Travemünde

Den Verheerungen, welche das entfesselte Element in Lübeck angerichtet, entsprechen diejenigen der Umgegend. Besonders arg wurde der bekannte Badeort Travemünde zugerichtet. Um 4 Uhr Morgens war die Vorderreihe noch trockenen Fußes zn passieren, aber schon wenige Stunden später war fast ganz Travemünde überschwemmt. Um nach dem Postlokale zu gelangen, musste man Morgens 7 Uhr schon bis über die Kniee durchs Wasser waten und um 10 Uhr hatte das Wasser in dem doch ziemlich hoch gelegenen Postlokale schon eine Höhe von gegen 2 Fuß erreicht. In den Straßen stand schon Morgens 8 ½ Uhr das Wasser stellenweise 4-5 Fuß hoch, weshalb es unmöglich war, die Post nach Lübeck von hier abzulassen. Noch aber hatte die Flut ihren Höhepunkt nicht erreicht, fortwährend steigerte sich der Sturm, höher und höher stieg das Wasser und erst Nachmittag etwa 2 ½ Uhr machte sich ein Stillstand, etwa eine Stunde später ein geringes und endlich gegen Abend bei Abnahme des Sturmes ein rascheres Fallen bemerkbar. Am 14. konnte Morgens 8 ½ Uhr die Post wieder nach Lübeck abgelassen werden. Menschenleben sind glücklicherweise nicht zu beklagen, der Schaden, welchen aber fast sämmtliche Bewohner von Travemünde an ihren Häusern und beweglichem Eigentum erlitten hatten, war sehr groß. Namentlich hatten die Häuser der Vorderreihe, welche den stärksten Wogenandrang auszustehen hatten, außerordentlich gelitten. Nicht nur waren sehr viele Verandas vollständig weggerissen und mehrere andere arg zerstört, auch die Türen und Fenster, Wände und Fußböden der Häuser waren durch den starken Wellenschlag und die dagegen geschleuderten Holztrümmer eingeschlagen und aufgerissen. Kellerwände eingestürzt und sehr viel Mobiliar zerbrochen und weggetrieben. Die Gebäude der Badeanstalt hatten furchtbar gelitten, in dem sog. Schweizerhause waren die Wände eingeschlagen; das Badehaus am Strande für warme Bäder, ebenso das Haus für Sandseebäder aber gänzlich unbrauchbar geworden.

Über die Verwüstungen der Küste in der Gegend von Lübeck wurde der Lübecker Zeitung geschrirben:


Am Sonntag Morgen trieb es uns hinaus, um mit eigenen Augen die Verwüstung zu schauen, welche die Sturmflut der Ostsee vom vorigen Mittwoch an unserer Küste angerichtet hat. Als wir bei strömendem Regen zur Herrenfähre gelangten, fanden wir die ersten Spuren des Schreckentags. Das den Damm daselbst einfassende Geländer war zum großen Teil demoliert. Die am Ufer stehenden Weiden waren bis an die Spitzen mit Seegras garniert, als trügen sie Trauerschleier. Etwas unterhalb der wieder notdürftig in Gang gesetzten Fähre liegt am rechten Ufer der schwedische Schooner Frithjof, Kapt. Johnsson, aufgelaufen, dessen Masten in einem Winkel von 40 bis 45 Grad ins Fahrwasser hinein ragen, so dass es scheint als müsse er jeden Augenblick in letzteres hineinstürzen; die Bretter; welche die Decksladung bilden, liegen bereits gelöscht am Ufer. Die Uferböschung ist weithin abgelpült und wie rasiert.

Unterwegs bildeten natürlich die Erlebnisse eines Jeden in der Sturmnacht den Gegenstand des Gesprächs. Besonders ergötzlich war die Erzählung eines wackeren Bewohners einer unserer „Gruben“, welcher beim Eindringen des Wassers alle Zugänge seines Hauses straßenwärts und hofwärts nach allen Regeln der Kunst mit Bohlenwerk; Lehm und Mist verrammelt, und sich und seine Habe in diesem hermetischen Verschluss gegen das empörte Element völlig sicher glaubte. Doch mit des Gewässers Mächten ist kein sicherer Bund zu flechten. - Der Ärmste musste es erleben, das von des Nachbars Keller her das Wasser nach dem Gesetz der kommunizierenden Röhren in seinen Keller einbrach und bald alle Räume des Hauses erfüllte, so dass er später große Mühe hatte. das den Abfluss des Wassers verhindernde, also anstalt zu nützen nur schadende Bohlenwerk wieder zu entfernen.

An der Siechenbucht liegen hochragend eine Menge Schiffe in niedrigem Wasser. darunter auch das Dampfschiff Livonia mit Löschen in Leichter beschäftigt. Der brave Führer des letztern, Kapitän Voigt, war am Dienstag Abend bereits auf der Travemünder Reede angelangt, konnte indess, da die Leuchtfeuer auf dem Süderbollwerk des Priwalls hatten nicht angezündet werden können, die Einfahrt nicht wagen, sondern musste wieder meilenweit hinaus und gegen den rasenden Nordost an in die empörte See. Erst am Mittwoch Vormittag gelang es ihm unter wahrhaft heroischen Anstrengungen auf Sturmesflügeln in den Hafen einzulaufen, woselbst er darauf leider in der Siechenbucht festgeriet.

Travemünde bietet ein Bild schlimmer Zerstörung; insbesondere die Häuser an der rechten Seite de Torstraße bis zum Zollgebäude haben schwer gelitten, ebenso die meisten Häuser der Vorderreihe, wie insbesondere auch das Amtshaus. Das Wasser hat in den ersteren mehr als 6 Fuß hoch gestanden und dieselben, soweit sie Lehmwände haben, arg durchweicht und aufgelöst und die darin befindlichen Mobilien und Vorräte beschädigt und teilweise zerstört. Weniger mitgenommen sind die seewärts und höher liegenden, wahrscheinlich auch durch Schiffe und die Allee etwas gedeckten Häuser der Vorderreihe, deren Veranden insbesondere alle noch gut erhalten sind. Auch selbst die Kirche hat so sehr durch die eindringende Flut gelitten, dass heute der Gottesdienst noch nicht wieder darin hat abgehalten werden können. Insbesondere ward auch über den Mangel an Trinkwasser geklagt, da die salzige Flut alle Brunnen erfüllt und deren Wasser zum Trinken untauglich gemacht hat. Weither muss jetzt das Trinkwasser von den umliegenden Dörfern herbeigeschafft werden. - Die Badeanstalt hat vermöge ihrer exponierten Lage außerordentlich gelitten; das Wasser hat selbst im Speisesaal derselben fußhoch gestanden, das Parterre des Schweizerhauses ist sehr beschädigt, ebenso ist das Mobiliar und Bettzeug; welches man in die Konditorei flüchtete, zum großen Teil durchweicht und verdorben. Der Musiktempel ist gänzlich zerstört und weggespült, ebenso ist ein großer Teil der Anlagen und der Alleen vom Sturm gefällt oder doch verwüstet. Das Badehaus ist nur noch eine Ruine, deren nördlicher Teil gänzlich weggerissen ist. Die Badekarren sind natürlich zuerst die Beute der Wellen geworden; ein Rad derselben sahen wir hoch oben auf einem Baume der sehr gelichteten Badeallee. Ähnlich ist es dem kleinen Tempel ergangen, der sich etwas weiterhin im öden Sande erhob; seine Säulen sind gefallen, nur noch Reste des Strohdaches erinnern an sein früheres ziemlich trostloses Dasein. Die Ziegelei, schon bisher wenig mehr als eine Ruine; hat jetzt so ziemlich den Garaus gekriegt. Schuppen und Wohnhaus sind gänzlich weggefegt. Der Seetempel, welcher früher neben der Bank von allen Fremden besucht wurde als die größte Sehenswürdigkeit Travemündes, und welcher nun mit der Bank im selben Jahre sein Ende finden wird, hängt wie ein Schwalbennest am gähnenden Abhang; das ihn ein friedigende Geländer schwebt nur noch an beiden Seiten eben gehalten frei in der Luft.