Sowjetukraine und Ukrainische Volksrepublik

Wenn man die Anschauung, dass die Loslösung der Ukraine von Russland trotz aller Hemmnisse und Widerstände sich unaufhaltsam bis zum völligen Abschluss entwickeln muss, folgerichtig weiter führt, so ist damit auch schon der Weg in die Zukunft der deutsch-ukrainischen Wirtschaftsbeziehungen gekennzeichnet: er kann nicht über Moskau gehen, weder über das gegenwärtige sowjetische noch das kommende bürgerliche, linker oder rechter Prägung. Das politische und wirtschaftliche Übergewicht des Moskauer Zentrums ist für alle Randgebiete, soweit sie nicht nur ihre Selbständigkeit erklärt haben, sondern auch die natürlichen Voraussetzungen ihrer Behauptung besitzen, endgültig vorbei. Wohl wird der Kampf zwischen der Ukraine und Russland noch eine Zeitlang weitergehen, aber es ist nicht zweifelhaft, zu wessen Gunsten er schließlich entschieden werden wird. Diese Tatsache muss mit allem Nachdruck betont werden, denn sie ist für die Wertung der gegenwärtigen und zukünftigen politischen Geschehnisse in der Ukraine von maßgebender Bedeutung.

Sie gestattet auch die Beantwortung der zweiten Frage, die in der Gegenüberstellung: Sowjetukraine oder Ukrainische Volksrepublik enthalten ist.


Es wurde bereits erwähnt, dass die Anerkennung, der selbstständigen Sowjetukraine durch Moskau — nach der Besetzung des Landes durch russische Sowjetarmeen — eine durch die Verhältnisse erzwungene Konzession des letzteren an das national-staatliche Verlangen des ukrainischen Volkes darstellt. Ihre vornehmste Aufgabe war, als Mittel zu dienen zur Bekämpfung der nationalen ukrainischen Volksrepublik und den auf die Loslösung gerichteten Willen des ukrainischen Volkes durch scheinbares Eingehen unschädlich zu machen. Es bedeutete also die ukrainische Sowjetrepublik als solche von vornherein eine Negation, sie war kein Endzweck, keine Schöpfung aus innerster Notwendigkeit und Folgerichtigkeit, kein Ereignis, das wenigstens jene historische und moralische Berechtigung hatte, wie sie die Moskauer Sowjetrepublik für sich in Anspruch nehmen kann. Sie ist ein Produkt der Sowjetpolitik, die Imperialismus mit Selbstbestimmungsrecht zu vereinigen bemüht ist, und sie steht und fällt ideell mit dem Bolschewismus überhaupt, real mit dem Erstarken des nationalukrainischen Widerstandes. Sie ist ein verzerrtes Erzeugnis der widerspruchsvollen Gegenwart, — im Gegensatz zu der aus einer organischen Entwicklung naturgemäß entstandenen nationalen Ukrainischen Volksrepublik, der vielleicht nicht der Augenblick, aber unzweifelhaft die Zukunft gehört.

Es spielt innerhalb dieser großen Zusammenhänge, die immer ausgeprägtere Formen anzunehmen beginnen, keine große Rolle, dass die Ukrainische Volksrepublik im Augenblick nur im geringen Grade den deutschen wirtschaftlichen Bedürfnissen wird entsprechen können. Auch die glücklichere Lage der Sowjetregierung, die schon jetzt Abmachungen über eine wirtschaftliche Betätigung in der Ukraine zu treffen gestattet, verliert unter diesem Gesichtswinkel an Bedeutung. Denn diese Abmachungen, die sich nur auf eng begrenzte Gebiete beziehen können und zeitlich an die Dauer des Sowjetregimes gebunden sind, sind für Deutschlands Volkswirtschaft von keinem wesentlichen Belang. Sehr wichtig für letztere ist es aber, dass zwischen ihr und der Ukraine ein dauerndes Verhältnis hergestellt wird, das seine innere Begründung aus den beiderseitigen Interessen schöpft.

Diese Erwägungen sollen für den deutschen Kaufmann und Industriellen, die in der Ukraine arbeiten wollen, maßgebend sein. Eine neue erwerbstätige Schichte ist in der Ukraine in Bildung begriffen, die im ukrainischen Bauern- und Mittelstand wurzelt und neue kommerzielle und wirtschaftliche Gewohnheiten aufbringen wird. Mit dieser, deren politischer Repräsentant die Ukrainische Volksrepublik ist, wird es die deutsche Geschäftswelt in Zukunft zu tun haben. Die ukrainischen politischen Gruppen, die dieser Schichte nahestehen, die ukrainischen wirtschaftlichen Institutionen, die aus ihrer Mitte entstanden sind, die vielfachen, heute noch gebundenen Kräfte, die aus ihrem Schosse geboren werden, verdienen die volle Beachtung der deutschen Geschäftswelt. Nicht die Sowjetregierung in Charkow und noch weniger die in Moskau kann letzterer hinsichtlich des ukrainischen Territoriums das bieten, was sie für die Auswirkung ihrer Kräfte im Osten braucht. Nicht sie besitzt die landwirtschaftlichen Produkte, die die Grundlage des deutsch-ukrainischen Warenverkehrs bilden werden, weil sie das ukrainische Dorf, den Besitzer dieser Güter, nicht beherrscht; nicht sie kann die ungestörte industrielle Betätigung, die ruhige Arbeit in Fabriken, Bergwerken, Werkstätten usw. garantieren, wenn diese nicht direkt im militärischen Machtbereich der Sowjetbehörde gelegen sind. Der ukrainische Bauer ist zum Bewusstsein seines Eigentumsrechtes an den Naturschätzen seines Landes gekommen und ist entschlossen, dieses Recht zu verteidigen. Der große Anwalt dieser seiner Ansprüche ist aber die Ukrainische Volksrepublik.

Die deutschen Kaufleute und Industriellen müssen daher, wenn sie den ukrainischen Markt an sich ziehen wollen, ihre Bemühungen richtig orientieren und nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, weil die Regierung der Ukrainischen Volksrepublik ihnen augenblicklich keine konkreten Anträge machen kann. Sie müssen dessen eingedenk sein, dass die ukrainische Sowjetregierung nur eine Etappe zur nationalen Regierung darstellt, und dass als dauernder Kontrahent, als leistungsfähiger Partner nur diese Geltung haben kann. Sie müssen sich daran gewöhnen, dass die alten Zeiten in Russland und die alten Machtverhältnisse daselbst unwiderruflich vorbei sind, und dass nun andere Faktoren entscheidend werden, auf die es sich beizeiten einstellen heißt.