Folgerungen

Diesen Tatsachen im gegenwärtigen Verhältnis zwischen der Sowjetukraine und der Ukrainischen Volksrepublik, im zukünftigen Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland, muss der deutsche Unternehmer, der in der Ukraine Fuß fassen will, beizeiten Rechnung tragen.

Es ist Sache persönlicher Anschauung, ob man gegenwärtig dem russischen Einheitsstaat das Wort redet oder seine Karten auf die Emanzipation der Randstaaten setzt. Da die deutsche .wirtschaftliche Bindung in der Ukraine aber über die Ereignisse der Gegenwart hinaus dauern soll, so muss deutscherseits bei der Einleitung der wirtschaftlichen Betätigung auf ukrainischem Boden eine Taktik eingeschlagen werden, die allen Entwicklungsmöglichkeiten gewachsen ist und sich nicht vorzeitig nach der aussichtslosen Seite festlegt.


Eine solche erfolgversprechende Bindung, die Dauer hält, ist nur unter folgenden Bedingungen erreichbar:

1. Es muss zunächst an der einmal von Deutschland formell anerkannten Selbständigkeit der Ukrainischen Volksrepublik, selbst wenn diese gegenwärtig infolge des Kriegszustandes mit Sowjetrussland sich in einer Krise befindet, unter allen Umständen festgehalten werden. Denn dies gestattet, Abmachungen bezüglich der Ukraine mit einem dazu berechtigten Kontrahenten zu treffen, es schafft die Verbindung mit den ständig an Macht gewinnenden nationalen Gruppen und es kommt endlich den Bestrebungen jener nicht-ukrainischen Kreise entgegen, die an dem Ausbau der ukrainischen Unabhängigkeit Interesse haben. In der Praxis wird diese Forderung darauf hinauslaufen, dass — sobald die Gewähr tatsächlicher Betätigungsmöglichkeit im Osten gegeben ist — , Verhandlungen über wirtschaftliche Verträge, Handelsabschlüsse, Konzessionen und Lizenzen, die sich auf das ukrainische Territorium beziehen, nicht mit der Moskauer Sowjetregierung, sondern mit den bevollmächtigten Vertretern der Ukrainischen Volksrepublik zu führen sind.

2. Es muss daneben unverzüglich die Fühlung mit den national-ukrainischen Kreisen und Wirtschaftsorganisationen aufgenommen und aufrecht erhalten werden, — zumindest dort, wo diese die Möglichkeit der Betätigung im Lande selbst haben und wo die in Aussicht genommenen Aktionen in die Sphäre der Landwirtschaft fallen.

3. Es müssen Vereinbarungen mit der russischen Sowjetregierung über größere finanzielle und industrielle Transaktionen in der Ukraine, die sich auf Jahre erstrecken sollen und die tief in das Wirtschaftsleben der künftigen Ukraine eingreifen, vermieden werden (zumal die Garantie ihrer Durchführbarkeit auf ukrainischem Boden in keiner Weise von der Sowjetregierung geleistet werden kann). Dies bezieht sich nicht auf kurzfristige Handelsoperationen. Doch auch bei diesen ist, sobald eine Gegenleistung im Bereiche des ukrainischen Territoriums vorgesehen ist, eine Zusammenarbeit mit nationalukrainischen Institutionen im Lande anzustreben.

In diesem Zusammenhang möge insbesondere auf die ukrainische Genossenschaftsorganisation hingewiesen werden, die im wirtschaftlichen Leben der Ukraine bereits heute eine bedeutende Rolle spielt und die ungeachtet der gegenwärtigen Ereignisse ihren Arbeitsapparat und im gewissen Masse auch ihre Kapitalien ziemlich unversehrt aufzubewahren verstand.

Ein Bild des ukrainischen Genossenschaftswesens gibt Anlage Nr. 16.

Eine Ausschaltung der ukrainischen Genossenschaften, besonders bei einer Konsolidierung des Warenverkehrs mit der Ukraine, wird um so weniger möglich sein, je mehr die Ukraine zum System des freien Handels zurückkehren wird, und je mehr der deutsche Erzeuger sich auf die Massen der (gegenwärtig stark im nationalen Sinn organisierten) ukrainischen Bauernschaft als Konsumenten seiner Waren einstellt. Gewisse Artikel werden mit Erfolg auf den ukrainischen Märkten nur dann abgesetzt werden können, wenn die Mitwirkung der ukrainischen Genossenschaften gewonnen ist. Der Handel wird sich dann in der Praxis durch Vermittlung der bis ins kleinste Dorf verzweigten Genossenschaften abwickeln, die das Vertrauen der Bevölkerung haben und wieder von ihnen die zum Export bestimmten landwirtschaftlichen Produkte und Rohstoffe bekommen können.

In richtiger Würdigung dieser Sachlage sind daher auch englische, amerikanische und japanische industrielle Kreise bemüht, mit den russischen und ukrainischen Genossenschaften in enge Arbeitsgemeinschaft zu treten. Die Verbindung der ukrainischen Genossenschaften mit Deutschland wird sich für den Anfang am besten durch eine parallele deutsche Organisation herstellen lassen.

Gewiss haben die nationalen ukrainischen Genossenschaften in der sowjetistischen Ukraine noch einen schweren Stand und namentlich ihre im Ausland wirkenden Vertreter sind augenblicklich zur Untätigkeit verurteilt. Aber gerade hier ließe sich deutscherseits eine dankbare Aufgabe lösen dadurch, dass bei Verhandlungen mit der russischen Sowjetregierung die Freiheit des Handels mit den in der Ukraine wirksamen Genossenschaften ausbedungen wird. Damit wäre bei aller Rücksichtnahme auf die Sowjetinteressen der Kontakt mit den ukrainischen wirtschaftlichen Organisationen und der durch sie repräsentierten ukrainischen Bevölkerung hergestellt.

Aber auch sonst müsste das nationale Moment psychologisch geschickter erfasst werden. Es muss neben den erprobten Methoden des deutschen Unternehmers im Osten noch die Mitarbeit zeitpolitisch orientierter, landes- und ortskundiger Vertreter gewonnen werden, die als Verbindungsglieder fungieren würden, nach beiden Seiten die nötigen Anregungen und Aufklärungen zu geben imstande wären und überhaupt die unmittelbare Fühlungnahme mit der Bevölkerung im Lande zu besorgen hätten. Die Werbearbeit von Person zu Person, der Kontakt mit der geschäftlich tätigen Bevölkerung bzw. ihren Organisationen ist bei der eingetretenen Entfremdung der deutschen Industrie zu ihren ehemaligen südrussischen Kunden unbedingt notwendig.