Reformversuche.

In seiner Proklamation vom 15. April 1850 hatte der Großherzog versprochen, „Wie auch der Rechtsspruch ausfallen möge, an dem durch Meine Proklamation vom 23. März 1848 von Mir betretenen Wege festzuhalten“. Wie es mit diesem Versprechen beschaffen war, kann nicht besser beleuchtet werden, als durch die Maßregelung des Bürgermeisters Möller und des Senators Voß in Schwerin am 3. Dezember 1863. Der Magistrat von Schwerin hatte nämlich dem städtischen Landtagsdeputierten den Auftrag erteilt, den vom Gutsbesitzer Manecke beabsichtigten Antrag auf Anerkennung der Rechtsbeständigkeit des Staatsgrundgesetzes von 1849 zu unterstützen. Der Großherzog verlas den beiden Männern, welche sich zu dem Verbrechen bekannten, in Gegenwart zweier Adjutanten die folgende Rede (vgl. Jul. Wiggers, Aus meinem Leben S. 224): „Es ist zu meiner Kenntnis gekommen, daß der Magistrat meiner Residenz-Stadt Schwerin seinen Deputierten zum diesjährigen Landtag instruiert hat, bei Gelegenheit für eine Wiederherstellung des Staatsgrundgesetzes von 1849 zu stimmen. Diese Tatsache, wenn sie auch keinen Erfolg gehabt, veranlaßt mich, dem Magistrat meine entschiedene Mißbilligung dieses Schrittes zu erkennen zu geben. Der verständige Mecklenburger Sinn wünscht jene Periode politischer Verwirrung, aus welcher das gedachte Staatsgrundgesetz hervorgegangen, nicht zurück. Das Land hat die Erlebnisse, gewerblichen Stockungen und Verluste jener Tage noch in frischer Erinnerung. Ich könnte aus diesem Grunde die Agitation für dieses Staatsgrundgesetz, wie ich bisher getan, auch ferner ihrem Schicksal überlassen. Allein der Ruf nach diesem Gesetze, welches auf vollkommen rechtmäßigem Wege und für immer beseitigt ist, hat jetzt eine andere Bedeutung. Er ist nur ein Glied in der Kette, mit welcher die aus jener Zeit noch völlig erkennbare Partei des Umsturzes das engere wie das weitere Vaterland zu umschlingen und ihren aller bestehenden rechtlichen Ordnung feindlichen Plänen dienstbar zu machen bemüht ist, und welche gerade dadurch allen gesunden Fortschritt hindert und unmöglich macht. Dies hätte der Magistrat meiner Residenzstadt Schwerin einsehen müssen und danach sein Verhalten einrichten sollen. Bei den nahen Beziehungen der Stadt zu meiner Person und dem Werte, den ich darauf lege, daß das bisherige Verhältnis des Vertrauens nicht auf solche Weise zerrissen werde, habe ich es für meine Pflicht gehalten, meine feste Willensmeinung hiermit dem Magistrat offen auszusprechen. Ich hoffe, daß er diese wohlgemeinten Worte richtig verstehen, und daß er sie berücksichtigen wird.“
Man traut seinen Augen und Ohren nicht! Das Streben nach der Verfassung, welche der Großherzog selbst in der Zeit vom März 1848 bis zum April 1850 als gut und richtig erkannt und auf die er ein Gelöbnis geleistet hatte, war jetzt ein Verbrechen! Was bleibt angesichts dieser Tatsache von der Persönlichkeit Friedrich Franz II. in der Geschichte übrig? Das traurige Bild eines Mannes, der ein Spielball in den Händen der Ritterschaft war!
Die Ritterschaft hatte ihre ständische Verfassung wieder und ihr Uebermut kannte keine Grenzen. Alle fortschrittlichen Gesetze (Abschaffung der Prügelstrafe, Vereins-, Versammlungs-, Presserecht usw.) wurden sofort wieder aufgehoben, und unvergessen möge bleiben, wie sie allen Versuchen der Großherzöge, der Städte und einzelnen Personen, die Verfassung den veränderten Verhältnissen anzupassen, beharrlichsten Widerstand entgegensetzte.
Dem erst am 15. Februar 1851 wieder versammelten Landtage schlug der Großherzog ganz bescheiden vor, eine Deputation zu wählen, welche zusammen mit landesherrlichen Kommissarien beraten sollte und noch „andere einsichtsvolle Männer hinzuzuziehen“. Die Stände willigten zwar ein, lehnten aber die Zuziehung von „nicht ständischen Elementen“ ab. Die Ritterschaft gab außerdem die Erklärung ab, daß sie nur über solche Verfassungsreformen verhandeln wolle; die sich auf der ständischen Basis hielten. Die Verhandlungen fanden vom 1. bis 9. Oktober in Schwerin statt. Vorgeschlagen wurde von der Regierung insbesondere: Vertretung der Ritterschaft und Landschaft durch gewählte Vertreter und die evtl. Hinzufügung eines dritten Standes aus dem erblichen kleinen Grundbesitz des Domaniums, des ritterschaftlichen und städtischen Gebietes, wobei von den Kommissarien darauf hingewiesen wurde, daß auf diesem Wege eine ständische Vertretung des ganzen Landes angebahnt werden könne.
Sämtliche Vorschläge und Anregungen wurden von den Deputierten abgelehnt, es sei lediglich dahin zu streben, daß die Landstandschaft nicht ohne Weiteres mit dem Kauf eines Gutes erworben würde und daß die zur Gesetzgebung nötigen Eigenschaften der Glieder der Ritterschaft besonders gepflegt würden durch Stärkung der obrigkeitlichen Stellung, durch ein gesundes korporatives Leben usw. „Einen dritten Stand gäbe es noch nicht, und denselben durch die Gesetzgebung zu schaffen, sei weder ratsam noch möglich.“ (Julius Wiggers Verfassungsr. S. 73/74.)
In den nächsten Jahren brachten die Rittergutsbesitzer Manecke auf Vogelfang und Pogge auf Jäbitz die Verfassungsreform durch entsprechende Anträge in Erinnerung. Der erste Antrag, der im Jahre 1852 gestellt wurde und lediglich darauf abzielte, die Regierung zu einer neuen Vorlage betr. Verfassungsreform zu veranlassen, hatte ein bezeichnendes Schicksal. Es kam nur zur Abstimmung über die Vorfrage, ob man den Antrag überhaupt zur Verhandlung lassen wollte. An dieser Abstimmung beteiligten sich Von 60 Anwesenden nur 30, und von diesen 30 erklärte M) nur eine Stimme, nämlich die des Antragstellers selbst, für die Zulassung zur Verhandlung (J. W. S. 76). Mit solcher Geringschätzung wurde eine Frage behandelt, deren Lösung die gesamte Bevölkerung stürmisch verlangt hatte!
Aehnliche Anträge in den Jahren 1853, 1856 und 1858 erlitten genau daßelbe Schicksal. Sie wurden gar nicht zur Verhandlung zugelassen. Der im Jahre 1858 vom Gutsbesitzer Pogge gestellte Antrag veranlaßte sogar das Ministerium von Oertzen zu einer Erklärung, nach der eine „Wahrhaft patriotische und einmütige Gesinnung der Stände heilsamere Resultate für das Vaterland herbeiführen werde, als alles Experimentieren mit neuen willkürlichen Verfassungsformen“ (von Oertzen S. 235). Die Regierung hatte also jetzt ihren Standpunkt von 1848—50 grundsätzlich geändert!
Ein im Jahre 1859 von Herrn Manecke erneut eingebrachter Antrag trug ihm sogar, da er denselben gleichzeitig in der Zeitung bekannt gegeben hatte, einen Strafantrag wegen „qualifizierter Injurien gegen die Mitglieder des Engeren Ausschusses“ und wegen Preßvergehes ein!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sünden der mecklenburgischen Ritterschaft.