Einfluss der Pariser Hochschule. Reformatorische Richtung derselben

Das korporative Leben der Pariser Universität bildete sich eigentümlich aus, und ging später in die von Paris ausgehenden Universitäten über. Die Gliederung der Pariser Universität nach vier Nationen, der französischen, der englischen oder deutschen, der picardischen und der normannischen, übertrug sich auf die ersten Anfänge des Universitätslebens in Deutschland, namentlich auf die Bildung der Prager Universität. Überhaupt ist der direkte oder indirekte Einfluss, den Paris auf die späteren, im fünfzehnten Jahrhundert gegründeten Universitäten Deutschlands geübt hat, nicht zu verkennen. Das Ansehen der Pariser Universität war aber allmählich zu einem so hohen Grade herangewachsen, dass dieselbe als Korporation nicht nur im Stande war, unter Umständen der königlichen Macht die Spitze zu bieten, sondern dass sie auch dem Papsttum, so wie überhaupt der Hierarchie gegenüber, eine bedeutsame Stellung geltend machen'konnte. Es zeigt sich uns dies schon in dem Kampf, den die Pariser Universität mit eben so vieler Energie als Ausdauer gegen die Bettelorden und gegen ihre durch außerordentliche Privilegien unterstützte Wirksamkeit geführt hat, wenngleich dieser Kampf bei der damals noch fortdauernden, fast ungeschwächten Übermacht des römischen Stuhls nicht von Erfolgen begleitet war.

Dies aber änderte sich schon sehr wesentlich, als das Schisma zur Schwächung und Herabdrückung des Papsttums nicht wenig beitrug, und das Ansehen desselben dadurch von Tage zu Tage sank. War die höchste kirchliche Autorität zweifelhaft, und ward dieselbe von zwei Päpsten zugleich in Anspruch genommen, so musste eine wissenschaftliche Korporation, wie die Pariser Universität, notwendig ein desto bedeutenderes Gewicht in die Waagschale legen, wenn sie für theologische und kirchenrechtliche Fragen in die Schranken trat. Schon diese Stellung der Universität Paris inmitten der kirchlichen Kämpfe musste die Eifersucht der Päpste rege machen, je mehr dieselbe nicht selten auch mit bedeutenden Ansprüchen hervortrat, welche mitunter von stolzer Überhebung begleitet waren. Dazu kam aber insbesondere die reformatorische Richtung, welche die Pariser Universität in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer entschiedener einschlug, und welche sie nicht nur gegen die innerhalb der Kirche vorhandenen Missbräuche und Übel, sondern auch gegen das Papsttum selbst verfolgte, welches von hervorragenden Gliedern der Pariser Universität nicht undeutlich in seiner Verweltlichung als die Quelle aller dieser Übelstände bezeichnet wurde. Als daher von Seiten der Pariser Universität, wenn auch nur von einzelnen ihrer Glieder, die Notstände der Kirche und die Verschuldungen und Bedrückungen der römischen Curie zur Sprache gebracht wurden, worin schon an sich die prinzipiellen Fragen über die Stellung des Papsttum eingeschlossen lagen, so erklärt es sich zur Genüge, dass der römische Stuhl mit großen Befürchtungen auf die Pariser Universität hinblickte, deren Kanonisten sich nicht selten in den wichtigsten Fragen zu dem römischen Stuhle in Opposition setzten. Diese Opposition der Pariser Universität gegen die römische Curie erklärt uns geschichtlich die Stellung, welche dieselbe bei der Gründung neuer Universitäten annahm. Jene Besorgnisse wurden, wenigstens teilweise, auf die deutschen Universitäten oft noch vor ihrer Stiftung übertragen, ehe diese noch selbst eine reformatorische Richtung hatten entwickeln können.