Die Deutschen-Verfolgungen in der Ukraine.

Seit den Tagen, da die russischen Invasionsarmeen in Ostpreußen geschlagen und die deutschen Heere zunächst in Polen und dann in Kurland vordrangen, ist der Deutschenhass im Riesenreiche des Zaren stark gewachsen. Man machte Offiziere für die Niederlagen verantwortlich, wenn sie deutsche Namen trugen. Stimmungsmache gegen die Träger deutscher Namen wurde nicht nur in den Hetzblättern vom Schlage der „Nowoje Wremja“ oder „Kolokol“ getrieben, sondern in unzähligen Flugblättern wurden die blutdürstigen Instinkte des Großstadtpöbels gegen die Deutschen geweckt. Die Regierung stellte sich offensichtlich auf die Seite der Deutschenhetzer und unterstützte die Schikanen und Belästigungen der Deutschen. Der Uradel aus den baltischen Provinzen wurde verbannt. Pastoren, Universitätsprofessoren und Lehrer sind in großer Zahl in die Gefängnisse gesteckt oder nach Sibirien verschickt worden. Der größte Teil der deutschen Kolonisten, und dies ist eine Zahl von über zwei Millionen Seelen, wurde von ihrer Scholle gerissen, die Wehrfähigen ins russische Heer gesteckt und die anderen in elendestem Zustande jenseits des Urals geschafft. Mitte Februar 1915 erreichten die Panslawisten ein Hauptziel durch die Annahme eines Gesetzentwurfes, der der Regierung das Recht verleiht, sämtlichen, in den westlichen und nördlichen Gouvernements angesiedelten Deutschen Grund und Boden zu enteignen.

*) Das Holz war wegen mangelnder Transportmittel unverwertet geblieben.


Die Hauptzüge dieses Gesetzes bestanden aus nachstehenden Sätzen: „Österreichische, ungarische, deutsche und türkische Staatsangehörige, oder solche, die nach dem 1. Juni 1870 die russische Staatsangehörigkeit angenommen haben, sowie ihre Nachkommen (auch wenn diese bereits zur Zeit ihrer Geburt russische Untertanen gewesen sind) verlieren das Recht des Eigentums oder des Besitzes auf sämtliche Immobilien im Lande. Falls ein fremder Staatsangehöriger in Russland befindliche Immobilien erbt, muss er sie innerhalb Jahresfrist an erwerbsfähige Personen verkaufen oder abtreten, sonst werden sie unter Vormundschaft gestellt und versteigert, und zwar zugunsten der Erben.

Unter dieses Gesetz fallen ferner sämtliche Gesellschaften, die auf Grund deutscher, österreichischer, ungarischer und türkischer Gesetze entstanden,*) auch wenn sie auf Russland ihre Tätigkeit ausdehnen durften, sowie jene Gesellschaften und Genossenschaften, die zwar auf Grund russischer Gesetze funktionieren, aber denen fremde Staatsangehörige als Mitglieder bzw. Genossen angehören.

*) Während der Drucklegung ist auch Bulgarien in dieses Gesetz einbezogen.

Letzteren ist ebenfalls verboten, als Präsidenten und Verwaltungsratsmitglieder verschiedener Aktiengesellschaften, denen das Recht zusteht, Immobilien zu erwerben, zu amtieren. Es ist ihnen überhaupt untersagt, sei es als Direktoren, Beauftragte, Techniker oder Angestellte im Dienste dieser Gesellschaften oder Genossenschaften zu stehen, sowie als Anwälte, Vorstände oder Verwalter über Immobilien zu verfügen. Jedes Rechtsgeschäft, das unter Umgehung dieses Gesetzes abgeschlossen ist, wird als ungültig erklärt, die Schuldigen werden bestraft, und zwar werden fremde Staatsangehörige aus dem Lande und russische Staatsangehörige aus dem betreffenden Gouvernement und aus den Residenzstädten ausgewiesen.

Dieses die Deutschen in Russland überaus hart treffende Gesetz, das die meisten von ihnen an den Bettelstab gebracht hat, ist auch von einschneidender Bedeutung für die Ukraine. In ihrem westlichen Teile, namentlich in Wolhynien und Bessarabien, rechnet man mit mehr als 400.000 deutschen Bauern. Obgleich dieselben russische Untertanen sind, haben sich diese Kolonisten trotz aller Versuche der Regierung, sie zu russifizieren, ganz deutsch erhalten. Schon vor einigen Jahren hatte die russische Regierung durch allerlei administrative Maßregeln und Schikanen die Vergrößerung des Grundbesitzes der Kolonisten zu verhindern gesucht, da vom Standpunkt der russischen Regierung die Germanisierung der südrussischen Landwirtschaft in der Tat eine bedenkliche Erscheinung war. Die russische Landwirtschaft hat durch den jetzigen Krieg aber sowieso schon furchtbar gelitten und die Bodenpreise sind schon vor mehreren Monaten auf die Hälfte der normalen Preise gesunken, so dass man sich leicht vorstellen kann, wie sehr auch die deutschen Bauern unter dem obenerwähnten Gesetz zu leiden haben. Es kommt noch hinzu, dass die Regierung auf jede Weise versucht, den Landverkauf unmöglich zu machen, dass keine Bank ein Darlehn gibt, um ein deutsches Bauerngut anzukaufen, so dass alle deutschen Bauernhöfe im Dezember 1915 mit einem Schlage unter den Hammer gebracht werden müssen und wahrscheinlich zu einem Spottpreis losgeschlagen werden, so dass nicht einmal die Hypothekengläubiger durch den Verkaufspreis befriedigt werden können. Der deutsche Bauer ist dann ein Bettler! Weil gar nicht darauf zu rechnen war, dass bei der Versteigerung für die Eigentümer etwas nachbleiben würde, so reagierte ein großer Teil der deutschen Bauern auf das Gesetz sofort dadurch, dass sie ihr Inventar loszuschlagen suchten und ihre Felder nicht mehr bestellten.

Die russische Regierung nimmt also den deutschen Bauern ihr Landeigentum weg. Es ist eine Massenkonfiskation, sagt Rohrbach, wie sie seit den Tagen der französischen Revolution in Europa nicht mehr dagewesen ist. Bei alledem hat sich die „Nowoje Wremja“ noch darüber beklagt, dass der regierende Senat durch allzugroßer Milde gegenüber den naturalisierten deutschen Kolonisten das ganze Werk der „Reinigung Russlands“ von den Deutschen hinfällig mache, da nach den ersten Aufhebungen von Ausweisungen durch den Senat Tausende von gleichen Gesuchen einliefen und Berücksichtigung gefunden hätten.

Einen Begriff von dem riesigen Umfang des zwangsenteigneten deutschen Grundbesitzes erhält man, auf die Ukraine bezüglich, aus den nachstehenden Ziffern, die der in Kijew erscheinende „Kijewljanin“ nach den in den Händen des russischen Ministeriums des Innern befindlichen Daten veröffentlichte:

Taurien 633.420 Deßjatinen*)
Cherson 528.594
Bessarabien 201.351
Wolhynien 175.039
Don-Gebiet 165.562
Jekaterinoslaw 48.914

*) 1 Deßjatine = 1,09 Hektar.

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Über die Lage der deutschen Kolonistenbauern in Russland ist während des Krieges viel in der deutschen Presse bekannt geworden. Es ist verständlich, dass dieser Krieg auf das Schwerste Handel und Wandel trifft. Wie soll es aber nach dem Kriege mit Russland werden, dessen ukrainische Grenzen deutsche Truppen überschritten haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass Russland einen Rassekrieg führt, in der Ukraine gegen die Ukrainer und die Deutschen. Wie abgrundtief der Hass gegen alles Deutsche ist, entnehmen wir den Schilderungen eines deutschen Pfarrers, die in weiteren Kreisen noch unbekannt sein dürften:

„Allein in Wolhynien lebten 200.000 deutsche Bauern. Aus Nachrichten, die wir von dort erhalten haben, geht hervor, dass alle verschickt sind. Häufig las man in russischen Zeitungen, dass die Kolonisten darum gebeten hätten, ihnen etwas mehr Zeit zur Abwicklung ihrer Geschäfte zu lassen. — Es wurde ihnen stets abgeschlagen; oft mussten sie schon nach 3 Tagen ihre Heimat verlassen. Da blieb ihnen nichts übrig, als Hausrat und Vieh zu einem Spottpreise zu verkaufen, einige Lebensmittel auf den Wagen zu laden, die Alten, Kranken und kleinen Kinder darauf zu setzen und mit den letzten Pferden nach Osten zu fahren. Wohin? — Das wussten sie natürlich nicht. Überall wo sie hinkamen, fanden sie nur Feinde, denn jeder wusste, dass der Deutsche jetzt straflos beraubt werden kann. Fanden sie irgendwo Arbeit und Unterkunft, so hieß es oft nach kurzer Zeit, dass sich unerwünscht viel Deutsche in dem Ort niedergelassen hätten, und sie mussten weiter nach Osten wandern. War das letzte Brot verzehrt und das letzte Pferd gestohlen, so mussten sie sich als Bettler weiter durchschlagen. In Odessa kamen Tausende dieser Armen an und wurden dort anfangs verpflegt und mit warmer Kleidung ausgerüstet, weil man glaubte, es seien Polen, die vor den deutschen „Barbaren“ geflohen wären. Als es sich aber, dann herausstellte, dass es deutsche „Verräter“ waren, erhielt die Polizei den Befehl, ihnen alles wieder abzunehmen.

Es sind natürlich Tausende, namentlich Kinder, bei dieser Wanderung durch Hunger, Kälte und Krankheiten umgekommen, während ihre Väter auf dem Schlachtfelde für den Zaren bluteten.

Noch schlimmer ging es denen, die direkt auf ihren Höfen gefangen genommen wurden, oder die die gestellte Frist zum Abwandern nicht eingehalten hatten. Sie wurden in Viehwaggons gesperrt und waren dann oft wochenlang unterwegs, ehe sie im Osten Russlands irgendwo ausgeladen wurden. Auf der ganzen Reise mussten sie sich selbst ernähren. Die Waggons waren natürlich nicht geheizt. Bis zum Beginn des Frühlings waren etwa 25.000 solcher Verschickten in der Wolgagegend angekommen und dort freigelassen worden. Sie wurden gastfreundlich von den dortigen deutschen Bauern aufgenommen. Leider sind die dortigen Bauern auch sehr arm und in diesem Winter durch häufige Requisitionen ruiniert, so dass sie den Flüchtlingen nicht viel bieten konnten. Außerdem wüten gerade an der Wolga die schlimmsten Epidemien, Flecktyphus, Pocken und auch Pest.

Ein deutscher Bauernsohn, der in der russischen Armee hatte mitkämpfen müssen und für seine Tapferkeit das Georgskreuz bekommen hatte, kehrte zum Krüppel geschossen, in sein Heimatdorf zurück. Als er ankam, war das Dorf eben von Kosaken angezündet worden; die Bewohner wurden alle gefangen fortgeführt, und auch er mit ihnen. Er starb infolge der Strapazen der Reise in Saratow an der Wolga. Seine Leiche konnte dort lange Zeit nicht beerdigt werden, weil sich die zuständigen Behörden nicht darüber einigen konnten, ob er als deutscher Verräter verscharrt oder mit den militärischen Ehren eines Georgsritters beerdigt werden sollte.“

Können wir diesen Deutschen auch heute noch nicht helfen, so wollen wir doch ihrer gedenken, jetzt und dann — wenn es der Ukraine gelingt, sich von dem russischen Joch zu befreien, dann erst wird die Möglichkeit zur Hilfe gegeben sein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Ukraine