Landwirtschaftliche Industrien

Neben der reinen landwirtschaftlichen Produktion und dem marktmäßigen Vertrieb von Rohstoffen spielte bisher in der Ukraine infolge Fehlens eines weitausgreifenden Unternehmungsgeistes und infolge der besonderen politischen Verhältnisse der Vorkriegszeit die industrielle Verwertung der Agrarerzeugnisse trotz überaus günstiger Vorbedingungen nur eine untergeordnete Rolle. Bei dem Zusammentreffen einer ganzen Reihe von glücklichen Umständen, die schon in der vorrevolutionären Ukraine wirksam waren und mehr noch in der kommenden Geltung erlangen werden, ist jedoch nicht zu zweifeln, dass gerade auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Industrie ein gewaltiger Aufschwung zu erwarten ist und dass besonders bei Mitwirkung ausländischer Kräfte in nicht allzu ferner Zeit eine Art Amerikanisierung der Ukraine herbeigeführt werden könnte, wodurch auch die Lebensmittelversorgung Ost- und Mitteleuropas grundlegend beeinflusst werden würde. Man denke nur an die Perspektiven einer großzügigen Gefrierfleisch- und Konservenerzeugung, einer planmäßigen Butter-, Eier-, Käseproduktion usw., die bei der leistungsfähigen ukrainischen Vieh- und Geflügelzucht ohne besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand, in den meisten Fällen durch Erfassung der gegebenen Mittel und Organisierung der bisherigen Erzeugung in Angriff genommen werden könnte. Ein Beispiel dafür, was sich aus dem Vorhandenen durch eine verständige und initiatorische Unternehmertätigkeit erreichen ließe, bietet die ukrainische Zuckerindustrie, die sich aus bescheidenen Anfängen in einem steilen Aufstieg zu einem der wichtigsten Faktoren im Wirtschaftsleben der Ukraine herausbildete.

Aufgabe deutschen Kapitals und Geschäftsgeistes wäre es, diese Möglichkeiten auszunützen und ihre Realisierung sowohl finanziell und technisch, wie ideell-initiatorisch in die Hand zu nehmen. Die Vorteile für den deutschen Unternehmer wären:


dass dem Charakter solcher Unternehmungen entsprechend in den meisten Fällen nicht allzugroße Kapitalanlagen auf einmal notwendig würden;

dass ein rasches Rotieren des Betriebskapitals gesichert wäre;

dass zumeist mit einem einfachen technischen Verfahren das Auslangen gefunden werden könnte;

dass eine Betriebserweiterung nach und nach, entsprechend der Steigerung des Absatzes, der wirtschaftlichen Potenz des Unternehmers und der fortschreitenden Gesundung des ukrainischen Wirtschaftslebens ermöglicht wäre;

dass eine Reihe deutscher Industrien der Maschinen-, Werkzeuge-, chemischen und anderen Branchen durch Belieferung solcher Fabriken Arbeit und Absatz fände;

dass Deutschland sich in seiner Lebensmittelversorgung immer mehr von überseeischen Importen freimachen könnte;

dass Deutschland, wenn es sich erst auf dem Gebiet der ukrainischen Landwirtschaft festgesetzt hat, den Kontakt mit dem Gros der ukrainischen Bevölkerung hergestellt und die Industrialisierung auf diesem, den Ukrainern vertrauten Boden in Angriff genommen hat, von da aus immer intensiver die gesamte wirtschaftliche Produktion der Ukraine beeinflussen könnte.

In Betracht kommen zunächst drei Kategorien landwirtschaftlich-industrieller Betätigung:

a) eine solche, die nicht marktgängige Rohprodukte in Marktprodukte umwandelt; hierher gehört nach den in der Ukraine gegebenen Bedingungen die Anlage von Kartoffelbranntwein-Brennereien, Kartoffeltrocknereien, Stärkefabriken, Trockenfutter-, Zichorienkaffeefabriken usw., endlich von Molkereien;

b) eine solche, die die Verarbeitung marktgängiger Produkte zu höherwertigen Erzeugnissen zum Ziele hat: Brennereien, Brauereien, Spiritusraffinerien, Malz-, Presshefe-, Stärkezucker-, Stärkezuckersyrup, Zuckercouleurfabriken usw.

In der Ukraine waren nur wenige und dazu unvollkommene Anlagen dieser Art vorhanden. Besondere Aussichten hätte eine Tätigkeit, die neben der Versorgung des Inlandsmarktes namentlich auch den Export nach dem Westen ins Auge fasst.

Hierher gehören ferner Konservenfabriken zur Verarbeitung tierischer und Gartenprodukte, Obst- und Gemüsedarren, Milchkonserven- und Kunstbutterfabriken;

c) eine solche, die auf die Verwertung mineralischer oder sonstiger nur mittelbar mit der Landwirtschaft zusammenhängender Produkte gerichtet ist: Kalköfen, Steinbrüche, Kunststeinfabriken, Torffabriken, Knochenmühlen, Kunstfutter- und Kunstdüngerfabriken usw., ferner Korb- und Strohflechtereien usw., endlich Öl- und Mahlmühlen.

Für sämtliche hier angeführten Industrien sind die Bedingungen in der Ukraine sehr günstig. In einzelnen Fällen könnten bereits bestehende Anlagen angekauft und nach entsprechender Instandsetzung und Modernisierung in Verwendung genommen werden. Für die Verwertung tierischer Produkte müssten zumeist Neuanlagen (Schlachthäuser, Gefrieranlagen, Konservenfabriken) hergestellt werden, die erst den Rahmen für den Aufschwung dieses Industriezweiges abgeben sollen.

Als Standort für die Gründung solcher Industrien käme vor allem das Industriegebiet von Katerinoslaw und Cherson, ferner Charkow und Poltawa in Betracht. Da der Absatz der Erzeugnisse zum großen Teil nach dem Ausland gerichtet wäre, so ist die Nähe eines Hafens oder eines leistungsfähigen Wasserweges wertvoll.

Dieses Gebiet wirtschaftlicher Betätigung ist deutschen Interessenten, die in der Ukraine mit verhältnismäßig geringen Mitteln rasche und durchgreifende Erfolge erzielen wollen, besonders anzuempfehlen.