Afrikanische Menschenstämme und deren Wohnsitze - Teil IV

In den südlichen Bergdistrikten von Kordufan leben die Nobastämme, Nigritier mit häufig ebenfalls entwickelter Nase und mit nicht selten üppigerem Haarwuchs. Unter ihnen haben sich, namentlich in dem Gebirgslande Takla oder Tekele, Funje (Schilluk) niedergelassen, welchen letzteren die edelsten Familien des Landes angehören sollen. Die Noba reden eine den berberinischen Dialekten ähnliche Sprache und es ist nicht unwahrscheinlich, dass in ihnen die eigentlichen Stammväter der Berabra zu suchen sind, welche vielleicht vor alten Zeiten von Kordufan aus ihre erobernden Unternehmungen gegen das nubische Niltal und gegen Sennar ausgeführt haben.

Den Schilluk verwandt sind die Luoh oder Djur im Gebirge des unteren Laufes der Flüsse Wau und Djur, wogegen die Bongo oder Dor zwischen 8 — 6° nördl. Br. ebenfalls im Gebiete des Gazellenflusses wohnen. Die Mittuvölker, welche nach Schweinfurth eine Gruppe bilden, nähern sich den Schilderungen dieses Reisenden zufolge den Bongo und bilden „vielleicht einen in der Geschichte ihrer Entwicklung begründeten Übergang von diesen zu den Niam-Niam". Den Bongo und Verwandten scheinen sich außer den Musgu oder Musgo auch noch andere nigritische Völker im Süden von Waday, Baghirmi und Bornu anzureihen. Den Kern der Furer bilden ebenfalls mit entwickelter Nase ausgestattete Nigritier, unter denen gewisse Stämme, wie die Gondjara, einen hervorragenden Einfluss, namentlich durch ihre Militärdienste, gewonnen haben, ähnlich den Angehörigen der ägyptischen Kriegerkaste und den Berunkriegern der senuarischen Funje-Sultane. In Fur sehen wir neben mancherlei Solengo oder Solendj, d. h. eingewanderten nomadisierenden Bedja, die Tunjur oder Tündjur, welche von oberflächlichen Darstellern wieder einmal für „eingewanderte Araber" erklärt, entweder Verwandte der Fulan oder Bedja sein müssen.


In West Sudan nehmen eine bedeutendere Länderstrecke die Hausastämme ein, Nigritier mit weniger entwickelter, in ihrem Rücken eingesenkter, breitgeflügelter Nase und mit wulstigen Lippen, eine gut veranlagte, lebhafte und empfängliche Nation, welche den Einfluss ihres zwar auf dürftiger Stufe verbliebenen, aber doch in gewisser Eigenart entwickelten Kulturlebens selbst bis nach Aschanti und in die am Golf von Benin gelegenen nigritischen Staaten hineinzutragen verstanden.

Außer den Hausa haben die nigritischen Sonray im Nigergebiet eine geschichtliche Entwicklung aufzuweisen. Schon im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung tauchen Hauptstädte der Sonray zu Kukia und Gerho aus dem Nebel der sudanesischen Staatengeschichte empor. Ägyptische Missionare scheinen den Islam zu den Sonray getragen zu haben, wenigstens deuten gewisse Überlieferungen auf einen solchen Vorgang hin. Sonray wurde später durch die (meist berberischen) Marokkaner zerstört, welche sich in den eroberten Ländereien ansiedelten und hier Anlass zur Bildung von Mischlingen, den Arama oder El-Ruma, gaben, die noch jetzt mitten unter den (physisch wohlgebildeten) Sonray erkennbar sein sollen.

Fig. 013 Mandinka.

Wieder ein anderes großes Reich in Westsudan, nämlich Melle oder Melli, wurde von den Mellinke oder Mandenke, Mandinka, Mandingo gegründet. Auch diese sind echte Nigritier mit zum Teil geraden, zum Teil (namentlich beim niederen Volk) eingedrückten Nasen mit breiten Flügeln und von hoher, schlanker Gestalt. Melli ist längst zerfallen, allein die Mellinke (oder Leute von Melli) sind heute noch ein zahlreiches, in Westafrika weitverbreitetes Volk. Ihm gehören auch die Bambara an, ein selbst in unsern Tagen vielgenannter, erobernder Nigritierstamm, innerhalb dessen die Edeln oder Kurbary große Gerechtsame genießen. Aus der letzteren Mitte gehen die Edelsten oder Massassi hervor, denen der erbliche König zu entstammen pflegt. Aus Gefangenen wird die desperate, stets zum Losgehen bereite Leibgarde der Sofa gebildet.

In den Landschaften, welche gegenwärtig als Trümmer der ehemaligen Reiche Sonray und Melli angesehen werden, herrschen wunderliche, zum Teil sehr verwickelte politisch-ethnische Verhältnisse. Bambara und deren Gefangene, Fulan, Hausaleute, Sonray und Berbern streiten sich hier in aufreibenden Fehden um die Obmacht. Die große Handelsstadt Timbuktu ist schon seit lange Sitz der raffiniertesten politischen Intrigen sowie ein vielfach umstrittener Besitz gewesen. Überall in diesen Ländern haben sich Schwärme von Berbern angesiedelt, unter denen sich gelehrte Marabouts befielen, welche durch ihre Lehren zahlreiche ergebene Thalibs oder Schüler unter allen möglichen Bevölkerungselementen gewinnen und durch diese mit der fast allen mohammedanischen Missionaren eigenen Schlauheit und Energie großen politischen Einfluss erwerben können. Zu solchen Marabouts gehörte der vielgenannte Kunta-Schekh Achmed-el-Bekay, H. Barths edler Beschützer, lange Zeit hindurch das geistliche und politische Oberhaupt in Timbuktu. Es wiederholen sich hier heutzutage Vorgänge, wie sie bereits vor Jahrhunderten in Afrika unter dem Einflüsse der islamitischen Sendboten sich einleiteten und wie sie jahrhundertelang fortdauerten. p]s sei dies eine dringende Mahnung für alle diejenigen, welche alten Vorurteilen und gefälschten Überlieferungen getreu, den größten Teil der im islamitischen Afrika stattgehabten religiösen Bewegungen und politischen Bildungen allein den Wirkungen einer arabischen Einwanderung und der ethnischen Konservierung arabischer Einwandererstämme zuschreiben wollten.

Und wie zum Hohne sind es seit Generationen auch viele schwarze unverkennbar nigritische Mekkapilger, die Tekarine, Einheit Tekruri, welche Afrika in der Richtung von Westen nach Osten und umgekehrt durchstreifen, die den Islam unter ihren heidnischen und halbheidnischen Rassenangehörigen nicht nur mit Feuereifer predigen, sondern sogar mit Feuer und Schwert zu verbreiten suchen.

Unter diesen schwarzen ascetischen Männern fanden sich einige hervorragende, furibunde Geister, welche großen politischen und religiösen Einfluss über mächtige Länderstrecken ausgeübt und ihren Namen in die Gedenktafeln der Geschichte Afrikas mit flammenden Zügen eingegraben. Dazu gehören u. a. Hadj Omar, der ja mit den Franzosen am Senegal einen erbitterten Krieg geführt hatte, dann von General Faidherbe besiegt, sich nach dem Innern wandte und hier in heißen Kämpfen der verlotterten Pulloherrschaft zu Hamdallahi am Niger ein Ende machte, ferner Danfodio, jener (S. 39) erwähnte Neubegründer der politischen Macht der Fulan, dann Hadj Mohammed-el-Amin, Neubegründer von Bagirmi und noch mehrere. Was war denn selbst Schekh Mohammed-el-Amin anders denn ein ehemaliger Anführer von Kanembulanzenträgern, was war er anders als zugleich ein energischer Fakih (S. 36), welcher die Herrschaft des morsch gewordenen Bornureichs an sich riss und schließlich die neue heutige Hauptstadt Kuka erbaute. Er war von gemischt-nigritischer Abkunft, aus Fesan gebürtig und gab einem neuen Staatssystem, einer neuen Dynastie das Leben. Diese im großen sich vollziehenden Vorgänge finden aber ihre Nachahmung in Tausenden von geringeren Ereignissen. Überall spielen schwarze Tekarine die Rolle von Marabouts, wie man dergleichen von anderer Seite aus hauptsächlich nur den Arabern zuschreiben möchte. Der Islam treibt seine üppig wuchernden Wurzeln jetzt immer tiefer nach Westafrika hinein. Sogenannte maurische, d. h. mit nigritischem Blut gemischte oder ganz nigritische Missionare des Islam drückten sich schon seit 1815 und vielleicht schon seit noch längerer Zeit unter dem Mantel simpler Handelsmänner an den Höfen zu Kumassi und Agbome herum, hier oder da die Samen ihrer Lehre unter Cabocirs (Häuptlinge) sowohl wie unter die Infima multitudo ausstreuend. Bekanntlich gestattet der Koran den Gläubigen selbst auf heiligen Fahrten gelegentlich kleine Geschäft eben zu machen, warum sollte denn nicht auch der maurische Gläubige in den Ländern des schwarzen Magreb, im Sudan, das Angenehme mit dem Göttlichen verbinden können, hier oder dort Tücher und Glaskorallen ausschachern und mitunter dabei zugleich den Houris im Paradiese Lieblinge gewinnen? Gewöhnlich dünkt man sich bei uns vom hohen Throne der modernen Kultur herab das Leben der faulen Nigger in öder einförmiger Unfruchtbarkeit des Daseins einherschleichend, etwa wie ein modriges Torfrinnsal. Dabei macht man sich aber eben bei uns, wo neben tiefster Bildung doch auch ein guter Teil von Halbwisserei und von gänzlicher Unwissenheit ihre Plätze behaupten, selten einen auch nur entfernten Begriff von dem zwar eigenartigen und in seiner Qualität beschränkten, trotzdem jedoch ungemein regen politischen, religiösen und sozialen Treiben in den Sudanländern! Hier sollten erst Völkerpsychologen ihre Studien machen!

Das ganze westliche Afrika, südlich vom Flusse Senegal, wird von Nigritiern bewohnt, welche wiederum in zahlreiche Stämme zerfallend, immer doch durch ein gemeinsames Band des physischen Habitus, der Sprachen, Sitten u. s. w, zusammengehalten werden. Unter diesen Stämmen findet man den in seiner Gestalt häufig sehr wohlgebildeten, in seinem Antlitz den banalen Typus des „wollhäuptigen, plattnasigen und wulstlippigen Negers" Tragenden, des „Negers, wie er im Buche steht“. In diese bis tief nach Benguella hinunterreichenden Stämme haben sich aus dem Innern her einige Keile von Völkern eingezwängt. So z. B. die Fan oder Faon, Fana, am Ogowe, deren nur schwierig, nasal auszusprechender Name an den ebenfalls dünn-nasal auszusprechenden der Funje (S. 35) erinnert, ein kräftiges nigritisches Volk mit dem geflochtenen Haar und Bartwuchs, sowie mit der Physiognomie der Niam-Niam, ein Volk, welches zur Zeit immer unwiderstehlicher die echte Heimat des Gorilla zu okkupieren droht. (S. 44.)

Tief im Innern von Afrika, südlich vom Äquator, herrscht in seiner beliebig hier und da aufrichtbaren Mussumba oder Residenz der Muata-Yanvo (Muata-ya-Nvo), von dessen Macht und Reichtum bereits ältere Berichte soviel Frappierendes darzustellen wussten. Unserem Landsmanne Dr. Pogge ist es ja geglückt, diesen großen Nigritierfürsten in der Mussumba begrüßen zu können. Sein Volk, die Balonda, scheinen nach dem wenigen Vorliegenden die physiognomischen Eigentümlichkeiten der Niam-Niam, Fan und Loango-Schwarzen mit denjenigen, der A-Bantu oder Kaffern zu vereinigen. Eine ähnliche ethnologische Stellung nehmen die Guissama oder Quissama in Angola (südlich vom Coanza) ein. Unter diesen finden sich zum Teil Leute mit eingedrückten Nasen und flechtbarem Haar, wie die Niam-Niam und die von Livingstone, Cameron und Stanley aufgeschlossenen Völker des Tanganika sowie auch der Ogowegebiete. Ferner finden sich darunter Leute mit der schärfern Profilierung der Bedja, endlich solche mit den mehr breiten, rohen, bäuerischen Gesichtern der Zulu und der Xosa. Ich will keineswegs behaupten, dass die Quissama alleinige oder selbst nur vorzügliche Träger solcher variierender physiognomischer Verhältnisse seien, ich nehme sie besonders deshalb ins Augenmerk, weil sie durch den Photographen Joaque einen ganz vortrefflichen Darsteller fanden. (Siehe Fig. 14.)

Fig. 014. Quissama.

Die Loango- und Kongobewohner, die Schwarzen in Angola und in Benguella im allgemeinen haben flachere Züge, mehr eingedrückte, denen der Sande oder Niam-Niam, der Kamerun- und Gabon-Nigritier älinliche Nasen, sowie dickere Lippen bei kleinerer zurückweichender Kinnbildung. Dagegen zeigen wieder die Ga, die Aschanti und Fanti der Goldküste häufiger zwar meist niedrige, dabei aber nach außen hervorragende, nicht selten sogar gebogene Nasen mit massiger Entwicklung der Flügel; ferner besitzen diese Stämme eine stark prognate Mundbildung mit nicht sehr dicker Lippenwulstung.

Südlich vom Tanganikasee erstrecken sich bis gegen den mittlerem Lauf des Zambezi hin eine Reihe von Völkerstämmen, welche, soweit die geringen bisher über sie verbreiteten Nachrichten uns zu Schlüssen berechtigen, ebenfalls eine zwischen den zentralafrikanischen Nigritiern und den A-Bantu vermittelnde Stellung einnehmen, ähnlich wie die Balonda u. s. w. es tun (S. 52). Gewisse dieser Stämme, wie die Manganja im Schiregebiete, sind durch die schrecklich entstellende Gewohnheit auffällig, in Lippen- und Ohrzipfel große Holzpflöcke zu stecken, eine an die bekannte rohe Schmückungsmethode der brasilianischen Botocudos oder Engräckmung erinnernde Verunstaltung. Dieselbe findet auch bereits bei den nördlicher wohnenden Mittu-Luba und bei andern Mittu statt, sie wird selbst in beschränkter Weise von den Musgu im Süden vom Logongebiete, endlich von den Kadje im Westen des Tsadsees geübt.

Fig. 015. Manganjaweib.

Die A-Bantu oder Kaffern nehmen heutzutage die Südseite Afrikas zwischen dem Kunene, der Walfischbai und dem Zambezi bis gegen die Winterberge und den Keiskamma hin ein. Sie umfassen die Gruppen der Amaxosa, Amazulu, Betchuana, der Ova-Herero und Owambo. Während die Amaxosa, „Kaffraria" oder „Kafirland proper" (des englischen Kolonialstils) zwischen der Kap-Kolonie und Natal bewohnen, okkupieren die Amazulu, zu denen auch die mächtigen kriegerischen Amatabele gehören, alles zwischen Zambezi und Umzimvubu gelegene Land. Die Betchuana dagegen wohnen zwischen dem Oranjefluss und dem Zambezi. Ihnen gehören sehr wahrscheinlich noch mehrere an den letzteren großen Strom grenzende Stämme an, wie z. B. Machololo, Maschona, Banyay und Batoka. Verwandt sind ihnen ferner die sogenannten Knopnenzen, Amatonga oder Batonga und die Maseli oder Vaalpenz, während die Amaswazi, die Mafitte oder Mavitte (ein Zweig derselben sind die Watuta Stanleys) wieder aus Betchuana und Zulu, namentlich aber Amatabele, zusammengewürfelt erscheinen.

Fig. 016 Lubaweib.

Die Amazulu, ein wilder, energischer Erobererstamm, dessen physische Stärke, militärische Dressur lind Fechtweise in geschlossenen Gliedern ihm eine große Überlegenheit über die schwächeren Nachbarvölker verschaffen musste, hat in Südostafrika beträchtliche politische Veränderungen zu Wege gebracht. Ganze Nationen, allerdings auch von A-Bantu selbst und ein Teil der Hottentotten, sind durch jene Eroberer auseinandergerissen und zerstreut worden. Gewisse Reste derartig zersprengter Kafferstämme haben sich unter das sie kräftig schützende englische Protektorat begeben. Es sind dies die oftgenannten Amafengu oder die Fingoes, welche jetzt in den Reihen ihrer Beschützer gegen rebellische Xosa- und Zulustämme der britischen Kolonien kämpften.


Fig. 017 Ein Mtuta.

Die Ova-Herero oder die Damara der Kolonisten des Cap hausen im Norden von „Great Namaqualand" der englischen Kanzleien, zwischen der Kaliharisteppe im Osten und dem Ozean im Westen. Diese Herero-Stämme sind neuerdings durch häufige Einfälle der Nama-Hottentotten zerrissen und geschwächt worden. Ihnen nahe verwandt sind die bis an den Kunene reichenden Owambo. Als ein gewissermaßen rasseloses Volk dagegen sind die Bergdamara zu betrachten, die aus vielen heterogenen Elementen bestehend, vor ihren zahlreichen Bedrängern felsige Distrikte an den Grenzen der Kalihari in Besitz genommen haben.

Fig. 018 Amazulu
Fig. 013 Mandinka

Fig. 013 Mandinka

Fig. 014 Quissama

Fig. 014 Quissama

Fig. 015 Manganjaweib

Fig. 015 Manganjaweib

Fig. 016 Lubaweib

Fig. 016 Lubaweib

Fig. 017 Ein Mtuta

Fig. 017 Ein Mtuta

Fig. 018 Amazulu

Fig. 018 Amazulu

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