Stellung der Universitäten zur Kirche und zum Staatsleben

Von ihrem Entstehen an haben die Universitäten eine bedeutsame und tief eingreifende Einwirkung auf alle Zweige des Wissens und auf den Gang ihrer Entwickelung ausgeübt, und haben zu den tieferen Grundlagen des kirchlichen und staatlichen Lebens in einem nahen und bedingenden Verhältnisse gestanden. Seitdem sie als mächtige Faktoren in die Sphäre nationaler Entwicklung eintreten, hängen sie selbst mit den bedeutenderen Bewegungen des europäischen Völkerlebens zusammen, auf welches sie einen nicht geringen Einfluss ausgeübt haben. Von vorne herein bedingte die Kirche das Leben des Staates völlig, da die Erziehung seiner künftigen Bürger von ihr ausging und ganz in ihrer Hand ruhte. Die Universitäten aber können als die einzige Macht angesehen werden, welche neben der Kirche allmählich emporwuchs. Obschon ihr Leben und ihre Entwickelung auf das engste verknüpft war mit dem Leben der Kirche, und lange Zeit mit diesem zusammenging und an ihm erstarkte, so war es doch auch andererseits der Gegensatz, den die Universitäten als Träger der Wissenschaft hervorriefen, durch welchen sehr bedeutsame Veränderungen und Umgestaltungen in den Zuständen des europäischen Völkerlebens herbeigeführt worden sind. Die geistige Selbstständigkeit, welche das Wesen der Universitäten auf dem wissenschaftlichen Gebiete ausmacht, übertrug sich auch auf ihre korporative Stellung, so dass sie dadurch in den Stand gesetzt wurden, eine mit der Kirche parallele Stellung in so weit einzunehmen, dass auch sie in die geistigen Kämpfe und Bewegungen der Zeit eingriffen und nicht selten den Gang derselben bestimmten.

Die Reformation ist unverkennbar von den Universitäten getragen und durchgeführt worden. Das Prinzip der reformatorischen Bewegung erhielt in ihnen seine eigentlichen Vertreter, und konnte nur durch sie eine allseitige und lebenskräftige Entwickelung finden. Wie überhaupt die Reformation den mehr als tausendjährigen Kampf zwischen Staat und Kirche bis zu einem Epoche machenden, relativ abschließenden Punkte geführt und die Versöhnung zwischen Kirche und Staat bewirkt hat, so verändern auch von da an allmählich die Universitäten ihre Stellung, insofern sie aus ursprünglich geistlichen Stiftungen gemeinsame Institutionen der Kirche und des Staates werden. Der Staat erkennt, dass auch er einen Beruf zur Erziehung seiner Bürger habe. So lange er aber mit der Kirche Hand in Hand geht, und die Sphäre und die Grenzen richtig erkennt, in welchen er sich in dieser seiner Tätigkeit zu halten hat, so lange durchdringen sich auch die Einflüsse des kirchlichen und staatlichen Prinzips im Universitätsleben, halten die Einheit desselben aufrecht, und vermitteln seinen Einfluss nach beiden Seiten hin auf Kirche und Staat. Erst in neuester Zeit ist der Einfluss des kirchlichen Prinzips auf die Universitäten überwiegend zurückgetreten, so dass namentlich die Universitäten neueren Ursprungs fast allein als Staatsanstalten erscheinen, welche nur durch die Pflege der theologischen Wissenschaft und durch die Ausbildung der Diener der Kirche mit dieser zusammenhängen.


Wir werden indessen die Perioden zu unterscheiden und auseinander zu halten haben, wo die Entwickelung der Universitäten noch mit dem Leben der Kirche verwachsen ist, wenn sie gleich neue Elemente des Staatslebens in sich aufnimmt, oder wo dieselbe eine von der ursprünglichen Richtung sich entfernende einschlägt, und für sich selbst zum Teil ein von der Kirche losgelöstes Ziel verfolgt. Nach diesen beiden bezeichneten Seiten hin gehen die Universitäten des Mittelalters und der neuern Zeit auseinander. Da aber, wo dieser Wendepunkt und diese Scheidung eintritt, sind die Epoche machenden Punkte, welche das ganze geistige Leben der Völker ergriffen und umfasst und ihre äußern und inneren Zustände umgestaltet haben. Wir werden daher, wo es die Charakteristik des Wesens der Universitäten gilt, diesen spezifischen Unterschied nicht außer Acht lassen dürfen, da von demselben die Auffassung ihrer Bedeutung und ihrer Wirksamkeit innerhalb des europäischen Volkslebens wesentlich abhängig ist. Doch reicht dieses Moment allerdings für sich allein nicht aus.