Der Norddeutsche Bund.

Der Krieg von 1866, den Mecklenburg sehr ungern an Preußens Seite mitmachte, führte dann zu dem längst von Bismarck vorbereiteten Norddeutschen Bund. Auf eine Note aus Berlin vom 4. August 1866 zögerte Mecklenburg-Schwerin noch mit dem Beitritt. Jedoch am 15. August schon traf eine zweite sehr scharf gehaltene Note Bismarcks ein, in der die „bestimmte Erwartung ausgesprochen wurde, die beiden Großherzogtümer würden, nachdem alle anderen Verbündeten zugestimmt hätten, in dieser Zurückhaltung nicht beharren“. (v. Oertzen S. 311.)
Die Auffassung der mecklenburgischen Ritterschaft unter Führung der beiden Minister von Oertzen und von Bülow zeigt sich in den Ausführungen Hellmuths von Oertzen S. 311. (Er schreibt im Anschluß an die Wiedergabe der letzten Bismarck'schen Note: „Es zeigte sich also schon jetzt, daß die Hoffnung, die im Kriege gewährte Bundesgenossenschaft werde für den Eintritt in die neuen Bundesverhältnisse bessere Bedingungen zur Folge haben, eine vergebliche gewesen war.“ — Also die mecklenburgischen Truppen hatten in den Krieg ziehen müssen, um bessere Bedingungen für die Ritterschaft zu erlangen, d. h. um die überlebte altständische Verfassung mit aufrecht erhalten zu helfen! — Von Oertzen fährt fort: „Am 17. August trafen demgemäß als Vertreter beider Mecklenburgs die Minister von Oertzen und von Bülow in Berlin ein, und da Graf Bismarck jede Diskussion über das Prinzip der von ihm vorgeschlagenen Grundzüge als aussichtslos bezeichnete, auch der aus Nürnberg nach Berlin geeilte Großherzog Friedrich Franz ungeachtet der seiner Heerführung gespendeten Anerkennung nichts zu erreichen vermochte — die in diesen Tagen bekanntgewordene Annexion von 5 deutschen Bundesstaaten bezeichnete aufs deutlichste die neue Lage der Dinge —, so blieb den beiden Bevollmächtigten nichts übrig, als schweren Herzens ein Abkommen zu unterzeichnen, dessen Gefahren für Mecklenburg nicht nur, sondern für ganz Deutschland sie erkannten.“ Mit dem Vorbehalt der Zustimmung durch den Landtag wurde der Bündnisvertrag am 21. August 1866 in Berlin unterzeichnet. „Tief erschüttert durch die Eindrücke der Berliner Tage“ kehrte der Staatsminister von Oertzen zurück. Zum 26. September wurde ein außerordentlicher Landtag nach Schwerin einberufen, um über die Genehmigung des Bündnisvertrages zu beraten.
Auch die Stände mußten sich dem übermächtigen Zwange beugen, ergingen sich aber in einer Menge partikularistischer Wünsche. Sie verlangten eine weitgehende Beschränkung der Zuständigkeit der Bundesgewalt, Sonderstellung bezüglich des Zoll- und Handelswesens, der Freizügigkeit, des Heimatrechtes, des Gewerbebetriebes, des gerichtlichen Verfahrens und vor allem Gewähr für die bestehende Landesverfassung (J.W., A. m. L., S. 230). Die Stimmung war nach dem Berichte von Oertzens S. 313 eine „nicht gerade freudige, man fürchtete besonders für den Bestand der Landesverfassung“. „Einig waren fast alle darin, daß dem Parlament eine Einwirkung auf die Verfassungsverhältnisse in den Einzel-Staaten nicht eingeräumt werden dürfe. Deshalb betonte auch der Bericht der Mehrheit, welche die Notwendigkeit anerkannte, sich der Zwangslage zu fügen, daß an die Landesherren die Bitte zu richten sei, bei der definitiven Feststellung der Bundesverfassung eine Garantie der bestehenden Landesverfassung herbeizuführen.“ Eine Minderheit von 6 ritterschaftlichen Mitgliedern war wenigstens so aufrichtig und mutig, die Ablehnung der Regierungsvorlage zu beantragen, da dieselbe nicht dem Bedürfnis des Landes entspräche, sondern nur auf äußerem Druck beruhe, (von Oertzen S. 313.)
Die Ritterschaft erreichte ihr Ziel insofern, als in einem Zusatz des Artikels 76 der Bundesverfassung bestimmt wurde, daß die Zuständigkeit des Bundesrats und evtl. der Bundesgesetzgebung zur Einmischung in Verfassungsstreitigkeiten nur für diejenigen Bundesstaaten begründet wurde, „in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist“. „Da nun“ — so bemerkt von Oertzen S.316 — „Mecklenburg durch das Landesgesetz vom 28. November 1817 die Anordnung einer Kompromißinstanz für Verfassungsstreitigkeiten besitzt, ist jede Einmischung der Bundes- später Reichsgewalt in Meckl. Verfassungsstreitigkeiten rechtlich ausgeschlossen.“ — Das Ziel war erreicht und noch dazu in einer Form, welche die selbstsüchtigen Bestrebungen der Ritterschaft in kluger Weise verbarg.
Und noch ein weiteres erreichte die Ritterschaft. Obwohl durch den Bündnisvertrag die vertragschließenden Staaten verpflichtet waren, die Wahlen zum „Reichstag des Norddeutschen Bundes“ auf Grund des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 vorzunehmen, erhielt das vom Landtag verabschiedete Wahlgesetz vom 28. November 1866 eine andere Gestalt, durch welche die Zahl der wahlberechtigten Personen erheblich verringert wurde. Am tollsten war die Wahlkreiseinteilung. Domanium, Ritterschaft und Städte wurden dabei auseinander gerissen. Jeder dieser Teile sollte zwei Wahlkreise bilden. Der Zweck war sehr durchsichtig: Der Einfluß der freieren und fortschrittlicheren städtischen Bevölkerung auf das Land sollte beseitigt oder doch abgeschwächt werden. Auf diese Weise hoffte man, von 6 zu wählenden Abgeordneten 4 Anhänger der landständischen Verfassung durchzubringen. Doch gelang der Plan bei der ersten Wahl nur im ritterschaftlichen Gebiet und zwar dank der restlosen sklavischen Abhängigkeit der dortigen Wähler von ihren „Herren“. Im Domanium und in den Städten wurden 4 liberale Abgeordnete gewählt, darunter Julius Wiggers, der von 10.474 abgegebenen Stimmen 8.301 auf sich vereinigte. Moritz Wiggerswurde mit großer Mehrheit im dritten Berliner Wahlkreis gegen Generalfeldmarschall von Moltke gewählt. — Dieses Wahlgesetz wurde am 31. Mai 1869 vom Reichstag des Norddeutschen Bundes durch ein Reichswahlgesetz ersetzt und hierin auch den Wahlberechtigten Vereins- und Versammlungsfreiheit zum Zweck der Vornahme von Wahlen zum Reichstag gegeben. Und zwar waren gerade die meckl. Verhältnisse die Veranlassung für diese Bestimmungen *(A. m. L., S. 277).
Julius und Moritz Wiggers kämpften von nun an in erster Reihe in dem neuen Parlament gegen das meckl. Verfassungsungeheuer. Schon am 19. März 1867 stellten sie den später immer wiederholten Antrag, im Art. 3 des Verfassungsentwurfes eine Bestimmung aufzunehmen, wonach „in jedem Bundesstaat die Gesetzgebung und die Feststellung des Budgets unter Mitwirkung einer aus Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung geübt werden soll“. Aber ebenso unentwegt war der Widerstand der mecklenburgischen Ritterschaft, der sich besonders im Bundesrat Geltung zu verschaffen wußte. Im meckl. Landtagsdirektorium war einmal die bezeichnende Aeußerung gefallen: die ganze Bundesgesetzgebung sei für Mecklenburg ein Unglück und die Aufgabe der Stände sei es, dieselbe lahm zu legen (A. m. L., S. 279). Als großen Erfolg konnte die Ritterschaft den Beschluß des Bundesrats vom 31. Mai buchen, wonach die ständische Verfassung in Mecklenburg als gültig anzusehen sei.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sünden der mecklenburgischen Ritterschaft.