Der Rechtsbruch von Freienwalde.

Trotz alledem erfolgte am 4. April die vorläufige Vertagung und am 1. Juli 1850 die Auflösung der Kammer. Die Ritterschaft hatte ihr Ziel erreicht. Durch ihre mit größter Zähigkeit fortgesetzten Angriffe hatten sie den Großherzog mürbe gemacht. Obwohl ihn als souveränen Fürsten niemand hätte zwingen können, unterwarf er sich dem Schiedsgerichtlichen Verfahren in einer Erklärung vom 15. April 1850 und ernannte ein neues Ministerium an Stelle des früheren, das seine Entlassung genommen hatte.
Wie nicht anders zu erwarten war, verkündete das Schiedsgericht von Freienwalde am 12. September 1850 sein Urteil dahin, daß das Staatsgrundgesetz vom 10. Oktober 1849 für nichtig erklärt wurde.
Es soll hier zu der Frage, ob dieser Schiedsspruch mit dem Rechte vereinbar war, nur folgendes bemerkt werden:
l. Die provisorische Bundes-Zentral-Kommission in Frankfurt a. M., welche sich am 20. Dezember 1849 erst gebildet hatte, war schon deswegen nicht zuständig, weil Mecklenburg dem Bunde nicht beigetreten war, vielmehr dem am 26. Mai geschlossenen so genannten Dreikönigs- Bündnis (Preußen, Sachsen, Hannover) angehörte, das für derartige Streitigkeiten ein besonderes Schiedsgericht in Erfurt begründet hatte.
2. Die klagende Ritterschaft existierte als solche überhaupt nicht mehr, sondern war durch Gesetz vom 10. Oktober 1849 gemäß ihrer eigenen Zustimmung vom 16. Mai 1848 aufgelöst worden, nachdem sie auf alle ihre Rechte verzichtet hatte.
3. Nicht die Ritterschaft allein, sondern nur beide Stäube gemeinsam wären nach der V.-O. Vom 28. November 1817 zur Beschwerde berechtigt gewesen.
Die Gesetzwidrigkeit des Schiedsgerichtsverfahrens und die Unrichtigkeit des Spruches selbst sind im Übrigen von Professor Dr. Jul. Wiggers in seiner Schrift „Das Verfassungsrecht im Großh. Meckl.-Schwerin 1860“ überzeugend nachgewiesen worden. In meiner Darstellung kommt es lediglich darauf an, die Handlungsweise der Ritterschaft zu beleuchten. Diese konnte nicht gut unwahrhaftiger und gesinnungsloser sein!

Feierlich und wiederholt hatten sie „zum Wohle des Vaterlandes“ auf alle ständischen Vorrechte verzichtet „zu der Folge, daß künftig nur gewählte Repräsentanten die Ständeversammlung bildeten“, und jetzt waren es gerade sie allein, welche durch ihr Vorgehen das Staatsgrundgesetz, zu dem sich die ganze übrige Bevölkerung mit Freuden bekannte, wieder zu Fall brachten. Sie benutzten als Vorwand die Behauptung, daß die Rechte der Seestädte Rostock und Wismar nicht in Einklang mit der Verfassung gebracht worden seien und daß der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz seine Zustimmung zur Auflösung der alten Stände nicht erteilt habe. Dabei hatten die Städte Rostock und Wismar durch Erklärungen vom 21. Juli bezw. 15. August 1848 die neue Verfassung grundsätzlich anerkannt und nur Entschädigung wegen des Verlustes gewisser Rechte verlangt, und die Stadtverordneten-Versammlungen hatten sich rückhaltlos für das Staatsgrundgesetz ausgesprochen (Vgl. Jul. Wiggers a. a. O.). — Der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz hatte zwar nicht in die Auflösung der alten Stände gewilligt, aber auch er stand nicht auf dem Standpunkt der Ungültigkeit des Staatsgrundgesetzes. Er wollte lediglich die nochmalige Einberufung der alten Stände, um mit ihnen die Strelitzer Verfassung neu zu gestalten, da die Verhandlungen zwischen ihm und der neuen Abgeordneten-Versammlung in einigen unbedeutenden Punkten gescheitert waren. Seine Klage gegen den Großherzog von Mecklenburg-Schwerin vor dem Bundesschiedsgericht in Erfurt ging lediglich auf „zu gewährende Mitwirkung zur Umgestaltung der Meckl. Verfassung, nicht aber auf Nichtigkeit des Staatsgrundgesetzes!
So waren es also lediglich die Ritter, welche das Mecklenburger Volk m maßlosem Eigennutz um die Früchte langjähriger Arbeit der Besten brachte. Sie, die in späterer Zeit stets auf dem Standpunkt standen, daß eine Bundes- und Reichsregierung nicht berechtigt sei, sich in die inneren Angelegenheiten eines Landes zu mischen, riefen selbst zu eben diesem Zweck die Bundes-Zentral-Kommission in Frankfurt an, die im Übrigen ein Schattendasein führte, um deren Beschlüsse sich sonst kein Mensch kümmerte, ja deren Rechtsbestand von Preußen dauernd bestritten worden ist (vgl. von Oertzen S. 105 und 117).
Niemals ist eine Verfassung legaler und korrekter umgestaltet worden, als die ständische Verfassung in Mecklenburg-Schwerin im Jahre 1848, und es gehört zu den Unbegreiflichkeiten der Geschichte, daß die weitüberlebte und in ganz Deutschland einzig dastehende ständische Verfassung nun unangefochten weiter bestand bis zum Jahre 1919, trotz alles Elends, das sie über das Volk gebracht hatte und weiter brachte!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sünden der mecklenburgischen Ritterschaft.