3. Hörtet Ihr den Schuß – seht Ihr den Rauch dort? frug der junge Jäger mit leiser, kaum hörbarer Stimme...



„Hörtet Ihr den Schuß? – seht Ihr den Rauch dort?“ frug der junge Jäger mit leiser, kaum hörbarer Stimme, aber zitternden Lippen und krampfhaft zuckender Gestalt.


„Nun, haben wir denn nicht eben auch geschossen?“ wandte Harvard kopfschüttelnd ein, „und der Rauch –“

„Ist meine Wohnung,“ knirschte Jener, krampfhaft mit der Rechten seine Büchse umklammernd, als wenn er die Eisenfinger in den Lauf pressen wollte; „dort liegt, oder dort lag mein Haus – die Mormonen sind in der Ansiedelung.“ Und ohne nur eine Antwort der Gefährten abzuwarten, ergriff er das Fleisch, das über seinen Sattel zu beiden Seiten herunterhing, schleuderte es vom Pferde und diesem die Hacken in die Seite bohrend und mit fester Hand den Zügel ergreifend, sprengte er in so rasendem Galopp den steilen Hügel hinunter, daß die Zurückbleibenden entsetzt ihre Thiere anhielten und in jedem Augenblick fürchteten, des Tollkühnen Hals und Beine im unvermeidlichen Sturze brechen zu sehen. Der erreichte aber glücklich den Fuß des Hügels und war mit Gedankenschnelle im Dickicht verschwunden.

Der alte Stevenson hatte jedoch indessen auch nicht müßig da gehalten, und er sowohl als Harvard entledigten sich schnell ihrer Last, die Jim, wie ihm sein Vater mit wenigen Worten zurief, zum Hause nachbringen sollte, während die beiden Männer ebenfalls, zwar etwas vorsichtiger als der junge Greenford, doch auch ohne Zeitverlust dem Vorangeeilten in gerader Richtung, nach des alten Stevenson Wohnung zu, folgten.

Jim sah sich nun kaum allein, als er einen Augenblick auf seinem Pferde hielt und die ihm überlassenen Fleischstücke mit prüfenden, überlegenden Blicken betrachtete. Er ging augenscheinlich mit sich selbst zu Rathe, ob er dem Befehle seines Vaters gehorchen oder den Anderen folgen sollte. Da schallte aus dem Thal herauf ein Schuß, und der entschied augenblicklich die Handlung des jungen Hinterwäldlers. Anstatt sein Pferd mit der Jagdbeute zu belasten und langsam nach Hause zu ziehen, erfaßte er ebenfalls das auf der linken Seite seines Thieres hängende Fleisch und warf es mit kräftigem Ruck über die rechte zu dem andern hinab, stieß seinem also erleichterten und freudig aufwiehernden Pferde, das schon unwillig gestampft hatte, als es sich von den übrigen verlassen sah, die Hacken ein und sprengte, ganz dem Beispiel des vorausgeeilten Vetters folgend, in wilder Hast der eigenen Wohnung zu.

Greenford durchflog indessen in rasender Schnelle die Strecke, die ihn von Stevenson’s Hause trennte – ein niederhängender Ast riß ihm seine Mütze vom Kopfe – er achtete es nicht – unter einer Weinrebe dahinsausend, ergriff diese die auf seinem Rücken mit dünnem Bast befestigte Jagddecke – einen leisen Fluch nur stieß er aus und stärker preßte er die Seiten des sich auf das Aeußerste anstrengenden Thieres, das jetzt, als es einen schmalen, nach des alten Mannes Hause hinführenden Fahrweg erreichte, auf diesem dahinbrausend kaum den Boden zu berühren schien.

Da schimmerten ihm von ferne die hellen Schindeln des kleinen Hauses entgegen, das sein Liebstes auf dieser Welt in sich faßte, und schon wollte er, da Alles ruhig und friedlich zu sein schien, seinem gepreßten Herzen mit einem fröhlichen „Gott sei Dank!“ Luft machen, als er in nicht großer Entfernung – nur seitwärts von der Wohnung – mehrere Schüsse fallen hörte. Zwei Minuten darauf hielt er auch mit dem schnaubenden, zitternden Roß vor der bekannten Thür – aber – allmächtiger Gott! – Verderben und Zerstörung schien überall zu herrschen, und mit stieren, weit aufgerissenen Augen starrte er, selbst keinem Gedankens, keiner Bewegung fähig und das Aergste fürchtend, die sonst so freundliche, jetzt wüst und öde aussehende Wohnung an. Da erschien plötzlich die schlanke, ehrwürdige Gestalt von Anna’s Mutter in der Thür und, den jungen Mann erkennend, rief sie aus: „Oh, rettet – rettet meine Tochter!“

„Wo?“ war das einzige Wort, das der Unglückliche im fürchterlichsten Entsetzen ausstoßen konnte, als wieder ein Schuß fiel und die alte Frau, selbst sprachlos vor innerem Seelenschmerz, nur eine stumme, flehende Bewegung nach jener Gegend zu machen konnte.

Keine Silbe erwiderte der Jäger, aber der Rappe fühlte den Sporn und zur Seite gerissen, mit wildem Sprunge einige im Wege liegende Baumstämme überfliegend, trug ihn das durch den rasenden Reiter fast zu gleicher Wuth aufgereizte Thier der geraubten Geliebten nach.

Der am gestrigen Tage von dem jungen Greenford besiegte Mormone war mit Zorn und Wuth im Herzen hinweggeeilt, fest entschlossen, die ihm widerfahrene Beleidigung fürchterlich zu rächen. Da, noch mit sich selbst berathend, auf welche Art er dies am besten bewerkstelligen könnte, begegnete ihm der Prophet Joe Smith selbst. Dieser kam mit einigen seiner Anhänger aus der schon erwähnten Gesellschaft der Daniten, gerade von einem Gerichtstag des benachbarten Districts, wohin er wegen mehrfach verübter Diebstähle der Seinigen citirt und trotz dem beharrlichen Leugnen seiner Genossen, trotz seinem eigenen Meineid, der vorliegenden kräftigen Beweise wegen mit bedeutender Strafe belegt und überdies bedroht worden war, daß das Gericht seine Eide untersuchen wolle, und ihn, so er es gewagt habe, falsch zu schwören, das Zuchthaus bedrohe.

Mit den Zähnen knirschend hörte er den Bericht des gemißhandelten Bruders, der, um seiner Rache gewiß zu sein, Ihm erzählte, wie eine Mehrzahl ihn zu Boden geworfen und geschlagen und dabei drohende, gotteslästerliche Reden gegen ihn, den Propheten selber, wie gegen die heilige Religion, der sie huldigten, ausgestoßen habe.

Zitternd vor verhaltener Wuth stand die kräftige Gestalt dieses merkwürdigen Mannes, seine Fäuste ballten sich, seine Zähne knirschten; aber er gewann augenblicklich die ganze ihm so schnell zu Gebote stehende Gewalt über sich selber wieder und mit zum Himmel aufgeschlagenen Augen, mit emporgereckten Armen schien er plötzlich in ein tiefes, brünstiges Gebet versunken, während dessen sich seine Gesichtszüge glätteten und seine Mienen eine fast friedliche, ruhige Heiterkeit annahmen.

Zwei Minuten mochte er so gestanden haben, während deren keiner seiner Begleiter ein Wort zu sprechen wagte; da auf einmal überflog ein triumphirendes Lächeln seine dunkeln Züge – seine Augen blitzten – die ganze Gestalt hob sich, und wie von einem Gott begeistert rief er aus:

„Zum Kampf – zur Rache! Die Hand der Gerechten schmettere Vernichtung nieder auf die Häupter der Gottlosen – der Herr der Heerschaaren wird die Kinder Zions beschützen und seine Heiligen werden Sieger bleiben. Fluch Denen, die den Stamm verachten, den der Herr auserwählt hat, aber siebenmaligen Fluch und fürchterliche Strafe Denen, die ihre Hand an die Lieblinge des Höchsten legen!“

In jubelndem Triumphgeschrei stimmten seine Begleiter ein, und in fröhlicher Hast flogen sie auf schnellen Pferden, von dem Propheten abgesandt, zu den benachbarten Glaubensgenossen, um augenblicklich, auf frischer That, die Schuldigen zu strafen und die Ungläubigen zu überführen, wie schnell die Rache der Heiligen einer erlittenen Beleidigung folge.

Noch in derselben Nacht versammelten sie sich in einer unbewohnten Hütte an der Straße nach St.-Louis und der Prophet hielt eine Rede voll glühender Begeisterung, in der er sie aufforderte, am wahren Glauben festzuhalten und mit starker Hand die Feinde desselben zu züchtigen.

„Fürchtet nicht die Schaaren der Feinde!“ rief er unter Anderem, „fürchtet nicht ihre Drohungen, mit denen sie Euch einschüchtern wollen; laßt sie ihre Truppen sammeln – ihre Bajonnette werden stumpf werden, wenn sie die Luft berühren, die uns umgiebt, und ihre Kugeln schmelzen, ehe sie das Rohr verlassen. Glaubt Ihr, Jene könnten den Sieg davontragen, wenn der Herr mit Euch ficht? Glaubt Ihr, die Schaaren der Sünder vermöchten Euch zu unterjochen, wenn die Engel selbst in Euren Reihen kämpfen? Fort zum Sieg, und Rache und Beute lohne Eure That!“

Ein wilder Wahnsinn mußte den Geist des tollen Priesters umnachtet haben, der in entsetzlicher Verblendung die Seinigen einem Kampfe mit einer ihnen unzählige Mal überlegenen Macht entgegentrieb. Aber die bisherige grenzenlose, fast unverzeihliche Nachsicht des Staates mit seinem und der Seinigen Treiben – da der Gouverneur sowohl als die Gesetzgebung von Missouri mehr eine religiöse Schwärmerei, als wirkliche Bosheit und Schlechtigkeit in allen Vergehungen dieses Frömmlers sah – hatte ihn kühn gemacht und in wildem Trotz, der durch die gemachten bitteren Erfahrungen noch nicht gedemüthigt war, glaubte er mit dem Beistand des Himmels und der Engel, die er für seine festen Bundesgenossen ausgab, „das Reich Zions erweitern“ und die „Heiligen des letzten Tages“ zu den alleinigen Herren der Erde oder wenigstens für jetzt zu denen Missouris machen zu können.

In derselben Stunde nun, da Stevenson, Greenford und Harvard zur Jagd aufbrachen, rüsteten sich diese „Männer der guten Sache“, wie sie sich nannten, um eine vermeinte Beleidigung an Unschuldigen zu rächen, die kaum davon reden gehört, und Schrecken und Verwirrung in eine Ansiedelung zu tragen, in welcher bis jetzt nur Ruhe und Frieden geherrscht hatte.

Ihr erster Zug war zu dem Hause Greenford’s, weil der gemißhandelte Mormone diesen als den Haupträdelsführer bezeichnete. In aller Stille wurde Feld und Wohnung desselben umzingelt, indem sie den jungen Mann auf seinem Eigenthum zu finden hofften; in ihrer Erwartung aber getäuscht, erbrachen sie das Haus und zündeten es aus Wuth, daß sie nicht einmal etwas des Forttragens Werthes darin gefunden hatten, an, ihren Haß sogar soweit treibend, daß sie Feuer unter die Fenz legten, um auch die Umzäunung seiner Felder zu vernichten und, für dieses Jahr wenigstens, seine Ernte zu zerstören. Von hier aus theilten sie sich, und die größere Hälfte zog nach Stevenson’s Wohnung, auf den sie ebenfalls erbittert waren, weil er sich ihren Anmaßungen stets fest und stark entgegengestellt und ihre Drohungen verlacht hatte.

Auch diesen nicht zu finden, steigerte ihre Wuth immer mehr; sie brachen, die flehenden Bitten der Weiber nicht beachtend, in sein Haus ein, warfen alles Geräth und Geschirr hinaus, zertrümmerten, was zertrümmert werden konnte, und wollten eben den Feuerbrand auch in diese friedliche Hütte werfen, als sich das junge Mädchen dem Propheten, der in dem Augenblick mit seinem andern Trupp herankam, entgegenwarf und ihn flehentlich bat, nicht das Obdach ihrer alten Eltern zu zerstören.

Der Bube, durch die Reize der Jungfrau entzündet, befahl seinen Leuten, im Namen des Herrn einzuhalten, legte aber zu gleicher Zeit seine Hand auf die Schulter des zitternden Mädchens, erhob sie mit emporgehobener Rechte in den Rang der „Cyprischen Heiligen“, da sie werth wäre, eine „Kammerschwester der Mildthätigkeit“ zu werden, und rief Zweien seiner Helfershelfer zu, sich derselben zu bemächtigen und sie auf ein Pferd zu nehmen.

Vergebens sträubte sich das hülflose Wesen und rief wild nach Rettung; vergebens beschwor die alte, von Allen verlassene Frau Fluch und Verderben auf die Häupter der Nichtswürdigen herab. das Mädchen, in der Faust der kräftigen Männer schwach und widerstandsunfähig, ward auf ein Pferd gehoben, auf welches sich hinter sie der Ankläger und die Ursache dieses ganzen Ueberfalls schwang, und fort ging’s im scharfen Galopp den eigenen Ansiedelungen zu.

Mehrere der Nachbarn hatten sich aber indessen, durch den jüngsten Stevenson aufgerufen, gesammelt und stürmten mit Büchse und Messer dem Ort der Gefahr zu, um die Ruhestörer mit kräftiger Hand zurückzutreiben; doch war die Uebermacht der Mormonen zu groß. Obgleich die kühnen Missourier, mit dem Knaben Tom an der Spitze – der sich in wilder Todesverachtung auf die Buben warf, um seine Schwester zu befreien – ihr Aeußerstes versuchten, obgleich sie mehrere der Feinde verwundeten, wurden sie doch bald zurückgeschlagen und konnten nur zähneknirschend den Siegern nachsehen. So standen die Sachen, als Greenford auf schäumendem Rosse der Spur der sich Zurückziehenden folgte und bald die unter den Hufen ihrer Rosse aufwirbelnde Staubwolke gewahrte.

„Oh, nur jetzt halte noch aus!“ rief er, in unsäglicher Aufregung den Hals seines wild dahinbrausenden Renners klopfend – „nur noch wenige Minuten halte aus, mein treues Thier, bis ich des Schurken Herz getroffen, der mein Lieb gestohlen, dann magst du mit oder über mir zusammenbrechen; nur bis dahin noch zeige deine alte, so oft erprobte Kraft.“

Näher und näher kam er jetzt dem sich in schnellem Trabe fortbewegenden Zuge, schon konnte er die einzelnen Pferde, die einzelnen Menschen erkennen, und dort – dort – mitten in der Schaar schimmerte das weiße Kleid des geraubten Mädchens.

Einen Schrei der Angst und Freude stieß er aus, und die hochgeschwungene Büchse in der Faust, da er, aus Furcht seine Braut zu treffen, nicht wagen durfte zu schießen, folgte er mit wildem Herausforderungsruf den sich bestürzt nach ihm umschauenden Feinden.

Nicht hundert Schritt mehr war Greenford von der Geliebten entfernt, die, ihn erkennend, flehend und Hülfe suchend ihre Arme ausbreitete, noch einmal trieb er mit bewaffneten Hacken das treue Thier zu größerer Anstrengung. Dessen Kräfte aber waren erschöpft, und gerade jetzt, so nahe seinem Ziel, als sich der wilde Reiter im Sattel hob, den Sprung über einen im Wege liegenden umgestürzten ungeheuren Baumstamm zu wagen, stürzte das ermattete Thier und schleuderte im gewaltigen Satz den jungen Mann weit über sich hinweg auf die Straße.

Wildes Hohngelächter schallte triumphirend aus der Mitte der Mormonen, als sie den Fall ihres Feindes beobachteten; da erkannte der Bube, welcher die jetzt ohnmächtige Anna vor sich auf dem Pferde trug, den jungen Jäger, der sich mit Mühe unter dem Pferde hervorarbeitete. Die bewußtlose Gestalt des Mädchens in seinen linken Arm lehnend, riß er mit der Rechten eine Pistole aus dem Gürtel und verließ die Schaar der Freunde, das Rachewerk zu vollenden und seinen Feind zu vernichten. Es war aber seine letzte Bewegung; fast in demselben Augenblick durchbohrte eine Kugel den Schulterknochen seines Pferdes, daß es zusammenbrach, als eine zweite sein Hirn zerschmetterte, und mit geschwungenen Büchsen und brennender Kampfbegier in den zornfunkelnden Augen stürzten gleich darauf die drei Jäger aus dem Dickicht auf die Feinde.

Diese, der geringen Anzahl Trotz bietend, rüsteten sich, sie zu empfangen, zu gleicher Zeit aber wurden auf dem Wege die früher zurückgeschlagenen und jetzt wieder herbeieilenden Ansiedler sichtbar, und doch nun den Zorn der auf das Aeußerste gereizten Missourier fürchtend, wandten sich die Mormonen, von ihrem Propheten dazu aufgefordert, zur Flucht und waren bald – von den Männern nicht weiter verfolgt, die sich um das ohnmächtige Mädchen und den schwer verletzten jungen Mann sammelten – im Dickicht verschwunden.

Nur nach und nach erholte sich das arme, zum Tod erschreckte Kind wieder, und die beiden Brüder hoben sie in Harvard’s Sattel, der sie sorgsam und vorsichtig zum Hause zurückführte.

Auch Greenford, durch den fürchterlichen Sturz an vielen Stellen des Körpers verwundet und an allen Gliedern wie gelähmt, konnte nur mit Mühe auf des jungen Stevenson Pferd nach dessen Hause zurückreiten, wo ihn ein heftiges Fieber Wochen lang an sein Lager fesselte.

Das ganze Land war aber jetzt in Aufruhr und Alles griff zu den Waffen, um die Mormonen, die sich übrigens nach diesen Vorfällen eine Zeit lang sehr ruhig verhielten, zu vertreiben oder zu vernichten; doch verhinderten die älteren, besonnenen Männer einen gewaltsamen eigenmächtigen Angriff auf die Stadt der „Heiligen“, der auch vielleicht für die geringe Zahl der Landleute von übeln Folgen hätte sein können. Mehrere Gesandte aber, unter ihnen Harvard, wurden nach St.-Louis geschickt. um sowohl Bericht über den gewaltsamen Einfall und Friedensbruch der Secte abzustatten, als auch den Gouverneur zu ernstlichen Maßregeln gegen diese Schwärmer zu veranlassen, welche die Bewohner von Missouri unter keiner Bedingung länger in ihrer Nähe dulden wollten.

Der ganze Staat war über die schändliche Gewaltthat entrüstet, und der Gouverneur sandte endlich, drei Wochen nach dem eben erzählten Vorfall, eine bewaffnete Macht gegen die Ruhestörer, um sie mit Güte oder Gewalt aus dem Staat zu vertreiben und ihnen im indianischen Gebiet einen Platz anzuweisen.

Greenford hatte sich indessen wieder vollkommen von den Folgen seines Sturzes wie der damaligen Aufregung erholt und war gerade beschäftigt, mit Hülfe der hinzugerufenen Nachbarn sein neues Hans aufzurichten und im nächsten Monat Hochzeit und Einzug zu halten, als die kriegerische Musik der sich nähernden Truppen an ihr Ohr schlug und Alle, Haus und Aexte im Stich lassend, den lang’ ersehnten Lauten entgegeneilten. Herzlich wurden die Soldaten von den Ansiedlern begrüßt und in jeder Hütte Vorbereitungen getroffen, nicht allein den Willkommenen so viel Bequemlichkeiten, als ihnen ihre Lage erlaubte, zu bieten, sondern auch den Zug am nächsten Tag zu begleiten und die Militärmacht, im Fall die Mormonen ernstlichen Widerstand wagen sollten, mit kräftiger Hand zu unterstützen.

In Stevenson’s Hause waren die jungen Leute emsig mit Kugelgießen beschäftigt, während die Frauen buken und brieten.

„Ich wollte aber doch, Ihr ginget endlich einmal mit Euren Löffeln und Zangen fort und ließet uns ungestört am Feuer,“ zürnte zuletzt die alte Frau; „es ist ja doch meiner Seel’, als ob Ihr Euch auf einen jährigen Kriegszug rüstetet. Greenford, Ihr müßt schon über fünfzig Kugeln gegossen haben!“

„Eben die dreiundsiebzigste, Mutter,“ lachte der junge Mann; „ich höre aber jetzt auf, all’ mein Blei ist verbraucht.“

„Wozu nur diese entsetzliche Menge Kugeln? es kommt doch nicht zum Fechten!“ entgegnete Anna, obgleich sie ihren eigenen Worten nicht recht traute und besorgt dem Geliebten in’s Auge sah.

„Wer weiß!“ rief Greenford dagegen, mit vor Kampflust funkelnden Augen; „ mir wär’s zum Beispiel wahrhaftig kein Gefallen, wenn die Mormonen ohne Weiteres –“

„Greenford!“ bat flehend das Mädchen, „hast Du mir nicht versprochen –?“

„Nun ja, Anna,“ sagte der junge Jäger, ihr gutmüthig lächelnd die Hand reichend, „ich weiß ja wohl – soll ich aber etwa den Buben nicht zürnen, die Dich mir entführen wollten?“

„Hat denn jenen Mann nicht schon die fürchterlichste Strafe erreicht? verscharrtet Ihr nicht seinen blutigen Leichnam im Walde?“ fragte bebend die Jungfrau.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Vertreibung der Mormonen aus Missouri