Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine liegt neben ihren unermesslichen Bodenschätzen in ihrem Zugange zum Schwarzen Meere. Von der gesamten russischen Ausfuhr gehen etwa 65 vom Hundert durch die Häfen dieses Meeres. Weil Russland im Besitze der Ukraine ist, kann es die Türkei und das Mittelmeer bedrohen, kann es die Kaukasusländer beherrschen, Persien bedrängen und den nächsten Weg zum Indischen Ozean suchen. Die andere Bedeutung der Ukraine liegt in den natürlichen Hilfsquellen des Landes, denn drei Viertel ihres Bodens bedeckt die fruchtbare Schwarzerde, die Schatzkammer Russlands, die sich vom Dnjestr und Pruth im nordöstlichen Zuge bis an die Wolga zwischen Kasan und Samara erstreckt. „Es ist eins der reichsten Gebiete in ganz Europa“, schreibt die Deutsche Tageszeitung, „das ganze Land ist ein überaus fruchtbares Ackerland, das heute ganz von der Landwirtschaft gewonnen ist, durch reiche Bodenschätze eine große Tuchindustrie (Tula, Charkow, Orel, Kursk) ermöglicht und durch die Nähe der Küste seit alters das wichtigste Exportgebiet Osteuropas ist. Das alte Olbia ist das heutige Odessa. Im Mittelalter sagte man schon, es sei ein Land, wo Milch und Honig fließt. Heute erreicht die landwirtschaftliche Produktion des Landes ein Drittel der Gesamtproduktion Russlands. Von der russischen Kohlenförderung (29 Millionen Tonnen) fallen 20,2 Millionen (70 Prozent) auf das Donezbecken, das größte Kohlenfeld der Welt. An Eisen und Stahl gewinnt es etwa 60 Prozent der gesamten russischen Produktion. Ebenso liegen die größten Salzlager Russlands im Donezbecken. Dazu kommen Manganerze- und Quecksilbergruben im Gebiete von Jekaterinoslaw. Die Zuckerproduktion Russlands ist auf die Gebiete von Charkow und Tschernygow (mit 80 Prozent) konzentriert. Sehr reich ist der Tabakbau der Gebiete von Poltawa und Tschernygow, der fast zwei Drittel des ganzen russischen Tabakbaues beträgt. Endlich ist der Weinbau Russlands ganz auf die Ukraine (Podolien, Cherson, Jekanterinoslaw nebst Taurien) beschränkt. Tatsächlich erhält das „Land der schwarzen Erde“ ganz Russland mit seinen Naturschätzen.
Die klimatischen Verhältnisse scheiden das „Land der schwarzen Erde“ in einen westlichen Teil (Podolien, Kiew, Poltawa), der mildes Klima und eine alte, höhere Kultur hat, und in einen östlichen, großrussischen Teil (Orel, Kursk, Charkow), der längere, harte Winter und geringere Niederschläge hat. Infolgedessen kommen hier trotz des fruchtbaren Bodens häufig Dürren und Missernten vor. Im Westen hat die Landwirtschaft das altrussische System der Dreifelderwirtschaft überwunden und ist zu intensiver Bearbeitung fortgeschritten. Wenigstens auf allen größeren Gütern finden sich moderne Maschinen. Das milde Klima gestattet neben dem Roggen auch einen reichen Weizenbau, und das ertragreichere Wintergetreide, überdies den Bau von Gespinst- und Ölpflanzen. Obst- und Weinbau gedeiht besonders westlich des Dnjestr. Die Viehzucht ist überwiegend Mastviehzucht, wodurch das Gebiet einer der wichtigsten Fleischlieferanten bis weit nach Westeuropa ist. Günstig haben sich auch die landwirtschaftlichen Nebengewerbe Brauerei, Brennerei, Müllerei und vor allem die Zuckerfabrikation entwickelt.
Unerschöpflich ist freilich auch die „schwarze Erde“ nicht. Die allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse Russlands haben das Land schwer geschädigt. Der Getreidebau ist als Raubwirtschaft betrieben worden, der russische Bauer hat den Boden nur oberflächlich bearbeitet und nie gedüngt, so dass ihm der Gehalt an Nährsalzen entzogen wurde. Der Hunger des russischen Bauern nach mehr Land ist eine Äußerung seiner Trägheit und Gleichgültigkeit. Ein Einblick in die inneren Zustände der russischen Landwirtschaft ergibt ein weniger günstiges Bild, selbst für diese reichen Länder. Hierin liegen die tiefsten Ursachen der Unzufriedenheit des russischen Bauerntums, die eine schwere Gefahr bildet und sich wahrscheinlich in revolutionären Erschütterungen äußern wird, wie dieser in Petersburg angezettelte Krieg, von dessen Verlauf sie dahinten bis jetzt noch nichts wissen, für „Mütterchen Russland“ und für „Väterchen Zar“ enden wird."
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Die vom K. K. österreichischen Handelsmuseum herausgegebene Monatsschrift für den Orient gibt folgendes Bild von dem wirtschaftlichen Werte der Ukraine:*)
*) Nach Angaben von St. Rudnyckyj.
„Das Schwarzerdegebiet, und der pontische Steppenboden an den Gestaden des Schwarzen und Asowschen Meeres zeichnet sich durch große Fruchtbarkeit aus. Die 110.000 km2 Nutzwald Ukraines liegen daher hauptsächlich im Nordwesten, überall sonst, überwiegt in der Ukraine das Ackerland. Die Anbaufläche Ukraines beträgt über 45.000.000 ha, d. h. über 32 Prozent der Anbaufläche des (sechsmal größeren) europäischen Russland. Der Prozentsatz der Anbaufläche beträgt in der Ukraine 33 Prozent der Gesamtfläche. In dieser Hinsicht wird die Ukraine nur von Frankreich übertroffen (56 Prozent).
Die jährliche Produktion der Ukraine nur an Weizen, Roggen, Gerste beträgt für die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts im Mittel über 150.000.000 q — also ein Drittel der damaligen russischen Gesamtproduktion, an drei Viertel der heutigen deutschen, sie ist größer als die Produktion Österreich-Ungarns oder Frankreichs, von anderen Staaten Europas ganz zu schweigen.
Nachstehend einige Zahlen über den Ernteertrag der ukrainischen Kerngebiete im Jahre 1910. Wolhynien produzierte 73,4 Millionen Pud, Kijew 113,4, Podolien 115,9, Cherson 188,6, Tschernigow 40, Poltawa 113,6, Charkow 95,9, Jekaterinoslaw 194,9, Taurien 138,3, Kuban 214,4 Millionen Pud. Der Gesamtertrag der Kerngebiete der Ukraine (ohne die ebenfalls viel produzierenden Grenzgebiete, z. B. Teile von Kursk, Woronesh, Dongebiet usw.) war im Jahre 1910 sechsmal größer als der Ernteertrag Polens, bildete 39 Prozent der Gesamtproduktion des europäischen Russland und über 33 Prozent derjenigen des ganzen russischen Weltreiches. Diese Ziffern bedürfen keiner Kommentare.
Die Heuproduktion der Ukraine ist auch bedeutend. 1910 produzierte Wolhynien 16,9, Podolien 3,5, Kijew 10,3, Cherson 2,9, Tschernigow 18,9, Poltawa 16,5, Charkow 11,3, Jekaterinoslaw 5,2, Taurien 4,3, Kuban 3 Millionen Pud Heu.
Der Viehbestand der Ukraine beträgt über 30 Millionen Stück Großvieh — ein Drittel des europäisch-russischen Viehstandes. Die ukrainischen Gouvernements, besonders die südlichen, weisen die größten relativen Zahlen des Viehstandes auf, die man in Russland sieht. Auf 100 Köpfe der Bevölkerung zählt Wolhynien: 19 Pferde, 32 Stück Rindvieh, 18 Schafe, 17 Schweine. Die diesbezüglichen Zahlen sind für Podolien 16, 19, 17, 11, für Kijew 13, 18, 17, 10, für Cherson 29, 24, 16, 11, für Tschernigow 21, 25, 33, 16, für Poltawa 14, 22, 27, 11, für Charkow 17, 27, 23, 10, für Jekaterinoslaw 25, 26, 21, 12, für Taurien 30, 28, 61, 11, für Kuban 34, 54, 80, 21.
Nach diesen Zahlen zu urteilen, muss die Ukraine ohne jeden Zweifel als Korn- und Fleischkammer von Russland gelten. Besonders sind die russischen Zentralprovinzen, Weißrussland, Litauen, Polen auf Einfuhr von Getreide und Vieh aus der Ukraine angewiesen.
Zugleich ist die Ukraine für Russland auch der vorzüglichste Geldlieferant. Von den regelmäßigen Steuern (der jährliche Steuerüberschuss aus der Ukraine beträgt über 200 Millionen Rubel!) ganz abgesehen, liefert die Ukraine dem russischen Reich den wertvollsten Teil seiner Ausfuhr. Die großartige Getreideausfuhr Russlands stammt beinahe zur Gänze aus der Ukraine. Die großrussischen Gebiete führen kaum 0,7 Prozent ihres Ernteertrages aus, die Ukraine dagegen 27 Prozent. Wenn man nun das Verhältnis der Produktion der Ukraine zu der Gesamtrusslands berücksichtigt und bedenkt, dass die Ostseeländer und Litauen, Weißrussland und Polen nicht imstande sind, nennenswerte Getreidemengen auszuführen, so kommt man zur Überzeugung, dass über neun Zehntel der „russischen“ Getreideausfuhr aus der Ukraine stammt.
Auch was die Produktion von Industriepflanzen anbetrifft, ist die Ukraine für Russland ein sehr wichtiger Besitz. Über 50 Millionen q (1897), d. h. über 80 Prozent der Zuckerrüben Russlands werden in der Ukraine produziert, an 4 Millionen Pud, d. h. über 69 Prozent der russischen Gesamtproduktion, Tabak. Die Hanf- und Leinenproduktion sind auch bedeutend. Wegen ihres milden Klimas besitzt die Ukraine die größten und reichsten Obstgärten und Weinberge.
Es scheint nun zur Genüge bewiesen, dass die Ukraine was die Lebensmittelproduktion anbetrifft, das reichste Gebiet Russlands ist. Wir wollen nun zeigen, dass auch die Mineralschätze der Ukraine ebenso bedeutend sind. Gold, Silber, Kupfer, Zink und Blei finden sich in der Ukraine nur in kaum nennenswerten Mengen. Dafür ist die Ukraine das einzige Produktionsgebiet Russlands an Quecksilber. 1907 wurden in Mykytiwka (Gouvernement Jekaterinoslaw) über 8.000 Pud dieses Metalls gewonnen. An Mangan produziert die Ukraine in Jekaterinoslaw und Podolien 19 ½ Millionen Pud, d. h. 32 Prozent der gesamten russischen, mithin an ein Sechstel der Weltproduktion.
Die wichtigsten Mineralprodukte der Ukraine sind jedoch Eisen, Kohle und Salz. Die großen Bergwerke von Krywyj Rih (Kriwoj Rog, Gouvernement Cherson) und im Donezplateau (Gouvernement Jekaterinoslaw) lieferten 1905 (Revolutionsjahr) 31 Millionen q Eisenerz, d. i. 60 Prozent der gesamtrussischen Produktion, im Jahre 1904 betrug dieser Prozentsatz 69 Prozent. Die Kohlenfelder des Donezplateaus, deren Flächeninhalt 23.000 km2 beträgt, sind das einzige Gebiet der Ukraine. Aber sie lieferten 1907 über 1.100 Millionen Pud Steinkohle, d. h. 70 Prozent der Produktion des ganzen russischen Reiches in Asien und Europa. 1905 betrug dieser Prozentsatz 79 Prozent und ist nur infolge der Entwicklung der Kohlenproduktion in Russisch-Asien relativ zurückgegangen. Die ukrainische Kohle ist fast die einzige in Russland, die sich zur Koksbereitung eignet — 99 Prozent der russischen Koksproduktion stammen aus der Ukraine, ebenso 99 Prozent Anthrazitkohle.
Ungeheure Massen von bestem Torf liegen unbehoben in Polissje und anderen Wald- und Sumpfgegenden der Nordwestukraine.
Die Salzproduktion der Ukraine (Steinsalz in den Gouvernements Jekaterinoslaw und Charkow, See- und Meersalz an der polnischen Küste von Cherson und Taurien) betrug (1907) über 60 Millionen Pud, d. h. an 53 Prozent der Produktion des gesamten russischen Reiches.
Von anderen Mineralschätzen sind noch zu erwähnen: die großen, kaum angezapften Petroleumfelder im Kubangebiete, die Asphalt- und Ozokeritvorkommen im Gouvernement Charkow, die Phosphoritlager am Dnjestr in Podolien (1907 — 6.850.000 Pud — 72 Prozent der russischen Produktion), die Kaolinproduktion (Kijew, Poltawa, Charkow, Cherson — 1907 — 1,3 Millionen Pud — die einzige in Russland), die Lager von Tafelschiefer, lithographischen Steinen, Graphit, Mineralfarben, Schwefel, Schreibkreide, Gips, Bau- und Ziersteinen.
Diese Zahlen belehren uns, dass die Ukraine trotz ihres allgemeinen Charakters als Ackerbauland große Mineralschätze besitzt, welche vollkommen ausreichend sind, um nicht nur den Bedarf ihres großen Territoriums zu decken, sondern auch um die Nachbargebiete zu versehen. Die Industrie Zentralrusslands ist schon jetzt zum größten Teile auf ukrainisches Eisen und ukrainische Kohle angewiesen und die russische Eisenbahntarifpolitik hat alles getan, um dem Zentrum des Reiches eine billige Zufuhr von Rohmaterial zu sichern und die Entwicklung der Industrie an Ort und Stelle, in der Ukraine, hintanzuhalten.
Die Industrie Ukraines steckt noch in den Kinderschuhen. Sie befindet sich jetzt in einer wichtigen Übergangszeit. Die alte ukrainische Hausindustrie, welche bis vor kurzem allen Bedarf der Landbevölkerung deckte, ist noch jetzt sehr bedeutend, besonders die Textil- und Töpfereiindustrie, Holz- und Lederindustrie. Die Hauptzentren bilden die Gouvernements Kijew, Tschernigow, Poltawa, Charkow. Aber die Großindustrie läuft der Hausindustrie immer mehr den Rang ab und produziert trotz ihrer Jugend bereits so viel, dass besonders die südliche Ukraine im Begriff steht, das wichtigste Industriegebiet Gesamtrusslands zu werden.
An erster Stelle steht zweifellos die Metallindustrie. 1907 wurden in der Ukraine über 110 Millionen Pud Roheisen gewonnen (64 Prozent der russischen Gesamtproduktion), 86 Millionen Pud Stahl (53 Prozent). Große Eisenwarenfabriken befinden sich in Jekaterinoslaw, Alexandrowsk, Odessa, Jelissawetgrad, Nikolajew, Berdiansk usw. Eine sehr große Bedeutung besitzt weiter die Zuckerfabrikation der Ukraine. Über 200 Fabriken, hauptsächlich in den Gouvernements Kijew, Charkow, Podolien, Cherson produzieren über 80 Prozent der russischen Rohzuckerproduktion, an Reinzucker über 50 Prozent. Sehr bedeutend ist die Zahl der Fabriken, welche verschiedenartige Lebensmittel produzieren: der Dampfmühlen, Spiritusbrennereien (besonders Podolien, Charkow, Kijew), Ölfabriken, Met- und Bierbrauereien. Sehr bedeutend ist die fabrikmäßige Holzindustrie, besonders ungeheure Dampfsägen, welche sich hauptsächlich längs des schiffbaren Dnjepr befinden, die Tabakfabrikation, die Lederindustrie und die Seifensiederei. Dafür ist die Textilindustrie der Ukraine verhältnismäßig klein. Die Baumwollindustrie beschränkt sich auf einige kleine Fabriken, die Wollindustrie ist bedeutender (Tschernigow, Charkow, Kijew), die Leinen- und Hanfindustrie ist nur in dem Gouvernement Tschernigow und in Odessa nennenswert.
Die allgemeinen Verhältnisse der Industrie der Ukraine lassen sich aus den nachstehenden Zahlen beurteilen: Wolhynien hatte (1910) 717 Fabriken mit 7,2 Millionen Rubel Produktion und 15.000 Arbeitern, für Podolien sind die betreffenden Zahlen 732, 1,8 Mill. R., 29.000; für Kijew 824, 20,6 Mill. R., 5.000; für Cherson 41, 62,6 Mill. R., 29.000; für Tschernigow 381, 16 Mill R., 22.000; für Poltawa 388, 4,8 Mill. R., 11.000; für Charkow 388, 29,6 Mill. R., 17.000; für Jekaterinoslaw 527, 195,8 Mill. R., 73.000; für Taurien 394, 10,7 Mill. R., 8.000; für Kuban 222, 10,4 Mill. R., 3.000. Diese Statistik ist nicht einwandfrei, weil ein großer Teil der Betriebe keine statistischen Daten angegeben hat. Bereits 1897 produzierten z. B. die Gouvernements Tschernigow, Poltawa, Charkow für 80 Millionen Rubel jährlich, Podolien, Wolhynien und Kijew für 126 Millionen Rubel.
Der Handel der Ukraine ist, wie überhaupt der Handel von ganz Osteuropa, verhältnismäßig gering. Jedoch die Lage der Ukraine an der Schwelle Asiens und ihre Eigenschaft als unmittelbares Hinterland des Schwarzen Meeres bedingen für die Ukraine eine solche Handelsbedeutung, dass kein anderes Einzelgebiet des europäischen Russland, die Ostseeländer nicht ausgenommen, sich mit der Ukraine würde messen können. Wir übergehen, bemerkt hierzu Rudnyckyj, vollkommen die große Bedeutung der Ukraine für den Innenhandel Russlands, diese großartige Umsetzung der ukrainischen Lebensmittel- und Mineralproduktion nach Zentralrussland, Polen, Weißrussland, Ostseeländern; z. B. die Flussflotte des Dnjepr ist, was Tonnengehalt anbetrifft, der gesamten Handelsflotte Österreich-Ungarns beinahe gleich. Wir wollen nur einige Zahlen angeben, welche die Bedeutung der Ukraine für Russlands Außenhandel charakterisieren. Auf die Zollbezirke des ukrainischen Teils der Westgrenze Russlands entfielen (1908) an Ausfuhr 28,6 Millionen R., an Einfuhr 14,3 Millionen R. Die Zollbezirke des pontischen und asowschen Gestades ergaben innerhalb der Grenzen der Ukraine an Ausfuhr 245 Millionen R., an Einfuhr 64,8 Millionen R. Die Ausfuhr über die Grenzen der russischen Ukraine betrug 33 Prozent der Ausfuhr an Russland und nur 11 Prozent der Einfuhr. Wir ersehen daraus, wie viel die Ukraine zur Aktivität der russischen Handelsbilanz beiträgt. Von der gesamten überseeischen Ausfuhr Russlands gehen durchschnittlich 70 Prozent dem Gewichte und 65 Prozent dem Werte nach durch die Häfen der ukrainischen Küste. Die russische Handelsdampferflotte des Schwarzen Meeres bildet 42 Prozent an Zahl und 52 Prozent an Tonnengehalt der gesamten Dampferflotte Russlands.
Diese Zahlen charakterisieren die Bedeutung der Ukraine für den russischen Handel zur Genüge. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass nur der Besitz der Ukraine Russland den Zugang zum Schwarzen Meer ermöglicht und ihm erlaubt, nach dem Bosporus und den Dardanellen zu gravitieren, auf der Balkanhalbinsel Einfluss zu gewinnen, die Türkei und das Mittelmeer zu bedrohen, die Kaukasusländer zu beherrschen, Persien zu bedrängen und den nächsten Weg zum Indischen Ozean zu suchen! Und noch ein wichtiger Umstand darf nicht übersehen werden: Die Ukraine liegt auf dem kürzesten Landwege von Mitteleuropa nach Ostindien und beherrscht ein über 1.000 Kilometer langes Stück davon.
Die Siedlungsverhältnisse des ukrainischen Territoriums sind von denjenigen der vorbesprochenen Gebiete vollkommen verschieden. Die Ukraine ist ein Land der Großdörfer und Dorfstädtchen mit wenigen größeren Städten. Die Dorfhäuser sind in den nordwestlichen Waldgebieten meistens aus Holz, mit Schindeln oder Stroh gedeckt, sonst Lehmhütten mit Strohdächern. Mit Ausnahme der ärmsten, sind alle Hütten durch einen Mittelgang in zwei Wohnräume geteilt. Es gibt besonders in der Zentral- und Südukraine viele Dorfansiedlungen mit über 10.000 Einwohnern. Hier kommen auch vielfach steinerne Häuser mit Blech oder Dachziegeln gedeckt, vor. Die Städtchen sind fast in der ganzen westlichen Ukraine meistens von Juden bewohnt, mit elenden und sehr schmutzigen Häusern und Straßen. Die größeren Städte zeichnen sich hingegen durch größere Reinlichkeit aus, einzelne Großstädte, wie Kijew oder Odessa, haben einen ganz europäischen Anstrich.
Wolhynien besitzt noch im Westen und Norden Anklänge an die Nachbargebiete mit Kleindörfern und Einzelhöfen, im Osten nimmt es bereits den echten ukrainischen Charakter an. Wolhyniens Städte und Städtchen (Kowel, Luzk, Dubno, Rowno, Ostrog, Starokonstantinow, Nowgorod, Wladimir) sind insgesamt unbedeutend und schmutzig. Ihr Handel (mit Lebensmittelprodukten) ist gering. Nur die Hauptstadt, das alte Zytomir (93.000 Einwohner) besitzt bedeutenden Handel und Industrie. Podolien mit seinen in Flusstälern liegenden Großdörfern und den Einzelhöfen auf der Hochebene besitzt auch nur wenige Städte, die mit Getreide, Vieh, Obst Handel treiben. Die Hauptstadt ist Kamenez (40.000 Einwohner). Der Handel von Mohyliw, Winniza, Balta besitzt einige Bedeutung.
Kijew weist einen ganz analogen Charakter auf, nur kommen die typischen Dorfstädtchen hinzu. Die Hauptstadt (506.000 Einwohner) ist die wichtigste Großstadt der Ukraine, zugleich an Altertümern, Fabrikindustrie, Schifffahrt und Handel reich. Außer ihr verdient nur noch das jüdische, handelsbedeutende Berditschew (83.000 Einwohner) und der Dnjeprhafen Tscherkassy (40.000 Einwohner) erwähnt zu werden. Wasilkow, Skwira, Bilozerkow, Swenyhorodka, Umanj sind unbedeutend. Das Tschernyhowerland besitzt nur in der Handelsstadt Nizyn (52.000 Einwohner) einen Ort von Bedeutung. Die Hauptstadt Tschernigow (32.000 Einwohner) und die anderen Städte wie Konotop, Nowosybkow usw. sind unbedeutend, manche, wie Klynzi, haben eine verhältnismäßig bedeutende Haus- und Fabrikindustrie. Das Poltawaland ist das Gebiet der Dorfstädte mit blühender Hausindustrie und Kleinhandel (Romen, Hadjatsch, Kobeljaky usw.). Die Hauptstadt Poltawa (83.000 Einwohner) ist eine aufstrebende Handelsstadt, der Dnjeprhafen Krementschug eine Industriestadt, Pryluky das Zentrum des russischen Tabakhandels. In Charkow ist die Hauptstadt (248.000 Einwohner) eine blühende Fabrik- und Handelsstadt, Ssumy, Lebedyn, Achtyrka usw. kleine Industriestädte.“
Die klimatischen Verhältnisse scheiden das „Land der schwarzen Erde“ in einen westlichen Teil (Podolien, Kiew, Poltawa), der mildes Klima und eine alte, höhere Kultur hat, und in einen östlichen, großrussischen Teil (Orel, Kursk, Charkow), der längere, harte Winter und geringere Niederschläge hat. Infolgedessen kommen hier trotz des fruchtbaren Bodens häufig Dürren und Missernten vor. Im Westen hat die Landwirtschaft das altrussische System der Dreifelderwirtschaft überwunden und ist zu intensiver Bearbeitung fortgeschritten. Wenigstens auf allen größeren Gütern finden sich moderne Maschinen. Das milde Klima gestattet neben dem Roggen auch einen reichen Weizenbau, und das ertragreichere Wintergetreide, überdies den Bau von Gespinst- und Ölpflanzen. Obst- und Weinbau gedeiht besonders westlich des Dnjestr. Die Viehzucht ist überwiegend Mastviehzucht, wodurch das Gebiet einer der wichtigsten Fleischlieferanten bis weit nach Westeuropa ist. Günstig haben sich auch die landwirtschaftlichen Nebengewerbe Brauerei, Brennerei, Müllerei und vor allem die Zuckerfabrikation entwickelt.
Unerschöpflich ist freilich auch die „schwarze Erde“ nicht. Die allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse Russlands haben das Land schwer geschädigt. Der Getreidebau ist als Raubwirtschaft betrieben worden, der russische Bauer hat den Boden nur oberflächlich bearbeitet und nie gedüngt, so dass ihm der Gehalt an Nährsalzen entzogen wurde. Der Hunger des russischen Bauern nach mehr Land ist eine Äußerung seiner Trägheit und Gleichgültigkeit. Ein Einblick in die inneren Zustände der russischen Landwirtschaft ergibt ein weniger günstiges Bild, selbst für diese reichen Länder. Hierin liegen die tiefsten Ursachen der Unzufriedenheit des russischen Bauerntums, die eine schwere Gefahr bildet und sich wahrscheinlich in revolutionären Erschütterungen äußern wird, wie dieser in Petersburg angezettelte Krieg, von dessen Verlauf sie dahinten bis jetzt noch nichts wissen, für „Mütterchen Russland“ und für „Väterchen Zar“ enden wird."
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Die vom K. K. österreichischen Handelsmuseum herausgegebene Monatsschrift für den Orient gibt folgendes Bild von dem wirtschaftlichen Werte der Ukraine:*)
*) Nach Angaben von St. Rudnyckyj.
„Das Schwarzerdegebiet, und der pontische Steppenboden an den Gestaden des Schwarzen und Asowschen Meeres zeichnet sich durch große Fruchtbarkeit aus. Die 110.000 km2 Nutzwald Ukraines liegen daher hauptsächlich im Nordwesten, überall sonst, überwiegt in der Ukraine das Ackerland. Die Anbaufläche Ukraines beträgt über 45.000.000 ha, d. h. über 32 Prozent der Anbaufläche des (sechsmal größeren) europäischen Russland. Der Prozentsatz der Anbaufläche beträgt in der Ukraine 33 Prozent der Gesamtfläche. In dieser Hinsicht wird die Ukraine nur von Frankreich übertroffen (56 Prozent).
Die jährliche Produktion der Ukraine nur an Weizen, Roggen, Gerste beträgt für die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts im Mittel über 150.000.000 q — also ein Drittel der damaligen russischen Gesamtproduktion, an drei Viertel der heutigen deutschen, sie ist größer als die Produktion Österreich-Ungarns oder Frankreichs, von anderen Staaten Europas ganz zu schweigen.
Nachstehend einige Zahlen über den Ernteertrag der ukrainischen Kerngebiete im Jahre 1910. Wolhynien produzierte 73,4 Millionen Pud, Kijew 113,4, Podolien 115,9, Cherson 188,6, Tschernigow 40, Poltawa 113,6, Charkow 95,9, Jekaterinoslaw 194,9, Taurien 138,3, Kuban 214,4 Millionen Pud. Der Gesamtertrag der Kerngebiete der Ukraine (ohne die ebenfalls viel produzierenden Grenzgebiete, z. B. Teile von Kursk, Woronesh, Dongebiet usw.) war im Jahre 1910 sechsmal größer als der Ernteertrag Polens, bildete 39 Prozent der Gesamtproduktion des europäischen Russland und über 33 Prozent derjenigen des ganzen russischen Weltreiches. Diese Ziffern bedürfen keiner Kommentare.
Die Heuproduktion der Ukraine ist auch bedeutend. 1910 produzierte Wolhynien 16,9, Podolien 3,5, Kijew 10,3, Cherson 2,9, Tschernigow 18,9, Poltawa 16,5, Charkow 11,3, Jekaterinoslaw 5,2, Taurien 4,3, Kuban 3 Millionen Pud Heu.
Der Viehbestand der Ukraine beträgt über 30 Millionen Stück Großvieh — ein Drittel des europäisch-russischen Viehstandes. Die ukrainischen Gouvernements, besonders die südlichen, weisen die größten relativen Zahlen des Viehstandes auf, die man in Russland sieht. Auf 100 Köpfe der Bevölkerung zählt Wolhynien: 19 Pferde, 32 Stück Rindvieh, 18 Schafe, 17 Schweine. Die diesbezüglichen Zahlen sind für Podolien 16, 19, 17, 11, für Kijew 13, 18, 17, 10, für Cherson 29, 24, 16, 11, für Tschernigow 21, 25, 33, 16, für Poltawa 14, 22, 27, 11, für Charkow 17, 27, 23, 10, für Jekaterinoslaw 25, 26, 21, 12, für Taurien 30, 28, 61, 11, für Kuban 34, 54, 80, 21.
Nach diesen Zahlen zu urteilen, muss die Ukraine ohne jeden Zweifel als Korn- und Fleischkammer von Russland gelten. Besonders sind die russischen Zentralprovinzen, Weißrussland, Litauen, Polen auf Einfuhr von Getreide und Vieh aus der Ukraine angewiesen.
Zugleich ist die Ukraine für Russland auch der vorzüglichste Geldlieferant. Von den regelmäßigen Steuern (der jährliche Steuerüberschuss aus der Ukraine beträgt über 200 Millionen Rubel!) ganz abgesehen, liefert die Ukraine dem russischen Reich den wertvollsten Teil seiner Ausfuhr. Die großartige Getreideausfuhr Russlands stammt beinahe zur Gänze aus der Ukraine. Die großrussischen Gebiete führen kaum 0,7 Prozent ihres Ernteertrages aus, die Ukraine dagegen 27 Prozent. Wenn man nun das Verhältnis der Produktion der Ukraine zu der Gesamtrusslands berücksichtigt und bedenkt, dass die Ostseeländer und Litauen, Weißrussland und Polen nicht imstande sind, nennenswerte Getreidemengen auszuführen, so kommt man zur Überzeugung, dass über neun Zehntel der „russischen“ Getreideausfuhr aus der Ukraine stammt.
Auch was die Produktion von Industriepflanzen anbetrifft, ist die Ukraine für Russland ein sehr wichtiger Besitz. Über 50 Millionen q (1897), d. h. über 80 Prozent der Zuckerrüben Russlands werden in der Ukraine produziert, an 4 Millionen Pud, d. h. über 69 Prozent der russischen Gesamtproduktion, Tabak. Die Hanf- und Leinenproduktion sind auch bedeutend. Wegen ihres milden Klimas besitzt die Ukraine die größten und reichsten Obstgärten und Weinberge.
Es scheint nun zur Genüge bewiesen, dass die Ukraine was die Lebensmittelproduktion anbetrifft, das reichste Gebiet Russlands ist. Wir wollen nun zeigen, dass auch die Mineralschätze der Ukraine ebenso bedeutend sind. Gold, Silber, Kupfer, Zink und Blei finden sich in der Ukraine nur in kaum nennenswerten Mengen. Dafür ist die Ukraine das einzige Produktionsgebiet Russlands an Quecksilber. 1907 wurden in Mykytiwka (Gouvernement Jekaterinoslaw) über 8.000 Pud dieses Metalls gewonnen. An Mangan produziert die Ukraine in Jekaterinoslaw und Podolien 19 ½ Millionen Pud, d. h. 32 Prozent der gesamten russischen, mithin an ein Sechstel der Weltproduktion.
Die wichtigsten Mineralprodukte der Ukraine sind jedoch Eisen, Kohle und Salz. Die großen Bergwerke von Krywyj Rih (Kriwoj Rog, Gouvernement Cherson) und im Donezplateau (Gouvernement Jekaterinoslaw) lieferten 1905 (Revolutionsjahr) 31 Millionen q Eisenerz, d. i. 60 Prozent der gesamtrussischen Produktion, im Jahre 1904 betrug dieser Prozentsatz 69 Prozent. Die Kohlenfelder des Donezplateaus, deren Flächeninhalt 23.000 km2 beträgt, sind das einzige Gebiet der Ukraine. Aber sie lieferten 1907 über 1.100 Millionen Pud Steinkohle, d. h. 70 Prozent der Produktion des ganzen russischen Reiches in Asien und Europa. 1905 betrug dieser Prozentsatz 79 Prozent und ist nur infolge der Entwicklung der Kohlenproduktion in Russisch-Asien relativ zurückgegangen. Die ukrainische Kohle ist fast die einzige in Russland, die sich zur Koksbereitung eignet — 99 Prozent der russischen Koksproduktion stammen aus der Ukraine, ebenso 99 Prozent Anthrazitkohle.
Ungeheure Massen von bestem Torf liegen unbehoben in Polissje und anderen Wald- und Sumpfgegenden der Nordwestukraine.
Die Salzproduktion der Ukraine (Steinsalz in den Gouvernements Jekaterinoslaw und Charkow, See- und Meersalz an der polnischen Küste von Cherson und Taurien) betrug (1907) über 60 Millionen Pud, d. h. an 53 Prozent der Produktion des gesamten russischen Reiches.
Von anderen Mineralschätzen sind noch zu erwähnen: die großen, kaum angezapften Petroleumfelder im Kubangebiete, die Asphalt- und Ozokeritvorkommen im Gouvernement Charkow, die Phosphoritlager am Dnjestr in Podolien (1907 — 6.850.000 Pud — 72 Prozent der russischen Produktion), die Kaolinproduktion (Kijew, Poltawa, Charkow, Cherson — 1907 — 1,3 Millionen Pud — die einzige in Russland), die Lager von Tafelschiefer, lithographischen Steinen, Graphit, Mineralfarben, Schwefel, Schreibkreide, Gips, Bau- und Ziersteinen.
Diese Zahlen belehren uns, dass die Ukraine trotz ihres allgemeinen Charakters als Ackerbauland große Mineralschätze besitzt, welche vollkommen ausreichend sind, um nicht nur den Bedarf ihres großen Territoriums zu decken, sondern auch um die Nachbargebiete zu versehen. Die Industrie Zentralrusslands ist schon jetzt zum größten Teile auf ukrainisches Eisen und ukrainische Kohle angewiesen und die russische Eisenbahntarifpolitik hat alles getan, um dem Zentrum des Reiches eine billige Zufuhr von Rohmaterial zu sichern und die Entwicklung der Industrie an Ort und Stelle, in der Ukraine, hintanzuhalten.
Die Industrie Ukraines steckt noch in den Kinderschuhen. Sie befindet sich jetzt in einer wichtigen Übergangszeit. Die alte ukrainische Hausindustrie, welche bis vor kurzem allen Bedarf der Landbevölkerung deckte, ist noch jetzt sehr bedeutend, besonders die Textil- und Töpfereiindustrie, Holz- und Lederindustrie. Die Hauptzentren bilden die Gouvernements Kijew, Tschernigow, Poltawa, Charkow. Aber die Großindustrie läuft der Hausindustrie immer mehr den Rang ab und produziert trotz ihrer Jugend bereits so viel, dass besonders die südliche Ukraine im Begriff steht, das wichtigste Industriegebiet Gesamtrusslands zu werden.
An erster Stelle steht zweifellos die Metallindustrie. 1907 wurden in der Ukraine über 110 Millionen Pud Roheisen gewonnen (64 Prozent der russischen Gesamtproduktion), 86 Millionen Pud Stahl (53 Prozent). Große Eisenwarenfabriken befinden sich in Jekaterinoslaw, Alexandrowsk, Odessa, Jelissawetgrad, Nikolajew, Berdiansk usw. Eine sehr große Bedeutung besitzt weiter die Zuckerfabrikation der Ukraine. Über 200 Fabriken, hauptsächlich in den Gouvernements Kijew, Charkow, Podolien, Cherson produzieren über 80 Prozent der russischen Rohzuckerproduktion, an Reinzucker über 50 Prozent. Sehr bedeutend ist die Zahl der Fabriken, welche verschiedenartige Lebensmittel produzieren: der Dampfmühlen, Spiritusbrennereien (besonders Podolien, Charkow, Kijew), Ölfabriken, Met- und Bierbrauereien. Sehr bedeutend ist die fabrikmäßige Holzindustrie, besonders ungeheure Dampfsägen, welche sich hauptsächlich längs des schiffbaren Dnjepr befinden, die Tabakfabrikation, die Lederindustrie und die Seifensiederei. Dafür ist die Textilindustrie der Ukraine verhältnismäßig klein. Die Baumwollindustrie beschränkt sich auf einige kleine Fabriken, die Wollindustrie ist bedeutender (Tschernigow, Charkow, Kijew), die Leinen- und Hanfindustrie ist nur in dem Gouvernement Tschernigow und in Odessa nennenswert.
Die allgemeinen Verhältnisse der Industrie der Ukraine lassen sich aus den nachstehenden Zahlen beurteilen: Wolhynien hatte (1910) 717 Fabriken mit 7,2 Millionen Rubel Produktion und 15.000 Arbeitern, für Podolien sind die betreffenden Zahlen 732, 1,8 Mill. R., 29.000; für Kijew 824, 20,6 Mill. R., 5.000; für Cherson 41, 62,6 Mill. R., 29.000; für Tschernigow 381, 16 Mill R., 22.000; für Poltawa 388, 4,8 Mill. R., 11.000; für Charkow 388, 29,6 Mill. R., 17.000; für Jekaterinoslaw 527, 195,8 Mill. R., 73.000; für Taurien 394, 10,7 Mill. R., 8.000; für Kuban 222, 10,4 Mill. R., 3.000. Diese Statistik ist nicht einwandfrei, weil ein großer Teil der Betriebe keine statistischen Daten angegeben hat. Bereits 1897 produzierten z. B. die Gouvernements Tschernigow, Poltawa, Charkow für 80 Millionen Rubel jährlich, Podolien, Wolhynien und Kijew für 126 Millionen Rubel.
Der Handel der Ukraine ist, wie überhaupt der Handel von ganz Osteuropa, verhältnismäßig gering. Jedoch die Lage der Ukraine an der Schwelle Asiens und ihre Eigenschaft als unmittelbares Hinterland des Schwarzen Meeres bedingen für die Ukraine eine solche Handelsbedeutung, dass kein anderes Einzelgebiet des europäischen Russland, die Ostseeländer nicht ausgenommen, sich mit der Ukraine würde messen können. Wir übergehen, bemerkt hierzu Rudnyckyj, vollkommen die große Bedeutung der Ukraine für den Innenhandel Russlands, diese großartige Umsetzung der ukrainischen Lebensmittel- und Mineralproduktion nach Zentralrussland, Polen, Weißrussland, Ostseeländern; z. B. die Flussflotte des Dnjepr ist, was Tonnengehalt anbetrifft, der gesamten Handelsflotte Österreich-Ungarns beinahe gleich. Wir wollen nur einige Zahlen angeben, welche die Bedeutung der Ukraine für Russlands Außenhandel charakterisieren. Auf die Zollbezirke des ukrainischen Teils der Westgrenze Russlands entfielen (1908) an Ausfuhr 28,6 Millionen R., an Einfuhr 14,3 Millionen R. Die Zollbezirke des pontischen und asowschen Gestades ergaben innerhalb der Grenzen der Ukraine an Ausfuhr 245 Millionen R., an Einfuhr 64,8 Millionen R. Die Ausfuhr über die Grenzen der russischen Ukraine betrug 33 Prozent der Ausfuhr an Russland und nur 11 Prozent der Einfuhr. Wir ersehen daraus, wie viel die Ukraine zur Aktivität der russischen Handelsbilanz beiträgt. Von der gesamten überseeischen Ausfuhr Russlands gehen durchschnittlich 70 Prozent dem Gewichte und 65 Prozent dem Werte nach durch die Häfen der ukrainischen Küste. Die russische Handelsdampferflotte des Schwarzen Meeres bildet 42 Prozent an Zahl und 52 Prozent an Tonnengehalt der gesamten Dampferflotte Russlands.
Diese Zahlen charakterisieren die Bedeutung der Ukraine für den russischen Handel zur Genüge. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass nur der Besitz der Ukraine Russland den Zugang zum Schwarzen Meer ermöglicht und ihm erlaubt, nach dem Bosporus und den Dardanellen zu gravitieren, auf der Balkanhalbinsel Einfluss zu gewinnen, die Türkei und das Mittelmeer zu bedrohen, die Kaukasusländer zu beherrschen, Persien zu bedrängen und den nächsten Weg zum Indischen Ozean zu suchen! Und noch ein wichtiger Umstand darf nicht übersehen werden: Die Ukraine liegt auf dem kürzesten Landwege von Mitteleuropa nach Ostindien und beherrscht ein über 1.000 Kilometer langes Stück davon.
Die Siedlungsverhältnisse des ukrainischen Territoriums sind von denjenigen der vorbesprochenen Gebiete vollkommen verschieden. Die Ukraine ist ein Land der Großdörfer und Dorfstädtchen mit wenigen größeren Städten. Die Dorfhäuser sind in den nordwestlichen Waldgebieten meistens aus Holz, mit Schindeln oder Stroh gedeckt, sonst Lehmhütten mit Strohdächern. Mit Ausnahme der ärmsten, sind alle Hütten durch einen Mittelgang in zwei Wohnräume geteilt. Es gibt besonders in der Zentral- und Südukraine viele Dorfansiedlungen mit über 10.000 Einwohnern. Hier kommen auch vielfach steinerne Häuser mit Blech oder Dachziegeln gedeckt, vor. Die Städtchen sind fast in der ganzen westlichen Ukraine meistens von Juden bewohnt, mit elenden und sehr schmutzigen Häusern und Straßen. Die größeren Städte zeichnen sich hingegen durch größere Reinlichkeit aus, einzelne Großstädte, wie Kijew oder Odessa, haben einen ganz europäischen Anstrich.
Wolhynien besitzt noch im Westen und Norden Anklänge an die Nachbargebiete mit Kleindörfern und Einzelhöfen, im Osten nimmt es bereits den echten ukrainischen Charakter an. Wolhyniens Städte und Städtchen (Kowel, Luzk, Dubno, Rowno, Ostrog, Starokonstantinow, Nowgorod, Wladimir) sind insgesamt unbedeutend und schmutzig. Ihr Handel (mit Lebensmittelprodukten) ist gering. Nur die Hauptstadt, das alte Zytomir (93.000 Einwohner) besitzt bedeutenden Handel und Industrie. Podolien mit seinen in Flusstälern liegenden Großdörfern und den Einzelhöfen auf der Hochebene besitzt auch nur wenige Städte, die mit Getreide, Vieh, Obst Handel treiben. Die Hauptstadt ist Kamenez (40.000 Einwohner). Der Handel von Mohyliw, Winniza, Balta besitzt einige Bedeutung.
Kijew weist einen ganz analogen Charakter auf, nur kommen die typischen Dorfstädtchen hinzu. Die Hauptstadt (506.000 Einwohner) ist die wichtigste Großstadt der Ukraine, zugleich an Altertümern, Fabrikindustrie, Schifffahrt und Handel reich. Außer ihr verdient nur noch das jüdische, handelsbedeutende Berditschew (83.000 Einwohner) und der Dnjeprhafen Tscherkassy (40.000 Einwohner) erwähnt zu werden. Wasilkow, Skwira, Bilozerkow, Swenyhorodka, Umanj sind unbedeutend. Das Tschernyhowerland besitzt nur in der Handelsstadt Nizyn (52.000 Einwohner) einen Ort von Bedeutung. Die Hauptstadt Tschernigow (32.000 Einwohner) und die anderen Städte wie Konotop, Nowosybkow usw. sind unbedeutend, manche, wie Klynzi, haben eine verhältnismäßig bedeutende Haus- und Fabrikindustrie. Das Poltawaland ist das Gebiet der Dorfstädte mit blühender Hausindustrie und Kleinhandel (Romen, Hadjatsch, Kobeljaky usw.). Die Hauptstadt Poltawa (83.000 Einwohner) ist eine aufstrebende Handelsstadt, der Dnjeprhafen Krementschug eine Industriestadt, Pryluky das Zentrum des russischen Tabakhandels. In Charkow ist die Hauptstadt (248.000 Einwohner) eine blühende Fabrik- und Handelsstadt, Ssumy, Lebedyn, Achtyrka usw. kleine Industriestädte.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Ukraine