propaganda fide. Der Präfekt der Mission hatte seinen Sitz in Tiflis und ihm war die katholische Geistlichkeit in den übrigen transkaukasischen Städten untergeordnet.
Die Anzahl der römischen Katholiken im Lande war übrigens von jeher verhältnismäßig sehr gering und die Bekehrungsversuche der Kapuziner erstreckten sich lediglich auf die heidnischen oder muhammedanischen Bergvölker, da unter den Georgiern und Armeniern, die seit anderthalb Jahrtausenden ihre eigene christliche Kirche haben, an keine Propaganda zu denken war.
Trotzdem hatte die Mission großen Anhang im Volke, da die Kapuziner, unter welchen sich immer ein paar Ärzte befanden, nicht allein eine Apotheke gegründet hatten und armen Kranken, ohne Unterschied des Glaubens, ärztliche Hilfe umsonst zu Teil werden ließen, sondern auch überhaupt teilnehmender, rühriger und intelligenter waren als die trägen, mit ihrem Glauben erstarrten georgischen und armenischen Geistlichen.
Als Georgien zu Anfang dieses Jahrhunderts unter die Herrschaft der Russen kam, wurden den Kapuzinern die ihnen früher verliehenen Rechte und Freiheiten erneuert und bestätigt. In dem Manifeste, welches Kaiser Alexander unterm 12. September 1801 an das georgische Volk erließ, heißt es ausdrücklich: „Ein Jeder bleibt im Genusse seines Eigentums, sowie der Vorrechte seines Standes und der freien Ausübung seiner Religion.“
Allein die russische Regierung bereute bald, die alten Privilegien der katholischen Mission, welche diese von der Untertanenpflicht befreiten, neu bestätigt zu haben. Die Tätigkeit der Kapuziner wurde mit missliebigen Augen gesehen und schon in den nächstfolgenden Jahren fand man mancherlei daran auszusetzen.
Es war noch zu der Zeit als General Zizianoff den Oberbefehl im Kaukasus führte, dass zum Erstenmale die Ausforderung an die Mission erging, sich von Rom loszusagen und in den russischen Untertanenverband einzutreten. Natürlich weigerten sich die Kapuziner dieser Aufforderung zu folgen, worauf Zizianoff der Regierung vorschlug aus Russland junge Mönche des Kapuzinerordens kommen zu lassen und dann die Missionäre zu entfernen. Doch die Regierung hatte damals mit wichtigeren Dingen zu thun; die Sache blieb unerledigt; und die Verhandlungen darüber wurden erst wieder aufgenommen als General Zizianoff die Statthalterschaft in den kaukasischen Ländern erhielt. Jermoloff, obgleich ein eifriger Russe, entschied in der Angelegenheit zu Gunsten der Kapuziner, nachdem er die Grundlagen ihrer Rechte geprüft und über ihre segensreiche Wirksamkeit die genauesten Erkundigungen eingezogen hatte.
Er hob in seinem Schreiben an die Regierung hervor, dass die Mission seit ihrem mehr als anderthalb Jahrhunderte langen Bestehen niemals Grund zur Unzufriedenheit gegeben, nie gegen die Gesetze des Staates verstoßen, dagegen in vielen Dingen sich dem Staate nützlich erwiesen habe, wie z. B. durch Erbauung von Kirchen und Schulen, durch unentgeldliche Verpflegung der Armen, durch reiche Almosenspenden, durch Bekehrung der Heiden, kurz: durch Alles, was man von einem christlichen Orden erwarten könne. Ihnen die Lossagung von ihrer geistlichen Obrigkeit zuzumuten, sei ein unbilliges Verlangen, das sie, ohne eidbrüchig zu werden, nicht erfüllen könnten ....
So blieb die Sache wieder eine Zeitlang auf sich beruhen, bis die Regierung einen Ukas erließ, demzufolge der römisch-katholische Präfekt dem unter russischer Botmäßigkeit stehenden armenisch-katholischen Konsistorium des Landes untergeordnet wurde. Darauf erschien eine Spezialverordnung, derzufolge die neu ankommenden Priester der Mission dem Kaiser den Eid der Treue für die Zeit ihres Aufenthalts im russischen Reiche leisten und zugleich schriftlich erklären mussten, dass sie nicht zum Orden der Jesuiten gehörten. Dieselbe Erklärung war schon früher allen Geistlichen der in Transkaukasien zerstreuten Katholiken armenischer Abkunft zur Vorschrift gemacht.
(Bekanntlich hatten sich schon in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, auf Veranlassung des römischen Bischofs Bartholomäus, aus dem Orden der Predigermönche, der zu Maragha, im nördlichen Armenien, ein Kloster und eine Kirche gründete, viele Armenier von ihrer, auf dem Nicäischen Glaubensbekenntnis beruhenden Kirche losgesagt und waren zu der römisch-katholischen Kirche übergetreten).
Der russischen Regierung war die Abhängigkeit der armenischen Katholiken von Rom ein Dorn im Auge. Sie bot daher denen, welche zur russischen Kirche übertraten, große Vorteile und Belohnungen, und begünstigte auch das Bestreben derer, welche die Beziehungen zu Rom lockerten oder ganz auflösten.
Dadurch bildeten sich natürlich einander widerstreitende Parteien im Schoße der Kirche und entstanden Misshelligkeiten, die endlich zu einem gänzlichen Bruche führen mußten.
Nach der Eroberung des Paschaliks Achalzich durch die Russen ernannte General Paskjewitsch dort zum Vikar einen Priester der armenisch-katholischen Kirche und ordnete denselben in geistlichen Angelegenheiten dem Präfekten der römischen Kirche in Tiflis unter.
Der Erzbischof von Konstantinopel, dem daran lag seinen Einfluss aus die armenische Kirche in Achalzich zu wahren, bestätigte diese Wahl und übertrug dem katholischen Präfekten der Mission in Tiflis einen Theil seiner erzbischöflichen Rechte.
Noch zur Zeit als Achalzich unter türkischer Herrschaft stand, bekleidete daselbst ein armenischer Priester, Namens Paul Schachgullian, die Würde eines Provikars.
In Rom, in der Schule der Congregation erzogen, zeichnete Schachgullian sich früh durch glänzende Geistesgaben, aber noch mehr durch grenzenlosen Ehrgeiz und einen intriganten Charakter aus.
Als Provikar zog er sich durch wiederholte Übertretungen der Kirchengesetze, sowie durch Widersetzlichkeit gegen den Erzbischof von Konstantinopel harte Strafen zu und wurde, da er unverbesserlich schien, zuletzt ganz seiner Priesterwürde entkleidet, und in einer untergeordneten Stellung in das Missionskloster von Tiflis geschickt.
Hier verlebte er zehn Jahre, und wusste sich während der Zeit bei dem damaligen Präfekten, Pater Filippo so einzuschmeicheln, dass dieser sich auf das lebhafteste für ihn verwendete, seine Begnadigung erwirkte und dadurch die später erfolgte Wiedererhebung auf seinen früheren Posten ermöglichte.
Kaum war Schachgullian wieder in Amt und Würde, als er seinen Sinn auf nichts Geringeres richtete, als sich zum Bischof der armenischen Katholiken aufzuwerfen.
Da er aber nicht hoffen durfte, die Einwilligung des päpstlichen Stuhles zu erlangen, so suchte er seine Glaubensgenossen zur Trennung von der römischen Kirche zu bewegen. Er predigte offen gegen die Gewalt des Papstes, und seine hinreißende Beredsamkeit gewann ihm sowohl unter der Geistlichkeit wie beim Volke gro?en Anhang.
Ob es wahr ist, dass, wie man damals in Tiflis behauptete, Schachgullian in seinen ehrgeizigen Bestrebungen heimlich von der russischen Regierung unterstützt wurde, müssen wir dahin gestellt sein lassen; gewiss ist, dass man ihm durch die Finger sah, denn sonst hätte er es nicht wagen dürfen, sein Spiel in Achalzich so offen zu treiben wie wirklich der Lall war.
Der neue Präfekt in Tiflis, Pater Damian, minder nachsichtig als sein Vorgänger, machte kurzen Prozess mit Schachgullian, entsetzte ihn seiner Provikarswürde und ernannte an seiner Statt den Pater Bonaventura, einen römischen Katholiken von bewährter Gesinnung.
Sebachgullian weigerte sich, den Befehlen des Präfekten Folge zu leisten. Er behauptete hartnäckig seinen Posten, hielt aufrührerische Reden an das Volk und ging soweit, der russischen Regierung eine von fünfzehn armenischen Geistlichen unterzeichnete Beschwerdeschrift einzusenden, worin er eine Menge Beschuldigungen gegen den Präfekten in Tiflis erhob.
Aus der Untersuchung, welche der damalige Oberbefehlshaber im Kaukasus, General Neidhardt, hierauf einleitete, ergab sich, dass alle diese Beschuldigungen durchaus ungegründet waren. Dagegen wurde Schachgullian der Widersetzlichkeit gegen seine geistliche Obrigkeit, sowie der Anmaßung einer ihm nicht zukommenden Würde, und endlich öffentlicher Aufwiegelung der katholischen Gemeinde gegen die römische Geistlichkeit schuldig befunden. Er wurde seiner Würde entkleidet und aus Achalzich entfernt.
General Neidhardt, ein wegen seiner strengen Gerechtigkeitsliebe in Russland (wo dergleichen selten vorkommt) sprichwörtlich gewordener Mann, war in seinem Urteil um so unparteiischer, als er weder der russisch-griechischen, noch der römisch-katholischen Kirche angehörte.
In Petersburg urteilte man aber anders. Schachgullian kannte die dortige Stimmung, sowie die Zwecke, welche die Regierung verfolgte, und ließ sich deshalb durch das Urtheil des General Neidhardt nicht irre machen. Er versprach dem Minister Perowsky, nach und nach alle armenischen Katholiken in Transkaukasien zum Übertritt in die russische Kirche zu bewegen, wenn ihm die Regierung dagegen das doppelte Zugeständnis mache: ihn als geistliches Oberhaupt seiner Glaubensgenossen anzuerkennen und die römisch-katholische Mission, welche seinen Bestrebungen hindernd im Wege stehe, um jeden Preis aus Stadt und Land zu entfernen.
Solche Vorschläge machte Schachgullian, nachdem er der russischen Behörde eine an Eidesstatt bindende, schriftliche Erklärung gegeben hatte: sich in Betracht seines hohen Alters (er war damals ein Siebenziger) nie und unter keinem Vorwande wieder in die kirchlichen Angelegenheiten des Landes mischen zu wollen.
Das war jedoch kein Hindernis für die russische Regierung auf seine Vorschläge einzugehen. Schachgullian setzte Alles durch was er wollte und der von der weltlichen wie geistlichen Behörde zweimal als schuldig verurteilte und seiner Würde entkleidete Priester erhielt die allerhöchste Bestätigung als Oberhaupt der armenischen katholischen Gemeinde, während General Neidhardt bald darauf in Ungnade siel und von seinem hohen Posten abberufen wurde.
An die Mitglieder der römischen Mission in Tiflis erging der Befehl: entweder den unbedingten russischen Untertaneneid zu leisten, oder sofort das Land zu verlassen. Die Missionäre erwiderten, dass sie den verlangten Eid ohne Genehmigung ihrer Oberen nicht leisten könnten, und baten deshalb um Zeit und Erlaubnis diese Genehmigung einzuholen.
Darauf erhielten sie vom Minister Perowsky den Bescheid: was innerhalb Russlands geschehe, bedürfe außerhalb Russlands keiner Genehmigung. Es sei des Kaisers allerhöchster Wille, dass fortan aller unmittelbare Verkehr zwischen den in Russland wohnenden Geistlichen und dem römischen Stuhle aufhöre, und wer sich dem nicht fügen wolle, der habe das Land auf der Stelle zu verlassen.
Der Statthalter, welcher dem Präfekten obigen Beschluss zu verkünden hatte, erlaubte sich darauf nach Petersburg zu berichten: dass durch die plötzliche Entfernung der Missionäre die römisch-katholische Gemeinde in Transkaukasien ohne Seelsorger bleiben würde, indem die wenigen katholischen Geistlichen polnischer Abkunft die Sandessprachen nicht verständen/ — ferner: dass der früher wegen gemeiner Vergehen mehrfach bestrafte, bei der Mehrzahl des Volks in gänzlicher Missachtung stehende Priester Schachgullian unmöglich an der Spitze der armenischen Geistlichkeit bleiben könne, die sich selbst eines solchen Vorstandes schäme.
Die Antwort lautete kurz: die katholischen Missionäre haben das Land sofort zu verlassen, die Regierung wird das für Seelsorger aus Russland schicken, und der armenische Priester Schachgullian, der sich des besondern Wohlwollens Seiner Majestät zu erfreuen hat, bleibt auf seinem Posten.
Inzwischen war der Winter hereingebrochen, und zwar in einer für Georgien so ungewöhnlichen Strenge, dass sich die ältesten Einwohner nicht erinnern konnten, je solchen Frost und solche Schneestürme erlebt zu haben.
Die ohnehin schlechten Wege von Tiflis über Gori und Kutais bis Redut-Kalé ware zu Wagen gar nicht, und zu Pferde nur unter großen Gefahren und Beschwerlichkeiten zu passieren. Dazu kamen — abgesehen von den allgemeinen Schwierigkeiten der Schifffahrt im Winter — noch die besondern Schwierigkeiten, überhaupt eine Fahrgelegenheit über das Schwarze Meer zu finden, da zu jener Zeit dort noch gar keine regelmäßige Schifffahrt bestand und man ganz von der Gnade griechischer Barkenführer, invalider Piraten, abhing, die sich jeden Ruderschlag mit Gold aufwiegen ließen.
In Anbetracht so gewichtiger Bedenken glaubte der Statthalter das Gesuch der Missionäre: bis zum Anbruch des Frühlings in Tiflis verweilen zu dürfen, bei der Regierung befürworten und unterstützen zu müssen. Aber mit einer Schnelligkeit, die besserer Zwecke würdig gewesen wäre, traf aus Petersburg der Bescheid ein: dass die Missionäre sofort über die Grenze zu bringen wären. Wenn ihnen die Reise über das Schwarze Meer im Winter zu gefährlich scheine, so könnten sie den Landweg nach Trapezunt über Alexandropol einschlagen.
Nach diesem deutlichen Bescheide war an ein ferneres Zögern nicht zu denken; der menschenfreundliche Statthalter musste geschehen lassen, was nicht zu ändern war, und so erfolgte denn am Neujahrestage 1845 die Vertreibung der römischen Missionäre aus Tiflis.
Den Kapuzinern versagte die Stimme, als sie zum letzten Male die Messe lasen in der Kirche, wo Geistliche ihres Ordens seit zwei Jahrhunderten die Messe gelesen hatten. Der Zudrang und die Teilnahme des Volks war unbeschreiblich. Alles wollte die Scheidenden noch einmal sehen, ihnen die Hand zum Abschiede drücken. Alte Mütterchen ließen sich von ihren Enkeln in die Kirche tragen, arme Greise kamen auf Krücken herbei, fast kein Auge blieb trocken. ...
Ich übergehe die Schilderung der Unbill und der rohen Behandlung, welche die vertriebenen Missionäre noch zu erdulden hatten, ehe sie die türkische Grenze erreichten. Bei den Türken mußten sie Schutz vor den Christen suchen.
***
Ich habe diese Geschichte mit einiger Ausführlichkeit erzählt, weil ich Zeuge davon war und jedes Wort durch die in meinem Besitz befindliche Abschrift der darauf bezüglichen Aktenstücke belegen kann. Die aktenmäßige Darstellung eines einzigen solchen Falles bietet den sichersten Maßstab zur Beurteilung aller ähnlichen Fälle, und der Himmel weiß, dass daran in Russland kein Mangel ist.
Auf meinen Ausflügen in Transkaukasien begegnete ich auch ganzen Gemeinden jener aus dem Innern Russlands nach Asien vertriebenen Christen griechischer Konfession, deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie „Altgläubige“ waren, d. h. dass sie an dem Glauben ihrer Väter festhielten und den Zaren wohl in Treue als ihren weltlichen Herrn und Gebieter, aber nicht als ihren Patriarchen anerkennen wollten.
Im Jahre 1844 lagerte, auf dem Durchzuge in die unwirtbare Steppe, wo sie fortan wohnen sollten, eine solche Schar um ihres Glaubens willen vertriebener Christen dicht vor den Toren von Tiflis. Ich ging hinaus sie zu sehen, und nimmer werde ich dieses Anblicks vergessen.
Da saßen sie zwischen ihren Wagen und Zelten, mit Weib und Kind, an den Wassern des Kyros und weinten, der verlassenen Heimat gedenkend, wie einst die Juden bei den Wassern von Babel.
Hier drückte eine Mutter ihren Säugling an die Brust, dort wiegte eine andere ihr schreiendes Kind auf den Armen; an den Lagerfeuern, die sich in den trüben Wassern des Kyros spiegelten, saßen Weiber vor Kochtöpfen, und kauerten Greise, die sich wärmten, denn es war kalt am Abend.
Viele Menschen waren herbei gekommen aus Tiflis, um dies neue Stück Völkerwanderung zu sehen und Trank und Speise unter die Armen zu verteilen. Es war ein farben-buntes, aber wehmütig stimmendes Bild. Der Reiz des Malerischen ging unter dem Eindruck des Unglücks verloren.
Und noch einmal: was hatten diese Unglücklichen getan, dass sie losgerissen wurden von ihrer heimatlichen Scholle und hinausgestoßen in die ungastliche Steppe?
Sie waren dem Glauben ihrer Väter treu geblieben und hatten sich geweigert den Zaren als ihren Patriarchen, als ihr geistliches Oberhaupt anzuerkennen, denn sie wussten wohl, wie die Zaren zu dieser geistlichen Würde gekommen. Denjenigen meiner Leser aber, welche dies nicht wissen, will ich es in ein paar Worten erzählen.
Schon in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts hatte Russland sich von der griechischen Mutterkirche emanzipiert und eine „russisch-griechische“ Kirche gebildet unter einem eignen Metropoliten, der ohne alle Beziehungen zum Patriarchen von Konstantinopel stand. Die Macht der byzantinischen Kirche (durch unkundige Geschichtsschreiber häufig überschätzt), obgleich von jeher nur ein Schatten der Macht ihrer römischen Schwester, erschien den Zaren, welche aus der Kirche eine bloße Polizeianstalt machen wollten, immer noch zu selbstständig und zu bedeutend.
Peter der Große, dem man eine besondere Verehrung für die griechische Kirche und ihre Diener nicht nachrühmen kann, benutzte den im Jahre 1700 erfolgten Tod des Patriarchen Adrian, um den Patriarchenstuhl von Russland auf immer unbesetzt zu lassen. Er ließ die Geschäfte durch einen Exarchen besorgen, der an der Spitze eines Kollegiums von Bischöfen stand. In dieser interimistischen Geschäftsführung lag nichts Ungewöhnliches/ sie hatte bei ähnlichen Fällen immer bis zur Erwählung eines neuen Patriarchen stattgefunden. Ungewöhnlich war es nur, dass der interimistische Zustand gar kein Ende nehmen wollte und dass, als der Klerus nach zwanzigjährigem vergeblichen Warten mit Ungestüm die Wahl eines neuen Patriarchen verlangte, Peter sein Schwert auf den Tisch warf und ausrief: da ist Euer Patriarch!
Von jener Stunde an war die Kirche in Russland willenlose Dienerin des Staats. Die Patriarchenwürde wurde mit der Zarenwürde vereinigt, und Kaiser Peter, der sich in Allem versuchen mußte: als Zimmermann, als Schlosser, als Zahnarzt, als Schiffer, als Soldat und Schneider, konnte es auch nicht unterlassen ein paar Mal vor dem versammelten Volke den Patriarchen zu spielen, eine tragikomische Szene, deren spätere Wiederholung durch Kaiser Paul (der bei der Krönung in einem Gewande erschien, welches ihn halb als Priester, halb als Krieger darstellte), zu den seltsamsten Auffassungen Anlass gegeben hat über die Vereinigung der weltlichen Macht in Russland mit der geistlichen.
Um die Sachlage von einem richtigen Gesichtspunkte aus zu veranschaulichen, braucht man bloß ein paar Namen zu nennen: Katharina I., die ehemalige Trompetersfrau aus Liefland; Anna von Braunschweig, mit allen Erinnerungen, welche sich an ihren geliebten Stallmeister Biron, den sie zum Herzog von Kurland erhob, knüpfen; Elisabeth, Peters Tochter, die schon als Großfürstin ihre vielen Geliebten vorzugsweise unter den Grenadieren der Garde wählte und als Kaiserin dem Genuss starker Getränke so ergeben war, dass sie oft Wochenlang keinen lichten Moment hatte/ endlich Katharina II., die Prinzessin von Anhalt-Zerbst, deren große Regenten-Eigenschaften man nicht zu leugnen braucht, um in ihren geistlichen Beruf doch einigen Zweifel zu setzen — man denke sich diese Patriarchinnen und urteile dann selbst, ob es Wunder nehmen darf, dass es sehr viele rechtgläubige Russen gibt, welche an die Heiligkeit solchen Patriarchates nicht glauben...
Keine Kirche hat so viele Sekten ans ihrem Schoße erzeugt, als die russisch-byzantinische. Die Geschichte dieser Sekten bildet für den ernsten Forscher den interessantesten und lehrreichsten Teil der russischen Geschichte überhaupt; diese kann ohne jene gar nicht verstanden werden.*)
Außer den Sekten die ihrem Schoße entsprungen, hat die russisch-byzantinische Kirche nichts Lebendiges hervorgebracht. Diese Sekten waren lange Zeit hindurch der einzige Hort wissenschaftlicher Tätigkeit in Russland; aber die unerhörte Grausamkeit mit welcher ihre Anhänger immer von der herrschenden Kirche verfolgt wurden, bewog viele lausende von ihnen auszuwandern und sich in der Türkei niederzulassen, — und erzeugte unter vielen der Zurückbleibenden einen Fanatismus, der sie trieb sich in großer Anzahl freiwillig dem Tode zu weihen. Sie verschlossen sich zu Hunderten in einer Scheune, steckten das Gebäude in Brand und starben so des Flammentodes unter Gesang und Gebet. Fälle solcher Art sind noch heutzutage in Russland nichts Seltenes, wie denn überhaupt hier täglich Dinge geschehen von welchen sich unsere Russophilen nichts träumen lassen.
*) Wer sich näher darüber unterrichten will, dem empfehlen wir das wichtige Werk des Grafen Krasinski: The Religious History of the Slavonic Nations. Auch in Haxthausens „Studien über Russland“ findet man ein reiches Material.
Die ritterliche Persönlichkeit Kaiser Alexanders, und noch mehr das imposante Auftreten und die unleugbar großen Eigenschaften seines Nachfolgers Nikolaus haben manches Auge geblendet, manches Urteil verwirrt, und — im Verein mit geschickt verteilten Orden, Tabatieren, Brillantringen, Imperialen und sonstigen kaiserlichen Gunstbezeugungen — viel dazu beigetragen, die russischen Zustände in einem günstigem Lichte erscheinen zu lassen, als der Wahrheit genehm ist.
Es soll damit nicht gesagt sein, dass die in gewissen Kreisen herrschende Vorliebe für Russland immer eine erkaufte sei; nein, es gibt — wie schon vorhin bemerkt wurde — wirklich viele ehrliche Leute, welche Russland für den sichersten Hort des Christentums und staatlicher Ordnung halten, und allen Ernstes glauben, dass der Kaiser auf seinem Kreuzzuge gegen die Türken nur zum Schutz und zur Verteidigung der christlichen Kirche kämpfe, und weit entfernt sei, weltliche Zwecke, wie etwa Ländererwerb, Erweiterung seines politischen Einflusses u. dergl. dabei im Auge zu haben.
War die Ursache des Krieges angeblich doch nur der für Russland ungenügende Ausgang des Streites über die „heiligen Stätten,“ um deren Besitz einst die christlichen Völker des Abendlandes Jahrhunderte lang mit den Ungläubigen rangen. Der alte Glaubenseifer ist seitdem im Abendlande erloschen; nur das rechtgläubige Russland ist noch hochherzig und begeistert genug, das Schwert für den Glauben zu ziehen ...
Russland war bekanntlich der eigentliche Urheber des heutigen Krieges dadurch, dass es die besondere Frage der „heiligen Stätten“ benutzte, um überhaupt sein Verhältnis zur Türkei zu regeln.
Im nächsten Kapitel werden wir sehen, was es mit dem Streite über die heiligen Stätten auf sich hat.
Die ganze römisch-katholische Gemeinde von Tiflis gab unter Schluchzen und Wehklagen den Vertriebenen das Geleit und eine Menge Georgier, Imerether und Armenier beschlossen den Zug.
Meine Leser werden nach dieser Einleitung vielleicht eben so neugierig sein, als ich selbst war zu erfahren, was die Kapuziner eigentlich verbrochen hatten, um so plötzlich am Neujahrstage vor allem Volk Stadt und Land meiden zu müssen. Ich hatte Gelegenheit alle auf den Fall bezüglichen Aktenstücke einzusehen und teile im Nachstehenden das Wichtigste daraus mit.
Seit dem Jahre 1661 bestand in Tiflis und Kutais, unter dem besondern Schutze der Könige von Georgien, eine Mission der Congregation de propaganda fide. Der Präfekt der Mission hatte seinen Sitz in Tiflis und ihm war die katholische Geistlichkeit in den übrigen transkaukasischen Städten untergeordnet.
Die Anzahl der römischen Katholiken im Lande war übrigens von jeher verhältnismäßig sehr gering und die Bekehrungsversuche der Kapuziner erstreckten sich lediglich auf die heidnischen oder muhammedanischen Bergvölker, da unter den Georgiern und Armeniern, die seit anderthalb Jahrtausenden ihre eigene christliche Kirche haben, an keine Propaganda zu denken war.
Trotzdem hatte die Mission großen Anhang im Volke, da die Kapuziner, unter welchen sich immer ein paar Ärzte befanden, nicht allein eine Apotheke gegründet hatten und armen Kranken, ohne Unterschied des Glaubens, ärztliche Hilfe umsonst zu Teil werden ließen, sondern auch überhaupt teilnehmender, rühriger und intelligenter waren als die trägen, mit ihrem Glauben erstarrten georgischen und armenischen Geistlichen.
Als Georgien zu Anfang dieses Jahrhunderts unter die Herrschaft der Russen kam, wurden den Kapuzinern die ihnen früher verliehenen Rechte und Freiheiten erneuert und bestätigt. In dem Manifeste, welches Kaiser Alexander unterm 12. September 1801 an das georgische Volk erließ, heißt es ausdrücklich: „Ein Jeder bleibt im Genusse seines Eigentums, sowie der Vorrechte seines Standes und der freien Ausübung seiner Religion.“
Allein die russische Regierung bereute bald, die alten Privilegien der katholischen Mission, welche diese von der Untertanenpflicht befreiten, neu bestätigt zu haben. Die Tätigkeit der Kapuziner wurde mit missliebigen Augen gesehen und schon in den nächstfolgenden Jahren fand man mancherlei daran auszusetzen.
Es war noch zu der Zeit als General Zizianoff den Oberbefehl im Kaukasus führte, dass zum Erstenmale die Ausforderung an die Mission erging, sich von Rom loszusagen und in den russischen Untertanenverband einzutreten. Natürlich weigerten sich die Kapuziner dieser Aufforderung zu folgen, worauf Zizianoff der Regierung vorschlug aus Russland junge Mönche des Kapuzinerordens kommen zu lassen und dann die Missionäre zu entfernen. Doch die Regierung hatte damals mit wichtigeren Dingen zu thun; die Sache blieb unerledigt; und die Verhandlungen darüber wurden erst wieder aufgenommen als General Zizianoff die Statthalterschaft in den kaukasischen Ländern erhielt. Jermoloff, obgleich ein eifriger Russe, entschied in der Angelegenheit zu Gunsten der Kapuziner, nachdem er die Grundlagen ihrer Rechte geprüft und über ihre segensreiche Wirksamkeit die genauesten Erkundigungen eingezogen hatte.
Er hob in seinem Schreiben an die Regierung hervor, dass die Mission seit ihrem mehr als anderthalb Jahrhunderte langen Bestehen niemals Grund zur Unzufriedenheit gegeben, nie gegen die Gesetze des Staates verstoßen, dagegen in vielen Dingen sich dem Staate nützlich erwiesen habe, wie z. B. durch Erbauung von Kirchen und Schulen, durch unentgeldliche Verpflegung der Armen, durch reiche Almosenspenden, durch Bekehrung der Heiden, kurz: durch Alles, was man von einem christlichen Orden erwarten könne. Ihnen die Lossagung von ihrer geistlichen Obrigkeit zuzumuten, sei ein unbilliges Verlangen, das sie, ohne eidbrüchig zu werden, nicht erfüllen könnten ....
So blieb die Sache wieder eine Zeitlang auf sich beruhen, bis die Regierung einen Ukas erließ, demzufolge der römisch-katholische Präfekt dem unter russischer Botmäßigkeit stehenden armenisch-katholischen Konsistorium des Landes untergeordnet wurde. Darauf erschien eine Spezialverordnung, derzufolge die neu ankommenden Priester der Mission dem Kaiser den Eid der Treue für die Zeit ihres Aufenthalts im russischen Reiche leisten und zugleich schriftlich erklären mussten, dass sie nicht zum Orden der Jesuiten gehörten. Dieselbe Erklärung war schon früher allen Geistlichen der in Transkaukasien zerstreuten Katholiken armenischer Abkunft zur Vorschrift gemacht.
(Bekanntlich hatten sich schon in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, auf Veranlassung des römischen Bischofs Bartholomäus, aus dem Orden der Predigermönche, der zu Maragha, im nördlichen Armenien, ein Kloster und eine Kirche gründete, viele Armenier von ihrer, auf dem Nicäischen Glaubensbekenntnis beruhenden Kirche losgesagt und waren zu der römisch-katholischen Kirche übergetreten).
Der russischen Regierung war die Abhängigkeit der armenischen Katholiken von Rom ein Dorn im Auge. Sie bot daher denen, welche zur russischen Kirche übertraten, große Vorteile und Belohnungen, und begünstigte auch das Bestreben derer, welche die Beziehungen zu Rom lockerten oder ganz auflösten.
Dadurch bildeten sich natürlich einander widerstreitende Parteien im Schoße der Kirche und entstanden Misshelligkeiten, die endlich zu einem gänzlichen Bruche führen mußten.
Nach der Eroberung des Paschaliks Achalzich durch die Russen ernannte General Paskjewitsch dort zum Vikar einen Priester der armenisch-katholischen Kirche und ordnete denselben in geistlichen Angelegenheiten dem Präfekten der römischen Kirche in Tiflis unter.
Der Erzbischof von Konstantinopel, dem daran lag seinen Einfluss aus die armenische Kirche in Achalzich zu wahren, bestätigte diese Wahl und übertrug dem katholischen Präfekten der Mission in Tiflis einen Theil seiner erzbischöflichen Rechte.
Noch zur Zeit als Achalzich unter türkischer Herrschaft stand, bekleidete daselbst ein armenischer Priester, Namens Paul Schachgullian, die Würde eines Provikars.
In Rom, in der Schule der Congregation erzogen, zeichnete Schachgullian sich früh durch glänzende Geistesgaben, aber noch mehr durch grenzenlosen Ehrgeiz und einen intriganten Charakter aus.
Als Provikar zog er sich durch wiederholte Übertretungen der Kirchengesetze, sowie durch Widersetzlichkeit gegen den Erzbischof von Konstantinopel harte Strafen zu und wurde, da er unverbesserlich schien, zuletzt ganz seiner Priesterwürde entkleidet, und in einer untergeordneten Stellung in das Missionskloster von Tiflis geschickt.
Hier verlebte er zehn Jahre, und wusste sich während der Zeit bei dem damaligen Präfekten, Pater Filippo so einzuschmeicheln, dass dieser sich auf das lebhafteste für ihn verwendete, seine Begnadigung erwirkte und dadurch die später erfolgte Wiedererhebung auf seinen früheren Posten ermöglichte.
Kaum war Schachgullian wieder in Amt und Würde, als er seinen Sinn auf nichts Geringeres richtete, als sich zum Bischof der armenischen Katholiken aufzuwerfen.
Da er aber nicht hoffen durfte, die Einwilligung des päpstlichen Stuhles zu erlangen, so suchte er seine Glaubensgenossen zur Trennung von der römischen Kirche zu bewegen. Er predigte offen gegen die Gewalt des Papstes, und seine hinreißende Beredsamkeit gewann ihm sowohl unter der Geistlichkeit wie beim Volke gro?en Anhang.
Ob es wahr ist, dass, wie man damals in Tiflis behauptete, Schachgullian in seinen ehrgeizigen Bestrebungen heimlich von der russischen Regierung unterstützt wurde, müssen wir dahin gestellt sein lassen; gewiss ist, dass man ihm durch die Finger sah, denn sonst hätte er es nicht wagen dürfen, sein Spiel in Achalzich so offen zu treiben wie wirklich der Lall war.
Der neue Präfekt in Tiflis, Pater Damian, minder nachsichtig als sein Vorgänger, machte kurzen Prozess mit Schachgullian, entsetzte ihn seiner Provikarswürde und ernannte an seiner Statt den Pater Bonaventura, einen römischen Katholiken von bewährter Gesinnung.
Sebachgullian weigerte sich, den Befehlen des Präfekten Folge zu leisten. Er behauptete hartnäckig seinen Posten, hielt aufrührerische Reden an das Volk und ging soweit, der russischen Regierung eine von fünfzehn armenischen Geistlichen unterzeichnete Beschwerdeschrift einzusenden, worin er eine Menge Beschuldigungen gegen den Präfekten in Tiflis erhob.
Aus der Untersuchung, welche der damalige Oberbefehlshaber im Kaukasus, General Neidhardt, hierauf einleitete, ergab sich, dass alle diese Beschuldigungen durchaus ungegründet waren. Dagegen wurde Schachgullian der Widersetzlichkeit gegen seine geistliche Obrigkeit, sowie der Anmaßung einer ihm nicht zukommenden Würde, und endlich öffentlicher Aufwiegelung der katholischen Gemeinde gegen die römische Geistlichkeit schuldig befunden. Er wurde seiner Würde entkleidet und aus Achalzich entfernt.
General Neidhardt, ein wegen seiner strengen Gerechtigkeitsliebe in Russland (wo dergleichen selten vorkommt) sprichwörtlich gewordener Mann, war in seinem Urteil um so unparteiischer, als er weder der russisch-griechischen, noch der römisch-katholischen Kirche angehörte.
In Petersburg urteilte man aber anders. Schachgullian kannte die dortige Stimmung, sowie die Zwecke, welche die Regierung verfolgte, und ließ sich deshalb durch das Urtheil des General Neidhardt nicht irre machen. Er versprach dem Minister Perowsky, nach und nach alle armenischen Katholiken in Transkaukasien zum Übertritt in die russische Kirche zu bewegen, wenn ihm die Regierung dagegen das doppelte Zugeständnis mache: ihn als geistliches Oberhaupt seiner Glaubensgenossen anzuerkennen und die römisch-katholische Mission, welche seinen Bestrebungen hindernd im Wege stehe, um jeden Preis aus Stadt und Land zu entfernen.
Solche Vorschläge machte Schachgullian, nachdem er der russischen Behörde eine an Eidesstatt bindende, schriftliche Erklärung gegeben hatte: sich in Betracht seines hohen Alters (er war damals ein Siebenziger) nie und unter keinem Vorwande wieder in die kirchlichen Angelegenheiten des Landes mischen zu wollen.
Das war jedoch kein Hindernis für die russische Regierung auf seine Vorschläge einzugehen. Schachgullian setzte Alles durch was er wollte und der von der weltlichen wie geistlichen Behörde zweimal als schuldig verurteilte und seiner Würde entkleidete Priester erhielt die allerhöchste Bestätigung als Oberhaupt der armenischen katholischen Gemeinde, während General Neidhardt bald darauf in Ungnade siel und von seinem hohen Posten abberufen wurde.
An die Mitglieder der römischen Mission in Tiflis erging der Befehl: entweder den unbedingten russischen Untertaneneid zu leisten, oder sofort das Land zu verlassen. Die Missionäre erwiderten, dass sie den verlangten Eid ohne Genehmigung ihrer Oberen nicht leisten könnten, und baten deshalb um Zeit und Erlaubnis diese Genehmigung einzuholen.
Darauf erhielten sie vom Minister Perowsky den Bescheid: was innerhalb Russlands geschehe, bedürfe außerhalb Russlands keiner Genehmigung. Es sei des Kaisers allerhöchster Wille, dass fortan aller unmittelbare Verkehr zwischen den in Russland wohnenden Geistlichen und dem römischen Stuhle aufhöre, und wer sich dem nicht fügen wolle, der habe das Land auf der Stelle zu verlassen.
Der Statthalter, welcher dem Präfekten obigen Beschluss zu verkünden hatte, erlaubte sich darauf nach Petersburg zu berichten: dass durch die plötzliche Entfernung der Missionäre die römisch-katholische Gemeinde in Transkaukasien ohne Seelsorger bleiben würde, indem die wenigen katholischen Geistlichen polnischer Abkunft die Sandessprachen nicht verständen/ — ferner: dass der früher wegen gemeiner Vergehen mehrfach bestrafte, bei der Mehrzahl des Volks in gänzlicher Missachtung stehende Priester Schachgullian unmöglich an der Spitze der armenischen Geistlichkeit bleiben könne, die sich selbst eines solchen Vorstandes schäme.
Die Antwort lautete kurz: die katholischen Missionäre haben das Land sofort zu verlassen, die Regierung wird das für Seelsorger aus Russland schicken, und der armenische Priester Schachgullian, der sich des besondern Wohlwollens Seiner Majestät zu erfreuen hat, bleibt auf seinem Posten.
Inzwischen war der Winter hereingebrochen, und zwar in einer für Georgien so ungewöhnlichen Strenge, dass sich die ältesten Einwohner nicht erinnern konnten, je solchen Frost und solche Schneestürme erlebt zu haben.
Die ohnehin schlechten Wege von Tiflis über Gori und Kutais bis Redut-Kalé ware zu Wagen gar nicht, und zu Pferde nur unter großen Gefahren und Beschwerlichkeiten zu passieren. Dazu kamen — abgesehen von den allgemeinen Schwierigkeiten der Schifffahrt im Winter — noch die besondern Schwierigkeiten, überhaupt eine Fahrgelegenheit über das Schwarze Meer zu finden, da zu jener Zeit dort noch gar keine regelmäßige Schifffahrt bestand und man ganz von der Gnade griechischer Barkenführer, invalider Piraten, abhing, die sich jeden Ruderschlag mit Gold aufwiegen ließen.
In Anbetracht so gewichtiger Bedenken glaubte der Statthalter das Gesuch der Missionäre: bis zum Anbruch des Frühlings in Tiflis verweilen zu dürfen, bei der Regierung befürworten und unterstützen zu müssen. Aber mit einer Schnelligkeit, die besserer Zwecke würdig gewesen wäre, traf aus Petersburg der Bescheid ein: dass die Missionäre sofort über die Grenze zu bringen wären. Wenn ihnen die Reise über das Schwarze Meer im Winter zu gefährlich scheine, so könnten sie den Landweg nach Trapezunt über Alexandropol einschlagen.
Nach diesem deutlichen Bescheide war an ein ferneres Zögern nicht zu denken; der menschenfreundliche Statthalter musste geschehen lassen, was nicht zu ändern war, und so erfolgte denn am Neujahrestage 1845 die Vertreibung der römischen Missionäre aus Tiflis.
Den Kapuzinern versagte die Stimme, als sie zum letzten Male die Messe lasen in der Kirche, wo Geistliche ihres Ordens seit zwei Jahrhunderten die Messe gelesen hatten. Der Zudrang und die Teilnahme des Volks war unbeschreiblich. Alles wollte die Scheidenden noch einmal sehen, ihnen die Hand zum Abschiede drücken. Alte Mütterchen ließen sich von ihren Enkeln in die Kirche tragen, arme Greise kamen auf Krücken herbei, fast kein Auge blieb trocken. ...
Ich übergehe die Schilderung der Unbill und der rohen Behandlung, welche die vertriebenen Missionäre noch zu erdulden hatten, ehe sie die türkische Grenze erreichten. Bei den Türken mußten sie Schutz vor den Christen suchen.
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Ich habe diese Geschichte mit einiger Ausführlichkeit erzählt, weil ich Zeuge davon war und jedes Wort durch die in meinem Besitz befindliche Abschrift der darauf bezüglichen Aktenstücke belegen kann. Die aktenmäßige Darstellung eines einzigen solchen Falles bietet den sichersten Maßstab zur Beurteilung aller ähnlichen Fälle, und der Himmel weiß, dass daran in Russland kein Mangel ist.
Auf meinen Ausflügen in Transkaukasien begegnete ich auch ganzen Gemeinden jener aus dem Innern Russlands nach Asien vertriebenen Christen griechischer Konfession, deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie „Altgläubige“ waren, d. h. dass sie an dem Glauben ihrer Väter festhielten und den Zaren wohl in Treue als ihren weltlichen Herrn und Gebieter, aber nicht als ihren Patriarchen anerkennen wollten.
Im Jahre 1844 lagerte, auf dem Durchzuge in die unwirtbare Steppe, wo sie fortan wohnen sollten, eine solche Schar um ihres Glaubens willen vertriebener Christen dicht vor den Toren von Tiflis. Ich ging hinaus sie zu sehen, und nimmer werde ich dieses Anblicks vergessen.
Da saßen sie zwischen ihren Wagen und Zelten, mit Weib und Kind, an den Wassern des Kyros und weinten, der verlassenen Heimat gedenkend, wie einst die Juden bei den Wassern von Babel.
Hier drückte eine Mutter ihren Säugling an die Brust, dort wiegte eine andere ihr schreiendes Kind auf den Armen; an den Lagerfeuern, die sich in den trüben Wassern des Kyros spiegelten, saßen Weiber vor Kochtöpfen, und kauerten Greise, die sich wärmten, denn es war kalt am Abend.
Viele Menschen waren herbei gekommen aus Tiflis, um dies neue Stück Völkerwanderung zu sehen und Trank und Speise unter die Armen zu verteilen. Es war ein farben-buntes, aber wehmütig stimmendes Bild. Der Reiz des Malerischen ging unter dem Eindruck des Unglücks verloren.
Und noch einmal: was hatten diese Unglücklichen getan, dass sie losgerissen wurden von ihrer heimatlichen Scholle und hinausgestoßen in die ungastliche Steppe?
Sie waren dem Glauben ihrer Väter treu geblieben und hatten sich geweigert den Zaren als ihren Patriarchen, als ihr geistliches Oberhaupt anzuerkennen, denn sie wussten wohl, wie die Zaren zu dieser geistlichen Würde gekommen. Denjenigen meiner Leser aber, welche dies nicht wissen, will ich es in ein paar Worten erzählen.
Schon in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts hatte Russland sich von der griechischen Mutterkirche emanzipiert und eine „russisch-griechische“ Kirche gebildet unter einem eignen Metropoliten, der ohne alle Beziehungen zum Patriarchen von Konstantinopel stand. Die Macht der byzantinischen Kirche (durch unkundige Geschichtsschreiber häufig überschätzt), obgleich von jeher nur ein Schatten der Macht ihrer römischen Schwester, erschien den Zaren, welche aus der Kirche eine bloße Polizeianstalt machen wollten, immer noch zu selbstständig und zu bedeutend.
Peter der Große, dem man eine besondere Verehrung für die griechische Kirche und ihre Diener nicht nachrühmen kann, benutzte den im Jahre 1700 erfolgten Tod des Patriarchen Adrian, um den Patriarchenstuhl von Russland auf immer unbesetzt zu lassen. Er ließ die Geschäfte durch einen Exarchen besorgen, der an der Spitze eines Kollegiums von Bischöfen stand. In dieser interimistischen Geschäftsführung lag nichts Ungewöhnliches/ sie hatte bei ähnlichen Fällen immer bis zur Erwählung eines neuen Patriarchen stattgefunden. Ungewöhnlich war es nur, dass der interimistische Zustand gar kein Ende nehmen wollte und dass, als der Klerus nach zwanzigjährigem vergeblichen Warten mit Ungestüm die Wahl eines neuen Patriarchen verlangte, Peter sein Schwert auf den Tisch warf und ausrief: da ist Euer Patriarch!
Von jener Stunde an war die Kirche in Russland willenlose Dienerin des Staats. Die Patriarchenwürde wurde mit der Zarenwürde vereinigt, und Kaiser Peter, der sich in Allem versuchen mußte: als Zimmermann, als Schlosser, als Zahnarzt, als Schiffer, als Soldat und Schneider, konnte es auch nicht unterlassen ein paar Mal vor dem versammelten Volke den Patriarchen zu spielen, eine tragikomische Szene, deren spätere Wiederholung durch Kaiser Paul (der bei der Krönung in einem Gewande erschien, welches ihn halb als Priester, halb als Krieger darstellte), zu den seltsamsten Auffassungen Anlass gegeben hat über die Vereinigung der weltlichen Macht in Russland mit der geistlichen.
Um die Sachlage von einem richtigen Gesichtspunkte aus zu veranschaulichen, braucht man bloß ein paar Namen zu nennen: Katharina I., die ehemalige Trompetersfrau aus Liefland; Anna von Braunschweig, mit allen Erinnerungen, welche sich an ihren geliebten Stallmeister Biron, den sie zum Herzog von Kurland erhob, knüpfen; Elisabeth, Peters Tochter, die schon als Großfürstin ihre vielen Geliebten vorzugsweise unter den Grenadieren der Garde wählte und als Kaiserin dem Genuss starker Getränke so ergeben war, dass sie oft Wochenlang keinen lichten Moment hatte/ endlich Katharina II., die Prinzessin von Anhalt-Zerbst, deren große Regenten-Eigenschaften man nicht zu leugnen braucht, um in ihren geistlichen Beruf doch einigen Zweifel zu setzen — man denke sich diese Patriarchinnen und urteile dann selbst, ob es Wunder nehmen darf, dass es sehr viele rechtgläubige Russen gibt, welche an die Heiligkeit solchen Patriarchates nicht glauben...
Keine Kirche hat so viele Sekten ans ihrem Schoße erzeugt, als die russisch-byzantinische. Die Geschichte dieser Sekten bildet für den ernsten Forscher den interessantesten und lehrreichsten Teil der russischen Geschichte überhaupt; diese kann ohne jene gar nicht verstanden werden.*)
Außer den Sekten die ihrem Schoße entsprungen, hat die russisch-byzantinische Kirche nichts Lebendiges hervorgebracht. Diese Sekten waren lange Zeit hindurch der einzige Hort wissenschaftlicher Tätigkeit in Russland; aber die unerhörte Grausamkeit mit welcher ihre Anhänger immer von der herrschenden Kirche verfolgt wurden, bewog viele lausende von ihnen auszuwandern und sich in der Türkei niederzulassen, — und erzeugte unter vielen der Zurückbleibenden einen Fanatismus, der sie trieb sich in großer Anzahl freiwillig dem Tode zu weihen. Sie verschlossen sich zu Hunderten in einer Scheune, steckten das Gebäude in Brand und starben so des Flammentodes unter Gesang und Gebet. Fälle solcher Art sind noch heutzutage in Russland nichts Seltenes, wie denn überhaupt hier täglich Dinge geschehen von welchen sich unsere Russophilen nichts träumen lassen.
*) Wer sich näher darüber unterrichten will, dem empfehlen wir das wichtige Werk des Grafen Krasinski: The Religious History of the Slavonic Nations. Auch in Haxthausens „Studien über Russland“ findet man ein reiches Material.
Die ritterliche Persönlichkeit Kaiser Alexanders, und noch mehr das imposante Auftreten und die unleugbar großen Eigenschaften seines Nachfolgers Nikolaus haben manches Auge geblendet, manches Urteil verwirrt, und — im Verein mit geschickt verteilten Orden, Tabatieren, Brillantringen, Imperialen und sonstigen kaiserlichen Gunstbezeugungen — viel dazu beigetragen, die russischen Zustände in einem günstigem Lichte erscheinen zu lassen, als der Wahrheit genehm ist.
Es soll damit nicht gesagt sein, dass die in gewissen Kreisen herrschende Vorliebe für Russland immer eine erkaufte sei; nein, es gibt — wie schon vorhin bemerkt wurde — wirklich viele ehrliche Leute, welche Russland für den sichersten Hort des Christentums und staatlicher Ordnung halten, und allen Ernstes glauben, dass der Kaiser auf seinem Kreuzzuge gegen die Türken nur zum Schutz und zur Verteidigung der christlichen Kirche kämpfe, und weit entfernt sei, weltliche Zwecke, wie etwa Ländererwerb, Erweiterung seines politischen Einflusses u. dergl. dabei im Auge zu haben.
War die Ursache des Krieges angeblich doch nur der für Russland ungenügende Ausgang des Streites über die „heiligen Stätten,“ um deren Besitz einst die christlichen Völker des Abendlandes Jahrhunderte lang mit den Ungläubigen rangen. Der alte Glaubenseifer ist seitdem im Abendlande erloschen; nur das rechtgläubige Russland ist noch hochherzig und begeistert genug, das Schwert für den Glauben zu ziehen ...
Russland war bekanntlich der eigentliche Urheber des heutigen Krieges dadurch, dass es die besondere Frage der „heiligen Stätten“ benutzte, um überhaupt sein Verhältnis zur Türkei zu regeln.
Im nächsten Kapitel werden wir sehen, was es mit dem Streite über die heiligen Stätten auf sich hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Völker des Kaukasus und ihre Freiheitskämpfe gegen die Russen Bd1